Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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– Viel lieber durch Leiden
Möcht' ich mich schlagen,
Als so viel Freuden
Des Lebens ertragen. –

So sang am Morgen Wachtel mit lauter Stimme und erweckte die beiden schlafenden Freunde. Als Alle munter und angekleidet waren, erschien das Frühstück und mit ihm die Wirthin, die es entschuldigte, daß die Reisenden in der Nacht eine so schlechte Aufnahme gefunden hätten. In der Entschuldigung wegen des Rauches war ein gelinder Vorwurf eingehüllt, daß man sich ohne Anfrage zu willkührlich 30 des Feuers bemächtigt habe. Bei der neuen Einrichtung, schloß die Frau, sollten diese Zimmer nur für den Sommer benutzt werden, und ich will diesen ungeschickten Kamin auch noch fortschaffen lassen, damit er nicht öfter Irrungen veranlaßt.

Der Spaziergang nach Dorna ergötzte die Freunde, sie wandelten dann nach der Liebemay, einem anmuthigen Walde. Allenthalben erfreute der Anblick der Gebirge.

Am folgenden Tage sollte ihr Kutscher sie nach Dux bringen, sie geriethen aber, da er des Weges unkundig war, nach Kloster Ossek. Auf dem Rückwege besahen sie Dux und die Andenken an den berühmten und berüchtigten Wallenstein, der seit einigen Jahren durch des edlen Schillers Gedicht für die deutsche Nation ein neues Interesse bekommen hatte.

Die Bergstadt Graupen und ihre alte Kirche, die Ruine oben und die schöne Gegend nahmen den folgenden Tag in Anspruch. In der Kirche traf Walther zwei Damen aus Berlin, Mutter und Tochter, und sie beschlossen, die Spaziergänge in Gemeinschaft zu besuchen. Wir werden noch den jungen Herrn von Bärwalde hier sehen, den wir gestern in Bilin fanden, sagte die Mutter, einen jungen Mann, den wir im vorigen Winter kennen lernten. Ein bescheidenes, stilles Wesen, setzte die Tochter die Beschreibung fort, ich habe in meiner Vaterstadt, in Berlin, mit ihm getanzt: er war fast zu ernst und verschlossen und tanzte auch mit einer gewissen feierlichen Miene. Alles dies wurde still und fast ängstlich während des Gottesdienstes in der Kirche verhandelt, und so leise sie sprachen, sahen die andächtigen Böhmen doch mehr wie einmal drohend nach den Ketzern sich um. Plötzlich sprangen zwei junge, wohlgekleidete Leute durch die Thür der Kirche, stellten sich laut sprechend in die Mitte, 31 den Rücken gegen den Altar und Priester gekehrt, und kritisirten die Gruppen der hölzernen Figuren, die gegenüber auf dem Chore einen Theil der Leidensgeschichte, kräftig und wild ausgearbeitet, darstellten, so wie man unten an der Seite durch gelbgefärbtes Glas in das Fegefeuer und die Qual der Sünder hineinsah; Alles auch ganze Figuren. Waren diese Gegenstände auch nicht der Kunst, vielleicht selbst der Kirche nicht ganz geziemend, so war das überlaute Gespräch und Lachen der Jünglinge ungezogen und so anstößig, daß die Damen, von den drei Reisenden begleitet, in großer Angst aus der Kirche flüchteten.

Um des Himmels Willen! rief das junge Mädchen, indem sie die Höhe hinanstiegen, kennen Sie, liebe Mutter, den sanften, trocknen, zu bescheidenen Tänzer in diesem übermüthigen, affektirten Don Juan wieder?

Ist Ihnen denn, werthes Fräulein, sagte Walther, dieser Ton der sogenannten feinern Welt noch unbekannt geblieben? Diese neumodischen ungezogenen Herren, die in Gesellschaften, im Schauspiel und in der Kirche sich lärmend und schreiend betragen, sind beim Tanze so steif und ehrbar, daß sie um Alles nicht lachen oder lächeln und ihre Tänzerin kaum noch mit einem finstern, halb abgekehrten Blicke ansehen. Auf dem Balle darf sich keine Spur von Fröhlichkeit zeigen, sie tanzen, als wenn sie zur Frohn arbeiteten, oder wie die Baugefangenen mit Schellen und Klötzen an den Beinen.

