Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Der Rath Walther war im Begriff, in schnellster Eile nach der Stadt zu fahren. Nur auf eine halbe Stunde wollte er in dem Dorfe beim Pfarrer Kilian einsprechen, und scheute deshalb den Umweg nicht, weil er doch vielleicht irgend eine Nachricht durch ihn erhalten könnte. Als er nach dem Dorfe einbeugte, sah er seitwärts neben den Bergen auf einer grünen Wiese den Fluß entlang eine Gestalt gedankenvoll wandeln, die sein entzücktes Auge bald als seinen geliebten Raimund zu erkennen glaubte. Er ließ halten und wollte über die kleine Brücke dem Wasser zueilen, als er Schalmeien, Clarinetten und Waldhörner vernahm, und einen 257 langen Zug geputzter Bauern und Bäuerinnen sich entgegen kommen sah. Alles jubelte, und in der Mitte gingen neben dem Pfarrer zwei wunderlich geschmückte Gestalten, die er für Graf Birken und die Tochter des Pfarrers erkannte, deren grüner Kranz in den brandrothen Haaren sie deutlich als Braut ankündigte.

Da der Rath wußte, wie wichtig es seinem Freunde, dem Arzte, seyn mußte, daß die Trauung nicht vor sich ginge, so begab er sich, statt nach jener Wiese, in die Mitte des Brautzuges. Er wollte sprechen; aber die lärmende Musik ließ ihn nicht zu Worte kommen; besonders da der Pfarrer die Musikanten zum Blasen und das junge Volk zum Schreien ermunterte, um nur den lästigen Besuch zu übertäuben und zu verscheuchen. Des Rathes Anstrengungen wären auch für jetzt vergeblich gewesen, wenn nicht einige Reiter herbei gesprengt wären, die dem Zuge Halt geboten. Die Musik verstummte, und diesen Augenblick der Ruhe benutzte Walther, um seinen Einspruch gegen die Feierlichkeit vorzutragen und zu erklären, daß der junge Graf noch nicht mündig, außerdem auch thöricht im Haupte sei. Des Pfarrers bemeisterte sich ein erhabener Zorn. Ich weiß nicht, rief er aus, warum sich alle Welt in Bosheit gegen meinen verehrten Schwiegersohn und meine geliebte Tochter verschworen hat! Er thöricht im Haupte? Wissen Sie, unbekannter Freund, was das sagen will?

Die Reiter begehrten ebenfalls angehört zu werden. Sind Ihnen sonst keine Narren begegnet, fragte der erste sehr eifrig: das ganze Narrenhaus hat sich frei gemacht, wir sind alle in den Dörfern aufgeboten, sie wieder einzufangen. Jeder Reisende ist jetzt verdächtig; man prüft alle Welt sehr scharf, und selbst der Vernünftigste muß sich in Acht nehmen, nicht aufgegriffen zu werden; denn Narren müssen sie nun doch einmal dort oben wieder haben.

258 Sind Ihnen Verdächtige vorgekommen, Herr Pastor? fragte der zweite.

Ich untersage hiermit diese Hochzeit! rief der Rath im höchsten Unwillen.

Der Pfarrer, welcher das Grafthum seiner kleinen Tochter von Neuem in Gefahr sah, dessen Vaterliebe Alles daran setzte, sich diesen Schwiegersohn zu sichern, und dem mit Wolfsberg schon der kühne Streich gelungen war, rief jetzt laut: hier, meine Herren, sehn Sie einen solchen Wüthigen vor sich, der sogar die heilige Ceremonie durch seine Raserei stören will!

Was? rief Walther aus; ich ein Rasender?

Sehn Sie nur, sagte der Pfarrer gesetzt, wie ihm die Augen wie zwei Feuerräder im Kopfe herum gehn! Er ist toll; wir erkennen ihn Alle dafür an.

Ja, schrieen die Musikanten, und am lautesten der Graf: es ist der tolle Mensch, der schon seit acht Tagen hier herum läuft.

Geben Sie Acht, was Sie thun, sagte der Rath etwas besänftigt; ich wollte eben nach der Stadt; ich bekleide dort jetzt die Stelle des Gerichtspräsidenten.

Vor Hochmuth ist er übergeschnappt, rief der Pfarrer; allons! fort mit ihm! – Fort mit ihm, schrie der ganze Haufe. Die Reiter hatten schon ein drittes, lediges Pferd herbei geschafft; Walther ward hinauf gepackt, und ehe er noch sagen konnte, daß sein Wagen vor dem Dorfe halte, trabten seine Begleiter mit ihm fort: denn das Singen und Schreien der Menge, die betäubende Musik, und die Glocken, welche die Ceremonie einläuteten, machten für jetzt jede Erörterung unmöglich. Walther mußte gezwungen den Weg zur neuen Behausung seines Freundes antreten; der Pfarrer aber schleppte als Sieger seinen mühsam errungenen Schwiegersohn in die Kirche, mit dem Vorsatz, sich späterhin lieber 259 jeder Verantwortung zu unterziehn, als das Horoskop Lügen zu strafen!



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