Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Walther von Reineck an den Grafen Bilizki.

Dresden, den 19. Juni 1803.    

Man sagt mir hier, die Familie Ensen sei in Karlsbad, und dahin werde ich also vorerst mit meinem Schwärmer meinen Zug richten, weil ich hoffen kann, von diesen Leuten, welche alle Verhältnisse so genau kannten, von der schönen Maschinka, oder ihrem Entführer etwas zu erfahren. Ferdinand, wie ich ihn der Abkürzung wegen nennen will, führte mich sogleich zu einem wackern Schwaben, einem Maler Hartmann hin, so wie zu einem sehr poetischen eigenthümlichen Landschaftmaler, Friedrich, aus Schwedisch-Pommern gebürtig. Diese wahrhaft wunderbare Natur hat mich heftig ergriffen, wenn mir gleich Vieles in seinem Wesen dunkel geblieben ist. Jene religiöse Stimmung und Aufreizung, die seit kurzem unsre deutsche Welt wieder auf eigenthümliche Weise zu beleben scheint, eine feierliche Wehmuth sucht er feinsinnig in landschaftlichen Vorwürfen auszudrücken und anzudeuten. Dieses Bestreben findet viele Freunde und Bewunderer, und, was noch mehr zu begreifen ist, viele Gegner. Historie, und noch mehr viele Kirchenbilder haben sich wie oft ganz in Symbolik oder Allegorie aufgelöset, und die Landschaft scheint mehr dazu gemacht, ein sinnendes Träumen, ein Wohlbehagen, oder Freude an der nachgeahmten Wirklichkeit, an die sich von selbst ein anmuthiges Sehnen und Phantasiren knüpft, hervorzurufen. Friedrich strebt dagegen mehr, ein bestimmtes Gefühl, eine wirkliche Anschauung, und in dieser festgestellte Gedanken und Begriffe zu erzeugen, die mit jener Wehmuth und Feierlichkeit aufgehn und eins werden. So versucht er also in Licht und Schatten belebte und erstorbene Natur, Schnee und Wasser, und eben so in der 18 Staffage Allegorie und Symbolik einzuführen., ja gewissermaßen die Landschaft, die uns immer als ein so unbestimmter Vorwurf, als Traum und Willkür erschien, über Geschichte und Legende durch die bestimmte Deutlichkeit der Begriffe und der Absichtlichkeit in der Phantasie zu erheben. Dies Streben ist neu, und es ist zu verwundern, wie viel er mehr wie einmal mit wenigen Mitteln erreicht hat. So meldet sich bei uns in Poesie und Kunst, wie in der Philosophie und Geschichte, ein neues Frühlingsleben. Ganz ähnlich, und vielleicht noch tiefsinniger, strebte ein Freund, der erst seit kurzem von hier in sein Vaterland, Pommern (auch das schwedische), zurückgekehrt ist, die phantastisch spielende Arabeske zu einem philosophischen, religiösen Kunstausdruck zu erziehn. Dieser lebenskräftige Runge hat in seinen Tageszeiten, die bald in Kupferstichen erscheinen werden, etwas so Originelles und Neues hervorgebracht, daß es leichter ist, über diese vier merkwürdigen Blätter ein Buch zu schreiben, als über sie in Kürze etwas Genügendes zu sagen. Es war eine Freude, diesen gesunden Menschen diese Zeichnungen selbst erklären zu hören, und zu vernehmen, was er Alles dabei gedacht. Ich suchte ihn im vorigen Jahr, als ich mich auch hier befand, darauf aufmerksam zu machen, daß er, besonders in den Randzeichnungen, die die Hauptgestalten umgeben, mehr wie einmal aus dem Symbol und der Allegorie in die zu willkürliche Bezeichnung, in die Hieroglyphe gefallen sei. Der bittre Saft, der aus der Aloe trieft, die Rittersporn, die im Deutschen durch Zufall so heißen, können nicht im Bilde an sich Leiden, Reue oder Tapferkeit und Muth andeuten. So ist in diesen Bildern manches, was Runge wohl nur allein versteht, und es ist zu fürchten, daß bei seiner verbindenden reichen Phantasie er noch tiefer in das Gebiet der Willkür geräth und er die 19 Erscheinung selbst als solche zu sehr vernachlässigen möchte. In derselben Gefahr befindet sich auch wohl Friedrich. Ist es nicht sonderbar, daß gerade die Zeit, die mehr Phantasie entwickelt, als die vorigen Menschenalter, zugleich im Phantastischen und Wunder mehr Bedeutung, Vernunft und äußere und innere Beziehung finden will, als früher die Menschen von jenen Productionen der Künste verlangten, die doch gewissermaßen ganz aus der Verständigkeit hervorgegangen waren? Man sieht aber wieder, wie Ein Geist immerdar sich im Zeitalter in vielen Gegenden und Gemüthern meldet. Die Novalis auch nicht kennen oder verstehn, sind doch mit ihm verwandt. War es denn auch so zur Zeit des Dante? So weit ich jene Jahre kenne, entdecke ich dort diese Verwandtschaft nicht. Dieser große Prophet hat in seinem Geheimniß dieses Streben, Sache und Deutung, Wirklichkeit und Allegorie immerdar in Eins zu wandeln, auf das mächtigste aufgefaßt. Ihn verstehn und fühlen setzt voraus und fordert eine große poetische Schöpferkraft; mit dem gewöhnlichen Auffassen ist hier nichts gewonnen. Soll man sich aber selbst so loben? Im Briefe vielleicht. Und doch gemahnt es mich, als sei dies kein Lob. Nur Geweihte sollen Dante's Gedicht lesen. Es ist ja keine Bürger- und Menschenpflicht.

