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Achtes Kapitel
Auf Glück folgt Unglück

Seit Lady Mary Wortley Montagu die Gewohnheit des Impfens aus der Türkei nach England verpflanzte (viele halten es für eine gewagte Sache und für eine nutzlose Eile, der Gefahr in den Rachen zu stürzen), glaube ich, daß die Gewalt der schwarzen Pocken, dieser schrecklichen Geißel der Menschheit, in unsern Gegenden gebrochen ist. Ich erinnere mich aus meiner Zeit an Hunderte von jungen, schönen Geschöpfen, die diese Krankheit dahinraffte oder die nur zernarbt und schrecklich entstellt wieder von ihrem Lager aufstanden. Manch ein liebliches Gesicht verlor seine Blüte in dem Krankenbett, auf das die furchtbare und zerstörende Seuche es warf. Als ich jung war, geschah es oft, daß diese Pestilenz ein Dorf angriff und die Hälfte seiner Bewohner vertilgte. Man kann sich wohl vorstellen, daß bei ihrer Annäherung nicht nur die Schönsten, sondern auch die Stärksten von Angst befallen wurden, und daß jeder, dem es möglich war, die Flucht ergriff. An einem Tag des Jahres 1694 (ich habe allen Grund, dieses Tages zu gedenken) kam Doktor Tusher in großer Bestürzung aufs Schloß gerannt und erzählte, daß die Krankheit im Hause des Grobschmieds ausgebrochen sei und ein Knabe dort an den schwarzen Pocken darniederliege.

Der Grobschmied hatte neben seiner Schmiede und dem Hufbeschlag für Pferde auch eine Schenke für die Männer, die von seiner Frau versorgt wurde. Seine Gäste saßen auf Bänken vor der Tür, und während sie ihr Bier tranken, schauten sie der Arbeit des Schmieds zu. Nun war in der Schenke ein hübsches Mädchen, das des Grobschmieds Leute Nancy Sievewright nannten, ein frisches, fröhliches Ding, mit Wangen, so rot wie die Stockrosen über dem Gartenzaun hinter der Schenke. Damals war Harry Esmond sechzehn Jahre alt, und auf seinen Wanderungen traf es sich irgendwie, daß er oft auf die muntre Nancy Sievewright stieß. Wenn er nicht etwas in der Schmiede gemacht haben wollte, so trank er Bier in den »Drei Schlössern« oder fand einen andern Vorwand, das Mädchen zu sehen. Armes Ding! Harry hatte nichts Böses im Sinn und sie wohl ebensowenig; aber wir können nicht leugnen, daß sie sich überall trafen – in den Wiesen, am Bach, an den Gartenzäunen oder in der Nähe des Schlosses. Da hieß es: »Mein Gott, Herr Henry!«, und: »Wie geht's, Nancy?«, so manches liebe Mal in der Woche. Es ist doch etwas Sonderbares um die magnetische Anziehungskraft, die Menschen aus noch so weiter Ferne zueinander zieht. Ich erröte jetzt, wenn ich an die arme Nancy denke, drall und mit knallroten Backen, im bunten Mieder und baumwollnen Rock; und wie ich Pläne schmiedete und Fallen stellte und mir Reden ausdachte, die ich selten den Mut hatte, vor der bescheidenen Zauberin laut werden zu lassen, die nichts verstand, als Kühe zu melken, und die ihre schwarzen Augen vor Staunen aufriß, wenn ich ihr eine meiner schönen Reden aus Waller oder Ovid zum besten gab. Arme Nancy! Dein ehrliches Bauerngesicht scheint durch den Nebel langer Jahre, und deine freundliche Stimme klingt mir im Ohr, als wäre es gestern gewesen.

Als Doktor Tusher die Nachricht brachte, daß die Pocken in den »Drei Schlössern« seien, wo sie ein Landstreicher eingeschleppt haben sollte, da packte Harry Esmond zuerst Angst um die arme Nancy und dann Scham und Besorgnis für die Familie Castlewood, er könne die Ansteckung ins Schloß gebracht haben; denn in Wahrheit hatte Junker Harry an demselben Tag eine Stunde lang im Hinterzimmer der Schenke gesessen, wo Nancy Sievewright um einen kleinen Bruder bemüht war, der über Kopfschmerzen klagte. Er lag teilnahmslos da und weinte, bald in einem Stuhl am Kaminfeuer, bald auf Nancys, bald auf meinem Schoß.