Die Frauen hatten solche Furcht vor jenen beiden Jünglingen, daß sie in der Gesellschaft der Reisenden über Maria-Schein schnell nach Teplitz zurückkehrten. Nach dem Mittagsessen traf man sich auf dem Schloßberge wieder, von wo man am schönsten das ganze Thal von Teplitz übersieht, und Abends begab man sich in das kleine Theater.

32 Ein ächt deutsches Stück wurde gegeben: »Der seltne Prozeß.« Ein verarmter, rechtlicher, frommer und bibelfester Weber weiß seiner Noth kein Ende, um so weniger, da seine Frau ihn seit Kurzem mit Zwillingen beschenkt hat. Der Segen des Himmels, den beide dankbar anerkennen, drückt sie aber so zu Boden, daß nach langem Kampfe und vielem Schmerz sie sich entschließen, das eine Kind in der Nacht einem reichen Manne heimlich zu übergeben. Dieser aber hat in derselben Nacht schon ein Wickelkind erhalten, er läßt Acht geben, und als der Arme jetzt mit schwerem Herzen seinen Sohn dem Zufall und der Menschenliebe übergeben will, wird er ergriffen, gescholten und ihm, der nicht zu Worte kommt, das dritte Kind mit Gewalt in die Arme gelegt. Mit diesem Segen und Jammer befrachtet, muß er nach Hause gehen, und die Klagelieder der Frau kann sich Jeder denken. Indessen ist schon die unerwartete Hülfe nah. Eine Summe Geldes bringt der neue Ankömmling mit und ein Schreiben, daß für die Ernährung des Kindes reichlich soll gezahlt werden. Nun wird große Freude aus der Trauer. Aber der Reiche erfährt diese Entwickelung, er will das Kind sammt dem Gelde und der Verköstigung zurück haben, und so wird der seltne Prozeß vor Gericht geführt. Ein edler Advokat, der die Sache des armen Webers führt, weist sich endlich als der Vater des Findlings aus, und Alle werden am Schluß zufriedengestellt. Ein komischer Richter erheitert die Verhandlung.

Es waren noch nicht viele Brunnengäste in Teplitz und darum, besonders bei dem schönen Wetter, das Theater sehr menschenleer. Eine hohe, edle Gestalt gab sich die Mühe, den Schauspielern und dem schlechten Stücke oft zu klatschen und sie durch lauten Beifall zu ermuntern. Walther erkannte, als sie nach dem Stücke noch den Garten besuchten, in ihm 33 den berühmten witzigen Prinzen de Ligne, der hier meist den Sommer zubrachte. Als Walther ihm seine Begleiter vorgestellt hatte, erklärte der geistreiche Prinz, daß es ihm nicht darum zu thun sei, die gespielte Armseligkeit für etwas Gutes auszugeben, sondern es komme ihm nur darauf an, die armen Schauspieler etwas zu ermuthigen.