Sonderbar, daß viele Menschen, die mit Recht sich etwas darauf einbilden, daß sie Runge's und Friedrich's Bemühungen nicht abweisen, weil ihr Poesiesinn den Schöpfungen entgegenkommt, doch die tiefsinnige und ebenso liebliche Symbolik und Allegorie in Correggio's einzigen Werken nicht fühlen und anerkennen. Wer nichts als den Maler in ihm sieht, der mit Lichteffekten spielt, mag nicht gescholten werden, wenn er mehr als einen Niederländer höher stellt. Runge selbst war immer von diesem großen Dichter auf das 20 tiefste ergriffen, und es ließ sich mit diesem hochbegabten deutschen Jünglinge über diese Gegenstände sehr anmuthig sprechen und schwärmen. Freilich merke ich wohl, daß ich, gegen meinen Begleiter Ferdinand gehalten, mich noch sehr prosaisch ausnehme.

Wir standen vor Rafael's sogenannter Sixtinischen Madonna. Es ist schwer, von einem so ewigen, ganz vollendeten Werke etwas Bedeutendes zu sagen, und um so schwerer, je öfter und weitläuftiger schon begeisterte Bewunderer oder forschende Kenner sich darüber haben vernehmen lassen.

Kein Werk, darin kommen alle überein, ist von Rafael so leicht, mit so weniger Farbe, so weniger Ausführung gemalt. Es hat darüber, weil es wohl rasch gefördert ist, fast den Charakter eines Freskobildes, in Hinsicht der Einfachheit, Erhabenheit, steht es vielleicht, wenn man einmal unterordnen will, allen Arbeiten dieses größten Malers voran. Es kommt mir vor, als wenn diese sublime Erscheinung jene Ausführlichkeit so vieler anderer Meisterwerke nicht zuließe. Denn wie eine Erscheinung wirkt dieses Kunstwerk. Es ist sehr zu tadeln, daß man es so nachlässig eingerahmt hat; denn oben ist vielleicht eine Handbreit oder mehr umwickelt, wodurch die grünen Vorhänge und der obere lichte Raum verkürzt sind. Denkt man sich dieses jetzt Mangelnde hinzu, so schwebt die Gestalt der Maria, sowie des Sixtus und der Barbara noch deutlicher, noch mehr und lebendiger herab. Die Vision der drei Heiligen steigt in die Kirche selbst hernieder, sie erscheint über dem Altar, und Maria bewegt sich im Niederschweben mit dem ernsten Kinde in den Armen zugleich vor. Diese doppelte Bewegung erklärt den Flug des Schleiers, sowie das Zurückstreben des blauen Gewandes; der verklärte Papst, im brünstigen Gebet, ist gleich in 21 dieser knieenden Anbetung und Stellung gewesen. Die heilige Barbara stand der Mutter Gottes nahe, doch geblendet von der Majestät und fast erschreckt von den tiefsinnigen Augen des Kindes ist sie so eben in die Knie gesunken und wendet das Antlitz. Diese Verbindung der früheren und späteren Bewegung liebte Rafael, fast alle seine Bilder zeigen sie, und keiner hat ihn in dieser Kunst, auf diese Weise wahres Leben, Seele in die Stellungen und Gruppen zu bringen, jemals erreicht. Die Engel, als Herolde, sind schon früher angelangt, und stützen sich unten ruhend auf dem Altar selbst. Getrost, kindlich unbefangen erwarten sie die Heiligen, und der Tiefsinn der Kindheit contrastirt mit dem Angesicht Christi und dem strengen Ernst seiner Augen gar schön. Mir unbegreiflich, wie manche seyn wollende Kenner dieser Barbara etwas Weltliches oder gar Coquettes haben andichten wollen. Andre meinen, das Bild sei noch edler, wenn die Figur der Maria ohne alle Begleitung erschiene. Für wie Viele, und die doch gern mitsprechen, ist das Vollendete doch immerdar ein fest versiegeltes Buch, und eben darum, weil es vollendet ist. Die Mehrzahl der Menschen kann sich nur am Einzelnen entzücken. Ihr Streben, sowie sich ihnen in Kunst oder Poesie etwas Mächtiges und Schönes anbietet, ist, sogleich das Werk zu vereinzeln, um sich dieses und jenes, entweder mit Kälte oder