Ludwig Tieck
Denkwürdige Geschichtschronik der Schildbürger
Ludwig Tieck

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Caput IX.

Der Bürgermeister stirbt. Ein andrer wird gewählt. Sein Charakter.

Die Schildbürger hatten sich nach und nach so in ihre Lage gefunden, daß Keiner unter ihnen mehr daran dachte, daß sie den Vorsatz gefaßt hatten, sich 59 närrisch zu stellen. Die Natur und das Genie machten, daß sie der Kunst gänzlich entbehren konnten. Alle Dinge, die sie unternahmen, trieben sie daher auch sehr ernsthaft; und so gingen sie immer tiefer in das Gebiet der Thorheit hinein, so daß es ihnen endlich unmöglich fiel, den Rückweg wieder anzutreffen.

Es traf sich, daß der damalige Bürgermeister starb, und daß daher ein neuer gewählt werden mußte. Die Einwohner hatten bis dahin immer die Aeltesten und Einsichtsvollsten zu diesem Amte genommen; jetzt fielen sie darauf, einmal eine Abwechselung vorzunehmen, und einen Mann einzusetzen, der stark von Gliedern wäre, damit er im Amte länger ausdauere und sie nicht zu oft die Mühe des Wählens hätten. So kam der Meister Caspar zur Regierung, der bis dahin Fleischer gewesen war.

Die ansehnliche Statur des Mannes schien dem ganzen Staate Ehre zu machen, und alle Schildbürger versprachen sich eine äußerst vortreffliche Regierung. Er trat sein Amt mit vielen guten Vorsätzen an, und ging daher zuerst in's Bad in die nächste Stadt, um Alles von sich abzuwaschen, was dem ehemaligen Caspar gehörte, damit er das neue vornehmere Leben nachher um so bequemer anfangen könnte. Diesem begegnete unterwegs ein Andrer, der ehemals sein Kamerad gewesen war und nicht wußte, daß er jetzt Bürgermeister zu Schilda war; er fragte also ohne Umstände: Caspar, wo gehst Du hin? Der Bürgermeister besann sich nicht lange, sondern antwortete sehr behende: Mein Freund, mit dem Du und dem Caspar ist es nun vorbei, denn wir sind solches nicht mehr, wir sind nunmehr unser gestrenger Herr, der 60 Bürgermeister von Schilda, geworden. Er ging hierauf in die Stadt in's Bad und setzte sich nachdenklich auf eine Bank. Nach einiger Zeit fragte er einen Andern, ob dies die Bank sey, auf der die Herren zu sitzen pflegten. Als man Ja antwortete, rief er: Seht, das habe ich mit meinem Verstande doch gleich gemerkt, denn ich bin Bürgermeister zu Schilda geworden. Die Uebrigen lachten, aber er beharrte in seiner tiefsinnigen Positur. Der Bader kam, und fragte, ob man ihn schon gerieben und ihm den Kopf gewaschen habe. Caspar aber sagte: Ach, lieber Bader, wir Bürgermeister in Schilda haben so wichtige Sachen zu sinnen, daß ich unmöglich darauf habe Acht geben können.

Als er gebadet war, ging er wieder nach Hause, und seine Frau trug ihm auf, ihr zum nächsten Sonntag einen schönen Pelz zu kaufen. Er ging also wieder in die Stadt und fragte gleich im Thore: wo der Mann wohne, bei dem die Bürgermeister ihren Frauen Pelze zu kaufen pflegten. Da die Leute seine Narrheit merkten, schickten sie ihn erst zu einem Wagenmacher und dann zu einem Bäcker; endlich aber gerieth er an einen Kürschner, wo er sich einen sehr schönen Pelz aussuchte. Die Frau war über die Maßen glücklich und konnte den nächsten Sonntag nicht erwarten, um sich damit öffentlich in der Kirche zu zeigen. In der Nacht vorher schlief sie gar nicht, und glaubte endlich, es würde gar nicht Tag werden. Die Sonne ging aber doch zu ihrer großen Freude auf, und nun fing sie sogleich an, sich zu schmücken, um dem neuen Pelze keine Schande zu machen. Sie hatte so lange gezögert, daß es sich also fügte, daß 61 man eben wieder aus der Kirche nach Hause gehen wollte; alle Weiber waren daher aufgestanden, als sie in die Kirche hereintrat. Sie glaubte nicht anders, als es geschehe ihretwegen, sagte also sehr bescheiden: Bleibt nur sitzen, lieben Nachbarsleute, denn ich überhebe mich meines jetzigen Standes nicht, ich weiß die Zeit noch gar wohl, da ich diesen schönen Pelz nicht hatte, und nicht anders einherging, als ihr jetzt thut. Der Mann trat auch hinzu, und sah, daß einige Hunde in der Kirche umherliefen; er sagte daher sehr zornig: Nun wahrlich, ich muß unter meinen Unterthanen ein andres Regiment einführen. Er gebot hierauf sogleich, daß sich kein Hund durfte auf den Straßen, oder an öffentlichen Oertern sehen lassen; womit die Schildbürger sehr unzufrieden waren.



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