Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[Vorworte]

Vorwort zur ersten Auflage

Dieses Buch ist die Frucht eines längeren Aufenthaltes in Italien. So zahllos, so verschiedenartig die Eindrücke waren, welche Natur und Kunst auf den Wandernden hervorbrachten, nirgends hat er in seinem Innersten sich tiefer ergriffen gefühlt als in Assisi, der Heimat jenes großen Mannes, in dem wie in keinem anderen der tiefste, geheimnisvollste Geist des Christentums sich seiner selbst bewußt geworden und leuchtend in die Erscheinung getreten ist. In des Franziskus stiller Grabeskirche glaubte ich die Bedeutung, die dieser Mensch und sein grenzenloses Gefühl für die Menschheit und ihr ideales Streben gewonnen hat, zu ahnen, ja lebendig in mir selbst zu empfinden. Die halbbekannten schlichten Legenden, die ich hier wieder las, die alten Fresken ringsum an den Wänden, vor denen ich Stunden, Tage verbrachte, erschienen mir in einem neuen Lichte – ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen Franz von Assisi und Giotto, zwischen dem Wesen und Inhalt des Franziskanertums einerseits und der jugendlichen toskanischen Kunst andrerseits ward mir klar!

Als ich zum zweiten, zum dritten Male nach Assisi zurückkehrte, geschah es mit einem intimeren Verständnis, vielseitigerer Kenntnis jenes Jahrhunderts, dem Franz angehörte. Es begleitete mich die Erinnerung an Jacopones Lieder, an Bonaventuras mystische Schriften, an des Berthold von Regensburg Predigten; die Erinnerung auch an alle die großen dem Heiligen geweihten Kirchen Italiens, an eine unübersehbare Menge von Kunstwerken, die ihn und seine Legende darstellen, an die christliche Kunst des Trecento überhaupt. Die mannigfachen Beziehungen zwischen der italienischen Kultur des 13. und 14. Jahrhunderts und dem Wirken und den Anschauungen des Franziskus ergaben sich in großem Zusammenhange.

Dann für länger in die Heimat zurückgekehrt, ging ich an die Arbeit, den überreichen Stoff zu sichten und zu ordnen, zugleich mir eine möglichst eingehende Kenntnis der älteren italienischen Literatur, namentlich derjenigen der Franziskaner, ferner aber auch der neueren kritischen Forschungen auf diesem Gebiete zu erwerben. Daß dieselbe nicht ohne große Lücken bleiben konnte, werden alle diejenigen, welche den Umfang und die Schwierigkeit eines solchen Studiums selbst kennengelernt haben, zu verzeihen wissen. Nur allzuwohl bin ich mir bewußt, für wie manche Versäumnis mich die Forscher auf dem Gebiete der Kirchen- und Literaturgeschichte zur Rechenschaft ziehen dürften – bewußt aber zugleich, nach möglichster Vollständigkeit wenigstens gestrebt zu haben. Während dieser Studien selbst verdanke ich die erfreuendste Aufmunterung und die kräftigende Überzeugung, mit vielen meiner Anschauungen nicht allein zu stehen, sondern unabhängig von anderen Historikern den ihren doch vielfach ähnliche Gesichtspunkte gefunden zu haben, vor allem Hermann Hettners kurzem, aber inhaltreichem Aufsatz: »Die Franziskaner in der Kunstgeschichte« (Kleine Schriften, Braunschweig, Vieweg 1884, früher in Nord und Süd, Bd. XIX, 1881 veröffentlicht), den kurz charakterisierenden Bemerkungen Anton Springers (in den Kunsthistorischen Briefen, Prag 1857 und im Textbuch zu Seemanns Kunsthistorischen Bilderbogen), Ernest Renans Aufsatz über Franz von Assisi (Nouvelles Études d'histoire religieuse, Paris, Lévy 1884) und den von Cristofani wiedergegebenen feinsinnigen Betrachtungen einer in Rom heimischen Dame (Il settimo centenario della nascita di S. Francesco d'Assisi. Assisi, Sensi 1881, IV. Bd., S. 1ff.). Daneben wäre wohl dieses oder jenes Kapitel in mancher von katholischem Standpunkte geschriebenen Biographie des Heiligen, auch in dem zuletzt erschienenen Prachtwerk »Saint Francois d'Assisi« (Paris, Plon 1885), das aber von besonderem Interesse nur durch die große Fülle von Reproduktionen aller auf Franz bezüglichen Kunstwerke ist, anzuführen, unterschiede sich nicht meine geschichtliche Betrachtung des Mannes, der Zeit und der Kunst durchaus von derjenigen solcher zum Teil mit hohem Schwünge und warmer Begeisterung geschriebener, aber mehr oder weniger mystischer Verherrlichungen. Gerade was das Geschichtliche, die historische Kritik betrifft, durfte ich auf dem durch Hase gewonnenen sicheren Boden weiterbauen und, von jedem konfessionellen Standpunkte absehend, zu einer, wie ich hoffe, wohl begründeten, gerechteren Würdigung des großen »Menschen« Franz gelangen.

