Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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In Erlangen war am Johannistage ein Student beim Baden ertrunken. Die besten Schwimmer hatten ihn nicht retten, die künstlichen Mittel den Jüngling nicht ins Leben zurückrufen können. Man war einem alten, angesehenen Manne böse, welcher Alles für unnütz erklärt hatte, weil jeder Fluß an diesem bedenklichen Tage sein Opfer fordere. Die jüngern Leute vorzüglich schalten mit Heftigkeit auf solchen Aberglauben, der in manchen Gegenden den gemeinen Mann wohl selbst hindere, rettend beizuspringen. Wachtel bemerkte, daß es in Deutschland noch immer Provinzen und Städte gebe, wo der Bürgersmann des festen Glaubens sei, daß am Johannistage einer aus dem Orden der Freimaurer vom Teufel geholt werde. Als man bei Le Pique, dem 57 verständigen Pfarrer versammelt war, wo sich der scharfsinnige Naturforscher Serbeck, sowie der Professor Mehmel eingefunden hatte, hielt, nachdem viel über die Fortschritte in jener Kunst gesprochen war, durch welche Scheintodte wieder zum Leben gefördert werden können, Wachtel folgende Rede:

Verehrte Gesellschaft und präsumtive Zuhörer!

Ich will gewiß nicht zurückbleiben, die Größe unserer Zeit anzuerkennen, blicken wir aber rückwärts, um nicht zu einseitig zu werden, so gebe ich mich für den Geschichtschreiber, oder Bemerker, oder Würdiger einer nicht ganz neuen, aber noch eben nicht besprochenen Kunst – der Kunst nehmlich, die Scheinlebendigen zu tödten.

Es sei mir erlaubt, von unsern Vorfahren anzuheben. Ehe die Welt, nehmlich unsere Erde und ihre atmosphärischen Pertinenzien zur Schöpfung, wie der Rahm, zusammengeronnen war, gab es, dem Sein gegenüber, ein Nichtsein. Von diesem Nichtdaseienden wurde lange Zeit keine Notiz genommen, denn es machte sich nicht merkbar. Leiber und Geister trieben ihr Wesen hand- und fußgerecht, und man lebte so recht frisch auf Gottes Güte und in den alten Kaiser hinein, als wenn diese Zeitlichkeit schon die reelle künftige Ewigkeit wäre. Neben kräftiger Tugend und vielfachen Thaten nahmen sich Uebermuth und Laster denn freilich auch Vieles heraus, und wie rüstige Kupferschmiede hämmerten Gute und Böse mit leidenschaftlichem Treiben auf das Leben los, daß Propheten und fromme Menschen oft dachten und weissagten, die ganze Schöpfung müsse zusammenbrechen. Jahre kamen, Jahre gingen. Schwermuth, Empfindsamkeit, Sentimentalität, Ohnmacht und Unkraft zu Tugend oder Laster gingen im Schwange: – es war nehmlich die Zeit gekommen, wo sich das uralte Nichts allgemach in das Dasein eingeschustert und eingeschlichen hatte. Ich konnte aus der Welt und 58 meinen sonst löblichen Nebenmenschen nicht klug werden, bis mir denn ein Seherblick einmal in einem merkwürdigen Traume aufging. Im Orbis Pictus hatte ich in meiner Kindheit mir wohl die Umrisse in feinen Punkten eingeprägt, welche in jenem Buche die Formen der Seelen ausdrücken sollten. Wie ich also im Traume meinen Guide, einen weisen Geist, nach dem Zustande der Dinge fragte, that mir dieser mein inneres Auge auf, und – o Jupiter! o Gemini! wie sah ich Alles anders! Viele Menschen waren robust, voll, kurz angebunden, von sich und ihrer Meinung überzeugt. Andere thätig im Gewerk und Landbau, – aber Unzählige liefen, von allen Ständen und Altern, so als fein gepunktete Schaaren herum, nichts wissend, wollend, denkend, aber sich vieler Dinge anmaßend. Wundre dich nicht, sagte mein Engel oder was mein Führer seyn mochte, über diese Entdeckung, welche du jetzt machst. Es ist nicht ohne, daß die Welt allgemach wieder ihrem Untergange entgegenwandelt. Die Nichtigkeit hat sich in alle Räder und Schwungtriebe der großen Maschine eingeschlichen. Der Mensch war als der Mittelpunkt mit seiner Kraft hingestellt, um den Körper der Welt, damit er niemals ein Leichnam werde, frisch zu erhalten. Jetzt werden es, ich weiß nicht wie viele Jahre seyn, daß die Menschheit auch mit Nullitäten angefüllt ist. Alles das Punktirte, was du wahrnimmst, sind Leiber ohne alle Seelen. Diese Körper stellen sich nur lebendig an und führen ein Scheinleben.

