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Zwölftes Kapitel
Mylord Mohun kommt in unseren Kreis und bringt nichts Gutes

Bei der Reiterschar, die den Wagen dieser alten Prinzessin begleitete, waren auch zwei Herren, ihr Sohn, Mylord Firebrace, und sein Freund, Mylord Mohun. Sie wurden beide mit großer Herzlichkeit von dem gastfreien Grafen von Castlewood begrüßt. Mylord Firebrace war ein etwas schwachsinniger und kümmerlicher junger Edelmann, mit kleinem schmächtigem Körper und sehr begrenztem Auffassungsvermögen, wie es Esmond nach der Unterhaltung, die er mit ihm hatte, scheinen wollte. Der andere aber war ein hübscher Mensch, mit dem gewissen bel air und einem glänzenden kühnen und kriegerischen Auftreten, und nach der Chronik jener Tage hatte er dadurch schon manche Schönheit erobert. Er hatte in Flandern und Frankreich gekämpft, hatte unter dem Prinzen von Baden eine Reihe Feldzüge an der Donau mitgemacht und war Zeuge gewesen, wie Wien aus der Belagerung der Türken gerettet wurde. Er erzählte sehr angenehm und mit dem männlichen Freimut eines Soldaten von seinen kriegerischen Heldentaten und entzückte alle seine Hörer in Castlewood, die an so unterhaltende Gesellschaft wenig gewöhnt waren.

Mylord wollte nichts davon wissen, daß der erlauchte Besuch sein Haus schon vor dem Essen wieder verließ. Er nahm die Herren mit sich, um ihnen die Zeit zu vertreiben, und überließ es seiner Frau, die alte Marquise und ihre Tochter zu unterhalten. Er führte die Herren durch die Ställe, wo Lord Mohun die Pferde bewunderte, obwohl eigentlich nicht viel zu bewundern war. Sie durchwanderten das alte Haus und die Gärten, sie fochten im Gespräch die Belagerung zu Olivers Zeiten noch einmal durch und spielten Ball im alten Hof, wobei Mylord Castlewood Mylord Mohun besiegte, und dieser erklärte, er liebe das Ballspiel über alles und werde so bald wie möglich nach Castlewood zurückkommen, um Revanche zu nehmen. Nach dem Essen spielten sie Kegel und tranken Punsch in der grünen Allee, und als sie sich trennten, waren sie geschworene Freunde; Mylord Castlewood küßte Mylord Mohun, ehe er zu Pferde stieg, und erklärte ihn für den besten Gesellschafter, dem er seit langer Zeit begegnet sei.

Am nächsten Tag beim Frühstück wiederholte er diesen Ausspruch, und als Mylady sagte, sie traue ihm nicht recht, es sei etwas allzu Freies in seinen Reden und Blicken, da brach ihr Herr in Gelächter und Flüche aus und erklärte, sie sei eifersüchtig auf alles, was er gern habe, sei es nun Mann, Weib oder Tier. Mohun sei der feinste Kerl in England, er hoffe sehr, ihn oft zu sehen, solange er sich in der Nähe aufhalte, und werde ihm erzählen, was Mylady Zimperlich von ihm sage.

»Ich mochte ja seine Unterhaltung sehr gern«, sagte Lady Castlewood, »er weiß besser zu erzählen als die meisten Menschen, die ich kenne. Ich muß nur gestehen, daß ich ihn zu frei finde, weniger in seinen Worten, als in dem, was hinter seinen Worten liegt.«

»Pah! Euer Gnaden kennen die Welt nicht«, sagte ihr Gatte. »Sie sind immer so heikel gewesen wie ein Mädchen von fünfzehn Jahren.«

»Sie haben nichts an mir zu tadeln gefunden, als ich ein Mädchen von fünfzehn Jahren war.«

»Zum Kuckuck, Mylady, Sie sind jetzt zu alt für Kinderschürzen, und ich denke, es ist meine Sache, zu beurteilen, wen meine Frau empfangen kann!« sagte Mylord und schlug auf den Tisch.

