Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Die Beiden kamen spät von der Starkenburg zurück, und indem sie in das Zimmer traten, hörten sie, wie Wachtel sich selber den letzten Theil und Beschluß seines Briefes vorlas. Walther fuhr auf ihn zu und fragte: was war das 83 für eine Dame, die jener in Würzburg ähnlich war? Auch Ferdinand setzte ihm leidenschaftlich mit Reden zu; doch Wachtel, der jetzt seine Flasche Johannisberger völlig geleert hatte, sagte: Meine Herren und Freunde, ich habe da einen häuslichen vertraulichen Brief an meine Gattin geschrieben, welcher nichts, als Familienverhältnisse und Versicherungen meiner Liebe enthält, diesen kann ich Euch also unmöglich mittheilen; die letzte Anspielung, die Ihr zufällig vernommen habt, ist nichts weiter als die Beziehung auf eine Sache, die ich selber nicht verstehe und das Wenige, was ich davon wußte, seitdem völlig vergessen habe. Ich war, als jenes Frauenzimmer schnell in unser Zimmer dort in Guben trat, eben in Gedanken und Studien versenkt; kurzum, sie hatte einen Brief an meine Frau, den ich damals nicht lesen konnte oder wollte, und ein alter Mann begleitete sie, von dem es unentwickelt vor mir liegt, ob er ein Herr oder ein Bedienter war. Kurz, mit einem Wort, sie bewohnte ein Zimmer, als ich schon schlief. Sie kam mir hübsch vor, und nachher, als ich sie wiedersah, konnte ich mich nicht bestimmt erinnern, ob es noch dieselbe oder eine andre war. Diese zweite war aber noch schöner. Vielleicht hatte sie aber die Frische des Morgens so gefärbt. Nun fragte ich wieder nach ihr, und sie war schon abgereist, und da es mich nichts anging, schlug ich es mir aus dem Sinn, und so vergaß ich es, und so reiste ich nach Dresden ab, und so sind wir nun hieher gerathen, und das Briefschreiben hat mich angegriffen, und der Johannisberger hat mich gestärkt, und das ist Alles, was ich von der Sache weiß.

Daß mich die Sache interessirt, sagte Walther, darüber könnte ich meine Gründe angeben; aber warum Sie, Ferdinand, so neugierig sind, begreife ich nicht.

Ich weiß selbst nicht, antwortete dieser, weshalb ich mich 84 darnach erkundige; man macht seinen Freunden in der Regel Alles nach, weil sie nach einiger Zeit ein gemeinsames Interesse verknüpft. Und, gestehe ich es nur, in jener Nacht, als wir in Guben waren, hörte ich durch die offenstehenden Fenster der untern Zimmer meinen Freund Wachtel schon mit seiner Frau von dieser Dame reden, ich war schon damals neugierig, aber mein Freund Wachtel war in einem so bedenklichen Zustande, daß ich mich ihm nicht zu erkennen geben mochte; auch rückte schon der erste Morgen herauf und unsre Abreise drängte.

Sieh! sieh! sagte Wachtel gähnend, meine confuse Frau hat mir damals eine noch confusere Geschichte vorgetragen, von einem sehr hübschen Menschen, den sie hundertmal einen Engel nannte. Sie schien zu meinen, ohne des Engels Beihülfe, der sich so edel betragen, hätte ich die ganze Nacht draußen im Grase liegen müssen. Sie machte ein Mährchen draus, wie das von der Martinswand ist. Und nun entwickelt es sich also, daß Du dieser Engel warst. So verschwinden bei nur mäßiger Forschung alle Wunder aus der Geschichte.

Nach einer kurzen Ruhe fuhren die Freunde am schönen Morgen weiter, aber nur langsam, um die Gegend zu genießen. Sie kamen schon früh in Heidelberg an.

Der Pfarrer Le Pique hatte dem jungen Ferdinand einige Briefe an Freunde mitgegeben, und so lernte dieser einen rüstigen, geistreichen Mann, Keyser, welcher Lehrer an der Schule war, kennen. Sie besuchten gemeinschaftlich den biedern Daub, sowie den herrlichen Creuzer, und in der schönen Umgebung, unter wissenschaftlichen und heitern Mittheilungen verflossen ihnen die Stunden und Tage im lieblichsten Wohlbehagen. Auch den trefflichen Pfarrer Abegg lernten sie in Lohmen kennen, und die muntern Freunde, die 85 Alle noch jugendlich kräftig waren, durchstreiften das Gebirge und die blühenden Kastanienwälder, die vielen Bergen hier einen ganz südlichen Charakter geben, und erkletterten alle irgend zugänglichen Theile des großen Heidelberger Schlosses.