Dem Charakter des Buches schien es mir angemessen, wenn ich es mit möglichst einfachen, aber instruktiven und die alten Originale getreu wiedergebenden Abbildungen versah. Nicht um eine kostspielige Publikation der Kunstwerke konnte es sich handeln, sondern eben um den Text erläuternde Illustrationen, und zwar solche, die genügten, dem Leser eine Anschauung der Kompositionen, auf die es im wesentlichen ankommt, zu geben. Das Material zu eingehenden stilkritischen Vergleichen kann nur eine mit allen Mitteln moderner Technik hergestellte große Publikation der wichtigen Fresken zu Assisi gewähren – möchte dieselbe nicht zu lange mehr auf sich warten lassen!

Berlin, im Oktober 1885
Henry Thode

Vorwort zur zweiten Auflage

Neunzehn Jahre sind verflossen, seitdem dieses Buch erschien. Länge unbeachtet, ja totgeschwiegen, hat es allmählich und mühsam seinen Weg machen müssen, bis es zur allgemeineren Kenntnis gelangt ist. Inzwischen erlebte die 1894 von Paul Sabatier veröffentlichte »Vie de St. Francois« mehr als dreißig Auflagen. Wer sie liest, erfährt nichts davon, daß ihr ein deutsches Werk, dieses mein Werk, vorangegangen, in dem die von Sabatier geltend gemachte neue Auffassung des Mannes von Assisi bereits gegeben, nämlich der Versuch gemacht worden war, Dessen Bild, von allen konfessionellen Trübungen befreit, nach seiner rein menschlichen Herrlichkeit in schlichten Zügen zu zeichnen und den großen Wohltäter der Menschheit in seiner geschichtlichen Stellung und Bedeutung für die Welt zu würdigen. Konnte ich, bei aller Berücksichtigung des Unterschiedes im Charakter der beiden Bücher, nicht umhin, mich über die Ungleichartigkeit ihres Schicksals zu verwundern, so beeinträchtigte dies doch in keiner Weise meine Freude, an der begeisterten Aufnahme der durch ihre lebhafte und ausschmückende Darstellungsweise fesselnden französischen Biographie, auch seitens meiner Landsleute, zu gewahren, in wie hohem Grade die verständnisvolle Teilnahme für Franz von Assisi gewachsen ist. Meine hiermit neu auftretende Arbeit darf ihrer gewiß sein.

