Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Die Freunde reiseten nach diesem Entschlusse queer durch das Kocherthal und besuchten Neustadt an der Linde. Von einer außerordentlich großen Linde hat dieses Städtchen seinen Beinamen. Nach dieser anmuthigen Gegend kamen sie durch den Harthäuser Wald. Das Thal der Jaxt ist zerrissen, die Weinberge schroff, kahl und weiß, und das Land ist hier weniger fruchtbar, als das Thal der Kocher. Eine sehr große und schöngebaute Brücke führt über den Jaxtfluß, der jetzt so klein war, daß er fast gar kein Wasser enthielt.

Aus Verehrung für Göthe betraten sie das alte Haus, die Burg Jaxthausen, in einer feierlichen Stimmung. Der berühmte Gottfried, oder Götz, hat hier nur in seiner Kindheit und frühen Jugend gelebt. Ein älterer Bruder, Philipp, erbte diesen Stammsitz der Familie, und lebte, wie es scheint, ruhig und glücklich auf diesem seinem Schlosse.

Alles ist hier alterthümlich, fest und mannhaft, wenn auch nicht großartig. Das Archiv ist in einem großen, runden Thurm. Die Wandschränke, viele Sessel und Stühle schienen noch aus der Ritterzeit. Die Wendeltreppe ist vortrefflich gebaut. Fest kann, ungeachtet der Gräben, das Haus doch nicht gewesen seyn; es liegt niedrig, auf ebenem Boden und hat das Ansehn eines reichen Adelhofes.

Ein neues, anmuthiges Schloß von mäßigem Umfang, welches eine Familie Gemmingen bewohnt, liegt nahe bei Jaxthausen, und nicht weit davon, an der Jaxt die Ruine der alten Burg Berlichingen, die alle Leute in der Gegend dort Berlinchen nennen.

Eine Meile von Jaxthausen findet man in anmuthiger Waldgegend das Kloster Schönthal. Hier ist das 96 Erbbegräbniß der Berlichingen; Götz ist als der letzte hier begraben worden, weil nachher die Familie protestantisch war. Die Kirche ist schön, und Ferdinand hörte die Erzählung mit Ingrimm, daß man nicht nur alle goldne und silberne Gefäße, sondern selbst zwei heilige Leiber bei der Aufhebung des Klosters den Juden verkauft habe.

Ein Mönch verzeichnete die Bücher der Bibliothek, weil diese abgeliefert werden sollte. Der Mann schien unwissend und sich mit den alten Drucken oder Handschriften, bei denen er die Titel nicht finden konnte, sehr zu quälen. Ferdinand machte sich an ihn und half ihm bei einigen. Im Verlauf des Gespräches jammerte der Mönch über die Aufhebung des Klosters. Ferdinand stimmte mit ein und sprach von den Vortheilen und Reizen der Einsamkeit, und wie schön die Einrichtung gewesen, daß vielen Geistern, die den Beruf gefühlt, Freistätten seien gestiftet worden, in welchen sie sich ganz und völlig von der Welt unabhängig, den Betrachtungen der höchsten Gegenstände hätte widmen können. Seit lange aber, fuhr er fort, ist die Einsamkeit verrufen, Alle, so hört man immerdar, sollen und müssen in die vielfachen Wirbel und in die Verwirrung der Welt hineingetrieben werden; praktisch, so ruft man schon dem Kinde zu, mußt Du werden, um die Geschäfte, die Aufgaben des Lebens verwalten und lösen zu können. Die Namen eines Stubengelehrten, einsamen Denkers, stillen Forschers sind wie die Benennungen Einsiedler, Klostermönch, abergläubischer Priester, zu Schimpfnamen geworden. Und dennoch – wenn man diese Weltmenschen kennt und beobachtet, die in den Rädern der großen Weltmaschine hanthiren und immerdar mit dem Gewühle der verwirrten Masse umtreiben – wie ist ihr Gemüth abgestumpft und keiner großen Eindrücke und Entschließungen fähig. Ungewohnt, einen wahren, echten Gedanken zu fassen, 97 eine belebende Idee zu ergreifen und sie dann anwendbar zu machen, ist ihr ganzes praktisches Treiben nur wie das des Maulthieres in der Drehmühle, thätig ohne Geschäft, im Mechanismus als Maschine arbeitend. Lehrt uns denn nicht die Geschichte, daß so oft jene stillen Menschen, die sich der Einsamkeit ergaben, in Zeiten der Noth hervortraten, um Das zu ordnen und zu beschwichtigen, was allen Weltregierenden und in der Welt Erzogenen zu mächtig geworden war? Einige der edelsten Päpste nicht nur waren in der Stille des Klosters gebildet und herrschten im großen Sinne, als sie berufen wurden, auch außer so manchen Bischöfen und Aebten waren es oft einfache Mönche, die in Zeiten der Drangsal auftraten, um mit dem Seherblick, den gerade die Einsamkeit geschärft hatte, Kräfte zu entdecken, die die verderblichste Verwirrung in lichte Ordnung umwandelten.