Die kleine Lady Beatrix schrie laut auf bei Doktor Tushers Bericht, und Mylord rief: »Gott steh mir bei!« Er war ein tapfrer Mann und fürchtete den Tod nur in solcher Form. Er war sehr stolz auf seine rosige Gesichtsfarbe und sein schönes Haar; aber der Gedanke an den Tod durch schwarze Pocken schreckte ihn doch vor allem andern. »Wir wollen morgen mit den Kindern nach Walcote fahren!« Das war Mylords kleine Besitzung bei Winchester, die er von seiner Mutter geerbt hatte.

»Das ist die beste Zuflucht, im Fall die Krankheit sich verbreiten sollte«, sagte Doktor Tusher. »Wie schrecklich, daß sie gerade in der Schenke ausbricht; das halbe Dorf hat heute dort getrunken oder ist in der Schmiede gewesen, was auf dasselbe hinauskommt. Mein Küster Simons wohnt dort, ich kann nicht auf die Kanzel steigen mit dem Burschen dicht neben mir. Der Mensch soll mir nicht nahe kommen.«

»Wenn jemand in der Gemeinde an den Pocken stirbt und nach Ihnen schickt, werden Sie dann nicht zu ihm gehen?« fragte Mylady und sah mit ihren ruhigen blauen Augen von ihrem Stickrahmen auf.

»Bei Gott, ich täte es nicht«, sagte Mylord.

»Wir sind keine Papisten, und bei uns braucht ein kranker Mann nicht notwendig Beichte und Absolution«, sagte der Doktor. »Allerdings können sie ihm Trost und Hilfe bringen, wenn sie erreichbar sind. Aber in Zeiten, wo das Leben eines Kirchspiel-Pfarrers inmitten seiner Herde so wertvoll für sie ist, darf er es nicht um eines einzelnen Menschen willen aufs Spiel setzen (und dazu noch Leben, Zukunftsaussichten und das Zeitliche, selbst ewige Wohlfahrt seiner Familie). Zumal der nicht einmal imstande sein wird, die himmlische Botschaft des Priesters recht zu erfassen, ungebildet wie er ist und durch Krankheit gleichermaßen fiebernd und betäubt. Sollte Euer Gnaden oder Mylord, mein vortrefflicher Freund und Gönner, davon ergriffen werden ...«

»Gott verhüte es!« rief Mylord.

»Amen«, fuhr Doktor Tusher fort. »Amen zu diesem Gebet, mein sehr edler Herr! Denn um Euretwillen würde ich mein Leben dahingehen« – und bei dem ängstlichen Ausdruck auf des Doktors purpurnem Antlitz hätte man meinen können, das Opfer würde noch zur Stunde von ihm gefordert werden.

