Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput VI.

Rede zum Besten der Experimentalphysik. – Ein physikalischer Versuch.

So war das Rathhaus der Schildbürger eingeweiht, und die Bürger eilten, irgend einen Prozeß zu haben, damit er in dem neuen Gebäude geschlichtet werden könnte. Es fanden sich bald mehrere Gelegenheiten, Recht zu sprechen, und die Justiz wurde vortrefflich im Dunkeln gehandhabt, denn wenn man auch keine Polizei, noch irgend einen Diener der Gerechtigkeit gewahr wurde, so ging das Staatssystem doch immer seinen Gang fort und die Bürger waren glücklich und zufrieden. Es entstanden aber bald mehrere Unannehmlichkeiten, an die man anfangs nicht gedacht hatte. In der Dunkelheit des Saals konnte man nie wissen, welcher von den Rathsherren da war, oder welcher fehlte, keinem konnten die ihm gebührenden Titel gegeben werden, und einigemal hatte man viel zu lange Rath gehalten, denn alle Anwesenden waren eingeschlafen und hatten darüber die Mittagstafel und das Abendessen versäumt. Es fügte sich auch einigemal, daß die Leute mit den ausgesprochenen Urtheilen nicht zufrieden waren und öffentlich über das Gericht murreten. Man kam nicht darauf, es auf die 41 Dunkelheit der Rathsstube zu schieben, sondern man maß alle diese Unfälle den unglücklichen Sternen bei, und war auf keine Abänderung bedacht.

Als man sich wieder einmal versammelt hatte, begegnete es dem Pyrrho, daß er in der Finsterniß seinen Stuhl nicht finden konnte; er irrte lange umher und traf auf keinen, worauf er denn, da er müde war, sich ergrimmt in eine Ecke stellte und folgende Rede hielt:

Meine Freunde, ich kann den Stuhl immer noch nicht finden und muß mich hier an die Wand lehnen, welches sich für einen Rathsherrn sehr wenig schickt. Wenn ich es nicht zu gewiß wüßte, daß mein Stuhl hier stehen muß, so würde ich am Ende zweifeln, ob er sich wirklich hier befinde; ich weiß nicht, wo er hingerathen ist, und kann die Augen nicht zu Hülfe nehmen, weil es zu finster ist. Seht, solcher Nachtheil erwächst uns durch die neumodische Einrichtung unseres Rathhauses, so schwer wird uns der Stand eines Rathsherrn gemacht. Ich fürchte gar sehr, unser Freund und College Philemon hat uns mit seiner neulichen sophistischen Rede nur hinter's Licht geführt, und wir sind etwas zu leichtgläubig gewesen, ihm sogleich Recht zu geben. Man kann jegliches Ding immer von mehreren Seiten betrachten, und es ist eben nicht Unrecht, wenn man nun einmal wieder über denselben Gegenstand ganz andre Gedanken herauskehrt. Es läßt sich gewiß für die Dunkelheit sehr viel sagen, und ich bin selbst zuweilen gern im Dunkeln; nur warum ein Rathhaus grade so sehr finster seyn muß, kann ich nicht einsehn. Gehört denn nicht das Licht zu den Elementen, ohne welches nichts wächst, 42 gedeiht und zur Vollkommenheit reift? Die Pflanzen müssen so gut Licht, als Luft und Wasser und Erde haben, um sich zu entwickeln und ihr grünendes, liebliches Haupt hervorzuheben. Seht nur die kleinen Blumen an, wie sie sich manchmal winden und drehen, um nur ihr kleines Angesicht der Alles belebenden Sonne entgegen zu strecken. Sie härmen sich im Gegentheil ab und sterben elend dahin, wenn sie ohne Licht aufwachsen sollen; sie verschmachten in der Dunkelheit. Noch mehr Freude fühlen die lebendigen Kreaturen am Glanz des Tages; seht nur, wie der grüne Wald sich belebt, wenn am frühen Morgen die Sonne aufgeht und von allen Aesten der nasse Thau glänzt, und die Vögel von Zweig zu Zweig hüpfen. Das Wild brüllt vor Freude in den abgelegenen Gebüschen und springt dem jugendlichen Lichte entgegen; alle Vögel singen und zwitschern bis auf den kleinen Zaunkönig hinunter, der in seiner Freude doch auch nicht stumm seyn will; die Lerche schwingt sich über die Wolken hinaus, und spielt den Herold der übrigen Vögel, als wenn sie die Sonne im Namen Aller begrüßen wollte und ihr entgegenfliegen; so singt sie auch am Abend zur Ruhe, und legt sich dann zu Bette, bis sie die Dämmerung des Tages weckt. Dann steht sie in der Frühe auf, und bläst die fröhliche Trompete, die auch das andre Waldgeflügel munter macht. So gewaltig ist die Liebe zum Lichte, daß viele Völker deshalb die Sonne als ihre Gottheit angebetet, und ihr mit frühern Opfern gehuldigt haben. Warum, meint Ihr, soll ein Schildbürger Rathsherr allein keiner Sonne bei seiner Arbeit bedürfen? Warum wollen wir uns, gleich der lichtscheuen Fledermaus oder 43 dem blinden Maulwurf, in die Dunkelheit verkriechen? Wenn die Pflanzen ohne Licht nicht wachsen können, so ist es gar wohl möglich, daß der Kopf des Menschen ohne Licht nicht denken kann; mir ist es wenigstens oft so gewesen, als wenn die Nacht hier um mich her alle meine innerlichen Geister gefangen hielte. Ich glaube, daß die Dunkelheit uns eben so den Kopf verstopft, wie der Stöpsel die Bouteille, so daß nichts heraus kann, und daß darum das Licht ein Pfropfenzieher genannt werden könnte, weil es den brausenden und schäumenden Gedanken den Weg eröffnet. Darum hat auch wahrscheinlich unsre Religion die Nacht dem Schlafe und den Tag der Arbeit gewidmet. Ihr müßt Euch übrigens nicht darüber verwundern, und es mit meinen Behauptungen widersprechend finden, daß ich hier in der Dunkelheit eine so vortreffliche Rede zu halten im Stande bin, denn ich habe sie mir schon draußen im Sonnenschein ausgedacht, sonst wäre es mir freilich selber unbegreiflich.