»Das ist immer meine Ansicht gewesen, Francis«, antwortete Mylady, stand auf und verneigte sich. In dieser feierlichen Bewegung lag Gehorsam und Verachtung zugleich, und ein Beobachter, der so heißen Anteil an dem Glück der beiden nahm wie Harry Esmond, konnte daraus sehen, wie hoffnungslos sie voneinander getrennt waren, welch breiter Strom von Uneinigkeit und Zwiespalt zwischen ihnen floß.

»Zum Teufel! Mohun ist der feinste Kerl in England, und nun werde ich ihn erst recht einladen, um das Frauenzimmer zu ärgern. Hast du je eine so kalte Unverschämtheit gesehen, Harry? So behandelt sie mich«, platzte er wütend heraus und ballte die Fäuste. Die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht, als er fortfuhr: »Ich bin ein Nichts in meinem eigenen Haus. Der demütige Diener dieser Pfarrerstochter soll ich sein. Bei Gott! Würfe sie mir doch lieber eine Schüssel an den Kopf, anstatt mich so zu verhöhnen. Sie macht mich vor meinen Kindern Zum Spott mit ihrem verfluchten hochnäsigen Getue, und ich möchte schwören, daß sie Frank und Beaty erzählt, ihr Vater sei ein Verworfener, und sie sollten ihn verachten.«

»Wirklich und wahrhaftig, Herr, ich hörte sie nie anders als mit Achtung von Ihnen sprechen«, warf Harry Esmond ein.

»Zum Donnerwetter, nein! Ich wünschte, sie täte lieber den Mund auf. Aber sie tut es nicht. Sie verachtet mich und schweigt. Sie hält sich fern von mir, als wenn ich eine Pestilenz wäre. Bei Gott, einst war ihr diese Pestilenz nur zu lieb. Wenn ich ihr den Hof machen kam, wurde das Fräulein rot, bei Gott, rot vor Freude. Was glaubst du, daß sie früher einmal zu mir sagte, Harry? Ich neckte sie wegen ihrer strahlendroten Wangen. Da sagte sie: ›Es ist so wie im St.-James-Palast, ich ziehe meine rote Fahne auf, wenn mein König kommt.‹ Mit dem König meinte sie mich, siehst du, und wie ist es jetzt! Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn ich tot wäre. Ich bin ja tot für sie seit fünf Jahren – seit ihr damals alle die Pocken hattet. Sie hat es mir nie vergeben, daß ich fortging.«

»Es war schwer, zu vergeben, Mylord, aber ich glaube, meine Herrin hat es vergeben«, sagte Harry Esmond. »Denken Sie daran, wie eifrig sie nach Ihnen ausschaute, als Sie zurückkamen, und wie traurig sie sich abwendete, als sie Ihre kalten Blicke sah.«

»Gott verdamm mich!« schrie Mylord, »sollte ich sie pflegen und auch die Pocken bekommen? Was, zum Teufel, wäre dabei herausgekommen? Ich will jede Gefahr ertragen, nur keine unnütze Gefahr – nein und noch einmal nein. Du nickst mit dem Kopf. Ich weiß, was du sagen willst, Pfarrer Harry. Da war die – die andere Geschichte, die sie böse gemacht hat. Aber kann denn eine Frau ihrem Manne niemals vergeben, wenn er einmal ein bißchen vom Weg abgeht? Bin ich denn ein Heiliger?«

»Nein, Herr, gewiß nicht«, sagte Harry lächelnd.