Mit Keyser ging Ferdinand in einer Nacht nach Zweibrücken hinüber, und Walther verwunderte sich, daß der Freund ihm aus dieser Wanderschaft ein Geheimniß gemacht hatte.

Walther, der noch wenig mit Gelehrten und mehr mit dem Adel gelebt hatte, war höchlich erfreut, in dem Professor Daub die schöne Biederkeit echter deutscher Natur, und in Creuzer diese Gewandtheit des Geistes, sowie diese edle Urbanität kennen zu lernen; Abegg's Milde wirkte wohlthätig und fein auf den witzigen Streit, der sich manchmal zur Heftigkeit erhob und den besonders der lebhafte Keyser gern veranlaßte. Wenn wahre Gelehrte, die zugleich als echte und edle Menschen den Ton des Umganges haben, in freundlicher Hingebung scherzend und ernst durch alle Gänge des Wissens und Forschens wandeln, so findet sich in dieser Umgebung eine Unterhaltung, die der Menschenkenner und Weltmann vergebens in den andern Zirkeln der Gesellschaft suchen wird.

Ein schöner Friede schien alle Gelehrte in Heidelberg zu vereinigen und Ferdinand erzählte viel von einer schönen Zeit, in welcher er vor wenigen Jahren in Jena in dem Kreise lebte, den Wilhelm und Friedrich Schlegel, Novalis und Schelling bildeten. Er schilderte diese Wochen als das reichste und üppigste Geistesbankett, das er jemals schwelgend genossen habe.

Nach einigen Tagen schrieb Ferdinand an eine Freundin, Charlotte von Birken, nach Berlin. 86

Heilbronn, den 18. Julius 1803.    

Meine theilnehmende Freundin, ich benutze die Nacht, indem meine Reisegefährten schlafen, um endlich mein Versprechen zu erfüllen und Ihnen einige Nachrichten von mir mitzutheilen.

Die Spannung, in welcher mich diese unfreiwillige Reise erhält, muß oft der Entzückung und der Begeisterung weichen, in welche mich die abwechselnden großen und lieblichen Naturscenen versetzen, an welchen unser schönes Deutschland so reich ist und die unsre Landsleute immer noch nicht gehörig zu würdigen wissen.

Von meinen Aussichten, Plänen, meinem künftigen Glück weiß ich Ihnen noch nichts zu sagen. Alles zieht sich in die Länge, Alles wird fast ungewisser, als es war. Ein junger Mann in Heidelberg, Keyser, der mein ganzes Herz gewonnen hat, führte mich nach Zweibrücken zu seiner reizenden und liebenswürdigen Braut, und hier fand ich denn endlich einen Brief vom Onkel, der etwas Bestimmteres aussagte, und der, sonderbar genug, mich wahrscheinlich bald wieder in Ihre Nähe führen wird, da ich bis jetzt glauben mußte, Basel sei die Richtung, die ich nur nehmen könne, und die Schweiz sei mein künftiger Aufenthalt. Indessen ist schon viel gewonnen, daß der einflußreiche angesehene Mann sich zum Vermittler anbietet. Ich mag Ihnen von manchen Dingen, die mir zugestoßen sind, nichts Näheres mittheilen, weil ich Alles einem mündlichen Gespräche vorbehalte, man auch nicht wissen kann, wie ein Brief verunglückt, oder, bei der größten Vorsicht, in die unrechten Hände geräth.