Hitze anzueignen. Die Kalten sind die sogenannten Kenner, die oft mit solcher Wegwerfung diese oder jene Zufälligkeit oder eine Nebensache bewundern, daß man, ihren Reden nach, auf den Argwohn kommen müßte, es sei besser, wenn gar keine Kunst oder Poesie die Welt verwirre. Die Hitzigen versetzen sich zuweilen bis zu Thränen in eine ängstliche Leidenschaftlichkeit, um ja nur recht bestimmt etwas zu isoliren, irgend ein Schönes, das freilich sich wohl auch im Kunstwerke findet. Nur 22 verdient dieses Einzelne erst das Lob, und kann nur verständig seyn, wenn es aus dem Innern des Werkes und seiner Totalität verstanden wird. Aber von dieser innern, nothwendigen Vollendung, wodurch erst ein Kunstwerk diesen Namen verdient, von dieser Ueberzeugung wollen die Eifernden wie die Besonnenen in der Regel nichts wissen; diesen Glauben erklären sie geradezu für Aberglauben. Sie können ein Werk nur bewundern, wenn sie es für eine Annäherung, aber freilich mangelhafte, zu jenem unsichtbaren, unfühlbaren und unbezeichneten Ideal halten, welches ihnen im chaotischen Nebel vorschwebt.

Es ist merkwürdig, wie sich so oft die Extreme berühren. Diese Rafael'sche Maria hätte vielleicht niemals copirt werden sollen und kein anderes Bild ist von Stümpern und geschickten Zeichnern so oft wiederholt worden. Den besten aber fehlt das geistige Auge, die wahre Gestalt der Maria wieder zu finden. Vielleicht wäre dem schaffenden Meister selbst keine Copie ganz gelungen. Am schlimmsten sind einige Oelbilder, bloß die ganze Figur der Maria, ausgefallen. Ich kenne welche, die aus dieser erhabenen Gestalt etwas Freches und Gemeines gemacht haben.

Unser Entzücken vor dem Gemälde wurde auf eine sonderbare Art gestört und unterbrochen. Ein Mann in mittleren Jahren, mit einem scharfen Gesicht und einer etwas rothen Nase, kam mit stolperndem Gang und einem schreienden Ton auf uns zu, und schloß meinen verzückten Ferdinand, ob sich dieser gleich etwas sträubte, fast zu heftig in seine Arme. Er nannte sich Wachtel, kam von Guben herüber und hatte unsre Namen im Thorzettel gelesen. »Ihr steht hier«, rief er unmittelbar nach der Begrüßung, »vor dem allercuriosesten Tableau, das der Mensch nur ersinnen kann. Es ist ohne Inhalt und stellt eigentlich gar nichts dar. Man 23 kann sich aus den Abendwolken bessere Geschichten zusammensetzen. Wo kommen diese Creaturen her? Wo wollen sie hin? Warum blieben sie nicht, wo sie waren? Das kommt mir vor wie manche Menschen, die immer eine wichtige Miene machen und hinter diesem nachdenklichen Gesichte doch gar nichts denken. Der Zuschauer muß sich nun zwingen, noch weniger zu denken, und das nennt er dann eine erhabene Stimmung. Wie man beim Feuer, wenn es mächtig um sich greift, oft klug thut, zwei oder drei Häuser einzureißen, damit nicht hundert zu Grunde gehn, so sollte ein durchgreifender Menschenfreund, wie der Kalif Omar, einmal so ein tausend gepriesene Meisterwerke in den Ofen stecken, damit eine Kluft, ein leerer Raum entstünde, und diese Krankheit von unnützer Bewundrung, die immer weiter um sich greift, in sich erstickte, daß die armen Menschen einmal wieder frische Luft holten und zur Besinnung kämen. Was seht ihr z. B. auch dort an dem Tizianschen Christus mit der Münze? Ich habe einen Schacherjuden gekannt, der ganz wie dieser angebliche Heiland aussah. Diese Maler sind lustige, boshafte Kerle gewesen, und es ist zu verwundern, daß ihnen die Geistlichkeit nicht mehr auf die Finger klopfte. Die Satire, wie der Jude hier die Münze und den Versucher ansieht, wie die langen Finger so gern mit dem Geldstück eins werden möchten, ist doch allzusehr in die Augen fallend.«