»Seither ist meine Frau so kalt wie eine Statue in Charing Cross. Ich sage dir, Harry, es ist kein Fünkchen Vergebung in ihr. Ihre Kälte verdirbt mir mein ganzes Leben und treibt mich zum Punsch oder zum Hause hinaus. Meine Kinder gehören nicht mir, sondern ihr, wenn wir zusammen sind. Nur wenn sie außer Sicht ist mit ihren abscheulichen kalten Blicken, die mir durch und durch gehen, dann kommen die Kinder zu mir, und ich wage es, ihnen einen Kuß zu geben. Darum nehme ich sie mit mir und habe sie in anderer Leute Häusern lieb. Ich werde umgebracht durch die Tugend der stolzen Person. Tugend! Zeig mir die Tugend, die vergeben kann; zeig mir die Tugend, die nicht daran denkt, sich zu bewahren, sondern andere Leute glücklich zu machen! Gott verdamm mich, was kümmern mich ein paar Schrammen, wenn ich sie mir einem Freunde zuliebe geholt habe, dem ich aus dem Unglück helfen wollte!«

Mylord schlug mit der Faust auf den Tisch und tat einen großen Zug aus dem Becher. Harry Esmond verwunderte sich über seine Rede und dachte daran, wie dieser arme Prediger der Aufopferung vor den Pocken floh, die Mylady so heiter ertragen hatte, und durch die so viel Zwietracht im Hause entstanden war. Wie gut die Menschen predigen können, dachte der junge Mann, und jeder ist das gute Beispiel in seiner eigenen Predigt. Wenn zwei in Unfrieden leben, dann hat jeder seine Geschichte, seine wahre Geschichte, und jeder hat recht und unrecht, je nachdem man es ansieht. Es tat Harry weh, die Kämpfe und Qualen mit anzusehen, die seinem gütigen männlichen Freund und Beschützer die Brust zerrissen.

»Wahrhaftig, Herr«, sagte er, »ich wünschte zu Gott, meine Herrin hörte Sie so sprechen, dann würde sie viel erfahren, was ihr Leben glücklicher machen könnte.« Aber Mylord verfiel wieder in seine üblichen Flüche und Sticheleien. Pfarrer Harry sei ein guter Kerl, sagte er; aber die Frauen seien sich nun einmal alle gleich, sie seien alle herzlose Dirnen. So zerbricht ein Mann ein kostbares Gefäß und verachtet es, weil es zerbrochen ist. Es mag wertlos sein, das ist wahr. Aber wem war es anvertraut, wer ist daran schuld, daß es in Scherben ging?

Harry, der sein Leben hingegeben hätte, um damit seiner Wohltäterin und ihres Gatten Glück zu erkaufen, überlegte jetzt, da er sah, daß noch ein gut Teil der alten Liebe in Mylords Herzen lebendig war und nach Erwiderung lechzte, wie er eine Versöhnung zwischen den beiden Menschen herbeiführen könne, die er auf Erden am wärmsten verehrte. Er sann hin und her, wie er seiner Herrin klarmachen könne, daß wenigstens nach seiner, Harrys Meinung, ihr Gatte noch immer ihr Bewunderer, ja ihr Liebhaber sei.

Aber als er es endlich wagte, ihr Vorstellungen zu machen, da zeigte es sich, daß er sich eine sehr dornige Aufgabe gestellt hatte. Durch lange Vertraulichkeit und viele Beweise der Treue war er zu einer Art von Autorität im Hause gekommen und übte sie aus, wenn immer er dahin zurückkam. Er sprach im ernstesten Ton und aus der Fülle seines Herzens und versuchte seiner geliebten Herrin schonend klarzumachen, daß sie ihrem Gatten nicht gerecht werde und daß das Glück der ganzen Familie von einer Änderung ihrer Ansichten abhinge.

Sie, die Ruhige, Sanfte, die lächelnd zarte Aufmerksamkeiten zu erweisen pflegte, erhob sich glühend vor Zorn in ihrem Stuhl und sah Harry mit einem Hochmut und einer Entrüstung an, die er noch nie an ihr gekannt hatte. Sie war in diesem Augenblick ein ganz verändertes Wesen, eine wutentbrannte Fürstin, die ein Vasall beleidigt hat.