Darum, sagte der Mönch, der von Zeit zu Zeit von seinem Cataloge aufsah, ist es Unrecht, wie man jetzt mit uns umgeht. Nicht anders, als wenn wir Mordbrenner und Landesverräther wären. Und grausam ist es obenein. Denn unser eins hat nun von Jugend auf nichts anders gelernt, wir können uns auf keine andre Weise ernähren, und doch stößt man uns in die Welt ohne alle Versorgung, denn die armselige Pension, die man uns auswirft, kann kaum gerechnet werden.

Ferdinand wendete sich mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung von dem Manne ab. Als sie draußen waren, fragte ihn Wachtel: was ist Dir nur, daß Du plötzlich so sehr verstimmt bist? – Wenn mir, rief Ferdinand aus, der ich ein Laie, ein Protestant bin, das Herz brechen möchte, weil ich in einem Zeitalter geboren bin, in welchem eine ganze Welt von Herrlichkeit, Poesie und Kunst in ein großes 98 Grab höhnend geschüttet wird, eine Welt, in welcher so Großes erwuchs und geschaffen wurde, die für Bildung, Gelehrsamkeit und echte Freiheit so viel that, die durch so viele geistliche Helden und Märtyrer verherrlicht ist, – und ich sehe einen Mönch, der diesem zerstörten Tempel angehört, um nichts als sein tägliches Brot seufzen, den nur die Küche dauert, die zugleich mit dem Wunderdom zerfällt, so möchte ich verzweifeln. Er fühlt sich nicht gekränkt und im tiefsten und heiligsten Ehrgefühl seines hohen Standes verletzt, nein, er wäre zufrieden, wenn er nur in irgend einem Pallast seiner Verfolger wieder Küchenjunge werden könnte. Giebt es freilich viele dieser Art, haben manche Regierende wohl selber so gedacht, so ist diese große Kirchenanstalt in sich selbst, auch ohne äußern Anstoß und ohne die weltliche Habsucht, zusammengebrochen.

Sei nicht unbillig, rief Wachtel aus, wie soll ein gewöhnlicher Mönch, von frühster Jugend zum unbedingten Gehorsam gewöhnt, dessen größte Tugend es seyn mußte, den eignen Willen zu brechen, Deinen Enthusiasmus theilen oder verstehn? der bei Dir auch nur um so feuriger ist, weil Du, in einer ganz anders gestalteten Fremde erzogen, als Fremdling in diese zerstörte Welt hineinschaust. Du bist noch ziemlich jung, wohlhabend, hast niemals Mangel empfunden, kannst es also in Deinem übermüthigen Blute nicht wissen, wie bitter die Nahrungssorgen sind. Außerdem bist Du so erzogen und unterrichtet, daß Du im äußersten Fall zu hundert Geschäften greifen könntest, um Dich zu ernähren; hast auch, durch den Weltumgang, Dreistigkeit gewonnen, mit Menschen umzugehn und Dir Beschützer zu suchen. So ein Armer aber, wie dieser, von frühester Kindheit verschüchtert, erniedrigt und eingezwängt, wenn dem die Maschine zerbrochen wird, an der er arbeitet, und er gar 99 nichts gelernt hat, als an dieser einen Stift einzufugen, der ist unendlich zu bedauern.

An diesem Tage kamen die Reisenden noch bis Mergentheim und setzten am folgenden Morgen ihren Weg fort, längs der Tauber. Die Gegend bis Bischofsheim ist nicht schön, das Thal der Tauber ziemlich kahl. Von Bischofsheim bis Würzburg war die Gegend auch nicht interessant und Ferdinand sagte: ich glaube fast, daß wir gestern den letzten eigentlich poetischen Tag unserer Reise genossen haben.

