Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput IV.

Die Narrheit nimmt glücklich ihren Anfang.

Da es der freiwillige Entschluß der Schildbürger war, sich in der Thorheit zu versuchen, so wird schon Jedermann vermuthen, daß sie es nicht gleich zum Eingange zu grob werden angefangen haben. Sie hatten sich klüglicherweise vorgenommen, nur Schritt für Schritt in dieser schweren Wissenschaft weiter zu gehn, damit sie die Welt um so besser betrügen könnten..

Es ward beschlossen, ein neues Rathhaus zu errichten, weil sich das alte in einem gar zu baufälligen Zustande befand. Die Schildbürger versammelten sich daher, um im Walde Holz zu fällen und es dann nach der Stadt zu schaffen.

Sie begannen das Werk ganz ordentlich, fällten das Holz und säuberten es von Aesten und Laubwerk, da ein ächter, unverstellter Narr im Gegentheil schon hier seine Thorheit würde offenbart haben.

Sie hatten viele Mühe, es auf dem Wege nach der Stadt über einen ziemlich hohen Berg zu schleppen und auf der andern Seite die Bäume wieder hinunter zu schaffen. Aber die Schildbürger ließen bei dieser Gelegenheit ihre Liebe zur Thätigkeit gewahr werden, denn es machte sie nicht verdrießlich, als sie schwitzten und heftig keuchten, sondern die 31 Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatten, machten ihnen gleichsam einen neuen Muth zur Arbeit.

Es war nur noch einer von den Bäumen oben auf dem Berge liegen geblieben, dieser riß sich wegen seiner Schwere von den Stricken los und rollte aus eigener Kraft den steilen Berg hinunter. Die Schildbürger standen oben und verwunderten sich über den Verstand eines so groben Klotzes, der freiwillig seiner Bestimmung entgegeneilte; daneben freuten sie sich über das possirliche Hinunterrutschen, und Einer unter ihnen sagte: Sind wir nicht rechte Thoren, daß wir uns also abgequält haben, da das Holz durch sich selbst geschickt genug ist, den Berg hinunterzugehn? Ihm antwortete behende ein Anderer: Dem Schaden, Freunde, kann leichtlich abgeholfen werden, wir dürfen nur die Bäume wieder heraufschaffen, so können sie dann von selbsten herunterlaufen, und wir uns an ihrer Schnelligkeit ergötzen.

Dieser Rath fand großen Beifall; obgleich die Mittagssonne brannte, so hielten die eifrigen Arbeiter doch nicht eher Ruhe, bis sie alle Bäume wieder auf den Gipfel des Berges geschafft hatten. Dann ließen sie einen nach dem andern los, und genossen nun im friedlichen Zuschauen den Lohn ihrer unermüdeten Thätigkeit, dann gingen sie in die Herberge und schmauseten auf Unkosten der Gemeine, weil sie ein so löbliches, allgemeinnützliches Werk glücklich vollbracht hatten.

Der Zweifler Pyrrho blieb noch eine Weile allein zurück und überlegte den ganzen Vorfall. Er war bei sich unschlüssig, ob er seine Stimme mitgegeben habe, um einen artlichen Scherz zu treiben und gleichsam einen Narren zu significiren, oder ob es sein 32 Ernst gewesen. Er konnte sich seines Seelenzustandes nicht mehr so deutlich erinnern, um ein richtiges Urtheil über sich selber zu fällen; doch war er endlich dahin mit sich einig, daß ihm das possirliche Hinunterrutschen der Hölzer ein großes Vergnügen gemacht habe.

Nach diesem wurde das Rathhaus nach einem verständigen Plane angefangen und glücklich zum Ende hinausgeführt.



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