»Haben Sie mich je ein scharfes Wort über Mylord äußern hören?« fragte sie schnell und zischend und stampfte mit dem Fuß auf.

»Nein«, sagte Esmond und blickte zu Boden.

»Kommen Sie als ein Abgesandter – Sie?« fuhr sie fort.

»Ich habe keinen heißeren Wunsch, als Frieden zwischen Ihnen zu sehen«, antwortete Harry, »ich würde jeden Auftrag auf mich nehmen, der diesen Frieden herbeiführen könnte.«

»So sind Sie also Mylords Zwischenträger?« fuhr sie fort und achtete seiner Worte nicht. »Sie sind abgesandt, um mich in die Sklaverei zurückzulocken, um mir zu melden, daß Mylords Gunst wieder gnädig über seiner Magd leuchtet? Er ist der Damen von Covent Garden müde, nicht wahr? Er kehrt heim und möchte, daß man das gemästete Kalb schlachtet?«

»Dafür haben wir ein gutes Beispiel, gewiß«, sagte Esmond.

»Wenn es sich um einen Sohn handelt, ja; aber Mylord ist nicht mein Sohn. Er war es, der mich von sich stieß. Er war es, der unser Glück zerbrach, und er mutet mir zu, es wieder aufzurichten. Er war es, der sich mir endlich zeigte, so wie er war und wie ich ihn mir nicht erträumt hatte. Er ist es, der verdummt und berauscht vom Wein vor meinen Kindern erscheint, der unsere Gesellschaft verläßt, um sich mit den Stammgästen der Kneipen und Bordelle herumzutreiben, der aus seinem Heim in die Stadt hinuntergeht zu seinen Freunden, und wenn er ihrer müde ist, so kommt er heim und erwartet, daß ich ihn kniend willkommen heiße. Und Sie schickt er mir als seinen Gesandten! Welch stolzes Amt! Mein Herr, ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer neuen Stellung.«

»Es wäre ein stolzes Amt und ein glückliches Amt, wenn ich Sie mit Mylord versöhnen könnte«, entgegnete Esmond.

»Ich denke, Sie haben Ihre Mission jetzt erfüllt, Herr. Es war schön von Ihnen, sie auf sich zu nehmen. Ich weiß nicht, ob Ihre philosophischen Studien in Cambridge Ihre Denkweise so verändert haben«, fuhr sie noch immer in höhnischem Ton fort. »Vielleicht haben Sie auch gelernt, den Trunk zu lieben und über Wein und Punsch zu schlucksen. Welches ist Euer Gnaden Lieblingsgetränk? Vielleicht sind Sie auf Ihrem Weg durch London auch in der ›Rose‹ abgestiegen und haben Ihre Freundschaften in Covent Garden! Ich mache dem Fürsten und seinem Gesandten mein Kompliment, dem Herrn und dem – Lakaien.«

»Beim Himmel, Mylady!« rief Harry, »was habe ich getan, daß Sie mich zum zweiten Male so beleidigen? Wollen Sie erreichen, daß ich mich dessen schäme, worauf ich stolz gewesen bin: daß ich von Ihrer Güte lebe? Sie wissen, daß es meine größte Freude sein würde, mein Leben Ihrem Dienste zu weihen. Sie wissen auch, daß es nächstdem meine größte Freude ist, Güte von Ihnen zu empfangen. Was ist mein Vergehen, daß Sie mich so verwunden, grausame Frau?«

»Was Ihr Vergehen ist!« sagte sie und sah Esmond mit wilden Augen an. »Keines, Harry, keines, von dem du wissen könntest, fuhr sie nach einer Pause fort. »Warum brachtest du die Pocken aus dem Dorf herauf? Du konntest nichts dafür, nicht wahr? Wer von uns weiß, wohin das Schicksal uns führt? Aber wir waren vorher alle glücklich, Harry.« Harry blieb auch nach diesem Zwiegespräch bei der Überzeugung, daß der Riß zwischen seinem Herrn und seiner geliebten Herrin nicht unheilbar sei und daß jeder von ihnen im Grunde seines Herzens dem andern eine starke Zuneigung bewahrte.

