Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Vor der Stadt lustwandelten die beiden Freunde Walther und Anselm. Sie billigen es also, sprach der Letztere, daß ich dem alten Grafen Birken Alles, was seinen wilden Sohn betrifft, geschrieben habe, und daß er nun, wenn es ihm wichtig genug dünkt, selber kommen und ihn aufsuchen mag; denn ich kann meine Zeit nicht länger mit diesen Nachforschungen verlieren. Sie wissen, daß mit jedem Posttag die vortheilhafteste Anstellung ankommen kann, die ich nicht zurück weisen darf.

Ich bin in allen Dingen Ihrer Meinung, erwiederte Walther, nur darin nicht, daß Sie nicht zum Hause des Predigers Kilian zurück kehren wollen, wo, wie ich immer 244 noch glaube, wir Alle antreffen würden. Was nützt mir nun die Vollmacht, die ich bei mir trage, wenn wir den guten Pankraz niemals wieder zu Gesichte bekommen?

Ein Auflauf störte die Unterredung, denn ein Rudel von Jugend war hinter der seltsamsten Erscheinung her, die ihnen zu entlaufen suchte. Eine lange Gestalt in rothem Tressenrocke, kleinem goldbesetzten Hut und großem Haarbeutel, einen feinen Degen mit Porzellan-Griff an der Seite, in aufgewickelten seidenen Strümpfen und Corduan-Schuhen mit rothen Absätzen, stolperte ihnen unbehülflich entgegen, und bat mit kläglicher Stimme um Hülfe gegen die ausgelassene Jugend. Sie halfen dem alten Manne in ihren Gasthof, vor dem sie eben standen, und als sie im Zimmer dem Geschrei und Lärmen des nachfolgenden Haufens entgangen waren, erkannten die Freunde zu ihrem Erstaunen an dem hochauffrisirten und gepuderten Kopf das Gesicht des verdächtigen Pankraz. Wie bin ich Ihnen verbunden, meine werthen Herren, sagte er, den Rath von der Seite betrachtend, daß Sie mich gerettet haben!

Der Arzt, welcher fürchten mochte, daß bei der Milde seines Freundes vielleicht die Sache nicht die rechte Wendung nehmen könnte, bemächtigte sich gleich des Gespräches, indem er mit barschem Tone sagte: wir kennen Euch recht gut, alter Narr Pankraz; wie seid Ihr in diesen Habit gekommen, und was hat die Posse zu bedeuten?

Ach, mein Herr, sagte der Diener, wir sind schon einige Zeit von unserm Prediger entfernt –

Das wissen wir, unterbrach ihn der Arzt, und auch den saubern Grund, weil der gute Pankraz uns nicht gern dort treffen wollte. Doch das wird sich Alles finden!

Nun kann ich meinen Herrn, fuhr der Diener fort, nachdem er den Arzt ein Weilchen mißtrauisch angesehn hatte, so ziemlich regieren; er folgt mir in wichtigen Sachen immer, wenn er auch murrt, und hat mehr Respect und Furcht vor mir, als vor dem Herrn Prediger selbst; aber an einem einzigen Tage im Jahr ist er durchaus nicht zu bezwingen; an seinem Geburtstage nämlich; da muß ich ihm in allen Dingen seinen Willen thun, wenn ich ihn nicht wüthig machen soll. Heut ist der Unglückstag, und da faßte er schon vorige Woche den Gedanken, ich müßte heut als Herr angeputzt seyn, und er wollte meinen Bedienten vorstellen. Ich bat und flehte; aber umsonst. Ich wollte wenigstens den Spaß auf dem Lande treiben; half nichts. Er staffirt mich also aus, und lehnt das Zeug dazu von Juden und Christen zusammen; er selber tritt in einer engen hechtblauen Livree hinter mir her, und da sich die Jungen versammeln, fängt der böse Mensch zuerst an, mich auszulachen, und schreit hinter mir drein, ich sei der ewige Jude. So bin ich durch die halbe Stadt verfolgt worden, und hoffe nun durch Sie den Habit los zu werden, und sicher nach unserm Wirthshause zu kommen.

