Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Der Rath Walther hatte den Arzt wieder aufgesucht, um über den Plan ihrer gemeinschaftlichen Reise zu sprechen. 183 Der Doctor hatte von seinem entlaufenen Zögling noch keine Nachrichten; er war jetzt neugierig, was sein Freund, dem er sich immer enger anschloß, ihm würde zu eröffnen haben.

Vielleicht, fing dieser an, sehe ich schon in einigen Tagen einen Jüngling wieder, dem ich seit vielen Jahren schon, seit ich ihn als Knaben kennen lernte und aufwachsen sah, meine Freundschaft, ja mein ganzes Herz schenken mußte. Alle unsere Bücher sind voll von Schilderungen der sogenannten Liebe; genau sind alle ihre Kennzeichen beschrieben, die Steigerungen, so wie die Verirrungen dieser Leidenschaft nachgewiesen, und von der Freundschaft, die eben so wundersam, zuweilen noch seltsamer erscheinen kann, wird kaum gesprochen, oder man setzt sie voraus, und meint, sie zu schildern, sei ohne Interesse. Wenn Alle zu lieben glauben, ist es vielleicht nur Wenigen gegeben, im wahren Sinne Freund zu seyn. Ich habe mich früh und ohne Leidenschaft verheirathet, und bin glücklich in meiner Familie. Aber von frühster Jugend habe ich das Talent in mir ausgebildet, Freund seyn zu können, mich dem geliebten Gegenstande hinzugeben, seine Eigenheiten, Schwächen und Vortrefflichkeiten zu erkennen, mich zu überzeugen, wie bei den verdienstvollen Menschen die einen nicht ohne die andern seyn können, und alle Liebe ohne gegenseitiges Ertragen nicht möglich ist. Doch, um nicht zu weitläufig zu werden, sage ich nur, daß es mir gelang, viele und sehr verschiedene Freunde zu erwerben; doch hatte ich noch nie das seltsame Gefühl kennen lernen, das mich zu einem Knaben hinzog, der in unsrer Familie aufwuchs und ein entfernter Verwandter von mir war. Er hatte nichts mit andern Kindern seines Alters gemein; er nahm an ihren Spielen nicht Theil; er sonderte sich ab, und lebte, seine Lehrstunden abgerechnet, ganz einer 184 träumenden Einsamkeit hingegeben. Da der junge Mensch schon früh seine Aeltern verloren hatte, so war sein Vormund, ein liebevoller Oheim, sehr um ihn besorgt. Fragte man Raimund, so hieß der Knabe, was ihm fehle, so antwortete er immer, ihm sei in der Einsamkeit unendlich wohl; ihn störe das Geräusch der Welt, er sinne sich und seinen Empfindungen nach. Hauptsächlich schien ihn eine Wehmuth über das Elend der Welt, über ihre Armuth und Krankheit zu durchdringen, vorzüglich über die Feindschaft und den Haß, den er so oft wahrnehmen mußte. Der Vormund wünschte, ihn zum Geschäftsmann heranzubilden, oder ihm doch die Fähigkeit zu verschaffen, das große Vermögen, das er für ihn bewahrte, künftig selbst verwalten zu können. Die Bemühungen aber, den Weichgestimmten mit den Verhältnissen der Welt bekannt zu machen, schienen immer vergeblich; denn so leichte Fassungsgabe sein feiner Geist sonst verrieth; wie er in Poesie, Musik und Natur Alles begriff, und sich das Schwierigste aneignen konnte; so schien ihm doch der Sinn für gesetzliche Verhältnisse, für alles das, was Besitz und Eigenthum sichert, für juristische Verwickelungen, Berechnungen und dergleichen, gänzlich verschlossen. Begriff er doch gar nicht einmal, wie es möglich sei, daß seine Capitalien Zinsen trügen. Er hielt dies, als er selbst schon erwachsen war, für ein Ergebniß, welches nur auf Betrug begründet seyn könne. Als Jüngling war er die lieblichste Erscheinung. Wir verhärten uns gewöhnlich, und wohl mit Recht, gegen die Sentimentalität; weil dasjenige, was die Menge so nennt und schwache Gemüther interessirt, nur eine Mischung von Heuchelei und falscher Süßigkeit ist, eine egoistische Zartheit, die