Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Der junge Baron war indessen zornig ins Feld gelaufen. Er mußte sich seine Verdienste in den glänzendsten Farben dicht vor das Auge rücken, um seinen Verdruß zu überwinden. Indessen stellte sich bald seine gute Laune wieder ein, besonders durch Aussicht auf ein nahes und freundliches Abenteuer, das seiner Eitelkeit schon im voraus schmeichelte. Auf dem Walle, welchen große Linden schmückten, hatte er hinter einem Gitterfenster ein schönes blondes Köpfchen, einen blendenden Hals und Nacken bemerkt; schöne Augen 172 hatten ihm nachgesehn, ein freundlicher Mund hatte ihn angelächelt, und ein dreister Gruß war ihm endlich bei seinem dritten Vorüberwandeln entgegen gekommen. Er hatte die Schöne auch in der Ferne nicht ganz aus dem Gesichte verloren; er wollte nur die zunehmende Dämmerung und die größere Einsamkeit der Gegend abwarten, um sich ihr zu nähern, Bekanntschaft zu machen, und sie, wenn die Umstände sich günstig erwiesen, zu besuchen. Er betrachtete sich selber wohlgefällig und ging mit Behaglichkeit die Scenen seines bunten Lebens durch, indem er sich vornahm, daß diese phantastische Reise ihm noch angenehmere Abenteuer zuführen solle.

Wieder schaute das Lockenköpfchen durch das Gitter, lächelte, winkte und zeigte sich sehr erfreut, als es den geputzten, schlanken Spaziergänger von Neuem vorbei gaukeln sah. Der Abend nahte schon, die Sonne ging unter. Er benutzte die Einsamkeit, um zu grüßen, stehn zu bleiben, und mit fragender Geberde auf die Thür zu deuten. Sie nickte und entfernte sich schnell. Er öffnete die Thür und stieg die Treppe hinauf. Sie empfing ihn oben; nur leise, leise! flüsterte sie, indem sie ihn in ihr Zimmer führte. So viel er in der Dunkelheit unterscheiden konnte, fand er das Gemach zierlich ausgeschmückt; er bemerkte, daß seine Führerin in Atlas gekleidet war. Liebchen! sagte sie mit leiser Stimme, gedulde dich hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir; ich will mich nur putzen und Licht bringen. Aber rühre dich nicht, daß meine Feinde dich nicht gewahr werden!

Mit diesen Worten ging sie in ein Nebenzimmer. Dem Abenteurer fing an, unheimlich zu Muthe zu werden. Da schlich man leise die Treppe herauf. Er besorgte einen Ueberfall und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen sollte; doch trat Niemand ein, aber er wurde zu seinem Erstaunen 173 gewahr, daß man von außen die Thür verschloß. Als er jetzt von unten eine männliche Stimme zu einem andern sagen hörte: er ist drinnen; er kann uns nicht entwischen! so sträubten sich ihm die Haare vor Entsetzen. Sein Schauder wurde aber noch vermehrt, als jetzt die Schöne mit einer brennenden Wachskerze wieder in das Zimmer trat. Hals und Busen waren fast ganz entblößt und schimmerten wie Marmor; ihr Auge strahlte in seltsamem Glanze, ein Diadem von Goldpapier stand auf dem Haupte, große Glasperlen hingen auf den weißen Schultern, Stroh und Blumen rankten sich um den Leib. So schritt sie mit Lachen und wilder Geberde auf den Geängsteten zu, der seine Gedanken noch nicht ordnen konnte, als die andere Thür wieder aufgeschlossen wurde, die räthselhafte Schöne mit einem lauten Schrei das Licht fallen ließ, und zwei starke Männer den Verwirrten in der Dunkelheit faßten, ihn die Treppe mehr hinunter trugen als führten, und ihn unten schnell in einen offen stehenden Wagen warfen. Ehe er noch fragen, sprechen, sich besinnen konnte, war die Thür des Wagens zugeschlagen, und im schnellsten Trabe fuhr dieser mit ihm durch die finstre Nacht über das Feld davon.



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