Abscheulich! rief ich aus: ich sehe fast mehr Tättowirte, als wirkliche Menschen. Kann die Vorsehung denn dergleichen zugeben oder gestatten?

Die Vorsehung, erwiederte mein geistlicher Präceptor, bedient sich in allen Dingen mittelbarer Mittel, und greift 59 niemals persönlich in ihr geschaffenes, vielseitiges Getriebe. So hat sie denn, damit diese Scheinlebendigen nicht am Ende alles wirkliche Leben verdrängen und allein von der Erde Besitz nehmen, Gesetzgeber, Fürsten und echte Volkslehrer inspirirt, die sich, so viel es möglich ist, diesem Unwesen widersetzen und das Reich der Nichtigkeit auf verschiedene Weise zu zerstören suchen.

Recht! Recht! sprach ich eifernd: o groß ist Allah! würde der Muselmann hier ausrufen. – Da war eine sehr weise Cantoneinrichtung, wo die Punktirten, Nichtigen, die Eindringlinge so von Lieutenants, Fähndrichen und Unteroffizieren tribulirt, gehänselt, geplagt und ganz simpel geprügelt wurden, daß wirklich viele von diesen Scheinlebenden die Geduld verloren und sich wieder aus dem Staube machten. Ob ein Knopf so oder so saß, die Binde um den Hals um das Sechzigtheil eines Zolles zu niedrig oder zu hoch war, war ein Capitalverbrechen. Was man nur an dem Volke zwicken und kneifen konnte, geschah redlich, und ich mußte nur mit innigem Bedauern sehen, daß auch wirkliche lebendige Menschen von der übrigens weisen Anstalt molestirt wurden. Liefen die Kerle etwa davon und wurden wiedererhascht, so war ihnen eigentlich das Leben abgesprochen; die Gnade erhielten, wurden so mit Ruthen gestrichen, daß sie auch oft die Verstellung aufgaben, die Maske fallen ließen und wirklich starben. O wie trefflich fand ich die Schulen und Universitäten versorgt! Eine so fürchterliche Langeweile wurde mit Kunst da vertrieben, daß eine eiserne Geduld dazu gehörte, um sich nicht in diesen sogenannten Wissenschaften sterben zu lassen. Half Alles nichts, so wurden die Scheinseelen nachher noch examinirt, und von neuem ins Examen genommen, und wieder geprüft, daß Viele wirklich sich während dieses Examinirens davon machten. War aber 60 Alles umsonst, so hatte man eine wundersame Art von Bündel erfunden, die man Akten nannte und die sich unsterblich immer vermehrten und vermehrten, diese wurden den Gequälten ins Haus geschickt, um wieder neue Akten daraus zu machen, so daß sehr viele zu sterben sich entschlossen. Nun gab es außerdem noch Trinkstuben, wo man mit Verstand schlechten Wein und noch schlechteres Bier fabricirte, um das elende Volk zu vergiften. Von dem Branntwein, der noch schneller wirkte, brauche ich gar nicht einmal zu sprechen. Hübsch war es auch, daß das Spazierengehen und die Freude an der Natur war erfunden worden, um das unnütze Volk aus dem Wege zu räumen: denn schon in den Schulen wurde es den Kindern beigebracht, daß sie sich ja regelmäßig erkälten müßten, weil es so möglich war, daß sie doch irgend einmal am Naturgenuß erstarben. Oft blitzte es in den punktirten Nichtseienden: es kam wie ein Bewußtsein über sie, daß sie leere Särge wären, es schien, als wollten sie sich zu Tausenden ermannen, um wie die Fliegen hinzufallen, damit das nüchterne Spiel nur aus sei. Es wäre auch wohl geschehen, und die Staatstabellen würden über die ungeheure plötzliche Sterblichkeit gewinselt haben, – aber da gab es eine höllische Erfindung, die ihnen trotz Prügel, Akten, Examen, Naturgenuß, Bier und Branntwein dennoch dies lumpige nicht lebendige Leben wieder annehmlich machte – sie rauchten nehmlich Tabak, um sich von dem entsetzlichen Gedanken, der sie befallen hatte, daß es ein wirkliches Leben gebe, wieder zu erholen und zu zerstreuen. – Ich sah nun ein, daß diese Tödtungsanstalten in jeder Hinsicht als Wohlthat für die wirklich Lebenden zu betrachten seien, und daß viele Menschenfeinde und der Verfasser »des menschlichen Elendes« wohl anders würden geschrieben haben, wenn ihnen, wie mir, das Auge wäre eröffnet worden. 61 Freilich möchte sich bei Untersuchung finden, daß die meisten dieser Autoren auch nur Scheinmenschen sind. –