Die Vertraulichkeit zwischen dem Grafen Mohun und Castlewood schien ständig zu wachsen, solange Mohun in der Nachbarschaft weilte, und besonders Graf Castlewood konnte die Gesellschaft seines neuen Kameraden schwer entbehren. Sie jagten und tranken zusammen, sie spielten Kegel und Tennis. Mylord ging manchmal für ganze drei Tage nach Sark, und wenn er zurückkam, brachte er Lord Mohun nach Castlewood mit. Dieser machte sich dort bei allen beliebt, hatte immer einen Scherz oder ein neues ausgelassenes Spiel für die Kinder bereit, für Mylord das neueste Stadtgespräch, für Mylady Musik, ritterliche Aufmerksamkeiten und schöne Worte und für den eifrig lauschenden Harry Esmond Erzählungen über seine Feldzüge, über Wien, Venedig, Paris und all die berühmten Städte Europas, die er in Krieg und Frieden bereist hatte. Er sang zu Myladys Spinett; er spielte Karten, Tricktrack und Billard mit Mylord und besiegte ihn unfehlbar. Er war von unerschütterlicher guter Laune und trug eine gewisse männliche Anmut zur Schau, die vielleicht etwas nach Feldlager und Schenke schmeckte, aber doch ihren Zauber hatte und ihn zum großen Herrn stempelte. Sein Verkehrston mit Lady Castlewood war so ehrerbietig und ergeben, daß sich ihre anfänglichen Gefühle der Abneigung rasch verloren. Ja, es dauerte nicht lange, so fing sie an, sich um sein Seelenheil zu sorgen, lieh ihm fromme Bücher, die er gründlich zu studieren versprach, und hoffte auf seine Bekehrung. Mylord Mohun sprach mit ihr von Besserung, von dem ruhigen Leben, das er fortan führen wolle, und erwog mit ihr, ob er Hof und Stadt verlassen und sich eine Besitzung in der Nachbarschaft kaufen solle. Wir können aber nicht leugnen, daß er eine sehr andere Sprache führte, wenn die beiden Grafen nach dem Essen über ihrem Burgunder saßen; dann war von Mylord Mohuns Besserung wenig die Rede. Wenn sie bei der zweiten Flasche ankamen, pflegte Harry Esmond die beiden edlen Säufer allein zu lassen. Aber sie nahmen auch in seiner Gegenwart kein Blatt vor den Mund, und Gott weiß, was er alles für Geschichten zu hören bekam, über Kneipen und Spielhöllen, über die Damen des Hofes, über die Damen vom Theater und was der göttlichen Dinge mehr waren. Trotz ihrer Unbefangenheit schien es ihnen doch nicht unangenehm zu sein, wenn Esmond sie verließ. Sie tranken dann eine dritte Flasche, nahmen die Karten zur Hand, und schließlich kam Mylord Mohun in Myladys Salon und ließ seinen freigebigen Wirt den Wein ausschlafen.

Es war eine Ehrensache unter den vornehmen Herren jener Tage, bei den Pferderennen und beim Karten- und Würfelspiel mit großartiger Gleichgültigkeit zu gewinnen und zu verlieren. Aus dem Betragen der beiden Grafen war nie zu entnehmen, wer der Sieger und wer der Besiegte im Spiel gewesen. Wenn Mylady Mylord eine Andeutung machte, er spiele mehr als ihr lieb sei, so fertigte er sie mit einem »Ach was!« ab und schwor, beim Spiel zwischen Herren stehe die Waage zuletzt immer gleich, man müsse es nur lange genug betreiben. Diese beiden betrieben es lange genug, das ist gewiß. Ein eleganter Mann jener Zeit verbrachte nicht selten ein Viertel des Tages beim Kartenspiel, ein anderes Viertel beim Becher. Ich habe manchen hübschen Jungen gekannt, witzig und schlagfertig, mit tausend anmutigen Gaben ausgestattet, der in Verlegenheit kam, wenn er mehr als seinen Namen schreiben sollte.