Kinder zu lieben und sanft mit ihnen umzugehen, war mehr eine natürliche Gabe bei Henry Esmond als ein Verdienst. Er schämte sich beinahe seiner Liebe zu ihnen und der Weichheit, die sie bei ihm erzeugte. An diesem Tag hatte der arme Bursche nicht nur des Milchmädchens Bruder auf dem Schoß gehabt, sondern auch dem kleinen Frank Castlewood, der denselben Platz nach dem Essen besetzt hatte, eine Stunde lang Geschichten erzählt und Pferde und Soldaten gezeichnet. Zum Glück hatte Beatrix an diesem Abend nicht auf ihres Lehrers Knien gesessen, ein Platz, den sie sonst nur allzugern einnahm. Aber Beatrix war von frühester Jugend an eifersüchtig auf jede Zärtlichkeit, die man ihrem kleinen Bruder erwies. Sie verschmähte selbst die mütterlichen Arme, wenn sie merkte, daß Frank ihr zuvorgekommen war, so daß Lady Esmond sich entschließen mußte, ihrem Sohn in Gegenwart des kleinen Mädchens keine Liebe zu erzeigen und jedes der Kinder für sich allein zu liebkosen. Beatrix wurde rot und weiß vor Wut, wenn sie Zeichen der Verständigung oder Zuneigung zwischen Frank und der Mutter bemerkte; sie setzte sich in eine Ecke und sprach einen ganzen Abend lang nicht, wenn sie fand, daß der Knabe eine schönere Frucht oder einen größern Kuchen bekommen hatte als sie, und schon als sie noch ganz klein war, führte sie von ihrem Stühlchen am Kaminfenster aus kindliche Spottreden gegen jede Gunst, welche Lady Castlewood, die gewöhnlich mit ihrer Stickerei an der andern Kaminecke saß, ihrem Bruder bezeigte. Hörte Lord Castlewood diese Reden, so kitzelten und belustigten sie ihn. Er gab vor, Frank am meisten zu lieben, tändelte mit ihm und küßte ihn und brüllte vor Lachen über die Eifersucht der kleinen Beatrix. Freilich war Mylord nicht oft Zeuge dieser Szenen, denn er störte nur selten die Ruhe am Kaminfeuer, wo seine Frau manchen langen Abend verbrachte. Er jagte von früh bis spät, wenn die Jahreszeit es erlaubte; er besuchte alle Hahnenkämpfe und Jahrmärkte im Lande und ritt zwanzig Meilen weit, um ein Hauptgefecht zu sehen oder zwei Possenreißer, die sich mit Knütteln prügelten. Er saß auch lieber in seiner Stube bei Bier und Punsch, in Gesellschaft von Jack und Tom, als im Wohnzimmer seiner Frau; und erschien er dort, so war es nur zu oft mit blutunterlaufenen Augen, hicksender Stimme und schwankendem Gang. Die Verwaltung des Hauses und des Gutes, die Aufsicht über die wenigen Pächter, die Sorge für die Armen im Dorf lag in den Händen seiner Frau und ihres jungen Sekretärs, Harry Esmond. Mylord kümmerte sich um die Pferde, die Meute und den Keller – er füllte ihn und leerte ihn auch.

So kam es, daß gerade an diesem Tag, an dem der arme Harry Esmond den Grobschmieds- und den Herrensohn auf den Knien gehalten hatte, die kleine Beatrix diesen Platz ausschlug und nicht, wie sonst, mit Buch und Schreibheft zu ihrem Lehrer kam. Als sie den Bruder auf Harrys Schoß sah, zog sie sich zu ihrem Heil in die entfernteste Ecke des Zimmers zurück, spielte mit ihrem Wachtelhündchen, das sie je nach Laune mehr oder weniger zärtlich liebte, und sprach über ihre Schulter weg mit Harry Esmond, während sie vorgab, den Hund zu liebkosen. Fido werde sie immer lieben, sagte sie, und sie werde Fido lieben, nur Fido, ihr ganzes Leben lang.

Als man die Nachricht brachte, daß der kleine Junge in den »Drei Schlössern« die Pocken habe, durchzuckte Harry die Angst, weniger für sich als für seiner Herrin Sohn, den er womöglich in Gefahr gebracht hatte. Beatrix, die ausgeschmollt hatte und von Kindheit an, sobald ein Fremder erschien, immer kleine, anmutige Szenen vorspielte, um die Aufmerksamkeit zu erregen, wollte jetzt, da ihr Bruder zu Bett war, den Platz auf Esmonds Knien gern einnehmen. Denn den Doktor mochte sie nicht leiden, obwohl er sich sehr unterwürfig zu ihr benahm. Er trug grobe Stiefel und hatte schmutzige Hände, wie das schnippische Fräulein behauptete, und dann lernte sie auch nicht gern aus dem Katechismus.

Als sie aus ihrem Schmollwinkel hervorkam und sich Esmond näherte, schreckte er zurück und schob seinen großen Stuhl zwischen sich und das Kind. Dann sagte er auf französisch zu Lady Castlewood, mit der er viel gelesen und die großen Fortschritte in der Sprache gemacht hatte: »Das Kind darf mir nicht nahe kommen, Mylady. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich heute beim Grobschmied war und seinen kleinen Jungen auf dem Schoß gehabt habe.«

»Wo nach ihm mein Sohn gesessen hat«, sagte Lady Castlewood zornig und wurde rot. »Ich danke Ihnen, Herr, daß Sie ihm solche Gesellschaft gegeben haben. – Beatrix«, fuhr sie auf englisch fort, »ich verbiete dir, Herrn Esmond zu berühren. Geh, mein Kind, komm auf dein Zimmer. Ich wünsche Euer Hochwürden gute Nacht, und Sie, Herr, sollten Sie nicht besser zu Ihren Freunden in die Schenke zurückkehren?« Ihre sonst so freundlichen Augen schossen zornige Blitze, und sie warf den Kopf, den sie meist etwas geneigt trug, mit der Miene einer Fürstin in den Nacken zurück.