Die Gesellschaft begab sich am andern Tage nach Nürnberg, um die Merkwürdigkeiten dieser guten alten Stadt in Augenschein zu nehmen und den lebenden Panzer und Dürers Grab auf dem Johanniskirchhof zu besuchen. Die schönen Kirchen und das Rathhaus wurden mit Aufmerksamkeit betrachtet, und im rothen Rosse, dem besten Gasthofe, erzählte Walther, wie vor zehn Jahren in diesem Hause sich etwas Seltenes zugetragen habe. Freysing, ein Student von Kopf, aber leichten Sitten, hatte in Erlangen weit mehr verbraucht, als ihm sein wohlhabender Vater bewilligt hatte. Eine große Schuldenlast drückte ihn, der letzte Wechsel, der ihm, um abzugehen, gesendet wurde, reichte bei weitem nicht aus. Er bezahlte daher nur die ärmsten seiner Gläubiger und verjubelte mit seinen Trinkbrüdern auf Spazierritten und in frohen Gelagen die ganze Summe. Am letzten Tage besaß er nur noch sechs Louisd'or, die kaum hinreichten, um auf dem gewöhnlichen Postwagen und mit Entbehrungen aller Art in seine Heimath zu gelangen. Ob mein Alter, rief er im Uebermuthe aus, jetzt mehr oder weniger schilt, kommt auf eins hinaus, denn mit dieser Lumperei reise ich auf keinen Fall zurück. Er ging nach Nürnberg und wagte die wenigen Goldstücke im Pharo. Das launische Glück war ihm so wunderbar günstig, daß er in einer Nacht so viel gewann, daß er allen seinen Gläubigern bis auf den letzten Heller zahlen konnte, welches mit Wucherzins eine sehr ansehnliche Summe ausmachte, und noch tausend und mehr Thaler von seinem Gewinne übrig behielt.

