Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Am andern Morgen kam der Arzt in Eile und großer Bewegung zum Rathe. Was ist Ihnen? fragte dieser; es muß etwas Außerordentliches begegnet seyn. – Theuerster Walther, rief der Arzt aus, unser Beisammensein, mein Aufenthalt wird plötzlich auf die unangenehmste Weise gestört und unmöglich gemacht. Sie haben ja zuweilen einen jungen Menschen in meiner Gesellschaft gesehen, der uns oft genug lästig fiel. Dieses Original, schon einfältig, 174 stumpf und zugleich leidenschaftlich von Natur, durch eine verwahrlosete Erziehung aber völlig zum Thoren gemacht, ist mir von seinem Vater, einem reichen Grafen in Schwaben, in der Hoffnung anvertraut worden, daß eine Reise unter meiner Aufsicht ihn vielleicht bessern und von seinem verwirrten Zustande befreien könnte. Ich nahm damals diesen mißlichen Auftrag sehr ungern über mich, und würde mich gar nicht darauf eingelassen haben, hätte ich die unzähligen Verdrießlichkeiten vorher sehen können, die mit demselben verknüpft sind. Das hätte ich aber niemals vermuthet, daß dieses drückende Verhältniß mich von Ihnen trennen und meine Freiheit völlig aufheben würde.

Aber wie ist dies möglich geworden? fragte der Rath.

Sie sollen es gleich hören, war die Antwort. Nachdem dieser junge Mensch schon tausend Händel angezettelt, die ich wieder habe schlichten müssen, oft durch Geld, zuweilen mit guten Worten, immer aber auf Unkosten meiner Zeit und guten Laune, hat er es seit gestern Abend für gut gefunden, sich unsichtbar zu machen. Ich habe schon zu allen Bekannten geschickt, auf der Post Erkundigung eingezogen, in allen Wirthshäusern nachgefragt; aber man will nirgend von ihm wissen. Es würde mir keine große Sorge machen, wenn er nicht Mittel gefunden hätte, Schrank und Schatulle zu öffnen, und hundert Goldstücke, so wie bedeutende Wechsel mitzunehmen; dies überzeugt mich, daß er gesonnen ist, seine Bekanntschaft mit mir nicht zu erneuern, so lange diese Summen vorhalten. Ich darf den Thörichten nicht seinem Schicksal überlassen, sondern muß ihn wieder zu finden suchen; dies ändert mein Reiseproject. Ungern nur würde ich ihn in öffentlichen Blättern auffordern und kenntlich machen.

Und Sie glauben nicht, fragte der Freund, daß er mit diesem Gelde in seine Heimath zurückgekehrt sei?

175 Auf keinen Fall, erwiederte der Arzt; es liegt ihm zu viel daran, frei und ungehindert in der Welt umher zu schwärmen. Seine Leidenschaft ist, allenthalben Händel anzufangen und in gemeinen Trinkstuben Zank zu erregen; er freut sich dann, einige Stunden auf der Wache zu sitzen, um nachher als Graf Birken ausgelöst zu werden. Am schlimmsten aber ist es, daß er mit Kammermädchen und Aufwärterinnen Liebeshändel anspinnt und ihnen die Ehe verspricht; und ich muß am meisten fürchten, ihn auf diese Weise verheirathet wieder zu finden.

Und was denken Sie nun zu thun?

Ich muß ihn aufsuchen, und wenn ich ihn in einigen Wochen nicht wieder antreffen sollte, die ganze Sache seinem Vater melden.

Ein Diener trat eilig herein, gab dem Rathe einen Brief und entfernte sich wieder. Walther las und wurde nachdenkend. Verweilen Sie noch zwei Tage hier, sagte er endlich, und ich reise vielleicht mit Ihnen. Ich suche ebenfalls einen Verlornen, der mir und seinen Freunden schon seit Jahr und Tag aus dem Gesichte gekommen ist, einen jungen Mann, der Ihrem Entflohenen freilich auch nicht auf das Entfernteste gleicht. Ich glaube jetzt auf seiner Spur zu seyn, und wenn Sie unterdessen den Entsprungenen nicht wieder kommen sehen, oder keine bestimmte Nachricht über seinen Aufenthalt empfangen, so könnten wir die Reise, die wir uns vorgesetzt hatten, immer noch in Gesellschaft unternehmen.

Der Arzt war derselben Meinung, und man versprach sich, am andern Tage eine nähere Abrede zu treffen.



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