Das wird alles nicht nöthig seyn, sagte der Arzt kaltblütig, der gute Pankraz wird wohl anderswo ein Unterkommen finden. Seht, der Herr Rath Walther hat sich zu Eurem Besten vom Gerichtspräsidenten hier in der Stadt, der sein naher Verwandter ist, diese Vollmacht geben lassen, Euch zu greifen, wo Ihr Euch betreffen ließet, und den Gerichten zu überliefern; wo Euch dann das Zuchthaus wenigstens gewiß ist, wenn Euch nicht, wie ich glaube, Kette und Karren auf dem Festungsbau erwartet.

Mein Himmel, sagte der Alte zitternd, indem er einen schnellen Blick in das große Blatt warf, wodurch denn – dieser Verdacht – ach! Herr Rath – ich weiß nicht –

Freilich, fuhr der Arzt kalt und bestimmt fort, könnt 246 Ihr Eurem Schicksal selbst eine bessere Wendung geben, wenn Ihr in unsrer und einiger Zeugen Gegenwart ganz aufrichtig seid.

Ich weiß ja nicht, winselte Pankraz, was ich gestehen soll.

Die Sache ist übrigens schon klar, sagte der Arzt, und kann auch ohne Euch ausgemittelt werden; nur bewegt uns das Mitleid mit Eurem Alter dazu, Euch das harte Schicksal zu ersparen, das Euch nothwendig treffen muß. Vertraut Ihr Euch uns gutwillig an, so haben wir den alten Baron Eberhard so in der Hand, daß er künftig für Euch sorgen muß, und noch besser, als er bisher gethan hat. Wir wollen als Eure Freunde für Euch handeln, wenn Ihr aufrichtig seid, und Euch als Feinde verfolgen, wenn Ihr läugnet.

Lieber Himmel, stotterte der Alte, wenn ich doch nur gleich recht viel wüßte, um Ihnen durch meine Bereitwilligkeit meinen Diensteifer und meine Liebe zu beweisen.

Wir verlangen nur Weniges von Euch, sprach Anselm.

Ach! das ist ja recht Schade, seufzte Pankraz; wollte der Himmel, ich hätte Ihnen recht Vieles zu erzählen!

Daß Ihr sonst den jungen Raimund bedientet, fuhr der Arzt fort, daß Ihr einen Spion bei ihm abgabt, daß Ihr es nicht ehrlich mit ihm meintet, sondern Alles dem alten Herrn Baron zutrugt, wissen wir schon längst. Es ist uns auch bekannt, daß sich der alte Herr Baron über die Schwächlichkeit seines Neffen freute, weil er ihn zu beerben hoffte; daß ihm deshalb die Verbindung mit Fräulein Blanka sehr zuwider war, die er auch nur unter den einfältigsten Vorwänden zu hindern suchte; daß er darum ihre tödtliche Krankheit so gern sah, und Euch alten Spitzbuben mit der Nachricht ihres Todes zu dem zerstörten jungen Manne schickte, als ob Ihr Euch einen rührenden und dummen Spaß mit ihm machtet. Als dieser Todesschlag die Sinne des 247 Unglücklichen verwirrte, jagte der alte Unmensch Euch zum Scheine aus dem Dienst, wie es schon vorher unter Euch abgekartet war, und hat Euch seitdem eine gute Versorgung gegeben, und für die Zukunft eine noch bessere versprochen. Nicht wahr, so hat sich Alles begeben? Jetzt sagt nur noch, wo habt Ihr den armen Jüngling hingeschafft? Gesteht es lieber uns, als dort vor Gericht, wo keine Gnade mehr für Euch zu hoffen ist; auch thut Ihr so Eurem alten Beschützer den besten Dienst, der nur auf diesem Wege einem schimpflichen Prozesse entgeht.

