Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Kaum war der Stubenarrest und die sehr dürftige Kost dem armen Wolfsberg noch nöthig, um ganz sein Inneres zu erkennen, und alle seine Thorheiten und die Verderbniß seines Lebens einzusehn. In demüthiger Unterwerfung ergab er sich seinem Schicksal, und war kaum erfreut, als man ihm ankündigte, daß seine wohlverdiente Strafe ihm früher erlassen sei. Jetzt durfte er wieder den Saal betreten, und der Director, den er bis dahin so wenig wie Friedrich, seinen Verführer, gesehn hatte, ließ ihn sogar dahin einladen.

Wolfsberg fand alle Thoren dort versammelt, und den Director mit dem Hut auf dem Kopfe sitzend. Dieser hielt ein Papier in den Händen, und seine Miene schien sehr verändert; doch konnte man nicht sagen, daß er heiterer, als gewöhnlich, aussah. Meine Freunde, fing er im Rednerton, aber mit einer weichen Stimme an, wir haben lange mit einander gelebt, viel mit einander ertragen; aber heut ist der Tag, an welchem wir von einander scheiden sollen. Man hat endlich meinen vielfältigen Gesuchen, mich in Ruhestand zu versetzen, nachgegeben, und der Mann, der nun als Vorsteher meine Anstalt übernehmen wird, soll noch heut Mittag eintreffen. Möge sein Verstand erleuchteter, als der meinige, und sein Sinn nicht unfreundlicher seyn!

250 Die Thür ging auf, und Görge trat mit großer Dreistigkeit herein. Was giebt's, Bursche? fuhr der Director auf ihn los.

Ich kann's nicht mehr zu Hause aushalten, sagte Görge ganz unbefangen. Sehn Sie, Herr Director, seit ich neulich 'mal hier war, bin ich wie ein verwandelter Mensch; mein Verstand ist aufgeklärter, und ich kann nun meinen lieben Aeltern nicht mehr so in Allem folgen, wie ehedem. Wenn ich das nicht recht mache, und jenes versehe, 'mal so spreche oder morgen anders denke, wie es zu Hause bei mir Mode ist; so wird die Mama immer sehr böse, und droht mir, mich in das Narrenhaus hier einsperren zu lassen. Gestern nun habe ich unserm Herrn Kilian wohl zwanzig Fledermäuse in die Stube geworfen; da hat er mich verklagt, und sie hat mir wieder gedroht, mich hieher zu schicken; da bin ich nun heute früh lieber gleich von selbst herüber gelaufen, und bitte, daß Sie mich eine Weile hier behalten; so könnte ich auch bei dem rothnasigen Herrn dort noch etwas lernen und mich ausbilden.