Sie sind nur, antwortete Walther, gegen das Zurückkehren und scheinen mir eine zu große Vorliebe für das unbestimmte Herumschwärmen zu verrathen.

So ist es, rief Wachtel aus, das war von früher Jugend an seine Passion. Er ist ein schlechter Staatsbürger und Patriot.

Das Reisen selbst, erwiederte Ferdinand, ist für Den, welcher es versteht, eine so poetische Kunst, daß ich mich in diesem Sinne gern als gebornen Vagabunden bekenne. Mich dünkt, der merkwürdige Theophrastus Paracelsus sagt schon, das Reisen sei das Lesen eines herrlichen Buches, in welchem man die Blätter mit den Füßen umschlage. Die Natur und jede ihrer Launen kennen zu lernen, sich ihr ganz zu eigen zu geben, Heiterkeit und Genuß wie Regen und Sturm mit Dank empfangen, dies verstehn nur wenige, und die es vermögen, sind schon Eingeweihte. Dann die Kunst, zu lernen, wie man mit dem Volke leben kann, daß man aus allen Gesinnungen etwas Neues hört, daß man die Spur findet, wo auch in anscheinender Einfalt die Weisheit unbewußt spricht, wie die Wahrheit immer hinter allen Masken der Lüge hervorblitzt, alles Dies dient, unsern Geist zu erheben und reif zu machen. Dazu die Wunder, das Staunenswürdige, das uns Kunst, Natur, das Firmament und die 100 Elemente bieten, oft auch die unscheinbare Gesellschaft und der zufällige Spaziergang. Schon in Teplitz sah ich dergleichen, und ihr Alle, die ihr doch gern staunen mögt, habt es ebenfalls angeschaut, doch ohne es zu beachten. Dorthin kommen alle Sommer aus dem innersten Ungarn Menschen, welche die deutsche Sprache nicht verstehen. Sie verkaufen Draht, Mäusefallen und andere geringfügige Sachen, dabei bessern sie kupfernes Geschirr aus und umflechten Töpfe und Schüsseln. Sie gehen in braunen, langen und weiten Jacken, und nur in dem Einen Aermel steckt in der Regel der eine Arm, sie haben keine Schuhe und Strümpfe nach unserer Art, sondern tragen eine Art von Sandalen, und mit Tuch oder Leinwand ist das Bein umwickelt, so wie es vor der Erfindung der Strickerei und Weberei gebräuchlich war. Ihr Gang hat nichts von unserer Dressur, sondern ist so frei und leicht, wie ihn kein Tanzmeister erreichen oder nur nachahmen könnte; dabei ist in ihren Schritten aber nichts von dem festen Springegang, den man an den Tyrolern beobachten kann. Eben so hat ihr Auge nichts von dem kühnen Umblick jener Bergjäger, sondern es sieht ruhig und in stiller Schwermuth geradeaus und nieder, ist aber niemals forschend oder neugierig. Diese Armen, weil ihr Gesicht von ihrem Geschäft in der Regel schwarz und ungewaschen und von der Sonne und dem langen Wege gebräunt ist, werden von manchem Badegast wie Banditen und Bösewichter angesehen. Ich bin ihnen stundenlang nachgegangen, um sie zu beobachten, ich habe mich mit ihnen zu verständigen gesucht und ihnen manche Gabe zukommen lassen, weil mir ihr Wesen so edel und echt menschlich schien. Sie sammeln, was sie an kleiner Kupfermünze einnehmen, und schütten es in einen Aermel ihrer Kutte, den sie unten zubinden, um mit dem geringen Erwerb mühsam in ihr fernes Vaterland 101 zurückzukehren. Der Ausdruck ihres Gesichtes ist so schwermüthig, daß man sich angezogen fühlt, und was das Merkwürdigste ist, ich habe niemals einen von ihnen lachen, oder auch nur lächeln sehn, sei es ein junger Mensch oder ältlicher Mann, selbst wenn ich ihnen eine Gabe mittheilte, die ihre Erwartung übertraf. Ein milder, dankender Blick hat mich gerührt, und sie waren augenblicks so ruhig, wie immer. Wer sind diese Menschen, die mir als ein Wunder in unsrer Welt erschienen? Sind sie eine Art Paria? Mit den Zigeunern haben sie keine Aehnlichkeit. Ich konnte sie nicht ausfragen, weil sie mich nicht verstanden, die übrigen Menschen gingen gleichgültig an ihnen vorüber, und ich würde einen Otaheiten oder Chinesen nicht mehr als diese umherwandernden Kesselflicker anstaunen.