Ist es nicht, fügte Walther hinzu, um diese ernsthaften Deutschen etwas Sonderbares! Wenn der heutige Schwank theatralisch gelten sollte, so müßte er eben als Schwank, als Posse vorgetragen werden. In diesem Sinne sah ich die Geschichte vor einigen Jahren in Rom spielen. Ein eigensinniger Misogyn jagt seinen Bedienten, Truffaldin, aus dem Dienst, weil er gehört hat, er sei verheirathet. In komischer Verzweiflung kommt der Spaßmacher nach Hause und findet die Zwillinge. Possierlicher Jammer der Aeltern, was anzufangen sei. Der Entschluß wird gefaßt, das Kind dem Findelhaus zu übergeben. Aber welches? Beide Kinder machen auf gleiche Liebe Anspruch. Man streitet, zankt, weint und lacht: der Zufall soll es entscheiden, und die Kinder werden wie Loose übereinandergerollt und Truffaldin greift blindlings hinein. Beim Findelhaus wird ihm aber der dritte Säugling nach einigen Schlägen, die er mitnehmen muß, aufgezwungen, und in dieser burlesken Art entwickelt sich, ohne Prozeß, so viel ich mich erinnern kann, das tolle Lustspiel. Die Italiener, die gerne lachen, hatten große Freude an dieser lustigen Parodie der Väterlichkeit und des menschlichen Elends, viele gesetzte Deutsche aber, die sich alle zu den guten und besten Köpfen rechneten, meistens Vornehme, die sich sonst nicht von der Moral geniren ließen, fanden den Spaß äußerst unsittlich und folgerten aus dem Lachen des unbefangenen Volks, das durch halbe Cultur noch nicht verdreht war, die tiefe Versunkenheit der Italiener, 34 weil sie beim mindesten edeln Gefühl dergleichen Abscheulichkeit nicht würden dulden können.

Das Albern-Sentimentale, fuhr Wachtel im Gespräch fort, diese Krankheit, die dem wahren Gefühle ganz entgegengesetzt ist, hat von je bei den Deutschen gütige Aufnahme gefunden. Doch sind die Franzosen in vielen ihrer Dramen und Romane auch nicht frei von dieser nervösen Hautkrankheit. Den schlimmsten Ausschlag hat wohl unser Kotzebue gehabt und gegeben. Hiob rieb sich in seinem Elend mit Scherben: wir gehn in die Komödie, um uns zu erleichtern. »Der kratze sich, den es juckt,« sagt Hamlet: das thun wir denn redlich.

Der Fürst lachte und nach einigen Wechselreden trennte man sich, weil es schon spät geworden war. Von Karlsbad schrieb Walther folgenden Brief an seinen Freund nach Warschau.

Karlsbad, den 28. Junius 1803.    

Die Familie Essen habe ich aufgesucht, so wie ich nur hieher kam. Aber ich weiß nichts Bestimmteres, da diese Leute, die etwas träge scheinen, selber keine nähern Nachrichten haben. Nur so viel scheint aus Allem hervorzugehen, daß der Entführer oder Verführer sich unter verschiedenen Namen herumgetrieben hat, und daß es deswegen um so schwieriger ist, ihm auf die Spur zu kommen. Nach Franken deuten die etwanigen unbestimmten Anzeigen. Ich muß es also fast dem Zufalle überlassen, ob ich ihn oder sie auf meiner seltsamen Pilgerfahrt antreffen werde. Man wird selber saumselig, wenn man sieht, wie wenig die Menschen sich ereifern, die die Sache doch auch, der Verwandtschaft wegen, interessirt.

35 Mein wunderbarer Reisegefährte Ferdinand wird mir um so lieber, je öfter ich mit ihm zanke, je weniger ich in eine von seinen seltsamen Meinungen eingehen kann. So wie man von Sachsen aus die böhmische Grenze betritt, ist Natur und Menschenstamm anders. Am auffallendsten aber ist das katholische Wesen, die Heiligenbilder und Crucifixe auf Wegen und Stegen, in Dörfern und Städten, abseits auf dem Felde, wo man nur hinsieht, begegnen dem Auge diese hölzernen und aus Stein gemeißelten Figuren, die meisten, wie sich von selbst versteht, widerwärtig, schroff, und die Gemälde und angestrichenen Passionsfiguren blutig und unannehmlich. Engel, die in Kelchen das Blut des Heilandes auffangen, das Antlitz des Erlösers beregnet von rothen Tropfen, Maria meist mit nußgroßen Thränen, und Alles, wie in der Kirche zu Graupen, darauf hingearbeitet, um Schauder und Grauen zu erregen.