Ich glaube, es gibt kaum einen nachdenklichen Menschen, der beim Rückblick auf sein Leben sich nicht eines Augenblicks erinnert, welcher, so unbedeutend er damals erschien, dem Gang seines Schicksals eine völlig veränderte Richtung gegeben hat. Es ist mit fast allen von uns so wie in Massillons ausgezeichnetem Bild über König Wilhelm, ein Sandkorn kann uns vielleicht verderben und überwältigen, und so war es nur ein leicht in die Luft geworfenes Wort, die Grille eines launischen, verzogenen Kindes, die einen ganzen Berg zermalmenden Elends auf die Familie herabbrachte, der Harry Esmond angehörte.

Als Harry nach seinem lieben Castlewood kam in diesem dritten Jahr seiner Studien, worin er jetzt einige Auszeichnung erworben, weil sein lateinisches Poem auf den Tod des Herzogs von Glocester ihm eine Medaille gewonnen und ihn bei den Schöngeistern der Universität eingeführt hatte, da fand er seine kleine Freundin und Schülerin Beatrix jetzt höher gewachsen als ihre Mutter. Sie war ein schlankes, liebliches Mädchen mit frischen, rosigen Wangen, mit Augen wie funkelnde Sterne, mit welligem bronzebraunem Haar über der schönsten jungen Stirn und mit so ebenmäßiger Gestalt und stolzer Haltung wie das berühmte antike Bildwerk der Jägerin Diana – gleichzeitig stolz, flink und herrisch, mit Augen und Pfeilen, die treffen und töten. Harry beobachtete und bestaunte das junge Geschöpf und verglich sie im Geiste mit Artemis, wie sie mit schwirrendem Bogen und tödlichen Pfeilen Verderben über die Kinder der Niobe bringt. Zuzeiten konnte sie auch scheu und hingebend sein, wie Luna, die zärtlich über Endymion scheint. Dieses wundervolle Geschöpf, diese leuchtende Phöbe, war noch so jung, so weit noch vom vollen Erblühen und doch schon so strahlend schön. Unser junger Student, den Kopf voll poetischer Phantasien, das Herz voll unbestimmter Wünsche, bewunderte diese junge aufsteigende Gottheit wie einen besonders funkelnden Stern, der weit über seiner Erde schwebte. Seine Augen ruhten auf ihr mit nimmermüdem Staunen und Entzücken. Sie war von frühester Jugend an eine Kokette gewesen; sie hatte ihre Grillen und Eifersüchteleien, ihre launischen Scherze und schmeichelnden Zärtlichkeiten an jedem geübt, der ihr nahe kam. Im Kinderzimmer stiftete sie Unfrieden zwischen den Dienerinnen; am Reitknecht versuchte sie die Macht ihrer Augen, wenn sie hinter ihm auf dem Reitkissen saß.

Sie war der Liebling und der Quälgeist ihrer Eltern. Sie hatte Heimlichkeiten mit beiden. Sie teilte Zärtlichkeiten aus und versagte sie, machte Vater und Mutter gefügig mit Tränen, mit Lächeln, mit Küssen und Schmeicheleien. War die Mutter zornig, was häufig geschah, so floh sie zum Vater, und von ihm gedeckt, verfolgte sie ihr Opfer. Waren beide verstimmt, so tat sie schön mit der Dienerschaft oder lauerte auf den Augenblick, in dem sie der Eltern Gunst zurückgewinnen konnte. Sie brachte sie unvermutet zum Lachen oder besänftigte sie mit erheuchelter Demut und Unterwürfigkeit. Sie war saevo laeta negotio, wie die launische Gottheit, die Horaz beschreibt, über deren »boshafte Freude« einer unserer großen Dichter so schön geschrieben hat, der trotz seiner Heldengröße nicht stark genug war, sich der Quälerei der Frauen zu erwehren.

