Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput VII.

Die Schildbürger trösten sich und verändern ihr Rathhaus.

Als die Schildbürger nun einsahen, daß ihr Beginnen gänzlich vergebens sey, standen sie endlich still, und Einer sah den Andern an. Der alte Gerard 46 sagte: Nein, wahrlich, meine lieben Mitbürger, wir greifen die Narrheit zu hitzig an; was unser großes Werk nach vielen Jahren hätte krönen sollen, um endlich etwas zu leisten, wobei der ausgemachteste Narr hätte gestehn müssen, daß er in der Kunst nicht weiter könne, dieses Allerhöchste haben wir gleich in unsern Bemühungen vorangestellt. Darum soll man doch selbst über etwas Gutes ja nicht zu heftig herfallen. Ich fürchte überhaupt, daß diese Thorheit, die wir hier vorgenommen haben, etwas so Thörigtes sey, daß sie fast aus keiner Verstellung herrühren könne. Bedenkt Euch, meine lieben Freunde, und thut Euch Einhalt.

Barthel sagte hierauf: Lieber Schwager, wie bist Du doch so ganz ohne Noth für uns besorgt? Du wirst fast etwas zu alt, und darum dünkt Dir in dieser Welt nichts mehr recht und gut eingerichtet, wie dann das Alter immer eine Unzufriedenheit mit andern Menschen mit sich führt. Denn ich kann nicht einsehn, warum wir hier etwas so Thörichtes gethan haben sollen; wir haben nur das unternommen, was sich für jeden Menschen ziemt, der mit den Begriffen seines Verstandes weiter zu kommen denkt. Wir haben eine Erfahrung mehr gewonnen, und können nun mit Gewißheit behaupten, daß sich das Licht nicht auf diese Weise fortbringen läßt; wir können nun auch Jedermann abrathen, der es vielleicht nach uns versuchen wollte; das konnten wir vorher nicht, denn wir hatten keinen vernünftigen Grund dazu. Jetzt aber sind wir unsrer Sache so ziemlich gewiß. Ihr erinnert Euch, wie der weise Aesopus seine Lehren und Reden fabelweise vorzutragen pflegte, um es seinen 47 Zuhörern und Lesern eindringlicher zu machen. So fällt mir jetzt auch eine Geschichte ein, die wie dazu gegossen, auf unsern Zustand paßt, und die jeden Unzufriedenen unter uns trösten und beruhigen muß; ich will sie Euch also vortragen.

Es trug sich einmal zu, daß meines Großvaters Vater von einem Andern diese Rede hörte: Ei, was sind Rebhühner doch für ein schönes Essen! Mein Urgroßvater fragte ihn, ob er dieses Geflügel gegessen habe, daß er es so genau wissen könne? Nein, antwortete der Andere, aber ich habe Einen vor dreißig Jahren gesprochen, dessen Großvater sie in seiner Jugend von einem Edelmann hat essen sehn. Mein Urgroßvater bekam durch dieses Gerede ein übermäßiges Gelüste zu Rebhühnern; da er aber keine Rebhühner haben konnte, so besann er sich auf das Beste, was er wußte, und das waren Butterküchlein. Er ging deshalb zu seinem Weibe, und begehrte, daß sie ihm diese Speise machen sollte, sie aber entschuldigte sich damit, daß sie keine Butter oder Sahne, Milch, enfin Fett im Hause habe; er möchte also seinen Appetit bis auf eine bessere Gelegenheit stillen. Damit aber war mein Urgroßvater nicht zufrieden, und sagte, daß, wenn sie keine Butter, Milch, Sahne, oder enfin Fett im Hause habe, so solle sie die Sache einmal mit Wasser versuchen. Es geht nicht, antwortete die Frau, denn sonst hätte ich schon lange Küchlein gegessen, und das Wasser sollte mich nicht gereut haben. Du kannst es nicht wissen, antwortete meines Großvaters Vater, denn Du hast es niemals versucht. Versuche es, und will es nicht gerathen, dann erst magst Du sagen: es geht nicht. Die Frau meines Urgroßvaters mußte endlich 48 ihrem Manne nachgeben, sie rührte deswegen einen dünnen Teig ein, und setzte dann eine Pfanne mit dem Teige über's Feuer. Mein Urgroßvater stand daneben und hielt einen Teller hin, und wollte das erste Butterküchlein gleich warm aus der Pfanne essen, ward aber betrogen, denn es war ein mehliger Teig oder Brei geworden. Die Frau sagte hierauf zornig: Nun, hab' ich Dir's denn nicht gesagt, daß es nicht geht? Immer willst Du Recht haben, und kannst doch viel wissen, wie man Küchlein backen soll. Schweig, liebe Frau, sagte mein Urgroßvater; laß Dich's nicht gereuen, daß Du es versucht hast, man versucht ein Ding auf allen Wegen, bis es zuletzt gerathen muß; ist es schon diesmal nicht gerathen, so geräth es vielleicht ein andermal; es wäre ja doch eine feine, nützliche Kunst gewesen, wenn es von ohngefähr gerathen wäre. – Nun seht, meine Freunde, eben also ist es uns auch mit unserm Versuche ergangen.

Die Schildbürger waren durch diese Rede wieder sehr getröstet, sie ließen in ihrem Archive mit großen Buchstaben die neuerfundene Wahrheit niederschreiben, daß sich das Tageslicht nicht in Säcken forttragen lasse. Einer von ihnen schrieb auch eine weitläuftige Abhandlung, worin er zu beweisen suchte, daß es unmöglich sey, und sich dabei besonders auf den neulich angestellten Versuch steifte.

Da die Schildbürger endlich so durch die Noth gezwungen wurden, der dummen gemeinen Weise zu folgen, so machten sie, wie alle übrigen Menschen, Fenster in ihr Rathhaus, und dem Schaden war abgeholfen. 49



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