Als ich nun einmal darüber klagte, wie so Vieles in unserm Vaterlande, welches öffentlich aufgestellt wird, mehr dazu dient, die Barbarei zu befördern und das Auge zu verderben, anstatt den Sinn für Schönheit zu nähren und zu erhöhen, gerieth er in einen erhabenen Zorn und rief nach manchen Aeußerungen: Wüßten wir doch nur erst, was Schönheit ist und was wir so nennen sollen! Ist sie denn nicht so oft nur eine Verlarvung des Lebens und der Wahrheit? Auch die alten Griechen, uns Musterbilder im Schönfühlen, hegten vor jenen Klötzen und Unformen, die ihnen aus uralter, fast vorgeschichtlicher Zeit überkommen waren, eine heilige Ehrfurcht und Scheu, und die Frommen fühlten vor diesen Fratzenbildern in Ahndung und Erinnerung mehr, als vor jenen neuen, schöngeschnitzten Götterbildern. Die Süßlichkeit mancher neuen Maler oder Bildner, wenn sie den Heiland als einen Siegwart, oder empfindsamen 36 verliebten Landprediger, oder im Akt des Brodbrechens als einen idealisirten Bäckergesellen darstellen, ist mir das Verhaßteste in allen Verirrungen unserer gefühlvollen Zeit. Das Leiden des Gottmenschen, die Geheimnisse unserer Religion, die Wehmuth, der Schreck unseres Innern, die uns von dieser dunkeln, zu nahen Erde in die himmlischen Regionen des Glaubens und Anschauens hinaufrücken sollen, können und dürfen anderer Natur seyn, als jene Bewegungen, die uns das Schöne erregt. Wo der Landmann seine Aecker überschaut, der wilde Jäger aus seinem Forst tritt, der fremde Wandersmann in den Bezirk kommt, sehen sie die Hinweisung auf Erlösung, Erbarmen, Mitleid und das Wunder des Ueberirdischen. Wird durch Fleiß und Thätigkeit, durch Tugend und Kraftanstrengung nicht immerdar etwas Geistig-Göttliches von der Qual und vom Tode erlöst? Geschieht nicht auch dieses in Arbeit und Mühe durch Schmerz und Aufopferung? Der Bettler empfängt in jedem Brodschnitt nicht nur die Milde des Gebers, sondern auch dessen Kampf und Schweiß. So weit diese Bilder hier in den frommen Gauen stehen, werfen sie ihre leuchtenden Strahlen segnend über die Aehren und die Früchte, über den jungen Wald, Bäche und Wege dahin, und Alles, so weit das Auge reicht, ist wie gesegnet und über den Tod und Fluch des Irdischen erhaben.

Wir fuhren über Dux, Brixen und Saatz, wo wir Mittag machten. Der Abend und der schönste Sonnenuntergang traf uns auf der Höhe vor Engelhaus. Ich erinnere mich kaum, in meinem Leben etwas so Wundervolles in der Natur gesehen zu haben. Ferdinand, bei dem alle Gefühle leicht in Rührung übergehen, hatte Thränen in den Augen. Sie standen seinem hübschen blühenden Gesichte sehr gut, was mit daher rührt, weil der liebe Mensch von aller 37 Affectation völlig frei ist. Was er nun sprach, war wirklich wie in Entzückung, und als wenn er eben einer Vision theilhaftig wäre.