Von dem schönen Heidelberg aus haben wir eine kleine Fußreise gemacht, um Neckar-Steinach und die drei Ruinen zu sehen, die dort dicht neben einander liegen. Das eine 87 wüste Schloß war der Aufenthalt des berüchtigten Lindenschmidt. Ein runder, steiler Hügel, der Dielsberg, macht dort einen sonderbaren Anblick; hier verließ uns Keyser, der uns begleitet hatte, um nach Heidelberg zurückzukehren. Wir hatten jetzt einen schönen Weg nach Hirschhorn, welches am Neckar liegt. Ein altes Schloß und Kloster sind hier, die uns durch ihre Alterthümlichkeit große Freude machten. Wir nahmen ein Schiff, und fuhren, von einem Pferde gezogen, den Neckar stromaufwärts. Die Gegend ist reizend, viele alte Schlösser, die noch ganz in ihrem ehemaligen Zustande sind, werden bewohnt. In Eberbach war viel Getümmel und ein Aufzug der Bürger. Nach einigen Stunden jenseits dieses Städtchens verließen wir das Schiff wieder, um zu Fuß zu wandern. Minneberg und zwei Hügel dort bilden eine reizende Gegend. Bei Neckar-Els öffnet sich das Thal. Vor der Stadt nahm uns ein schlechtes Wirthshaus auf und Walther miethete aus Eigensinn ein sonderbares Fuhrwerk, um sich nur mit keinem Hauderer, der vielleicht auch nicht vorzüglich gewesen wäre, einzulassen. In den meisten Menschen, selbst vernünftigen, offenbart sich zuweilen eine falsche Poesie, die sie im Leben selbst suchen oder unmittelbar in dieses hineintragen wollen. Bei den ganz dummen Wirthsleuten hatte er auf Erkundigung erfahren, sie hätten einen leichten Einspänner, der auf zwei Rädern laufe. Vielleicht fielen ihm die italienischen Sedien oder ein flüchtiges Cabriolet ein; genug, er miethet das Ding, um so mit uns am folgenden Mittag in Heilbronn anzukommen. Ich entsetzte mich nicht wenig, als am Morgen das elende Gespann vorfuhr. Was war es? Ein viereckter, grob geflochtener Korb, der auf zwei hohen Rädern unmittelbar auf der Axe lag. Man hatte Säcke und Stroh hineingelegt. Ich schlug vor, lieber zu Fuß zu wandern, aber der 88 boshafte Wachtel hatte seine Freude an diesem Skandal, und Walther wollte sich kein Dementi geben. Wir klemmten uns, so gut es gehn wollte, in den verwünschten Korb hinein, und ein blödsinniger Knecht unternahm es, uns mit einem steifen Gaul so in Heilbronn im Triumph aufzuführen. Zwei Stunden von dort liegt der Hornberg, welchen Götz von Berlichingen von Conrad Schott kaufte und wo er den größten Theil seines Lebens hauste. Der steile Berg ist auf zwei Seiten mit Wein bebaut, von oben hat man die Aussicht über das offene Neckarthal und über die gegenüber liegenden niedrigern Felsen. Auf der Hinterseite des Berges ist ein enges Thal und ein herrlicher Wald, der sich bis dicht an die Burg erstreckt. Alles ist oben, auf dem Wege zur eigentlichen Festung, mit wüstem, verwachsnem Gestrüpp bedeckt. Aus den Zimmern und Sälen des Schlosses genießt man einer vortrefflichen Aussicht. Vor kurzem hätte das ganze Haus noch mit wenigen Kosten zum Bewohnen erhalten werden können, jetzt ist es verfallen und wird nach einigen Jahren wohl ganz zerstört seyn.

Wir fuhren dann durch ein Städtchen Gudelsheim, das den deutschen Herrn gehört, und ließen uns nach Wimpfen übersetzen. Vor Heilbronn verließen wir doch, trotz unsrer Aufklärung, unsern Karrn und zogen zu Fuß in die Stadt ein. Alles wurde hier zur Huldigung des neuen Herrn eingerichtet, der Altar in der protestantischen Kirche war abgetragen, recht gut scheinende Gemälde waren, ihm zu Ehren, neu übermalt und verdorben. Kirche und Thurm gehören zu den merkwürdigen Gebäuden. Der berühmte wasserreiche Brunnen der Stadt hat durch eine neue schlechte Balustrade, um die man die alte Einfassung, die besser war, wegreißen mußte, viel an seinem Wasser verloren. Am Rathhause wurde eben ein schönes steinernes Geländer weggebrochen, 89 um Latten besser anbringen zu können, an welchen die Lampen zur Illumination befestigt werden. Wir besuchten die Orte, die uns von früher Jugend auf durch den Berlichingen und Göthe's Werk so merkwürdig sind. Auch den gewundenen Thurm kletterten wir hinauf und standen oben, neben dem Ritter, wie mich dünkt, dem heiligen Kilian.

Hätten wir es unterlassen können, nach Weinsberg hinauszufahren? Durch Bürger's Romanze ist dieser Ort und die That der Weinsberger Frauen im Munde alles deutschen Volkes. So manches die Kritik gegen Bürger's Balladen und Romanzen mit Recht ausstellen kann, so vorsätzlich er so oft den alten einfachen Ton, jenes Geheimniß, im Wenigen und im Verschweigen viel zu sagen, worin Göthe der größte Meister ist, vermied und nicht finden konnte, so bin ich doch überzeugt, Bürger's Balladen werden bei uns länger, als die von Schiller leben, der (in wenigen ausgenommen) noch mehr jene stille Einfachheit verletzt hat.