Es war erst drei Jahre her, seit das damals zehnjährige Kind es beinahe fertiggebracht hatte, Harry Esmond und seinen gutmütigen phlegmatischen Kameraden Thomas Tusher zu veruneinigen, der von selber nie daran dachte, mit irgendeiner Menschenseele Streit anzufangen. Sie erzählte Tom irgendeinen albernen kleinen Witz, den Harry einmal über ihn gemacht, und das trieb zwei alte Freunde beinahe zu Schlägen. Wäre es dazu gekommen, so bin ich überzeugt, daß sie an der Schlacht ihr Wohlgefallen gehabt hätte. Tom hielt sich seitdem fern von ihr, und sie bekam Respekt vor ihm und umschmeichelte ihn eifrig, wenn immer sie zusammenkamen. Harry war viel leichter zu besänftigen, weil er das Kind mehr liebte. Wenn sie Unfug trieb, bissige Reden führte oder ihren Freunden wehe tat, so entschuldigte sie sich, nicht daß sie ihren Fehler zugab und beklagte, sondern sie beteuerte ihre Unschuld so hartnäckig und scheinbar so arglos, daß es unmöglich war, ihre Ausreden anzuzweifeln. Solange sie ein Kind war, richtete sie nur kleines Unheil an; aber ihre Macht wurde verhängnisvoller, je älter sie wurde – wie ein Kätzchen zuerst mit einem Ball spielt und sich später auf den Vogel stürzt, um ihn zu töten. Man kann sich denken, daß Harry Esmond all diese Einsicht erst in spätem Tagen kam. Vieles, was er hier erzählt, wurde ihm erst nach Jahren klar. Damals und noch lange Zeit nachher schien ihm alles gut, was Beatrix tat, oder zum mindesten verzeihlich.

Harry Esmond kam damals zu seinen letzten Ferien nach Castlewood mit berechtigter Hoffnung auf eine Lehrerstellung in seinem College und dem festen Entschluß, sein Glück auf diese Art zu fördern. Es war im Jahre 1700 und Herr Esmond, soviel er wußte, zweiundzwanzig Jahre alt, als er seine ehemalige Schülerin zu der Schönheit erblüht fand, von der wir erzählt haben und die für die Zukunft noch größere Schönheit versprach. Ihr Bruder, Mylords Sohn, war ein hübscher, hochgesinnter, tapferer Junge, edel und offenherzig, freundlich gegen jedermann, nur vielleicht gegen seine Schwester nicht, mit der er auf Kriegsfuß stand, und das war ihre und nicht seine Schuld. Er betete seine Mutter an, er war ihre Freude und war immer auf ihrer Seite bei den unglückseligen, jetzt ständigen ehelichen Zwistigkeiten. Fräulein Beatrix natürlich war immer auf ihres Vaters Seite. Wenn die Häupter der Familie sich befehden, so werden die Untergebenen notwendig des einen oder des anderen Farbe tragen. In den Wirtschaftsräumen, in den Ställen, überall konnte Harry beobachten, wer Mylords und wer Myladys Anhänger war. Er konnte ziemlich genau verfolgen, wie über ihre unheilvolle Entzweiung hin und her geredet wurde. Unsere Diener sitzen über uns zu Gericht. Mylords Heimlichkeiten mögen noch so verstohlen betrieben werden, sein Kammerdiener weiß davon, und Myladys Zofe trägt die stillen Leiden ihrer Herrin unter die Klatschmäuler der Dienerschaft und tauscht sie gegen die Geheimnisse anderer Abigails ein.


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