Kann man nicht diese Glut, diesen Purpurbrand und alle diese Röthen in ihren Abstufungen bis zum lichten Rosenschmelz, als Blut des Heilandes, vom Haupte strömend, aus der Seite, den Füßen und Händen fließend, anschauen? Sein Haupt, die Sonne, sinkt tiefer und tiefer hinab, der Nacht und dem Tode entgegen; nun ist die göttliche Scheibe verschwunden, und die Röthe gleitet ihr dunkler und farbloser nach. Er ist scheinbar todt, der göttliche Tag, und sein Alles erleuchtendes Licht erloschen. Ueber uns thürmen sich Wolken und kreisen umher, vom letzten Licht getroffen und schwach gefärbt. Sie bäumen sich auf und ergreifen flockend, anwachsend, sich lösend, diese und jene Gestalt. Es sind die alten Fabelgötter, die ein Traum- und Scheinleben erringen. Da sitzt der alte Jupiter, ungeheuer und in sich schwankend, auf seinem bebenden Dunstthrone, Bacchus erhebt trotzig und jubelnd den Pokal, und so wie er trinken will, zerfließt und schwindet der große Arm und die Figur des Trunkenen wandelt sich unvermerkt in den springenden Pardel, der jetzt den leeren Wagen zieht. Von dort schreitet der Juno erhabene große Gestalt durch das dunkle Blau, sie sucht ihren Gemahl und schrickt zusammen, weil dort schon ein goldner Stern durch den Aether blinkt. Haupt und Locken lösen sich, die gewölbte Brust schmilzt wie Silber im Ofen, die zerbrochenen Formen leuchten noch einmal auf und tauchen dort in den finstern Streif, in welchen sich alle rollenden Bildnisse versenken. Der Traum ist ausgeträumt und die dunkle Nacht tritt herauf. Ein Sternbild nach dem andern bricht aus dem finstern Dome glänzend hervor; oben die unvergänglichen festen Lichter, unten auf Erden 38 Dunkelheit, Nacht, Tod; kein Fels, kein Wald mehr zu unterscheiden, Alles unkenntlich in eine schwarze Masse zerronnen, die ohne Anfang, die ohne Ende ist. Beides ein Bild der stummen Ewigkeit. So steht die Nacht fest, unerschütterlich, wie es scheint. Abend- und Morgenroth sind Wahn; die erhabne Unendlichkeit der Gestirne, die unzählbaren Lichter und Welten in unermeßlichen Fernen wandeln dem rückgekehrten Blick die Erde in nichtig Spielwerk und den Glauben an Gnade und Erlösung in Fieberphantasie. Der Zweifel und das Dahingeben in das Unbegrenzte, Schrankenlose, giebt sich für Wahrheit und Religion. Da erzittert die ewige Nacht in sich selbst, die finstern Wälder schütteln sich im Morgenhauch, die ergrauende Dämmerung wächst wie weissagend am Horizont empor. Plötzlich tritt die liebliche Morgenröthe hervor, mit ihren Wundern über die Berge klimmend; Farbe, Licht, Wonne, Gestalt vertreiben siegreich den Unglauben der formlosen Nacht, und der Glaube tritt wieder in die jauchzende Natur. Sie trägt, die trostreiche, freundliche Mutter, den glänzenden, auferstandenen Sohn als leuchtendes Kind in ihren Armen, und Wälder und Gebirge sind im blauen und grünen Schimmer der letzte Saum des fließenden Gewandes, wie sie aufgerichtet steht, hoch in die Himmel ragend. Und die Ströme jauchzen und schluchzen in Freude, und die Blumen lachen und duften, und die Felsen erklingen, und die Waldung rauscht Lobgesang.

Wir konnten seine begeisterten Augen nicht mehr sehen, denn es war ganz finstere Nacht geworden. Wundersam leuchteten von unten die zerstreuten Lichter aus Karlsbad, und nach vielem Rütteln und Stoßen unseres Wagens, indem einmal der große hölzerne Hemmschuh brach, der hier dem Rade untergelegt wird, gelangten wir spät und nicht ohne Gefahr in dem Städtchen an.

39 Am andern Morgen – wen traf ich? Unsern theuern Carl von Hardenberg, den jüngern Bruder unsers vielgeliebten nur kürzlich und leider für die ganze Welt zu früh gestorbenen Novalis. Er ist mit seiner jungen, angenehmen Frau hier, um die Bäder zu gebrauchen. Er sieht wohl aus und ist stärker geworden. An männlicher Schönheit ist er mit Novalis nicht zu vergleichen. Der schwärmende Ferdinand hat sogleich sein ganzes Herz erobert und mich, den ältern Freund, in den Hintergrund gestellt. Aber sehr begreiflich, weil sie sich in Stimmung und Ansicht begegnen. Carl Hardenberg hat uns seine Schrift: »Die Pilgerschaft nach Eleusis,« vorgelesen, die mein Freund sehr billigte, wenn er gleich nicht Alles loben mochte. Dieser jüngere Bruder nennt sich in seinen schriftstellerischen Arbeiten Rostorf, nach einem Gute in Sachsen, nach welchem die eine Linie Hardenberg diesen unterscheidenden Namen führt. – Eben so ist Novalis ein Gut, nach welchem die ältere Linie sich unterscheidet, und welchen Namen unser Freund annahm, bloß deshalb, um sich nicht Hardenberg zu unterschreiben. Wie viel Unnützes haben schlechte Köpfe, die sich immerdar dem Bessern widersetzen, über diesen Namen Novalis gefabelt und gewitzelt.