Ferdinand, der mir vor einigen Tagen soviel Wunder und Schönes von diesem Jugendfreunde erzählt hatte, hätte aus der Haut fahren mögen und durfte doch den täppischen Gesellen nicht verleugnen. Er war aber dunkelroth vor Scham, denn noch kurz zuvor hatte er mir und den Umstehenden bewiesen, wie in diesem Bilde, »Christus mit der Münze,« sich Tizian, der nur selten erhaben sei, selber 24 übertroffen habe. So sehr er sich wehrte, mußte er sich doch von seinem Freunde zu den Teniers und einigen andern niederländischen Bauernscenen schleppen lassen, wo dieser Wachtel sich unter lautem Lachen ganz glücklich und behaglich fühlte. –


Nachdem Walther diesen Brief abgesendet hatte, kehrte er zu seinem Freunde Ferdinand zurück, den er im heftigen Wortwechsel mit Wachtel antraf. Was giebt es, fragte er, worüber man so laut streiten könnte? Wachtel nahm sogleich das Wort und erzählte mit großer Lebhaftigkeit: die Sache, werthgeschätzter Unbekannter, betrifft, kürzlich zu sagen, das Herz und die Liebe. Ich bin des Undankbaren ältester Freund, und er will es mir verwehren, hier mit ihm zu seyn und ihn nach Teplitz und Karlsbad zu begleiten. Ist das nicht reelle Undankbarkeit? Ich komme her, sehe ihn nach Jahren wieder, und will mein verdumpftes Herz in lichtender, frischer Liebe auslüften und durch heilsame Erschütterungen von Motten und allem unnützen Gespinste reinigen, und er will es mir verwehren, ihn zu begleiten, weil ich ihn, wie er vorgiebt, in seiner verstimmten Erhebung nur störe. Auch hat er, wie immer, allerhand von Geheimnissen, die ich ihm allzuroh und derb betasten, oder vielleicht gar erdrücken möchte, denn er liebt es, sich selbst zu verhätscheln, und doch hat der arme Schelm seine ganze Schwärmerei nur einzig und allein von mir gelernt, was er freilich jetzt, nach so manchen Jahren, nicht mehr Wort haben will.

Ferdinand mußte lachen und sagte: nun, so begleite mich denn, Freund Wunderlich, wenn jener Herr, mit welchem ich mich schon für einige Zeit versprochen habe, nichts gegen die Vermehrung der Gesellschaft hat. Walther schien 25 über die neue Bekanntschaft erfreut, die ihm manche Aufheiterung versprach, und man nahm sogleich die Abrede, vorerst nach Teplitz zu reisen, um zu erfahren, wie man sich untereinander vertrüge.

An einem trüben Tage reisete die Gesellschaft von Dresden ab, ziemlich spät, so sehr auch Ferdinand getrieben hatte, damit man noch zeitig in Teplitz anlangen könne. Der bequeme Walther aber, der es nicht in der Art hatte, Zeit und Stunde sehr zu beachten, hatte die Stunde versäumt. Die schöne Gegend bei Pirna, die anmuthige bei Gießhübel, die Waldpartien, die wechselnden Aussichten ergötzten alle. Auf der Grenze wurden die Reisenden, die nicht viel Gepäck mit sich führten, nur wenig aufgehalten. Der Weg bis zum Nollendorfer Berg hinauf war ermüdend und langweilig, denn schon in Peterswalde hatte sich ein dichter Nebel herabgesenkt, der jede Aussicht verdeckte. Oben auf dem höchsten Punkte des Berges von Nollendorf steht eine kleine Kirche. Hier stiegen die Reisenden aus, um, wo möglich, etwas von der Schönheit der Natur zu genießen.

