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Zwölftes Kapitel
Ein großer Plan, und wer ihn vereitelt

Wurde je ein Spiel durch die Männlichkeit und Entschlossenheit weniger Menschen im Augenblick der Gefahr gewonnen, wurde je eines durch den Verrat und die Dummheit jener, die die Karten in Händen hielten und sie nur auszuspielen brauchten, wieder verdorben, so war es das Spiel, das sich während der nächsten drei Tage um die erste Krone der Welt drehte.

Das Verhalten des Lords Bolingbroke zeigte denen, die an unserem Plan beteiligt waren, unzweideutig, daß man ihm nicht trauen konnte. Sollte der Prinz die Überhand gewinnen, so war es Mylords gnädige Absicht, sich zu seinen Gunsten zu erklären; sollte die hannoversche Partei obsiegen, so war niemand geneigter als er, niederzuknien und zu rufen: »Gott erhalte König Georg.« Er verriet den einen Prinzen wie den anderen, aber jeden zur unrechten Zeit. Im Augenblick, wo er für König Jakob hätte handeln sollen, liebäugelte er mit den Whigs und kompromittierte sich durch die ungeheuerlichsten Versicherungen der Ergebenheit, die des Kurfürsten gerechten Spott erregten. Er zeigte durch seinen plötzlichen Übergang zu Saint-Germain, gerade als er sich besser davon ferngehalten hätte, wie begründet die Verachtung war, mit der die Hannoveraner ihm begegneten. Dieser Hof verachtete ihn ebensosehr wie die tüchtigen und entschlossenen Männer, die den kurfürstlichen Prinzen nach England brachten. Der König und der Prätendent, beide konnten Beweise für die Verrätereien St. Johns vorzeigen, die von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen waren.

Unsere Freunde verfolgten alle seine Bewegungen mit der größten Wachsamkeit, ebenso wie die der wackeren, tatkräftigen Whigpartei, die ihre Pläne ziemlich offenkundig betrieb. Sie wünschte den Hannoveraner im Lande zu haben und setzte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel in Bewegung, um dieses Ziel zu erreichen. Lord Marlborough war jetzt einer der ihren. Wir hörten, er werde von Antwerpen herüberkommen, und er betrat auch wirklich am Todestag der Königin zum ersten Male wieder den englischen Boden. Ein großer Teil der Armee fühlte immer für ihren berühmten Führer. Selbst die Tories waren entrüstet über die ungerechte Rücksichtslosigkeit, mit der man alle Offiziere, die der Whigpartei angehörten, verfolgte. Die Häupter der Partei waren alle in London versammelt, an ihrer Spitze einer der unerschrockensten Männer der Zeit, der schottische Herzog von Argyle. Seiner Tatkraft, Redlichkeit und Tapferkeit wurde der verdiente Erfolg. Zwei Tage nach dem Zeitpunkt, an dem meine Geschichte jetzt angelangt ist, brachte er das regierende Königshaus auf den englischen Thron.

Mittlerweile waren sich die Ratgeber der Stuart durchaus nicht einig über den Feldzugsplan, den Seine Königliche Hoheit verfolgen sollte. Sein weiblicher Minister bei Hofe, der eine Besserung im Befinden der Königin zu bemerken glaubte, war dafür, daß man je nachdem ein paar Tage oder Stunden warte, bis man ihn ans Bett der Königin führe und durch sie zum Erben erklären lasse. Herr Esmond wünschte, daß er sich sofort dorthin begebe, geleitet von einer Abteilung der berittenen Garde, und daß er sich öffentlich dem Rate vorstelle. Die Nacht vom 29. auf den 30. Juli verbrachte der Oberst in Beratungen mit Herren vom Militär, deren Namen wir hier nicht zu nennen brauchen. Es sei nur erwähnt, daß sie zum Teil einen hohen Rang in der Armee einnahmen und daß einer von ihnen General war. Als dieser hörte, daß der Herzog von Marlborough komme, schwang er mit frohem Kriegsgeschrei seine Krücke über dem Kopf und freute sich darauf, einen Gang mit ihm zu tun. Einer von den drei Staatssekretären, das wußten wir, war uns ergeben. Der Kommandant des Tower war auf unserer Seite; die zwei diensttuenden Kompanien in Kensington waren uns sicher, und über alles, was im Palast vorging, wurden wir rasch und zuverlässig unterrichtet.