»Alle Wetter!« sagte Mylord, der in seiner gewohnten abendlichen Verfassung an den Kamin gelehnt stand. »Alle Wetter! Rachel, worüber regst du dich so auf? Damen sollten nie in Wut geraten, nicht wahr, Doktor Tusher? Aber es tut doch gut, Rachel einmal wütend zu sehen. Verflucht, Lady Castlewood ist höllisch schön im Zorn.«

»Ich bin zornig, Mylord, weil Harry Esmond, der seine Zeit hier nicht unterbringen kann und keinen Geschmack an unserer Gesellschaft findet, in die Dorfschenke gegangen ist, wo er allerlei Freunde hat.«

Mylord lachte laut auf und fluchte. »Ihr jungen Schlauköpfe, ihr! Bei Nancy Sievewright bist du gewesen. Verflucht, der junge Heuchler, wer hätte das von ihm gedacht! Glauben Sie mir, Tusher, er ist hinter der ...«

»Genug, Mylord«, sagte Mylady, »beleidigen Sie mich nicht mit solchem Gespräch.«

»Auf mein Wort«, sagte der arme Harry, der nahe daran war, vor Scham und Kränkung zu weinen, »die Ehre des jungen Mädchens ist in meinen Augen vollständig rein.«

»Natürlich, natürlich«, sagte Mylord und lachte immer lauter in wachsender Betrunkenheit. »Bei seiner Ehre, Doktor – Nancy Sieve ...«

»Bringt Fräulein Beatrix zu Bett«, rief Mylady ihrer Kammerfrau zu, die in diesem Augenblick mit Myladys Tee hereinkam, »in meinem Zimmer. Nein, in Euerm«, verbesserte sie sich rasch. »Geh, mein Kind, geh – ich sage dir, geh! Kein Wort mehr!« Beatrix, ganz verblüfft durch den plötzlich befehlenden Ton ihrer Mutter, die selten mit erhobener Stimme zu sprechen pflegte, verließ das Zimmer ziemlich eingeschüchtert. Sie wartete sogar, bis sie mit Frau Tusher bei der Tür war, ehe sie ein Geheul anstimmte.

Ihre Mutter schenkte ihrem Geschrei für diesmal wenig Beachtung und fuhr eifrig fort zu sprechen. »Mylord«, sagte sie, »dieser junge Mann – Ihr Untergebener – hat mir eben auf französisch gesagt – er schämte sich, es in seiner eignen Sprache zu sagen –, daß er den ganzen Tag in der Dorfschenke gewesen ist und das kleine Wurm, das jetzt an den Pocken krank ist, auf dem Schoß gehabt hat. Er kommt nach Hause mit dem ganzen Bierdunst – ja, mit dem Bierdunst –, nimmt meinen Knaben auf seine Knie, setzt sich neben mich, ja, neben mich, und schämt sich nicht. Er kann Frank getötet haben, unser Kind getötet haben. Warum kam er in unsre Familie, unser Haus zu entehren? Warum ist er hier? Schick ihn fort – schick ihn fort, sage ich, noch heute abend, damit er unser Heim nicht länger schändet!«

Sie hatte nie zuvor ein unfreundliches Wort zu Harry Esmond gesprochen, und ihre grausamen Worte vernichteten den armen Knaben, so daß er ein paar Augenblicke betäubt war vor Schmerz und Wut über die Ungerechtigkeit und einen solchen Dolchstich von dieser Hand. Er wurde weiß im Gesicht, das vorher schamrot gewesen war.

»Ich kann nichts für meine Geburt, gnädige Frau«, sagte er, »noch für mein anderes Mißgeschick. Was Ihren Knaben anbetrifft, wenn – wenn meine Nähe ihn jetzt entehrt, es war nicht immer so. Gute Nacht, Mylord. Der Himmel segne Sie und die Ihren für all die Güte, die Sie mir erwiesen haben! Ich habe Myladys Nachsicht erschöpft und will gehen.« Er kniete nieder und küßte die rauhe Hand seines Wohltäters.

»Es treibt ihn in die Dorfschenke – laß ihn gehen!« schrie Mylady.