Der Wagen fuhr indessen das Thal hinunter, als die Naturbeobachter noch oben im dichten Nebel standen und kaum die nächsten Sträucher am Wege unterscheiden konnten. Wachtel sagte: Eigentlich, meine Freunde, ist dies, was wir hier nicht sehn, und indem wir nichts sehn, der erhabenste Anblick der Natur. Dies ist ein Bild vom alten uranfänglichen Chaos, welches der wundersame Großvater aller Formen und Gestaltungen war. Wir übereilen uns, wenn wir uns das Nichts als nichts denken wollen: was sich weder denken noch vorstellen läßt. Nein, so wie wir es hier vor uns sehen, ist das Nichts beschaffen. Alles, so weit man sieht und denkt, ein unreifer Brei, eine angehende Milch, ein blöder Lehrling für ein Sein. Wie Silhouetten-Gespenster 26 dort die Bäume und Sträucher, eben nur zu errathen, Finsterniß in diesem bleichen Dunkel, dort ebenso die Wand der Kirche. Alles nur Räthsel: steht da, wie Aberglauben im Meere der Unvernunft. Wenden wir nun einmal dieses eingebräute Gleichniß vor uns auf unsre eignen Köpfe an, so – –

Hier versagte dem Schwatzenden das Wort im Munde, denn einem Wunder gleich riß sich eine große breite Spalte in dem dichtgewundenen Nebel, und grünes Land, sonnenbeglänzter Wald lag unten, gegenüber funkelnde Berge im wachsenden Lichte. Kaum entdeckt, brachen links und rechts neue Klüfte im weißen Nebelmeer auf, und wie selige Inseln zeigten sich von allen Seiten Gebirg und Flur im spielenden Glanz des fluthenden Sonnenscheines, indessen noch dazwischen wie Wände oder Säulen die ineinandergeflochtenen Wolken alle Aussicht deckten. Nun entstand ein Kampf zwischen Licht und Dunkel: Alles wallte und zog hin und wieder. Die Wolken löseten sich in Streifen, die leichter und wolliger zerflossen und sich endlich in den Glanz verloren und untertauchten. So wurden von unsichtbarer Hand allgemach die Vorhänge weggehoben und das ganze Gebirge mit seinen schönen Formen lag weit ausgebreitet in allen Abstufungen des vollen und gemilderten Lichtes vor den Augen der entzückten Beschauer.

Diese Landschaft, rief endlich Ferdinand aus, muß eine der schönsten in Deutschland seyn.

Wie oft ich auch die Reise machte, sagte Walther, so habe ich doch niemals dieses überraschende Entzücken genossen, welches mich heut ergriffen hat. Wie herrlich wäre es, wenn der Elbstrom durch dieses Thal flösse, denn nur Wasser fehlt dieser lieblichen Natur.

Sprechen wir nur nicht so, rief Wachtel aus, wie ich 27 dergleichen schon so oft habe hören müssen. Ihr waret ja eben noch entzückt, Freunde, und schon fangt ihr an, Mangel zu empfinden, zu kritteln und zu kritisiren. Wie schön der Anblick eines gewundenen Stromes auch sei, wenn er wie ein belebender Geist hin durch die Landschaft glänzt, so paßt er doch nicht in jede Naturscene hinein. Hier, wo Alles lieblich, so einklingend ist, würde er mich nur stören: er höbe das Gefühl dieser behaglichen Einsamkeit gewissermaßen auf. Rhein, Neckar, Mosel und der schöne Theil der Elbe beherrschen die Gegend, durch welche sie strömen, prägen ihr den Flußcharakter auf; hier aber führen die schönen Gebirge unmittelbar selbst das Wort. Stören kann oft eine kahle, unbedeutend schroffe Wand, wenn sie zwischen den schönen Linien der Gebirge sich eindrängt, ein nackter Hügel, dem man die Waldung geraubt hat, eine wüste Sandfläche, die sich todtenbleich und krank zwischen lustiges, lebensvolles Grün der Fluren wirft, aber hier, Freunde, ist Alles so ganz und voll, daß euch nichts mangeln sollte.