Am Vormittag des 30. Juli kam die Botschaft an die Freunde des Prinzen, daß der Rat: Seine Gnaden von Ormond und Shrewsbury, der Erzbischof von Canterbury und die drei Staatssekretäre, zu einer Sitzung im Palast versammelt sei. Eine Stunde später brachte man die eilige Nachricht, daß die zwei großen Herzöge der Whigpartei, Argyle und Somerset, ungerufen in das Beratungszimmer eingedrungen waren und am Tisch Platz genommen hatten. Nach einer Debatte hatten sich alle Versammelten in das Zimmer der Königin begeben, die sehr schwach, aber noch bei Bewußtsein war. Man hatte ihr Seine Gnaden den Herzog von Shrewsbury als geeigneten Nachfolger von Harley empfohlen, und sie hatte ihm den Stab des Lordschatzmeisters übergeben. »Jetzt«, schrie unsere Freundin vom Hof, »ist der Augenblick gekommen. Jetzt oder nie!«

Sie hatte recht; der Augenblick war da. Trotz Argyle und Somerset hatte unsere Partei noch immer die Majorität im Rat. Esmond, dem das Billett überbracht worden war, weil die Dame am Hofe noch nicht wußte, daß der Prinz das Haus am Kensington-Square verlassen hatte, warf sich zugleich mit Frank, seinem tapferen, jungen Adjutanten, in Uniform, gürtete den Degen um und nahm eiligen Abschied von seiner lieben Herrin, die ihn und ihren lieben Sohn umarmte und segnete und sich dann in ihr Zimmer zurückzog, um für den Ausgang des großen Unternehmens zu beten.

Castlewood eilte nach der Wache, um den Hauptmann der Garde dort vom Nötigen zu unterrichten, und ging dann ins Wirtshaus zum »Wappen des Königs«, wo unsere Freunde versammelt waren. Sie hatten sich zu zweien oder dreien eingefunden, manche zu Pferde, manche zu Wagen, und waren, dreiundfünfzig an der Zahl, in einem oberen Zimmer beisammen. Ihre Diener, bewaffnet wie ihre Herren, wurden im Garten des Hauses mit Getränken bewirtet. Aus diesem Garten führte eine kleine Tür auf die Straße nach dem Palast, und durch sie sollten sich Herren und Diener in Bewegung setzen, sobald das verabredete Zeichen gegeben und die Persönlichkeit, auf die wir alle warteten, erschienen war. Bei unserer Schar waren zwei Generalleutnants, neun Generalmajore, sieben Obersten, elf Peers vom Parlament und einundzwanzig Mitglieder des Unterhauses. Die Garde vor und im Palast, die Königin, der Rat, ausgenommen die beiden Herzöge von der Whigpartei, waren mit uns. Der Tag war unser, und mit klopfendem Herzen eilte Esmond nach dem Hause des Geistlichen, wo er sich am Abend vorher von dem Prinzen getrennt hatte. Drei Nächte war der Oberst nicht ins Bett gekommen. Die erste hatte er in der »Krone« zu Hounslow durchwacht, um einen flüchtigen Anblick von Beatrix in der Frühe des Morgens nicht zu versäumen. Während der zweiten Nacht, nach der Auseinandersetzung mit dem Prinzen, hatte er im »Windhund«, gegenüber von Lady Castlewoods Haus, auf der Lauer gelegen, weil er fürchtete, Seine Königliche Hoheit möchte entwischen und der flüchtigen Schönen nacheilen. Die dritte Nacht war mit Beratungen dahingegangen und mit dem Zusammenrufen der Anhänger des Prinzen, die zum größten Teil von den schwebenden Ereignissen keine Ahnung hatten und unterrichtet werden mußten, daß der Prinz in Person zur Stelle sei und der entscheidende Schlag fallen müsse. Das Schicksal hatte ihm noch eine vierte schlaflose Nacht bestimmt, ehe sein Geschäft beendet war.

Im Hause des Geistlichen fragte er nach Herrn Bates, der Name, unter welchem der Prinz dort wohnte. Die Frau des Geistlichen sagte ihm, Herr Bates habe sich in der Frühe fortbegeben und habe hinterlassen, er gehe zum Bischof von Rochester nach Chelsea. Der Bischof aber sei selbst, vor zwei Stunden in Kensington gewesen, habe nach Herrn Bates gefragt und sei in seinem Wagen nach Chelsea zurückgekehrt, als er gehört habe, der Herr sei dorthin gegangen, um ihn aufzusuchen.

Diese Abwesenheit war höchst ungünstig; denn die Verzögerung einer Stunde konnte ein Königreich kosten. Esmond blieb nichts übrig, als nach dem »Wappen des Königs« zu stürzen und den versammelten Herren mitzuteilen, daß Herr Georg, wie der Prinz dort genannt wurde, nicht zu Hause sei, daß er ihn jedoch herbeiholen werde. Er bestieg den Wagen eines Generals, der gerade zur Stelle war, und fuhr über Land nach Chelsea zum Hause des Bischofs.

