Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput XVI.

Der Krieg angekündigt. – Enthusiasmus der Bürger.

Auf allgemeine Beistimmung ward nunmehr eine Gesandtschaft an den benachbarten König erlassen, als er von seiner Reise in sein Reich zurückgekehrt war. Das Ansuchen der Schildaschen Gesandten bestand darin, der König möchte ohne weitere Umstände den Thron räumen, und seine Unterthanen frei und glücklich machen, oder man würde ihn durch die dahin passenden Mittel zu zwingen wissen. Der König lachte und fragte, wie sie an dieses Begehren gerathen wären, worauf die Abgesandten erklärten, daß sie im Namen der ganzen Menschheit das Wort führten, daß sie dahin trachten würden, daß die ganze Menschheit das Glück genösse, das sie selber nunmehr errungen hätten. Der König gab ihrem thörichten Ansinnen keine bestimmte Antwort, und so zogen sie nach ihrer Stadt zurück.

76 Die Einwohner beschlossen sogleich, dem halsstarrigen Könige den Krieg anzukündigen, damit er durch die Gewalt der Waffen gezwungen würde, ihnen nachzugeben. Es ward ein Herold abgefördert, der dem Monarchen den Zorn der Schildbürger ansagen mußte, und daß er auf eine Gegenwehr denken möchte.

In Schilda selbst war Alles im größten Enthusiasmus, Weiber und Kinder redeten sogar auf den Gassen von diesem Kriege, man sah nichts als patriotische Bemühungen, denn hier sah man den Einen sein Gewehr putzen, ein Anderer bemühte sich, einen uralten, eingerosteten Säbel aus der Scheide zu ziehen, dort stand ein Anderer und zeichnete mit einem Stabe den Plan zum Feldzuge im Sande.

Wie sehr die Schildbürger ihr Vaterland liebten, davon kann nachfolgende Geschichte von einem Müller zum Beweise dienen. Dieser ritt um dieselbe Zeit in Geschäften an die Gränze des Landes; da hörte er auf einem Baume einen schildbürger Kukuk, der mit einem königlichen Kukuk im Wettgesange begriffen war. Der Müller merkte sehr bald, daß sein Kukuk den Kürzern ziehe, und der königliche dem schildbürgerischen in Rufen überlegen war. Dies verdroß ihn in die Seele, daß ein Fremder so sein Vaterland verspotten sollte; er stieg also von seinem Pferde ab und auf den Baum hinauf und half seinem Kukuk so lange rufen, bis der Royalist überwunden war und das Feld räumen mußte.

Als der Schildbürger mit dem fremden Kukuk im hitzigsten Treffen lag, nahm ein Wolf, der gar nicht patriotisch gesinnt war, die gute Gelegenheit in Acht, 77 und fraß das Pferd des Müllers auf, so daß er nach gewonnener Schlacht zu Fuß nach seiner Vaterstadt zurückkehren mußte. Hier erzählte er den ganzen Vorfall, und die Bürger freueten sich seines Eifers; sie schenkten ihm ein neues Pferd, und verehrten ihm außerdem eine Bürgerkrone von Eichenlaub.



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