Um Heilbronn ist eine schöne grüne Natur und wir waren alle mit unserm Tagewerk zufrieden. Wie schön ist es, in einem Lande zu leben, wo Städte, Bildwerke, Felsen und Berge auf alte Geschichte, auf große Kaiser und merkwürdige Begebenheiten hinweisen. Wie herrlich ist in dieser Hinsicht Deutschland ausgestattet! Mir kommt es fürchterlich vor, in Amerika leben zu müssen. Und die verschiedenen Epochen der Kaiserherrschaft, des Aufblühens der Familien, des stets wechselnden Verhältnisses, der großen wie kleinen Fehden und die mannigfaltigen Gestaltungen und Umwandlungen des Ritterthums, von der höchsten Bildung und der schwärmenden, poetisch-fanatischen Verehrung der Frauen bis zum niedrigen, rohen Räuberhandwerk hinab, alles Dies, glaube ich, hat sich nirgends so wundersam, vielseitig, grell abstechend gewiesen, als in unserm Deutschland. Unsere 90 unwissenden Autoren, die diese Gegenstände behandeln, haben sich aber eine gewisse rohe Manier gebildet, die immer in Zank, Großsprecherei und leeren Worten wiedertönt, ohne uns auch nur im mindesten ein Bild und anschauliches Gemälde jener Zeiten zu geben. Andre sehen nur Greuel, Verwilderung und Mord in jenen Tagen der merkwürdigsten Entwicklung, und bedenken nicht, daß, wenn die Welt so beschaffen gewesen wäre, wie sie sie verlästern, in kurzem weder Gute noch Böse, Freie und Knechte würden übrig geblieben seyn.

Wie aber Gefühle absterben, wie der Sinn für das Schönste sich verlieren kann, muß ich täglich mehr erfahren. Rührt uns schon in Stadt und Feld die Hinweisung auf Geschichte und belebt und weiht den todten Stein und den Wald, wie viel mehr jenes Mahnen an die Wunder und die Süßigkeit unserer Religion. Und diese forttönende Poesie, dieses Erklingen der feierlichen Harfensaiten, diesen still lebenden und stumm beredten Gottesdienst in der Einsamkeit der Natur, im Gewühl des Marktes, in Felsgrotten und Wäldern, im Verherrlichen der Brücken und Ströme finde ich nur noch in den katholischen Provinzen. An Zoll und Polizei, an Argwohn und Paß, an Aufsicht und Visitation werden wir im Protestantischen genug erinnert, an die Bedeutung des Christenthums fast niemals. Ja, jene Wundersagen, jene Bildwerke, Hymnen, Klöster, Mönche, heilige Jungfrauen, Vorbitten und Schutzheilige sind Gegenstände des Spottes und Hasses. Und die besten Menschen können sich oft von diesem Aberglauben gegen den Aberglauben, von dieser Gespensterfurcht, daß der Glaube an Gespenster wieder kommen könnte, nicht frei erhalten. So konnte es mein neu erworbener Freund, Keyser, nicht begreifen, wenn ich behauptete, die Reformation sei zwar eine nothwendige gewesen, sie habe der Welt und namentlich Deutschland 91 unendliches Heil gebracht; aber viel Schönes, Großes und Heiliges sei mit Zerstörung des Schlechten zugleich vernichtet worden, und dies sei es, was der eifrige Protestant nie anerkennen wolle und was die Katholiken selbst nicht zu würdigen wissen. Auch ein schlechtes Bild an der Landstraße rührt mich, weil es auf jene Geheimnisse hindeutet, die wir nie vergessen sollen, wenn wir sie gleich auf dem gewöhnlichen Wege niemals begreifen können. Die Fratzen in manchen Kirchen stören mich so wenig wie die oft ungelenken Priester; denn auch im unansehnlichen Dornbusch blüht der Frühling heraus und bewegt mich, als ein Zeichen der allgemeinen Auferstehung des Lebendigen.

Dies Gefühl des Mitleidens in der höchsten Liebe, daß wir durch Selbstaufopferung das Opfer der Liebe vergüten möchten, diese schönsten Gefühle sind es gerade, die die meisten Menschen von sich abweisen oder die Härteren als unrecht verdammen. So heben sie sich für den Sonntag, für Orgel und Predigt die feierlichen Empfindungen auf, oder sie schließen einen verständigen Contrakt mit dem unbegreiflichen Wesen, welches sie Gott nennen, um gegenseitige Pflichten und Verbindlichkeiten klar im Auge zu behalten. Der Vers eines Liedes aber, Abends unter einem Crucifix still und andächtig gesungen, der Blick des betenden Greises auf einsamem Waldplatz zum leidenden Heiland hinauf, der Kuß, den das Kind auf seinen Rosenkranz drückt, die Thräne der Mutter, welche auch den Sohn verlor, vor der Mater dolorosa, sagen mehr, als alle jene kalte Weisheit verkündigen und lehren kann.

Sie kennen ja aber, theure Freundin, meine Gesinnungen über diese Gegenstände und stimmen mir bei. Ich hoffe Sie bald zu sehn; im Herbst gewiß.



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