Beim Kunsthändler Frauenholz sahen die Freunde ein wundersames Bild von einem unbekannten Meister. Es ist die Mutter mit dem Kinde, ein gewöhnlicher Gegenstand, 62 aber hier mit einer Innigkeit behandelt, die die Beschauenden entzückte. Sie küßt das Kind, und der Ausdruck in Mund und Augen ist so herzlich und ergreifend, daß man, obgleich die Gestalten nicht eigentlich durchaus schön sind, nichts Süßeres und Lieblicheres finden kann. Das Antlitz der Mutter ist so zart und fein gemalt, daß es wie aus aufknospenden Rosen gebildet ist. Die Nebensachen, Blumen und Verzierungen sind mit einem liebevollen Fleiß behandelt. Der Besitzer schrieb es unverständig dem Lucas von Leyden zu. Der Preis von zweitausend Gulden, den er forderte, war für einen Reichen nur eine mäßige Summe, um mit dieser Wunderblume sein Gemach auszuschmücken.

Als sie nach Erlangen zurückgekommen waren, reiseten sie am folgenden Morgen nach Pommersfelden. Man war verdrüßlich über den schlechten Weg, und Wachtel suchte sie mit Scherzen zu erheitern. Unter anderm sagte er, als sie von der Gemäldegallerie in Pommersfelden sprachen: Es ist sehr verdrüßlich, daß sich die Kunstgeschichte immerdar erweitert. Unzufrieden mit dem Besitz, entdeckt man neue Zeiten, Manieren, Unterschiede und Künstlernamen, von denen unsre guten Vorfahren nichts wußten. Wer sonst ein steifes Bild sah, nannte es zu seiner und Aller Befriedigung einen Albrecht Dürer, wie sie es in Italien noch machen. Konnte man bei einer etwas abweichenden Manier den Namen Lucas von Leyden einsetzen, so galt man schon für einen Gelehrten. Dergleichen Abkürzungen und Anhäufungen vieler auf Einen Namen ist immerdar in Geschichte wie Mythologie sehr ersprießlich gewesen; man kann mit Einem Herkules, Sesostris und Pharao zufrieden seyn, diese behalten sich, und man muß es der Abbreviatur der Vorzeit danken, daß sie uns das Studium bequemer eingerichtet hat. Die Aufstöberer von Unterschieden und neuen Personen sind als Aufrührer 63 zu betrachten, die die legitimen, wohlerworbenen Rechte jener Gesammtmenschen umstoßen wollen. So war vor zehn Jahren eine vortreffliche ältliche Castellanin in Pommersfelden, welche den Fremden die Zimmer des Schlosses und die Gemälde zeigte und erklärte. Es giebt einen berühmten Correggio, von welchem jede Gallerie wenigstens ein Stück besitzen will, drei Caracci, Ludwig, Augustin und Hannibal, zwei Caravaggio, den frühern und spätern, dazu glaube ich noch einen Cagnacci, zwei Carpaccio ungerechnet, diese Herren sämmtlich, nebst allen, die nur irgend mit ihrem Namen sich dem acci näherten, hatte die unvergleichliche Frau mit weiser Umsicht in den einzigen berühmten Maler Karbatsch zusammengearbeitet. Auf diesen großen Meister wälzte sie zugleich alle jene Bilder, auf deren Urheber sie sich nicht besinnen konnte.

In der Gallerie befindet sich ein schönes Bild, welches dort Rafael genannt wird: eine Mutter mit dem Kinde. Es hat einen wundersamen Ausdruck und den Anschein wie aus der ältern lombardischen Schule. In dem großartigen Styl ist zugleich wie etwas moderne Sentimentalität. Das Bild hat an einigen Stellen gelitten und es scheint fast, als ob es durch die hinzugefügte Urne irgend eine persönliche Beziehung habe.

Mit großer Freude sahen die Reisenden das alte Bamberg wieder. Von Würzburg schrieb Walther an seinen Freund nach Warschau:

Würzburg, den 10. Julius 1803.    