Du magst nicht Unrecht haben, sagte Wachtel, es thut mir leid, daß ich diese Slawaken, oder Croaten und Wallachen nicht besser beachtet habe. Kommt mir einmal wieder einer in den Wurf, so will ich ihn gewiß unter mein Mikroskop nehmen.

Nach Tische verließ die Gesellschaft Würzburg und begab sich nach dem Lustschlosse Werneck. Im Garten dieses ehemals fürstbischöflichen Schlosses sind noch einige schöngeflochtene Berceaus, nach alter französischer Art, und Ferdinand ergoß sich in Lobpreisungen dieser jetzt verschmähten Gartenkunst, für welche er eine fast übertriebene Vorliebe zeigte. Nichts so Entzückendes, rief er aus, als ein solches dichtgeflochtenes hohes Gewölbe von glänzendem, jungem Buchenlaub. Die Sonnenhitze kann nicht durchdringen, und man wandelt wie in einem lebendigen Saale oder dem Schiff einer Kirche, dessen Wölbung das glänzende Licht in Smaragden verwandelt. Die erfrischende Kühle spielt durch den weiten, langen Raum; im Sturm und Regen ist der 102 Gartenfreund hier wie im Schlosse selbst gesichert. Um zu lesen oder ein vertrautes Gespräch zu führen, ist ein solcher Gang vorzüglich geeignet, ja er erzeugt durch das Offene, Heitere und zugleich Abgeschlossene Vertrauen, und das auffallend Künstliche dieser Bogenwölbung, so innigst mit der Baumschönheit verbunden, ist so lieblich und phantastisch, daß es wie von selbst Poesie und zarte Wunderträume erregt. Preise man nur nicht so unmäßig jene monotonen, melancholischen englischen Gärten, die weit eher ein Rückschritt zur Barbarei zu nennen sind, als daß sie die echte, höhere Gartenkunst sich rühmen, oder gar für die einzig wahre ausgeben dürften.

Sie blieben die Nacht in Schweinfurt, einem wohlhabenden, behaglichen Städtchen. Am folgenden Morgen verließen sie die Chaussee, um auf schlechten Wegen nach dem Badeort Kissingen zu gehen; der Ort ist nur klein und es waren nur wenige Trinkgäste zugegen. Eine Meile entfernt ist das Dorf und Bad Bocklet. Hier ist eine schöne grüne Natur, waldbewachsene Hügel, frische Thalwiesen und eine anmuthige, feierliche Einsamkeit. Nach einem ziemlich langen Spaziergang kamen sie in den Speisesaal zur versammelten Gesellschaft. Ferdinand traf einige Damen und Fräulein, die er wohl sonst in Berlin gesehen hatte. Es überraschte ihn seltsam, in diesem einsamen kleinen Orte Figuren wiederzufinden, die er sich bis dahin nur in den großen erleuchteten Salons hatte denken können.

Hören Sie, sagte Walther zu Wachtel, den er bei Seite nahm, mit welchem Enthusiasmus unser Freund wiederum von seinen berlinischen Freundinnen, vorzüglich aber von der Familie aus Madlitz spricht. Er ist übermäßig glücklich, daß er einige Dämchen getroffen hat, die doch einigermaßen, wenn auch ungern, in das Lob seiner Schönheiten einstimmen; 103 denn es ist mehr als ungalant, man kann es unartig nennen, gegen junge Damen andere abwesende in so hohen Tonarten zu loben. Bemerken Sie nur, wie alle diese Badeschönheiten die zierlichen Lippen aufwerfen und die Näschen rümpfen, wie sie so leicht und schonend diesen und jenen Tadel der gefeierten Grazien einschlüpfen lassen, um der zu schmetternden Trompete unsers Freundes einen kleinen Dämpfer aufzusetzen. Er ist nicht zu entschuldigen, wenn er nicht dort, wie ich zu glauben Ursach habe, schon versprochen ist.