Solltest Du nun nach Allem, was ich erzählt habe, nicht glauben, mein Reisegefährte Ferdinand sei katholisch geboren und erzogen? Allein nichts weniger, er ist Protestant und aus einem protestantischen Lande. Der wunderliche Wachtel, der sich die Miene giebt, ihn ganz genau zu kennen, ihn aber doch vielleicht nicht immer begreift, behauptet mit seiner gewöhnlichen Kälte und Sicherheit: wenn Ferdinand in einem katholischen Lande erzogen wäre, oder wenn es nur schon Ton und Mode wäre, wie es vielleicht dahin käme, sich katholisch zu dünken, so würde unser Schwärmer eben so 40 extravagant ein Protestant seyn. Ich lasse das dahingestellt seyn. Denn wer mag dergleichen behaupten oder widerlegen?

Wir sind mit Hardenberg und seiner liebenswürdigen Frau nach dem sogenannten Heilingsfelsen gefahren. Eine von jenen Sagen, mit denen die Phantasie nicht viel anzufangen weiß, knüpft sich an diese Gegend. Die Spitzen der Felsen sind grotesk und gleichen in der Ferne gewissermaßen menschlichen Gestalten. Nun fabelt man, es sei eine Hochzeit, die plötzlich, mit allem Gefolge, in früher Vorzeit sei versteinert worden. – Mich dünkt, der Vielschreiber Spieß hat einen Geisterroman daraus gemacht. Diese gelesenen, beliebten Autoren lösen in Deutschland einander nach gewissen Zeiträumen ab, und selten, daß der neue Liebling besser als der abgesetzte Vorfahr ist. Dieselben Leser aber, die den neuen Demagogen bewundern, können alsdann nicht fassen, wie der frühere ihnen nur irgend etwas habe seyn können.

Man erlebt immer noch unerwartete, möchte man doch sagen wunderbare Dinge. In einer geistreichen, vornehmen Gesellschaft, in welche wir ebenfalls eintraten, als wir oben vom Hirschsprung zurückgekehrt waren, erhob sich zwischen zwei Baronen, schon bejahrten Leuten, ein unerwarteter und lebhafter Streit. Der ältere meinte und behauptete, das Thal von Karlsbad übertreffe nicht nur das Teplitzer bei weitem, sondern sei auch außerdem eine der schönsten Gegenden in Deutschland. Ich habe wohl erlebt, daß man Bücher, Autoren, Musiker und Schauspieler protegirt, und daß der Protektor seine Meinung, wenn er ein Vornehmer ist, so zur Ehrensache macht, daß ihm keiner, höchstens etwa ein Gleichgestellter, doch immer nur milde, widerspricht. Daß man aber in demselben Sinne auch die Natur protegiren könne, war mir eine ganz neue Erscheinung. Der 41 Baron B. focht nun aber mit allen Waffen gegen Herrn A. für sein geliebtes Teplitz, und behauptete, dieses sei ohne Bedenken durch seine Heiterkeit, schöne Fernen, milde Luft und Bergfiguren dem elenden, bedrängten und drückenden Karlsbad vorzuziehen, wo die nahen Berge wie die Mauern eines Gefängnisses jedes Gemüth, das noch irgend Sinn für Natur habe, beängstigten. Als die beiden Gegner immer empfindlicher wurden und sich mit jeder Gegenrede schärferer Ausdrücke bedienten, wollte unser Wachtel den Streit durch gutgemeinte Uebertreibung schlichten oder lächerlich machen, indem er rief: »Meine Herren! Karlsbad, so wie Teplitz in Ehren! Aber, abgesehn von aller partiellen Vorliebe, wo immer eine gewisse Einseitigkeit sich meldet, auf die ein universeller Naturfreund, der ich zu seyn glaube, keine Rücksicht zu nehmen hat, so glaube und behaupte ich gegen sie Beide: daß der Hirschsprung dort oben schöner sei, wie irgend etwas in dieser Gegend oder bei Teplitz, ja in ganz Deutschland wenigstens, um nicht Europa zu sagen. Aber zugegeben selbst, Karlsbad sei ausbündig schön, wie schön dann der Hirschsprung, der hier unbedingt und ohne Frage das Schönste ist. Von tausend und aber tausend Malern ist nur Ein Rafael, der das Höchste und Vollkommenste erreicht hat; unter seinen vielen Bildern muß Eins das vorzüglichste seyn; auf diesem vorzüglichsten Tableau wird ohne Zweifel Eine Figur die beste seyn und – um ganz vollständig das Argument zu endigen – auf und an dieser Figur wird die Nase, der rechte Arm oder das linke Bein, oder wohl ein verkürzter Finger das allerkunstreichste darstellen – und, Vortrefflichste, diesen Finger, oder die Nase, oder was es nun sei, weise man mir nach, und ich bin in meiner Ueberzeugung glücklich, und fühle mich im Mittelpunkt der Kunst und scheere mich um den ganzen Rafael nichts mehr, 42 die übrigen Sudler, Stümper oder vollendete große Meister gar nicht zu erwähnen. Und so ist mir mein Hirschsprung mein Delphi, mein Nabel der Erde.