Es wäre unbillig, wenn ich nun nach dieser Einleitung vorschlagen wollte, diese Mauern mit Fenstern zu verunstalten, und so das ganze Gebäude zu verderben, abgerechnet, daß es von neuem zu große Kosten machen würde. Ich habe daher darauf gedacht, uns auf eine leichtere Art ein angenehmes Licht zu verschaffen.

Ihr werdet es ohne Zweifel wissen, meine Freunde, daß die Wissenschaft der Physik in den neuesten Zeiten gerade dadurch sehr viel gewonnen hat, daß man nicht sowohl versucht hat, neue Theorien aufzustellen, sondern im Gegentheil durch Erfahrungen und wiederholte Experimente der Natur auf die Spur zu kommen. 44 Oft ist ein glückliches Ohngefähr der Erfinder der nützlichsten Sache gewesen. Vor dem Barthold Schwarz würde Jedermann gelacht haben, wenn man ihm vom Schießpulver hätte erzählen wollen; und doch ward die Sache nachher so einfach befunden, daß man glauben sollte, ein jeglicher Kopf hätte darauf verfallen müssen. So ist es auch mit der Schifffahrt und mit tausend andern Sachen gegangen. Es ist ein simples Wesen, daß der Tag durch's Fenster bricht, und da es in jedem Hause so ist, so kömmt es uns jetzt vor, als müßte es so seyn. Davon begreife ich aber die Nothwendigkeit nicht. Wer zuerst in der Nacht ein Licht anzündete, war gewiß ein großer Mann zu nennen. So wollen wir denn auch einen neuen Weg versuchen. Wenn man das flüssige Wasser in einem Gefäße tragen kann, warum nicht auch das Licht? Ihr werdet sagen, wenn Ihr nicht schlaft: es hat's noch keiner gethan, noch einer von uns jemalen thun sehen. Indessen ist das gar keine Antwort auf meine Frage. Nach der neuesten Meinung kömmt die Wärme nicht von der Sonne, wie doch Jedermann glauben sollte, sondern aus der Erde. Ihr werdet es öfters gelesen haben, wie man durch Bücher Licht und Aufklärung ordentlich ballenweise nach dunkeln Gegenden geschickt habe; nun, warum sollte es denn also nicht möglich seyn, auf eine ähnliche Weise Licht in unser dunkles Rathhaus zu schaffen? Um unsern Ruhm zu verherrlichen, ist vielleicht noch kein Sterblicher auf diesen einfachen Gedanken gerathen; darum aber wollen wir auch die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen.

Weil man noch keine Erfahrungen darüber gesammelt hat, so kann es auch leichtlich seyn, daß es uns 45 nicht geräth. Allein ich bin auch auf diesen Fall gefaßt. Wir brauchen es denn gar nicht zuzugeben, daß es uns eigentlich Ernst damit gewesen sey, sondern es kann dann blos als eine neue, kräftige Probe unsrer verstellten Narrheit dienen. Seht, so ist diese Sache immer in jedem Falle von sehr großem Nutzen.

Die Rede Pyrrho's fand sehr vielen Beifall, so daß man beschloß, schon am folgenden Tage, wenn die Sonn schiene, den Versuch anzustellen. Um die Mittagsstunde versammelten sich daher die Schildbürger mit schicklichen Instrumenten, um in der Experimentalphysik etwas zu thun; der Eine kam mit einem Sacke, der Andere mit einer Schaufel und einem Kessel, ein Dritter lud das Licht in einen Eimer, und so war ein Jeder beschäftigt, Licht und Aufklärung in die Rathsstube zu schaffen. Die Geschichte erwähnt ganz ausdrücklich eines Schildbürgers, der die Sonne auf eine eigne Weise zu überlisten gedachte. Er hielt ihr nämlich geschickt eine Mausefalle entgegen, und ertappte so die Strahlen, die er dann, nach seiner Einbildung im Rathhause wieder laufen ließ.

Alle Mühe und Arbeit war aber gänzlich vergebens, denn es blieb darin so finster, als zuvor.



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