Ich verzweifle jetzt fast, eine Spur zu finden, da meine Hinweisung auf Bamberg nur eine trügende war. Ein Doctor Marx, der aus dem Polnischen hieher gezogen ist und seit wenigen Monaten hier lebt, sollte mir Nachrichten 64 geben, wo sie, Maschinka, sich verborgen habe, oder wo derjenige hier in der Gegend sei, dem sie zu folgen sich hat bereden lassen. Wir lernten einen Narren in Erlangen kennen, der den Kotzebue höher als alle Autoren stellt, und meine neuen Freunde spannen über diese Erscheinung, die mir nicht so wichtig schien, vielfältige Betrachtungen aus. Wachtel behauptete, in jedem Menschen stecke irgendwo etwas, das, gepflegt oder durch Leidenschaft aus seinem Winkel zu sehr hervorgezogen, zur bestimmten Narrheit werden könne. Auch erscheine wohl ein jeder Mensch andern aberwitzig und verrückt, wenn diese ihn mit der Ueberzeugung, er sei unklug, anhörten und betrachteten. Ich bekämpfte diese Meinung. Nachdem wir den alten Dom in Bamberg besehen hatten, über welchen Ferdinand in übertriebene, thränenweiche Entzückung gerieth, machten wir dem berühmten Doctor Marcus einen Besuch. Er zeigte uns die unvergleichlichen Krankenanstalten und erzählte uns von der Art der Behandlung, so wie von manchen sehr merkwürdigen Leidenden. Ich konnte nicht begreifen, warum er mich so besonders ins Auge faßte. Als wir in der Abtheilung waren, in welcher die Geistesverwirrten verpflegt wurden, waren, indem ich mich umsah, meine Gefährten verschwunden. Es kam mir vor, als hätte früher Wachtel mich noch einigemal mit einem seltsamen Blick von der Seite betrachtet. Verstimmt wie ich war, gefielen mir des Doctors Mienen, den ich jetzt beobachtete, ebenfalls nicht. Mit einemmale überraschte es mich, daß dieser Mann jener Doctor sei, der mir Nachricht von der Entflohenen geben könne. Ich erkundigte mich mit leidenschaftlicher Heftigkeit, erzählte, fragte, beschrieb und wurde immer ungeduldiger, je weniger er auf meine Reden eingehen oder mich verstehen wollte. Als ich Abschied nahm, sagte der Mann mit der größten Freundlichkeit: Sie bleiben fürs Erste bei uns, und 65 es wird Ihnen schon bei uns gefallen. Ich habe schon seit acht Tagen die Nachricht empfangen, daß Sie eintreffen würden, und so wie Sie nur mein Haus betraten, erkannte ich sogleich in den ersten Reden Ihr Uebel. Ihr Zustand ist noch nicht der schlimmste; nur müssen Sie fürs Erste jene Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, sich ganz aus dem Sinne schlagen, und ich werde schon für Unterhaltung und Zerstreuung sorgen. Es ergab sich nun, daß er mich für einen Geisteszerrütteten hielt, welchen er erwartete, und ebenfalls, daß er nicht jener Marx sei, mit welchem ich ihn in leidenschaftlicher Uebereilung verwechselt hatte. Indessen mußte ich bis in die späte Nacht dort bleiben, weil er sich von meinem richtig eingefügten Verstande durchaus nicht überzeugen konnte. Endlich waren meine Reisegefährten in unserm Gasthofe wieder angelangt, sie kamen und brachten meine Brieftasche und meinen Paß mit, nach dessen Besichtigung und ihrem Zeugniß wurde ich dann als ein Kluger entlassen, nachdem der ironische Medicus mir noch viele Entschuldigungen machte, und ebenfalls behauptete, daß man jeden Menschen, auch seinen besten Reden nach, für einen Irren halten würde, wenn man das Vorurtheil einmal gegen ihn gefaßt habe. Am folgenden Morgen suchte ich den einfältigen Doctor Marx auf, der von gar nichts wußte und von mir zuerst die Begebenheit erfuhr.