Trotzdem eine ungemein umfangreiche, ja kaum mehr zu beherrschende Literatur während der letzten zwei Jahrzehnte insonderheit über die Quellen zur Geschichte des Franziskus entstanden ist, habe ich an meiner Darstellung von dessen Wesen und Leben nichts zu ändern, außer in Kleinigkeiten, über welche Karl Müllers verdienstvolle 1885 erschienene Forschungen: »Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften« belehrten. So manche interessante einzelne Bestimmungen über die frühesten und späteren Biographien durch sorgfältige Untersuchungen und Prüfung des Handschriftenmaterials, um welche sich Sabatier sehr verdient gemacht hat, gewonnen werden konnten, so hat sich – dies muß mit aller Bestimmtheit ausgesprochen werden – Neues für die Kenntnis des Heiligen so gut wie gar nicht ergehen. Die zahllose Meinungen und Hypothesen hervorrufende Behauptung Sabatiers, das von ihm scharfsinnig rekonstruierte und nachgewiesene Speculum perfectionis sei eine älteste wichtigste Quelle, welche an Bedeutung Thomas von Celano übertreffe, ist irrig, und irrig war die von den Franziskanern Marcellino da Civezza und Teofilo Domenichelli gemeinsam mit Sabatier behauptete Entdeckung einer »vollständigen« Legende der Tres Socii. Hier liegen merkwürdige und lehrreichste Zeugnisse dafür vor, wohin bestimmte Voraussetzungen und Hyperkritik führen und welche Vergeudung von Zeit und Geist sie veranlassen können. Nach allen bis zur Erschöpfung geführten Verhandlungen bleibt es nach meinen im Anhang gegebenen Darlegungen einfach dabei, daß des Thomas von Celano zwei Viten die fast Alles in sich schließenden entscheidenden Quellen unserer Kenntnis von Franz sind, und eben ihnen entnahm ich das Tatsächliche und die Auffassung für meine Darstellung. Wenn ich die Legenda trium sociorum, die ich als abhängig von Thomas schon früher erkannt, jetzt mit Anderen für eine spätere als Fälschung entstandene Kompilation halte, so ändert das insofern nichts, als ich sie nur nebensächlich angeführt habe.

Eine Darlegung und Kritik der gesamten neueren Quellenforschung, an welcher sich neben Sabatier vornehmlich die beiden genannten Franziskaner, Mandonnet, P. d'Alençon, P. d'Araules, van Ortroy, Faloci-Pulignani, P. L. Lemmens, Tocco, Della Giovanna, Salvatore Minocchi, P. Ehrle, Walter Goetz, Tilemann und H. Boehmer beteiligten, bringe ich mit den entsprechenden Zitaten ihrer Arbeiten im zweiten Abschnitt des Anhanges.

Als dauernden wertvollen Besitz der Literatur begrüßen wir – um nur die wichtigsten anzugeben – eine Anzahl von Quellenpublikationen: die seit 1898 von Sabatier in Paris veranstalteten Ausgaben des Speculum perfectionis, des Floretum S. Francisci, der Actus B. Francisci et sociorum ejus und des Fratris Francisci Bartholi de Assisio tractatus de indulgentia S. Mariae de Portioncula, die Ausgaben der Legenda trium sociorum seitens Michael Faloci-Pulignanis (Foligno 1898), der Legende des Julian von Speyer seitens d'Araules' (La vie de St. Antoine de Padoue, Paris 1899), des »Traktates von den Wundern« von Thomas von Celano seitens van Ortroys, des Bernardo da Bessa »de laudibus« durch den P. Ilarino von Luzern (Rom 1897), der Chorlegende des Johannes durch d'Alençon (Spicilegium franciscanum 1899), der Cronica tribulationum des Angelo Clareno durch P. Ehrle (Archiv für Litt. und Kirchengeschichte 1885, II. Band) und durch Tocco (Archivio storico italiano 1885), der Scripta fratris Leonis, des Speculum perfectionis (I. redactio) und der Extractiones de legenda antiqua durch P. Lemmens (Documenta antiqua Francescana, Quarachi, seit 1901) und der Opuscula S. Francisci durch das Collegium Bonaventurae (Quarachi 1904).

In diesen Veröffentlichungen, die in mehrfachen schon verheißenen anderen Nachfolge finden werden, zeitigt die seit zwei Jahrzehnten eingetretene intensive Beschäftigung mit dem Heiligen sehr willkommene Früchte. – Von sonstigen umfänglichen Publikationen seien die Miscellanea Francescana (Foligno, seit 1886) und die Analecta Francescana (Quarachi seit 1886) erwähnt. Soviel über die Franz von Assisi selbst betreffende Literatur.