gerade da verletzt und roh tyrannisirt, wo sie Liebe und Weichheit zeigen sollte. Aber in Raimund offenbarte sich etwas Himmlisches verkörpert, und die naivste Wahrheit, 185 die edelste Treue und Einfalt bildeten sein Wesen. Ich konnte oft in Gedanken beklagen, daß er späterhin doch zum Manne reifen und diese Wunderblume sich in Frucht verwandeln müsse. Er blieb immer menschenscheu; am meisten aber ängstigten ihn die schwatzenden und lachenden Mädchengesellschaften. Die meisten Menschen verspotteten ihn; ich allein verstand sein liebendes Gemüth; doch zitterte ich auch für ihn, wenn ich voraus dachte, wie ihm wohl einmal ein gleich gestimmtes weibliches Wesen begegnen könne. Dies geschah, und die Folgen waren erschreckender, als ich vermuthen konnte. Die schöngebildete Tochter eines reichen Hauses, schwärmerisch und scheu, lernte ihn kennen. Als wären die beiden Wesen nur für einander geschaffen, so schnell verstanden und vereinigten sie sich. Was ihr Glück störte, war der Oheim, obgleich er seinen Neffen so innig liebte. Er schien der Ueberzeugung, daß diese Leidenschaft nur zu Beider Unglück ausschlagen könne; er verweigerte durchaus seine Einwilligung zu ihrer Verbindung, bis Raimund großjährig geworden sei. Dieser härmte sich und sann und träumte nur Unglück. Blanka weinte; ihr Gram zog ihr ein Nervenfieber zu. Nun schien auch Raimund verloren. Er irrte in den Nächten im Felde umher, er verschmähte fast alle Nahrung, er wollte nur seinem Schmerze leben und sterben. Als sie die gefährliche Krise überstanden hatte, erlaubte sich ein Bedienter den grausamen Scherz, um ihn desto freudiger zu überraschen, ihm zu sagen, Blanka sei gestorben. Der Widerruf kam zu spät; sein ganzes Leben schien aus allen Fugen gerissen. Es währte nicht lange, so war er verschwunden; jede Nachfrage, jede Nachforschung umsonst. Sein Oheim, der Freiherr Eberhard ist außer sich; nun erst zeigt er, wie sehr er seinen Neffen geliebt; er macht sich die bittersten Vorwürfe, daß er jene Verbindung 186 gehindert; er zögert noch immer, als der nächste Erbe, das Vermögen des Unglücklichen als das seinige zu betrachten; er hofft noch immer auf seine Rückkehr, und beweint ihn doch schon als einen Verlornen. Blanka war seitdem in einem fürchterlichen Zustande, ich habe sie nicht wieder gesehn; ihre Aeltern verließen die Stadt, und ein ungewisses Gerücht wollte sagen, sie habe den Verstand verloren. Denken Sie nun die Freude, die mir der Brief machen mußte, der mir eine wahrscheinliche Spur meines jungen Freundes entdeckt. Wie werde ich den Oheim überraschen, wenn ich ihm etwas Gewisses melden kann!

Der Arzt war nachdenkend. Eberhard, – sagte er sinnend, – ein Mann bei Jahren, zwei ungleiche Augenbraunen, und eben so ein braunes und ein blaues Auge? Auch schwebt mir dunkel vor, als habe ich aus seinem Munde selbst die Geschichte, die Sie mir jetzt mittheilen, gehört; nur erzählte er die Umstände anders.

Ihre Beschreibung paßt auf ihn, sagte der Rath; er ist von der Natur so sonderbar gezeichnet, daß man ihn nicht leicht verkennen kann.

Wie seltsam, fuhr der Arzt fort; wenn es dieser seyn sollte! – er spielte in meiner Vaterstadt eine wunderliche Rolle, und bewarb sich noch ganz kürzlich um eine Schauspielerin, die nicht den besten Ruf hatte.

Dann ist es dieser doch nicht, sagte der Rath; er lebt einsam, eingezogen, ja neigt eher zu einer übertriebenen Frömmigkeit hin.

Man kam dahin überein, am folgenden Tage abzureisen; denn im Dorfe eines einsamen Gebirges sollte der Jüngling, von dem der Rath Nachricht erhalten hatte, im Hause eines Predigers leben. 187



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