Der Pförtner teilte ihm mit, es seien zwei Herren bei Mylord. Esmond lief an dieser Schildwache vorbei und rüttelte an der verschlossenen Tür zu des Bischofs Studierstube. Er wurde alsbald eingelassen; die beiden Herren waren ein Kollege des Bischofs und der Abbé G...

»Wo ist Herr Georg?« fragte Esmond. »Die Zeit ist gekommen!« Atterbury erschrak. »Ich war in seiner Wohnung«, sagte er, »und mir wurde berichtet, er sei hierhergegangen. Ich fuhr zurück, so schnell es meine Pferde zuließen, und hörte, daß er nicht hier gewesen ist.«

Dem Oberst entfuhr ein Fluch; mehr Worte konnte er nicht machen. Er rannte die Treppe wieder hinunter und befahl dem Kutscher, der ein alter Freund und Kamerad aus den Feldzügen war, so schnell zu fahren, als ginge es bei Wynendael mit seinem Herrn über die Franzosen her. In einer halben Stunde waren sie wieder in Kensington.

Zum zweiten Male ging Esmond nach dem Hause des Geistlichen. Herr Bates war nicht zurückgekommen. Mit leeren Händen mußte er im »Wappen des Königs« erscheinen, wo die Herren mittlerweile sehr ungeduldig geworden wären.

Aus einem der Fenster des Wirtshauses kann man über die Gartenmauer auf den Rasenplatz vor dem Kensington-Palast, auf das große Eingangstor, vor dem die Kutschen der Minister warteten, und auf die Baracke der Palastgarde sehen. Als wir unter mißmutigen Gesprächen an diesem Fenster standen, hörten wir Trompeten blasen. Einige von uns stürzten nach dem Fenster des vorderen Zimmers, das nach der großen Straße von Kensington hinaussieht. Ein berittenes Regiment näherte sich.

»Das sind Ormonds Garden«, sagte jemand.

»Nein, bei Gott, das ist Argyles altes Regiment«, sagte mein General und stieß mit dem Krückstock auf den Boden.

Es war allerdings Argyles Regiment, das von Westminster kam und die Garde in Kensington ablöste, auf die wir uns verlassen konnten.

»O Harry!« sagte einer von den drei anwesenden Generalen, »du bist unter einem unglücklichen Stern geboren. Ich fange an zu fürchten, daß gar kein Herr Georg vorhanden ist. Es ist nicht der Sitz eines Peers, um den es mir leid ist; denn unser Name ist alt und vornehm genug, ich brauche mich nicht Lord Lydiard zu nennen; aber den Gang mit Marlborough, den du mir versprachst, den kann ich nicht verschmerzen.«

Als wir sprachen, trat Castlewood mit verstörter Miene ein.

»Was gibt es, Frank?« fragte der Oberst. »Kommt Herr Georg endlich?«

»Gott verfluch ihn, sieh hier!« antwortete Castlewood und hielt ihm ein Papier hin. »Wir fanden es in dem Buch – wie nennt ihr es? Eikum Basilikum? – in seinem Zimmer. Der Schurke Martin hat es dahin getan und sagt, seine junge Herrin habe es ihm befohlen. Es war an mich gerichtet, aber für ihn bestimmt. Ich erbrach das Siegel und las es.«

Die ganze Versammlung von Offizieren verschwamm vor Esmonds Augen, als er die wenigen Worte auf dem Papier überflog; es stand darauf geschrieben: »Man schickt Beatrix Esmond ins Gefängnis nach Castlewood, wo sie um glücklichere Tage beten wird.«

»Kannst du erraten, wo er steckt?« fragte Castlewood.

»Ja«, antwortete Esmond. Er wußte es genau; Frank wußte es genau. Ihr Gefühl sagte ihnen, wohin der Verräter entwichen war.

Der Oberst hatte den Mut, sich zu den Versammelten zu wenden und zu sagen: »Meine Herren, ich fürchte, Herr Georg wird heute nicht mehr erscheinen. Es ist etwas geschehen – und – und – es droht ihm ein Unfall, der ihn fern hält. Da Sie Ihren Frühstückstrunk gehabt haben, ist es wohl das beste, wenn Sie die Zeche bezahlen und nach Hause gehen. Wo der Spieler fehlt, muß das Spiel unterbleiben.«

Einige von den Herren entfernten sich, ohne ein Wort zu verlieren. Andere gingen nach dem Palast hinüber, um sich nach dem Befinden Ihrer Majestät zu erkundigen. Die kleine Armee verschwand in die Dunkelheit, aus der sie heraufbeschworen war. Kein Schriftstück war vorhanden, das irgend jemand belasten konnte. Ein paar Offiziere und Parlamentsmitglieder waren einer Aufforderung zum Frühstück im »Wappen des Königs« zu Kensington gefolgt, hatten ihre Rechnung bezahlt und waren nach Hause gegangen.


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