Dieser Scherz aber, statt die Stimmung der Kriegführenden zu mildern, erbitterte sie nur noch mehr, und er endigte, wie ich gleich fürchtete, mit einer Ausforderung. Zum Glück ist die Sache gut abgelaufen, die Kugeln sind ganz nahe dem Ziele vorbei gegangen, ohne zu verletzen, und der Teplitzer Fanatiker ist nach seinem Lieblingsorte unmittelbar nach dem Kampfe abgereist, indem er in das Fremdenbuch seine Verachtung der hiesigen Gegend mit starken Ausdrücken eingezeichnet hat. –

Kann ein Gebildeter, so hat Baron A. diese Schmähung im Gastbuche zu widerlegen gesucht, so unbillig seyn, die Natur entgelten zu lassen, was bloß seine eigne Verstimmung, oder sein Mangel an Sinn verschuldet hat? Die Engherzigkeit kann kein Urtheil fällen, am wenigsten über ein Geheimniß, und ein solches ist und bleibt die Schönheit der Natur. Der Krittler wird immer mit ihr über den Fuß gespannt seyn.

O wie wahr! sagte Wachtel zum Schreibenden, denn nun verstehe ich erst, warum ich diesen meinen lieben Hirschsprung allen Dingen in der Welt vorziehe. Meine Vorliebe ist eigentlich das Herz und der Kern der Ihrigen, Herr Baron, wie dieser Felsen nur ein Theil des Ganzen; darum kann meine Liebe aber auch um so inniger seyn, weil sie sich durch nichts zerstreuen läßt. –

Doch genug von diesen Thorheiten; der gute Wachtel, so habe ich entdeckt, liebt den Wein noch mehr, wie irgend eine Schönheit in Kunst oder Natur. Er absentirt sich oft und huldigt im Geheim seiner Leidenschaft. Besonders ist es die sogenannte Mennische Essenz, ein vortrefflicher rother 43 und süßer Ungarwein, der sein Herz ganz gewonnen hat. Ferdinand sieht ihn nachher oft mit seinen großen braunen Augen an, und kann aus den Faseleien und wilden Reden nicht klug werden, die Wachtel dann ohne Kritik und Aengstlichkeit von sich giebt. In diesem halben oder ganzen Rausch scheint sich dieser wunderliche Mensch am meisten zu gefallen. –

Nächstens mehr, und hoffentlich eine bestimmte Nachweisung.



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