Der kunstgeschichtliche Teil dieses Buches hat manche Verbesserungen und Erweiterungen erfahren. Die neuere Literatur wurde beachtet und benutzt, soweit dies der Rahmen der Arbeit erlaubte und meine Ansichten, was freilich in allen Hauptsachen nicht der Fall, Änderungen erfahren haben. Für die nähere Begründung eigener neuer Meinungen darf ich auf andere Arbeiten von mir, namentlich auf meine Monographie über Giotto (1899) und auf meine Studien zur Geschichte der italienischen Kunst im 13. und 14. Jahrhundert (im Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. XI, XIII und XVIII) verweisen. Nicht in dem Maße, wie ich es gewünscht, konnte ich den Abschnitt über die Architektur durcharbeiten. Es fehlte mir die Zeit, insonderheit Enlarts Behauptungen (Origines françaises de l'Architecture gothique en Italic Toulouse 1893) im einzelnen nachzugehen. Doch durfte ich mich damit trösten, daß meine grundsätzlichen Aufstellungen durch Enlarts viel weitergehende Studien zumeist eine Bestätigung gefunden haben, und der Gesichtspunkt, von dem aus ich die Momente betrachtet und geordnet, in einem Buche wie diesem sein volles Recht behält.

Die wertvolle Ergänzung, die es durch das Werk von C. de Mandach: St. Antoine de Padoue et Part italien (Paris 1899) erhielt, begrüßte ich mit besonderer Dankbarkeit.

Überhaupt und was das Ganze betrifft, hatte ich mich zu entscheiden, ob ich mein Buch in weitgehendem Sinne umarbeiten oder ihm seinen früheren Charakter, denjenigen einer zu mancher Kritik, aber vielleicht auch zu mancher Freude Anlaß gebenden jugendlichen Arbeit lassen sollte. Ich wählte das zweite und hoffe, daß das alte, zumal ihm von meinem wertgeschätzten Herrn Verleger ein stattlicheres Aussehen verliehen ward, mit nicht gealterter Freudigkeit im Geiste des Franz wirken wird. Denn auf das Wirken dieses Geistes kommt es an – wer immer ihn lauter verkündigt, dient den mehr als je wiederum in unserer Zeit bedrohten Idealen christlich-germanischer Kultur.

Heidelberg, im August 1904
Henry Thode

 

 

Die dritte Auflage

erschien 1926 und gab den ungeänderten Text der zweiten Auflage wieder. Dem Buch waren 58 Abbildungen in Autotypie, meist nach den Fresken zu Assisi, und 18 Grundrisse beigegeben.

Vorwort zu unserer Ausgabe

Diese vierte Auflage erscheint als ungekürzte Volksausgabe in fünfzehntausend Exemplaren. Im ersten Anhang sind die fremdsprachigen Nachweise weggelassen. Die übrigen Anhänge sind in dieser Ausgabe neu hinzugekommen: der vollständige Text der »Fioretti« in der Übersetzung des Freiherrn Otto von Taube; die Legende des heiligen Franziskus in Werken der frühen italienischen Renaissance; und zwei Schriften des Franziskus von Assisi, übertragen von Wolfram von den Steinen. Diese beiden Schriften sind mit Erlaubnis des Verlags Ferdinand Hirt in Breslau folgendem Werk entnommen: »Heilige und Helden des Mittelalters: Franziskus und Dominikus, Leben und Schriften«, Breslau 1926.

Der Bilderapparat wurde wesentlich vermehrt. Alle in der vorigen Auflage enthaltenen Abbildungen sind auch in dieser Ausgabe enthalten. Nur wurde überall darauf geachtet, daß unretuschierte und sehr detailreiche Photographien zur Wiedergabe gelangten; deshalb mußten viele Neuaufnahmen veranlaßt werden. Es sind aber außerdem etwa achtzig neue Abbildungen hinzugekommen.

In der sehr reichen Franziskus-Literatur hat Thodes Werk eine ganz besondere Stellung: nicht nur, daß es die erste erschöpfende Monographie ist, es ist auch immer noch die einzige geblieben, die weit über das Biographische hinaus diesen ganzen Kunst- und Kulturabschnitt mit wissenschaftlicher Gründlichkeit behandelt. Die neu hinzugekommenen wichtigen Anhänge runden das Werk in rein Stofflicher Beziehung ab.

Phaidon-Verlag


 << zurück weiter >>