Bei Tische war man heiter, und nur Ferdinand, der es wohl fühlte, daß die anwesenden Schönen nicht mit ihm zufrieden waren, verließ mit einem kleinen Mißmuth den Saal. Er ging mit Wachtel und Walther auf den Kirchhof des Ortes, um das Grab der Auguste Böhmer, der Stieftochter Wilhelm Schlegels, aufzusuchen. Nicht ohne Thränen konnte er ihrer gedenken, und sagte endlich: Wie schwach sind doch die Menschen, daß sie nur selten das Lob eines vorzüglich begabten Menschen, sei er durch Schönheit, sei er durch Geist ausgezeichnet, mit edler, wahrer Theilnahme anhören können. Gleich glauben sie, es würde ihnen etwas entzogen, oder man setze sie gar herab, und so eilen sie denn, sich in Reihe und Glied zu stellen, was im Grunde lächerlich ist, weil sie voraussetzen, man müsse sie ebenfalls zu jenen Hochbegabten rechnen. Von den Verstorbenen ertragen sie schon eher die rühmliche Nachrede. Wie traurig, daß das Andenken eines so schönen Wesens, wie diese Auguste war, so schnell erlöschen muß. Diese natürliche Heiterkeit, der Frohsinn dieses Mädchens, ihr unschuldiger Witz und sanfte Schalkheit, gepaart mit Verstand und Geschmack, war in ihrer schönen Jugend eine zauberhafte Erscheinung. Schlegel hat ihrem Andenken einige vorzüglich schöne Trauergedichte gewidmet. Diese liebliche Erscheinung gehörte ebenfalls 104 zu der frohen, geistreichen Gesellschaft, von der ich neulich in so starken Ausdrücken sprach, so wie die feine, geistreiche Mutter dieser Auguste, eine höchst gebildete Frau, die jetzt die Gattin Schellings ist. Diese Frau hatte ein so feines, geübtes Ohr, daß Schlegel sie bei seinen Gedichten und Uebersetzungen zu Rathe zog, und sie entschied fast immer, wenn er zwischen drei oder vier verschiedenen Lesearten ungewiß war, welche er als die wohllautendste oder passendste wählen sollte. Diese Frau, so wie die Gattin Hubers und noch wenige, gehörten ohne Zweifel zu den frühesten und entschiedensten Bewunderern unsers Göthe; viele der künftigen Literatoren werden es vielleicht nicht glauben wollen, wie sehr edle und geistreiche Frauen in unserer deutschen Literatur den Ausschlag gegeben haben. Als ich vor ungefähr zehn Jahren Berlin wiedersah, war unter den vorzüglichsten der dortigen Frauen Das längst ausgemacht, was Recensenten, Dichter und Gelehrte nicht begreifen wollten, daß Göthe unser größter Nationaldichter sei, ein Poet in wahrster und höchster Bedeutung, und daß die großen Talente, die mitunter selbst im Einzelnen etwas Größeres als er leisten möchten, sich doch mit der Großheit und Vollendung seines Wesens nicht messen dürften. Die Mutter Auguste's reisete vor drei Jahren hieher, um die Bäder zu brauchen, und mußte ihre schöne, liebenswürdige Tochter hier begraben sehen.

Am Abend gelangten sie noch bis Neustadt an der Sale. Die Formen der Berge waren hart und rauh, Alles schien nördlich und unfreundlich. Die Freunde waren zu verdrossen, um die Ruine, eine der ältesten, in der Nähe der Stadt zu besteigen.

Bei der Fortsetzung der Reise schalten sie am folgenden kalten Morgen über die finstern, widerwärtigen Gestalten der 105 Berge. Kurz vor Meiningen liegt die Ruine Henneberg zwischen schönen Tannen. In Meiningen fragten sie nach Jean Paul, der aber schon nach Franken gezogen. Durch schöne Gegenden und Thäler fuhren sie nach Bad Liebenstein, dessen romantische Lage sie wieder erfreute, und fanden hier ihren Freund Carl von Hardenberg wieder, den ein jüngerer Bruder, Anton, begleitet hatte.