Sokrates machte sich sogleich herbei, und faßte die Hand des lehrbegierigen Jünglings. Der Director lächelte und sagte mit sonderbarer Miene: wenn Strafe selber zum Lohn wird, so ist der Mensch gewiß am glücklichsten. – Ich bin in meiner Abschiedsrede von Euch, meine Freunde, unterbrochen worden, fuhr er hierauf in verändertem Tone fort. Ich habe dies Haus nun sechszehn Jahre bewacht; viele Gäste empfangen, viele gebessert entlassen. Ihr seid die letzten; und da ich Eure Besserung durch Pflege und Aufsicht nicht lange genug habe abwarten können, so will ich sie hiermit durch ein Machtwort veranstalten, und erkläre Euch nun hiermit für frei, hergestellt und gesund. Wie? Diese Gewalt wenigstens sollte mir nicht einmal geblieben seyn? Thut 251 der Staat, der Fürst, die Universität denn etwas anders, wenn sie Doctorhüte, Titel und Würden austheilen? Da sehn wir ja täglich, wie Menschen plötzlich Verdienste und Tugenden haben und glänzen lassen, die kurz vorher nur wenig taugten, oder kaum über Vier hinaus zählen konnten. Alle Thore, meine theuern, so lange gehegten und gepflegten Freunde, sind offen; die Thürhüter haben den Befehl, Niemanden am Ausgehen zu verhindern. Diese letzte Wohlthat ist es, wozu ich noch heute meine Macht gebrauchen will. Ich kann meinem Amte nicht länger vorstehn; denn, wie mancher der Märtyrer oder Wunderthäter jener frühern Jahrhunderte die Sünden ihrer Mitbrüder, so habe ich mit Liebe und Mitleid alle Eure Gebrechen in meine Seele aufgenommen: und Viele sind dadurch geheilt, die Bösartigkeit Andrer ist dadurch gemildert worden. Aber Ihr könnt wohl selbst ermessen, dankbare Freunde, daß das keine Kleinigkeit für einen sterblichen Mann ist, in seinem engen Busen so hundert Narrheiten zu tragen und zu hegen, an deren einer schon jeder von Euch genug zu schleppen hat. Freilich war ich auch dadurch nur Monarch und Herrscher, in welchem sich alle Kräfte und Vorzüge centralisiren. Nicht wahr, Ihr guten, lieben Unterthanen und Einfaltspinsel? Geht nun zurück in die Welt, und gewöhnt Euch doch endlich als gesetzte Männer die kindische Aufrichtigkeit ab, mit der Ihr Euch vor jedem Narren Eure Narrheit habt merken lassen. Schaut um Euch! Von Allen, die hier vorbei fahren und gehen, die auf dem Flusse schiffen, die in der Stadt dort wandeln und auf ihren Zimmern sitzen, gehören, wenn man die Strenge brauchen wollte, wenigstens zwei Dritttheil hieher. Warum wollt Ihr nun so weichherzig seyn, jedem Eure Brust zu öffnen, und in die curiose Structur Eures Innern hinein schauen zu lassen? Ist es denn so etwas 252 Schweres, die gewöhnlichen Redensarten der Vernünftigen zu gebrauchen, ihre Geschäfte zu treiben, trivialen Spaß zu machen, und ihnen ihre ganze Ehrwürdigkeit abzusehn und nachzuspielen? Kinder, glaubt mir doch, es gehört weit mehr Genie dazu, ein Narr zu seyn! Daher mag es auch Mangel an Muth seyn, wodurch sich die Meisten abhalten lassen, zu uns überzugehn. Denn ein trivialer Narr ist wirklich etwas recht Triviales. Wann nun der neue Herr Director ankommt, seht, Kinder, so wird er hier das leere Nest finden. Das glaube ich, wenn der sich so recht in die Fülle, wie in eine vollständige Haushaltung hinein setzen könnte, das wäre ein Jubel für ihn; Alles eingemacht, vollgesackt, geschlachtet und gepökelt für Herbst und Winter; die ganze Ernte, die ich so mühselig seit manchem Jahre habe sammeln müssen! Nein, er mag auch säen und pflanzen, die junge Zucht auffüttern, die alten Gänse nudeln und stopfen. Zehre er von seiner eignen Arbeit! – Lebt nun wohl und reicht mir Eure Hand, ehrwürdiger Sokrates! Geht und nehmt den jungen Alcibiades, den lieben Görge, mit Euch; bildet ihn, daß er Galimathias sprechen lerne, aber mit Maaßen, damit er nicht verkannt werde, wenn er das, was auf einen Monat ausreichen sollte, in einem Tage an den Mann bringt. Fahrt wohl, Ihr beiden Redner; übt Euch dort vor dem Volke, und rührt und erbaut die Welt durch Liebe und erhabene Gesinnung! Indianer, großgesinnte Menschen mit edeln Inspirations-Gaben versehn, errichtet dort eine Akademie, um die trockne Welt geheimnißvoller zu machen und sie mit tiefer Mystik zu nähren! Begleitet diese Edeln, Ihr Lesender; und wenn Ihr unserm Jahrhundert Alles rücklings lesen und stellen könnt, so werdet Ihr Euch vielen Dank verdienen. Ja der bloße Versuch wird Euch schon glänzend belohnt werden. Ihr Baukünstler, bezieht wieder Euer Haus, 253 das Ihr als aufgeblühte Schönheit verließet, und das nun zu einem alten Mütterchen zusammen geschrumpft ist! Pygmäenfeind, geht und vertreibt die bösen Geister! Ihr, Graf Birken, macht Euch davon, und laßt nun Weiber und Mädchen in Ruhe! Herr von Linden, oder Methusalem, wie sie Euch hier nennen, verschwindet in Eil: denn Ihr macht hier nur theure Zeit, da Ihr sie so entsetzlich consumirt. Wie? wenn ich Euch nun die Zehrungskosten nebst Zinsen für die hundert tausend Jahre abfordern wollte, die Ihr hier, Eurem eignen Geständnisse nach, zugebracht habt? Meilen weit hier herum kann das Kind im Mutterleibe keine Zeit zum Wachsen finden, da Ihr Alles in Euch schlingt. – Friedrich, lebt wohl, und grabt keine Schätze mehr, sonst grabt Ihr Euch selber die Grube, in die Ihr hinein fallt!

Jeder mußte ihm, indem er vorüber ging, die Hand reichen. Alle verließen das Haus; nur Friedrich erklärte, daß er niemals weichen wolle. Sieh, rief der Director, am Fenster stehend, wie sie sich verbreiten und dahin ziehen, die lieben Pilgersleute! Sie werden es doch vielleicht nicht wieder so gut finden, als hier. Mancher wird sich zurück sehnen!

Ein Wagen fuhr in den Hof, und der Mann, welcher herausstieg, war sehr verwundert, alle Thore offen zu finden. Noch mehr erstaunte er aber, als er sich dem zeitherigen Director näherte, und erkannte, daß dieser plötzlich ein Kranker seiner eignen Anstalt geworden sei. Er gab sich ihm als Doctor Anselm zu erkennen, welchem die Regierung diesen Posten anvertraut habe; doch jener antwortete bloß: ja, bester Mann, Sie finden mich ganz allein hier, als Stock und Stamm, der wohl wieder Früchte tragen mag, doch aber jetzt abgelaubt ist. Für etwas, wenn auch nicht für viel, kann mein Friedrich gelten.

254 Anselm ließ sogleich einige Diener zu Pferde ausreiten, um, wo möglich, noch einige der Flüchtlinge einzuholen.



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