Sie stiegen jetzt beim schönsten Wetter den Berg hinab. Ein Fußpfad führte sie durch den Wald, aus welchem sie bald hier, bald dort wieder den freien Ausblick zu den Gebirgen hatten. Die Frühlingsvögel sangen nicht mehr, aber durch die feierliche Einsamkeit schrillten und zirpten die kleinen Vögelchen ihre einfachen kindischen Melodien.

Sie trafen im Thale ihren Wagen wieder, aber die Abendsonne beschien die Kapelle oberhalb Culm und den Weingarten, auf welchem sie schimmerte, so einladend, daß die Uebrigen Walther's Vorschlage gerne folgten, noch zum Hügel hinaufzuklimmen, um den Untergang der Sonne von dort zu genießen. Die Freude an der Natur erzeugt oft, indem man in der Aufregung keine Ermüdung fühlt, eine Art von Rausch, welcher dann Mattigkeit und Ernüchterung 28 herbeiführt, wenn man, wie beim Wein, die Sättigung zu lange hinausschiebt. So erging es den Reisenden. Die Sonne war untergesunken, sie stiegen in der Dämmerung hinab und hatten noch bis zum Nachtquartier einen ziemlich weiten Weg vor sich. Der Fuhrmann schmollte über die unnütze Verzögerung, um so mehr, da die Finsterniß, schnell wachsend, hereinbrach. Jetzt fühlten die Abentheurer obenein, daß sie, aus Freude an der Reise und weil sie spät von Dresden ausgefahren, das Mittagmahl versäumt hatten, und mit der zunehmenden Ermüdung und Dunkelheit wuchs in ihnen Hunger und verdrüßliche Stimmung. Es wurde völlig finster, so daß man die nächsten Gegenstände, selbst den Weg nicht mehr unterscheiden konnte, und der Fuhrmann, der der Gegend unkundig war, erklärte auf das Bestimmteste, daß er in dieser pechrabenschwarzen Nacht unmöglich schneller fahren könne, wenn er nicht sich und seine verehrten Herren der wahrscheinlichsten Lebensgefahr aussetzen wolle.

Mühselig, verdrossen, langsam ging die Reise fort. Immer noch erschien Teplitz nicht, und Mitternacht war schon längst vorüber. Endlich ersahen die Verstimmten eine dunkle Masse, in welcher nur wenige Lichtpunkte flimmerten, vor sich. Der Kutscher fuhr seitwärts, wie es schien, um das Thor zu finden. Keine Antwort auf wiederholtes Rufen und Klopfen. Endlich hörte man von innen, daß dies die Wohnung des Küsters und der Eingang zum Kirchhof sei. Der Kutscher tastete herum und fand ein großes Gatterthor. Noch weniger ward hier auf das laute Klopfen und Schreien Rücksicht genommen. Es war vom Felde her der Eingang zum sogenannten Fürstenhause. Mühselig fand man sich in der trüben Finsterniß zum Thore und zur Töpferschenke hin. Hier schlief aber längst Alles. Ein Kellner und eine 29 Küchenmagd erschienen endlich, nur halb erwacht. Der Wagen ward untergeschoben, die Zimmer schloß man auf. Die Aufwartenden verwunderten sich übermäßig, daß die Ankommenden noch zu speisen begehrten. Butter, Schinken und ein kaltes Huhn wurden, nach vielem Widerspruch, nebst einer Flasche Wein noch herbeigeschafft. Die Betten waren in Ordnung. Aus Mitleid ließ man die Aufwärter wieder schlafen gehen. Doch Walther bildete sich ein, er fröre und habe sich erkältet. Ein großes Kamin war im Zimmer, und Wachtel, der allenthalben die Augen hatte, entdeckte auf dem Gange einige Scheite Holz. Man versuchte ein Feuer zu machen, das anfangs hell brannte, bald aber das Zimmer mit Rauch anfüllte. Es ward entdeckt, daß das Kamin oben zugemauert, also nicht zu gebrauchen war. Die Uebermüden hatten viele Noth, bis sie den Rauch wieder durch die Fenster hinausgetrieben hatten. So, ungesättigt, matt, verdrossen und überreizt begaben sie sich auf ihr Lager, indem Wachtel noch behauptete, es sei nichts so mit Pein versalzen, als die Vergnügungen des Lebens.



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