Wir besuchten Bambergs schöne Umgebungen und begaben uns vorgestern nach dem Schlosse Glich, einer merkwürdigen, gut erhaltenen Ruine. Noch viele Zimmer sind im Stande und zeigen uns die Wohnung der Vorfahren deutlich. Eine herrliche Aussicht ist von oben auf Bamberg hinab. Ein alter Förster wohnt oben, der nicht zugegen war, und seine Tochter, ein wunderschönes Mädchen, der die einfache bürgerliche Kleidung sehr gut stand, führte uns 66 herum. Unser Ferdinand, der schon seit einigen Tagen noch schwärmerischer ist, als sonst, war über Alles entzückt. Er schwatzte so viel und war dann wieder so verlegen, daß ich glauben mußte, er habe sich urplötzlich in das Mädchen verliebt. Als wir Alles betrachtet und unsern Dank zugleich mit einem Geschenke ausgesprochen hatten, und sie sich entfernt hatte, rannte der Schwärmer noch einmal zurück und dem Mädchen nach, unter dem Vorwande, daß er seine Brieftasche in einem der Säle habe liegen lassen. Wir wandelten indessen draußen umher und mußten ziemlich lange auf ihn warten. Sehr erhitzt und verlegen, wie es schien, kam er endlich zu uns zurück. Er ward aber zornig, wie ich ihn noch nie gesehen habe, als sich Wachtel einige unfeine Scherze und Anspielungen erlauben wollte. Oben liegt auf einem steilen Felsen eine Kapelle, sie war offen, von hier zeigt sich Alles umher reizend und lieblich. Ein uralter Greis schlich mit langsamen Schritten an seinem Stabe aus der Kapelle die Stufen der Treppe hinab: ein rührender Anblick. Ferdinand ging in die Kapelle, und als er sich nicht mehr von uns beobachtet glaubte, nahm er vom Weihbrunnen und bekreuzte sich mit andächtiger Miene, dann kniete er vor dem Altare nieder. So sind die Menschen. Er trat wieder zu uns, und Keiner mochte von Dem sprechen, was wir gesehen hatten, weder im Scherz noch Ernst.

Schon in Bamberg hatte er im Dom vor einem wunderlichen alten Marienbilde mit der tiefsten Rührung gestanden. Die Madonna ist hier in einem Charakter dargestellt, der völlig von dem gewöhnlichen und hergebrachten abweicht. Das Bild ist auf Goldgrund, goldne Strahlen umgeben es wie Flammen von allen Seiten. Es ist eine Copie nach einem alten florentinischen, welches schon seit lange mit Tüchern verhängt und dem Anblick unzugänglich 67 gemacht ist, weil es dort in Italien auf die gläubigen Beschauer die ungeheuersten Wirkungen soll ausgeübt haben. Ferdinand scheint mir gar nicht ungeneigt, alle dergleichen Wunder zu glauben und für wahr zu nehmen. Wohin verirrt sich der Mensch, wenn Leidenschaft und Phantasie seine einzigen Führer sind!

Wir aßen wieder in Bamberg, gingen dann Nachmittags nach dem reizend gelegenen Buch und fuhren in lieblicher Abendkühle auf dem Wasser nach der Stadt zurück.

In der Stadt hat Ferdinand allerhand alte katholische Sagen und Legenden zusammengekauft. In Glich war er entzückt, dem dortigen Küster ein bambergisches Gesangbuch, wonach er in der Stadt vergebens gesucht hatte, abschwatzen und abkaufen zu können. Dieses hält er für einen großen Schatz und er las uns sogleich viele der Gedichte vor, die allerdings einen lieblichen frommen Sinn athmen, wenn man sich einmal diesen träumerischen Gefühlen, diesem Anklang wiederkehrender Wunder, diesem vertraulichen, kosenden und zärtlich glühenden Verhältniß zu Gott, dem Heiland und dessen Mutter hingeben kann. Dann erscheinen die Heiligen, die Schutzgeister, Christus, wie oft, in Kindergestalt, so auch die Abgestorbenheit so vieler Mönche und Einsiedler. Auch mit der Natur tritt ein geheimnißvolles Liebesverhältniß ein, wie es in den zart duftenden Liedern des Spee uns so innig rührt, die der Schwärmer hier auch aufgetrieben und uns Abends aus dem Büchelchen mit großer Bewegung vorgelesen hat. Und dann muß ich wieder an die Begebenheit mit der Försterstochter denken. Vielleicht ist es die Pflicht des Freundes, einmal ernsthaft mit ihm darüber zu sprechen.