»Verflucht will ich sein, wenn ich das tue«, sagte Mylord. »Ich dachte nicht, daß du so verdammt undankbar sein könntest, Rachel!«

Ihre Antwort war eine Flut von Tränen, und sie verließ das Zimmer mit einem raschen Blick auf Harry Esmond. Mylord beachtete sie nicht und hob, noch immer gutgelaunt, seinen jungen Verwandten auf, der ihn zum Dank für seine tausend Freundlichkeiten wie einen Vater verehrte. Er legte seine breite Hand auf Harry Esmonds Schulter.

»So ist sie immer gewesen«, sagte er. »Wenn sie eine Frau nur wittert, wird sie toll. Darum habe ich mir auch das Trinken angewöhnt, bei Gott – nur darum. Denn auf ein Bierfaß oder eine Flasche Rum kann sie nicht eifersüchtig sein, nicht wahr, Doktor? Verdammt, seht euch die Mägde im Hause an, seht sie euch nur an!« – Mylord sprach die Worte mit schleppender Zunge alle als eins aus. – »Sie würden sich jetzt keine Frau mehr aus Schloß Castlewood holen, was, Doktor?« und er brach in lautes Lachen aus.

Der Doktor, der Lord Castlewood unter halbgeschlossenen Augenlidern hervor beobachtet hatte, sagte: »Spaß beiseite, Mylord, als ein Geistlicher kann ich den Fall nicht in so heiterm Licht sehen. Als Hirte meiner Gemeinde kann es mir nur Kummer bereiten, wenn ein so junges Schaf sich verirren will.«

»Herr«, stieß der junge Esmond entrüstet hervor, »sie hat mir erzählt, daß Ihr selbst ein gräßlicher alter Mann seid und sie im Milchkeller habt küssen wollen!«

»Schäm dich, Harry!« rief Doktor Tusher und wurde rot wie ein Puter, während Mylord sich vor Lachen bog. »Wenn du auf die Lügen eines verlornen Mädchens hörst ...«

»Sie ist so anständig wie nur irgendeine Frau in England«, rief Harry, »und für mich ebenso rein als freundlich und gut. Schämt Euch, daß Ihr sie verleumdet!«

»Es sei ferne von mir, das zu tun«, rief der Doktor. »Der Himmel gebe, daß ich im Irrtum über das Mädchen bin und auch über Euch, Herr, der Ihr etwas allzufrüh reif seid. Aber das ist jetzt nicht der Punkt, auf den es ankommt. Der kleine Junge in den ›Drei Schlössern‹, bei dem die Pocken ausgebrochen sind, trug die Krankheit in sich, als Ihr die Schenke aus höchsteignen Gründen besuchtet, Ihr habt Euch eine Weile mit dem Kind beschäftigt und gleich nachher mit dem jungen Lord.« Der Doktor sprach diese Worte lauter und sah auf Mylady, die zurückgekommen war, bleich und mit dem Taschentuch in der Hand.

»Das ist alles sehr wahr, Herr«, sagte Lady Esmond und sah den jungen Mann an.

»Man muß befürchten, daß er die Ansteckung mit sich brachte.«

»Aus der Schenke – ja«, sagte Mylady.

»Verflucht, Junge, daran habe ich nicht gedacht, als ich dich anfaßte«, rief Mylord und trat ein paar Schritte zurück. »Halte dich fern, Harry, mein Junge. Es hat keinen Zweck, dem Wolf in den Rachen zu springen, nicht wahr?«

Mylady sah ihn etwas überrascht an, ging augenblicklich auf Harry Esmond zu und nahm seine Hand. »Ich bitte dich um Verzeihung, Harry«, sagte sie, »ich habe sehr häßlich zu dir gesprochen. Ich habe kein Recht, mich in deine Sachen zu mischen – in deine ...«

Mylord brach in einen Fluch aus. »Können Sie den Jungen nicht in Ruhe lassen, Mylady?« Sie wurde etwas rot, drückte leise des Knaben Hand und ließ sie fallen.