Die schöne Gegend wurde am folgenden Tage durchstreift, die alte Burg, die kräftigen Wälder, die grottenartigen Felsen besucht. Man speisete im Freien unter schönen großen Bäumen, durch den Berg gegen Winde geschützt. Am Nachmittage fuhr ein prächtiger Postzug mit vier schönen Rappen vor, und die Freunde glaubten irgend einen Prinzen ankommen zu sehen, als zu Walther's Erstaunen jener Freysing, den er vor zehn Jahren in Erlangen gekannt hatte, aus dem Wagen springt, von seinen Bedienten unterstützt. Sind Sie's wirklich? fragte Walther, und der Fremde eilte, den lange nicht Gesehenen zu umarmen.

Nachdem man sich begrüßt hatte, gingen Walther und Freysing zu einer einsamen Stelle, ziemlich weit vom Bade entfernt. Es freut mich, fing Walther an, Sie so wohlhabend und reich wiederzufinden; Sie müssen in glücklichen Umständen leben.

Glücklich? rief Freysing aus: Sie sehen den unglücklichsten Kerl auf Erden vor sich! Reich? o ja, insofern ein Spieler sich so nennen kann. Sie wissen um den sonderbaren Zufall, daß ich damals in Nürnberg jene große Summe gewann, durch welche ich alle meine Gläubiger befriedigen konnte. Statt nach meiner Heimath zurückzukehren und eine Bestimmung zu suchen, ging ich mit den dreihundert Goldstücken, die mir noch übrig waren, nach einem großen 106 Badeorte, wo hoch gespielt wurde, und gewann wieder auf seltsame, unerhörte Weise. Ich war in dem Zaubernetz gefangen, daß ich nur Karten dachte und träumte. War die Nacht schon weit vorgerückt und ich übermüdet und demnach fieberhaft aufgereizt, so war es, als wenn ein Dämon meine Finger in meiner Betäubung regiere, und ich, so stumpf ich war, bestimmt wisse, welche Karte gewinnen müsse. Wer es nicht selbst erlebt und diese quälende Lust an sich erfahren hat, hat keinen Begriff davon, wie teuflisch wild, wie gräßlich heiter das Leben eines Spielers ist. Ich war bald reich genug, selbst Bank zu halten. So ist der grüne Tisch, Gold und Karten meine Heimath, mein Ein und Alles, mir Frau und Kind und Religion und Natur. Ich habe keinen Sinn für irgend was. Wenn meine Gehülfen schon in der Nacht kaum noch die Augen aufzwingen können, fluche ich über mein verdammtes Geschäft, lege mich betäubt und krank nieder, wandle umher, esse, und kann die Zeit nicht erwarten, bis das Geklirr und Rauschen des Goldes auf dem grünen Tische wieder anhebt. Ich stehe auf, um fünf- oder sechstausend reicher, und es macht mir keine Freude; ich verliere ebensoviel, und es ist mir ganz gleichgültig, und doch ist der verfluchte Gewinn der Sporn, welcher mich stachelt. Wenn ich reise, so kommt oft, wie ferne Erinnerung aus Wald und Fels, ein edles Gefühl auf mich zu, eine Wehmuth ergreift mich über mein zerstörtes Leben, und ich entlaufe dem Gefühl im Pharo; oft schon dachte ich, ein schönes, liebes Mädchen könne an meiner Seite mit mir meines Reichthums genießen; aber plötzlich fallen mir die Fratzenbilder der Kartendamen ein, und welche mir schon große Summen gewonnen, und Leben und Schönheit erblaßt vor diesen Gespenstern. Meine Eltern sind gestorben und ich habe sie nicht wiedergesehen. Wenn ich einmal Alles verlieren sollte, so werde 107 ich mir mit der größten Kaltblütigkeit eine Kugel durch mein zerrüttetes Hirn jagen.

Walther würde vielleicht von dem Wahnsinn und Elend seines ehemaligen Freundes noch tiefer erschüttert worden seyn, wenn er nicht stets nach der großen, wunderbaren Höhle geblickt hätte, in deren Nähe sie wandelten, die jetzt verschlossen war, und die morgen, am Sonntage, magisch erleuchtet werden sollte, zu welcher Festlichkeit sich viele Menschen aus der Umgegend, sowie aus Meiningen versammelten. In dieser Menschenmasse hoffte er denn morgen auch seinen Feind, den er so lange schon vergeblich verfolgt hatte, sowie die schöne Maschinka, anzutreffen.



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