Seine Stimmung ist übrigens im schreiendsten Contrast mit dem, was die neue bairische Regierung hier thut und 68 wie manche ihrer Beamten sich hier betragen. Du weißt, daß die Stifter Bamberg und Würzburg, diese alten geistlichen Fürstenthümer, unlängst dem Churfürsten von Baiern zugesprochen worden sind. Eiligst hat man, um mit Rom und dessen Hierarchie ganz und auf immer zu brechen, alle Klöster aufgehoben, die Mönche zum Theil vertrieben, theils auf sehr schmale Pension gesetzt. Alles hat den Charakter angenommen, daß der gemeine Mann es wie eine Sache nimmt, die den ehemaligen Christenverfolgungen ähnlich sieht. Es ist unklug und unschicklich, wie im Dom, während am Nebenaltar eine stille Messe gefeiert wurde, die silbernen Kirchengefäße und sauber gearbeiteten Crucifixe in Kisten mit dem größten Geräusch und Lärmen gepackt und geworfen wurden. Die Käufer der Sachen waren zugegen und man zerbrach einige Kreuze mit großem Geräusch, die sich dem Kasten nicht fügen wollten. Den frommen abgesetzten Fürstbischof, so erzählt man, hat man in den Gemächern der Residenz gestört und gequält, indem man von allen Seiten Bauanstalten traf, einriß und verbesserte, ohne von ihm die mindeste Notiz zu nehmen. Viele Geistliche wandeln im stillen Grimm umher, den Küster im Dom sah ich in verbissener Wuth bei jenem Getöse Thränen vergießen. Viele gemeine Leute (das Volk ist hier religiös, selbst bigott) werden irre an sich und ihren Vorgesetzten.

Alles, was so unziemlich geschieht, ist denn wohl ein Rückschlag von vielen, welche jetzt regieren, da sie lange die Geißel und Verfolgung der Priester und Pfaffen erdulden mußten. Die Hauptumwälzung, die sich hier zugetragen hat, ist von der Zeit selbst herbeigeführt worden, sie ist vielleicht zu entschuldigen, kann seyn, daß sie nothwendig war; aber mit Anstand und Schonung konnte alles Unvermeidliche und Festbeschlossene geschehen, die politische 69 Begebenheit brauchte nicht den Charakter einer verhöhnenden Rache anzunehmen.

Ueber diese Gegenstände ist Ferdinand empört und ergrimmt, und er zügelt seine Worte nicht, wenn er mit den Freunden dieser Neuerung spricht. Er behauptet, daß wir es Alle noch erleben würden, wie man neue Klöster stiftet, und er verachtet das spottende Lächeln seiner Gegner.

Vieles Schöne ist in dieser Reform schon zu Grunde gegangen, noch mehr wird verschwinden, aber meine trüben Blicke werden nicht bloß durch Das, was wir jetzt sehen, was dicht vor uns liegt, so tief bekümmert; – was soll aus allem Besitzstand werden, da dies so schnell ohne Widerspruch hat eintreten können? Wo ist eine Sicherheit für irgend eine Regierung? Welche Folgerungen wird die Zeit, ein fremder Sieger, die Politik aus diesen Vorgängen ziehn?

Wie hat sich seit zehn Jahren die Welt verändert! und es scheint, als würden alle Verwandlungen immer rascher und rascher auf einander folgen.

Du siehst, ich fange an, Deine Cousine, die Strafe des Liebhabers, Deine und meine Angelegenheit über dergleichen Gedanken und Befürchtungen zu vergessen.



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