Ach! meine Herren, heulte Pankraz, meinen Sie es denn auch ehrlich mit mir? Wenn ich mich doch nur Ihrem edlen Herzen so recht gutmüthig vertrauen könnte! Wenn Sie es doch einzurichten wüßten, daß ich nichts mehr mit dem Herrn Theophil zu thun hätte, sondern das, was ich von dem Baron fordern kann, in ungestörter Ruhe genösse.

Das soll geschehen, sagte der Arzt. Nur schnell! wo ist Raimund?

Sehn Sie, fuhr der Diener fort, wie soll ein armer bedrängter Domestik ehrlich bleiben, wenn es die vornehmen Herrschaften bei allem ihrem Ueberflusse nicht einmal sind? Der alte Herr glaubte immer, er würde das Vermögen besser brauchen können, als sein junger Neffe, der niemals so ganz seinen Verstand hatte; darum dachte er auch, das feine Wesen sollte mit Tode abgehn, weil die Leute immer sagen, solche Kinder und junge Leute wären zu gut für diese Welt. Wie er nun doch schon confus war, so meinte der Baron, der Tod des Fräulein Blanka, die auch besser für den Himmel paßte, würde den jungen Herrn auch dahin verhelfen; darum sollte ich ihn erschrecken, daß er nur recht schnell und ohne lange Leiden hinüber führe; und das alles wußte mir der Herr Baron ganz christlich vorzuschwatzen. 248 Aber der junge Mensch hatte doch noch mehr Courage und Kraft, als wir ihm zugetraut hatten; er wurde freilich ein bissel lamentabel, und sein Verstand verfiel noch mehr, aber er blieb frisch weg am Leben. Da gab ihm der alte Herr einen andern Namen, schrieb Certificate, eine ganze lange Geschichte, die ich mir auch merken mußte; und das arme kranke Lamm ließ sich auch Alles gefallen; ob er so hieß, oder so, war ihm ganz gleich. Er wurde mir heimlich übergeben, und ich brachte ihn ganz in der Stille auf das Haus da drüben über den Fluß, wo sie ihn gut verpflegen, und er sich, seit Fräulein Blanka für ihn todt ist, um nichts mehr kümmert. Ich bezahle vierteljährig seine Pension, die ich von einem Banquier erhebe, und so ist Alles in Ordnung.

Was ist das für ein Haus? fragte Walther.

Das berühmte Narrenhaus da drüben, antwortete Pankraz.

Entsetzlich! rief der Rath; Du wirst uns nun Deine Papiere ausliefern, Dein Geständniß noch einmal wiederholen, und es unterschreiben, und so lange, bis Alles entschieden ist, im leichten Arrest bleiben. Doch noch eins: wer ist denn dieser Theophil?

Der, sagte Pankraz, ist ein natürlicher Sohn unsers alten frommen Barons. Er schämt sich seiner, weil er ein Narr ist, und hat ihn bisher bald da, bald dort untergebracht.

Man hörte den Theophil draußen lärmen. Er trat als Bedienter gekleidet in das Zimmer. Ich will meinen Pankraz haben, rief er aus.

Ach, jammerte der Diener, ich bin zum armen Sünder geworden, und gegenwärtig im Arrest.

O das ist herrlich! jubelte Theophil; schöner konnte ich meinen Geburtstag gar nicht feiern, als dadurch, daß sie den 249 alten Kater zum armen Sünder gemacht haben! Das muß ich gleich draußen dem Herrn Kilian und Görge erzählen. Das wird ein Jubel im ganzen Lande seyn. Pankraz im Arrest! der weise Salomon, der schnurrende, altfränkische Solon mit seiner Cato-Physiognomie und dem herrlichen Haarbeutel im Nacken ein armer Sünder! – Er stürmte fort und hörte nicht auf die Einreden der beiden Freunde, oder die kläglichen Bitten seines alten Dieners.



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