Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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176 Der verschlossene Wagen fuhr mit dem jungen Baron die ganze Nacht hindurch fort. Allenthalben waren schon Pferde in Bereitschaft, und da der Mond sehr hell schien, konnte man so schnell, wie bei Tage reisen. In den dicht verhängten Wagen fielen nur wenige Strahlen hinein; doch bemerkte der Entführte, daß ein Mann an seiner Seite, und ein anderer ihm gegenüber saß. Als er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, wollte er seinen Gesellschaftern Rede abgewinnen; aber sie beantworteten keine seiner Fragen oder Bemerkungen. Wohin führt man mich? rief er endlich in der größten Ungeduld. Ruhe! antwortete der starke Mann, Alles wird sich aufklären. – Man verkennt mich, man verwechselt mich mit jemand anderm! – Nichts weniger. – Was hat man mit mir vor? – Morgen am Ort Ihrer Bestimmung werden Sie Alles erfahren.

Als der Gefangene Miene machte, den Wagen zu öffnen, ergriffen ihn die Unbekannten gewaltig, und der eine rief drohend: keine Umstände! Finden Sie sich nicht gutwillig, so haben wir das Recht, Sie zu binden und zu knebeln; das geschieht auch bei dem ersten Versuche zu entfliehen, oder wenn Sie jemand Fremdes anreden wollten. Auch kann es Ihnen nichts nutzen; denn wir haben die gemessenste Ordre, die wir vorzeigen können, und auf welche uns in jeder Stadt Beistand geleistet werden muß.

So fügte sich denn der Entführte und sann stillschweigend nach, für welche Begebenheit seines frühern Lebens ihn etwa dieses Unheil treffen möchte. So in seinen Busen und dessen Geheimnisse eingehend, fand er mehr auf der Rechnung stehen, als er in seinen heitern und zerstreuten Stunden vermuthet hatte. Je länger er in der stillen Nacht fuhr, je größer wuchs in seiner Erinnerung sein Sündenregister an, und er zitterte vor der Entwicklung seines Schicksals; 177 denn Festung, lebenslängliche Einkerkerung, ja selbst das Aergste standen vor seiner erregten Phantasie. Er wandte sich von diesen Bildern des Schreckens ab, und suchte sich wieder zu überreden, Alles, was man ihm vorwerfen könne, sei doch nur Jugendthorheit und Leichtsinn. Mit Wehmuth mußte er an die hochmüthigen Reden gedenken, die er vor Kurzem noch gegen den Arzt geführt, und alle seine Zweifel kamen wenigstens darin überein, daß jene Handlungen, mit denen er als eben so viel Tugenden und Kraftäußerungen geprahlt hatte, doch wohl Sünden, oder gelindestens Verirrungen zu nennen wären. So blätterte er in dem dunkeln Buche seines Gewissens hin und her, und nahm sich vor, wenn ihn ein günstigeres Schicksal aus dieser Bedrängniß erlösen sollte, seinen Lebenslauf mit viel mehr Anstand und etwas mehr Weisheit zu führen.

Man fuhr die ganze Nacht und auch den folgenden Tag. Der Gefangene hatte sich fast schon an seinen Zustand gewöhnt, und die Furcht, daß seine Lage noch viel schlimmer werden könnte, machte, daß er die gegenwärtige mit Geduld ertrug. Hätte er sich ganz frei und ohne Schuld gewußt, so würde er in seinem Bewußtsein Waffen gefunden haben, sich dieser Gewalt zu widersetzen; aber der Zagende bettelte jetzt von jeder Stunde seines Daseins noch eine dürftige Erquickung, im Aufschub und in der Verzögerung fand er eine Art von Glück, und vergaß sogar in manchen Augenblicken, daß sich sein Schicksal doch endlich, und wohl bald, entwickeln würde.

Am Abende, als es schon wieder finster ward, kam man an. Durch ein Thor, das sogleich wieder verschlossen wurde, fuhr der Wagen. Man brachte Licht. Ein Schreiben ward von einem der Begleiter hinaus gereicht. Immer neue Gäste, immer mehr Geschäfte! murrte eine dumpfe, 178 verdrießliche Stimme draußen. Man fuhr in den Hof. Indem man ausstieg, ging einer der Männer jenem nach, der erst geschmollt hatte, und sagte: Ja, werther Herr Direktor, endlich haben wir ihn Gott Lob! erwischt; fünf Tage hatten wir ihm vergeblich aufgepaßt. – War er ruhig? fragte jener. – Ja, er hat sich so leidlich vernünftig aufgeführt. Ein paar Mal wollte er närrisch thun. Je nun, wir sind ja alle Menschen!