»Es schadet nichts mehr, Mylord«, sagte sie, »Frank hat auf seinem Schoß gesessen, als er Bilder für ihn zeichnete, und ist beständig zwischen mir und Harry auf und ab gelaufen. Wenn Unheil geschehen soll, so ist es schon geschehen.«

»Mit mir noch nicht, zum Kuckuck!« rief Mylord. »Ich habe geraucht« – und er steckte sich seine Pfeife mit einer Kohle wieder an. »Rauchen hält die Ansteckung fern; und da die Seuche im Dorfe ist – hol sie die Pest! –, so wollen wir es verlassen. Wir gehen morgen nach Walcote, Mylady!«

»Ich fürchte mich nicht«, sagte Mylady, »es ist möglich, daß ich die Krankheit als Kind gehabt habe, denn sie war damals bei uns im Hause. Als zwei Jahre vor meiner Heirat meine vier Schwestern krank daran lagen, blieb ich verschont, und zwei von den lieben Schwestern starben.«

»Ich will die Gefahr vermeiden«, sagte Mylord, »ich bin so mutig wie irgendein Mann; aber das geht über meine Kraft.«

»Nimm Beatrix mit dir und geh«, erwiderte Mylady. »Mit uns ist das Unglück geschehen, die Tucker kann uns pflegen, sie hat die Krankheit gehabt.«

»Du sorgst dafür, daß sie häßlich genug sind«, sagte Mylord, und Mylady ließ den Kopf hängen und sah beschämt aus. Mylord sagte zu Tusher, sie wollten ins Herrenzimmer gehen und eine Pfeife rauchen. Der Doktor machte eine tiefe Verbeugung vor Ihro Gnaden, eine Kunst, in der er groß war, und stelzte mit knarrenden Stiefeln hinter seinem Gönner her.

Als die Lady und der junge Mann allein waren, herrschte ein paar Augenblicke Schweigen. Er stand am Feuer und sah gedankenlos in die verlöschende Glut, während sie sich an ihrem Stickrahmen und den Nadeln zu schaffen machte.

»Es tut mir leid«, sagte sie nach einer Weile mit harter, trockner Stimme, »ich wiederhole, es tut mir leid, daß ich mich aus Sorge um meinen Sohn so undankbar zeigte. Es war durchaus nicht mein Wunsch, daß Sie uns verlassen sollten, es sei denn, daß Sie anderswo Vergnügen fänden. Aber Sie müssen begreifen, Herr Esmond, daß Sie in Ihrem Alter und mit Ihren Neigungen unmöglich länger auf so vertrautem Fuß in dieser Familie bleiben können, wie bisher. Sie haben den Wunsch, zur Universität zu gehen, und ich glaube, es ist ebenso gut, man schickte Sie jetzt gleich dorthin. Ich habe bisher die Angelegenheit nicht beeilt, weil ich Sie für ein Kind hielt, das Sie an Jahren ja auch noch sind – ganz ein Kind –, und ich hätte auch nie daran gedacht, Sie anders zu behandeln, wenn nicht diese – diese Umstände ans Licht gekommen wären. Ich werde Mylord bitten, Sie so schnell als möglich fortzuschicken, und will Franks Unterricht selbst so gut wie möglich weiterführen; ich verdanke ja meinem Vater einige Grundlagen und habe so viel von Ihnen gelernt, und – und ich wünsche Ihnen Gute Nacht, Herr Esmond.«

Damit machte sie eine feierliche Verbeugung, ergriff eine Kerze und verschwand durch die Tapetentür, die in ihre Gemächer führte. Esmond stand am Kamin und starrte ihr ausdruckslos nach. Wirklich, er schien wie blind, bis sie gegangen war, dann aber war ihr Bild ihm eingeprägt und blieb für immer in seinem Gedächtnis haften. Er sah sie verschwinden, das marmorbleiche Antlitz von der Kerze beschienen; die roten Lippen bebten, die goldnen Haare leuchteten. Er ging auf sein Zimmer und legte sich zu Bett. Er versuchte zu lesen, wie es seine Gewohnheit war, aber er wußte nicht, was er las, bis er später an der Form der Buchstaben erkannte, daß es Montaignes Essays waren. Die Ereignisse des Tages zogen an ihm vorüber, das heißt, die der letzten Stunde des Tages; denn an den Vormittag und das arme Milchmädchen drüben dachte er nicht mehr soviel wie sonst. Er fand erst Schlaf bei Tagesanbruch und erwachte ganz unfrisch und mit heftigen Kopfschmerzen.

Er hatte die Ansteckung aus den »Drei Schlössern« mitgebracht, das war nur allzu klar, und lag an den Pocken darnieder, die weder Schloß noch Hütte verschonten.


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