Das Letzte hörte der Entführte nur noch aus der Ferne. Er befand sich schon auf einer großen Treppe, zu welcher ihm zwei Menschen hinauf leuchteten. Ist Numero 18 aufgeschlossen? fragte der eine. Ja! scholl es von oben herab, und zugleich ward der Fremde in ein kleines, behagliches Zimmer hinein geschoben, in welchem Stühle, Tische, ein Bett und Sopha sich befanden. Lichter wurden hingestellt, und ein freundlicher Mann trug eine Abendmahlzeit auf. Herr Friedrich, sagte der eine Diener, Sie haben doch nichts vergessen? – Gewiß nicht, antwortete der kleine Mann; Alles ist schon mit dem Direktor abgemacht.

Man ließ den Fremden allein. Da er hungrig war, aß er mit großem Behagen; nur vermißte er ungern den Wein, doch ließ ihn der Durst das Wasser schmackhafter finden, als er es unter andern Umständen für möglich gehalten hätte. Er öffnete das Fenster. Eisenstäbe verwahrten es; doch blickte er im Mondlicht über eine reiche und mannigfaltige Landschaft hin. Die Thür fand er verschlossen.

Als man den Tisch wieder abgeräumt hatte, legte er sich nieder, und schlief auf die Anstrengung des Körpers und Geistes ruhig und lange. Nach dem Frühstück wurde die Thür mit einigen Ceremonien geöffnet, und ein starker, untersetzter Mann mit finsterer Miene und braunem Gesicht 179 trat herein, dessen grollende Stimme er sogleich für diejenige erkannte, die er schon gestern Abend gehört hatte.

Der finstere Mann warf einen durchdringenden, festen Blick auf ihn, und der Baron, der sich am Morgen eine lange, wohlgesetzte Rede ausgesonnen hatte, um seine Unschuld und das Mißverständniß, das über ihm schweben müsse, aus einander zu setzen, wurde so verwirrt und beängstigt, daß er jedes Wort vergaß und nur wünschte, diesen Besuch erst wieder los zu seyn.

Haben Sie gut geschlafen? fragte der verdrießliche Mann.

Besser, als ich denken konnte, da ich so plötzlich –

Lassen wir das! Haben Sie mit Appetit gefrühstückt?

O ja – nur wünschte ich das Mißverständniß, den Irrthum schnell aufzuklären; da man mich gewiß für einen andern hält.

Wir kennen Sie, junger Herr, besser, als Sie vielleicht glauben.

Besser? sagte der junge Mann, und wurde roth und von Neuem verwirrt. Man hat mich um meinen Namen hier noch nicht gefragt!

Ist auch gar nicht nöthig. Wir wollen keine Rollen mit einander spielen.

Rollen? Wie meinen Sie das?

Wie man so was meint. Sie sollen sich nicht verstellen, Sie sollen nicht hoffen, daß Sie mich hintergehen können.

Wenn ich Ihnen aber so ganz bekannt bin, – so sagen Sie mir wenigstens, – wo befinde ich mich? Ich bin vielleicht zwanzig Meilen gereist, ohne zu wissen wohin.

Lassen wir das noch jetzt, dergleichen muß Ihnen fürs Erste noch ganz gleichgültig seyn.

Die Forderung ist mehr als sonderbar.

180 Bester junger Mann, sagte der Alte, um alle diese äußerlichen Zufälligkeiten müssen Sie sich jetzt gar nicht ängstigen. Es wird eine Zeit kommen, in der Ihnen Alles klar aufgeht.

Und welch Schicksal erwartet mich?

Das wird ganz von Ihrem Betragen abhängen! Sind Sie sanft und ruhig, so wird Ihnen kein Mensch etwas in den Weg legen; können Sie es über sich gewinnen, vernünftig zu seyn, wenn es Ihnen auch im Anfange etwas schwer ankommen sollte, so wird man Ihnen alle Achtung bezeigen, die Sie erwarten können, und es liegt in Ihrer Hand, wie früh oder spät Sie Ihre Freiheit wieder erhalten werden.

In meiner Hand? fragte der Gefangene, indem er seine Hände betrachtete.

Dummheit und kein Ende! fuhr der Alte ungeduldig heraus, ich dachte es wohl, daß der Diskurs nicht lange auf der geraden Straße bleiben würde. Figürlich gesprochen, junger Herr! Wie Sie sich benehmen, so wird man sich wieder gegen Sie benehmen; vielleicht sind Sie in Jahr und Tag wieder auf freien Füßen: das heißt, Jüngling, (damit Sie nicht wieder querfeldein fragen) wenn Ihre Beine wieder frei sind, wird hoffentlich das übrige Zubehör, sogar der Kopf wieder mitlaufen dürfen.

Und was befiehlt man, fragte der Baron, das ich vorstellen soll? Wie soll mein Name heißen? Denn es scheint, daß hier ein strenges Regiment obwaltet, dem man sich fügen muß.

Nur keine Quängeleien! rief der alte Mann; machen Sie nicht, daß ich härter seyn muß, als ich von Natur bin; denn das ist mein Elend, daß der Teufel mir so ein breiweiches Herz eingesetzt hat, daß ich eigentlich ein altes Weib 181 hätte werden müssen. Nun, lieber Herr Graf, wir werden uns schon noch verstehen lernen.

Graf? rief der Baron; also doch wenigstens eine Standeserhöhung. – Er war nach diesem Worte plötzlich viel heitrer geworden: die Beklemmung, die ihn drückte, schien ziemlich verschwunden.

Ja, Graf, nicht anders, fuhr der Alte fort; ja, mein junger Herr, man weiß hier mehr von Ihnen, als Sie begreifen können.

Nur noch eine Frage, dann will ich schweigen, sagte der Baron, – Bin ich etwa hier, wegen des Verhältnisses, das vor zwei Jahren die Baronesse –

Still! rief zornig der Alte: das ist es ja eben; an Liebe müssen Sie hier gar nicht denken, so wie Sie auf diese Passion gerathen, müssen gleich Anstalten getroffen werden; weder Baronesse, noch Gräfin, noch Fräulein, selbst das Wort Frauenzimmer muß nicht von Ihren Lippen gehört werden! Nun geben Sie mir die Hand, daß ich Sie noch einmal bewillkomme. Ich hoffe also, Sie werden uns keine Schande machen.

Er hielt die Hand des Barons lange in der seinigen eingeschlossen, drückte sie, schob seine Finger hinauf, fast als wenn er den Puls fühlen wollte, sah dem jungen Mann noch einmal scharf in die Augen, und entfernte sich dann schnell nach dieser sonderbaren Begrüßung.

Nach einiger Zeit erschien der kleine freundliche Mann, den man den Herrn Friedrich nannte. Nun, sagte dieser, es ist ja gut abgelaufen; unser melancholischer Gebieter ist ja mit Ihnen zufrieden, er meint, es würde schon werden.

Aber, wo bin ich nur? fragte der Baron.

Der Kleine legte mit einer sehr listigen Miene den Finger auf den Mund, kräuselte die Lippen, zog die schmalen 182 Schultern bis zu den Ohren, und sagte dann ganz leise: so lange Sie noch bloß auf Ihr Zimmer eingeschränkt sind, darf ich nichts Bestimmtes mit Ihnen sprechen; aber wenn Sie erst einmal herunter gekommen sind, dann wird Ihnen nichts mehr Geheimniß bleiben.

Wer sind Sie, fragte der Baron eifrig, und wer ist der Mann, der mich heute besuchte?

Nichts! nichts! rief der Kleine; sehn Sie, Verehrter, wir sind Alle ohne Ausnahme nur das, was unser gestrenger Herr uns befiehlt zu seyn. Hat er doch nun die Macht einmal; woher er sie hat, das weiß der Himmel wohl am besten, der sie ihm verlieh. Sehn Sie, er ist sehr hypochondrisch, und fast niemals vergnügt, und darum verlangt er, Alles im Hause solle auch ehrbar und fromm zugehn. Eine unbillige Forderung. Ich gelte aber doch viel bei ihm, und er meint, ich hätte Gaben. Nun haben Sie gleich beim Eintritt durch Ihr feines vornehmes Wesen mein ganzes Herz gewonnen, – Sie sehn einem großen Feldherrn so ähnlich, den ich einmal gekannt habe; aber ich bin doch zu schwach, Ihnen zu helfen.

Wie so, zu schwach?

Betrachten Sie nur selbst meine Schultern, wie schmal, flüsterte der kleine Mann. Ja, wenn ich mehr heben und arbeiten könnte; wenn ich mich nicht immer so schonen müßte; wenn ich mir mehr bieten dürfte, so wäre mein Schicksal wohl ein ganz anderes, als hier im Hause herum zu kriechen.

Er entfernte sich, um dem Fremden das Mittagsessen zu holen, verschloß aber sorgfältig indessen die Thür.



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