Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel
Die arme Beatrix

Die Notwendigkeit einer Trennung von Beatrix brauchte Esmond nicht aufgezwungen zu werden: das Schicksal hatte die Dinge vollkommen erledigt. Und mir scheint, vom ersten Augenblick, als die arme Beatrix des Herzogs Werbung angenommen hatte, begann sie, die majestätische Art einer Herzogin, ja einer auserwählten Königin zu zeigen und sich wie eine geheiligte und uns gewöhnlichem Volk entrückte Persönlichkeit aufzuführen. Ihre Mutter und ihr Vetter fanden sich in ihre Manier, der letzte vielleicht etwas spöttisch und nicht ohne seine üblichen Sticheleien über ihre Eitelkeit und seine auch. Dieses Mädchen hatte einen besonderen Charme, dessen Zauber sich weder Oberst Esmond noch seine zärtliche Herrin entziehen konnten; trotz ihrer Fehler, ihres Stolzes und ihrer Eigenwilligkeit mußten sie sie lieben, und konnten wahrhaftig als die beiden Hauptschmeichler am Hofe der strahlenden Schönheit bezeichnet werden.

Wer ist nicht im Lauf seines Lebens einmal so behext gewesen und hat das eine oder andere Idol angebetet? Obgleich diese Leidenschaft seit langen Jahren mit anderen weltlichen Sorgen und Süchten begraben ist: der sie einst fühlte, vermag sie doch aus ihrer Gruft heraufzubeschwören, und fast so zärtlich wie in seiner Jugend bewundert er das liebliche, königliche Geschöpf. Ich rufe das schöne Wesen zurück von den Schatten und liebe es immer noch, oder sollte ich besser sagen, eine solche Vergangenheit bleibt einem Mann stets gegenwärtig? Solch eine Leidenschaft bildet einen Teil seines ganzen Wesens und kann nicht davon getrennt werden, so wie ein tiefer Glaube, ein erregendes Erlebnis, wie die erste Entdeckung der Poesie, ihn selbst später noch beeinflussen – so wie die Wunde, die ich bei Blenheim empfing und deren Narbe ich trage, ein Teil meines Lebens geworden ist und meinen Körper, ja in der Folge auch meinen Geist beeinflußt hat, obgleich sie schon vor vierzig Jahren heilte. Scheiden und vergessen! Welches treugesinnte Herz vermag das? Unsere großen Gedanken, unsere großen Neigungen, die Wahrheiten unseres Lebens verlassen uns nie. Sie können nicht aus unserem Bewußtsein scheiden, sie folgen ihm, wohin es sich auch wendet, und sind ihrer Natur nach göttlich und unsterblich.

So schnell seine langsame Kutsche ihn tragen wollte, eilte Esmond mit seiner schrecklichen Nachricht, die ihm von der weinenden Dienerschaft im Hause des Herzogs bestätigt worden war, nach Kensington. Er dachte hin und her, wie er der am schwersten Betroffenen die Botschaft mitteilen solle. Wie eine Satire auf die menschliche Eitelkeit wirkten die Weltlichkeiten, in welche er die arme Seele vertieft fand. Seit Tagen schon war ihre Equipage von Straße zu Straße gerollt, vom Seidenhändler zum Goldschmied, von den Spitzen zu den Nippsachen. Ihr Geschmack war vollkommen; wenigstens war das die Ansicht des zärtlichen Bräutigams. Er hatte ihr Vollmacht für alle Einkäufe an Silberzeug, Möbeln und Hausrat gegeben, mit denen der Gesandte in Paris sein glänzendes Amt antreten wollte. Er ließ sie von Kneller porträtieren; denn eine Herzogin ist ohne Porträt nicht zu denken. Es war ein vornehmes Bild geworden; auf einem Kissen hatte der Künstler die Krone angedeutet, die sie so bald zu tragen dachte. Sie schwor, sie wolle sich bei der Krönung König Jakobs des Dritten damit schmücken. Keiner Prinzessin im Lande würde der Hermelin so gut zu Gesicht gestanden haben wie ihr. Esmond fand das Vorzimmer von Schneiderinnen, Seidenhändlern und diensteifrigen Goldschmieden bevölkert: Silberzeug, Schmucksachen, Brokate, Sammet und Vorhänge lagen umher. Die Braut erteilte gerade einem berühmten Silberschmied Audienz, der einen großen ziselierten Präsentierteller gebracht hatte. Er machte sie auf die Schönheiten der Arbeit aufmerksam, als Oberst Esmond eintrat. »Komm, Vetter«, sagte sie, »hilf mir, das schöne Ding bewundern.« Mars und Venus lagen in goldner Laube; eine vergoldete Amorette trug den Helm des Kriegsgottes davon, eine andere hatte sein Schwert ergriffen, eine dritte den großen Schild, auf dem die Wappen unserer Familie und die des Herzogs von Hamilton eingegraben waren; eine vierte kniete vor der ruhenden Venus und hielt ihr, Gott helfe uns, die herzogliche Krone hin! Als Esmond das Kunstwerk später wiedersah, hatten sich die Wappen verwandelt; aus der herzoglichen Krone war eine gräfliche geworden; der Teller gehörte jetzt zur Aussteuer der Tochter des sparsamen Goldschmieds, die zwei Jahre später den Grafen Squanderfield heiratete.

»Ist er nicht ein schönes Stück?« fragte Beatrix und deutete auf die neckische Anmut der Amoretten und die kräftig modellierte Gestalt des nachlässig hingestreckten Mars. Esmond wurde weh ums Herz beim Gedanken an den Krieger, der tot in seinem Zimmer lag, umgeben von seinen weinenden Kindern und Dienern, während sich hier das hübsche Geschöpf gleichsam für das bräutliche Totenbett schmückte. »Es ist ein hübsches Stück Eitelkeit«, sagte er und blickte sie düster an. Fackeln beleuchteten die strahlende Herrin des Raumes; sie hob den großen goldenen Teller mit ihren weißen Armen empor.

»Eitelkeit!« sagte sie hochmütig. »Was bei dir Eitelkeit ist, Sir, das ziemt sich für mich. Sie fordern einen hohen Preis, Herr Graves; aber besitzen will ich das Stück, und wäre es nur, um Herrn Esmond zu ärgern.«

»O Beatrix, leg es hin!« bat Esmond, »du weißt nicht, Herodias, was du auf deiner Schüssel trägst.«

Sie ließ den Teller los; er fiel klirrend zu Boden; der Silberschmied sprang eifrig herzu, um sein gefallenes Kunstwerk aufzuheben. Das Mädchen hatte in Esmonds bleichem Angesicht gelesen, und ihre Augen flackerten wie Alarmfeuer in der Nacht. »Was ist geschehen, Harry?« rief sie, lief zu ihm und ergriff seine beiden Hände. »Warum bist du so blaß? Warum sprichst du so düster?«

»Komm mit mir, komm mit mir!« sagte Esmond und stützte sie. Sie klammerte sich erschreckt an ihn, und er hielt sie an seinem Herzen. Er bedeutete dem verstörten Goldschmied, sie allein zu lassen. Der Mann drückte seine kostbare Schale liebevoll an sich und verschwand starr vor Überraschung im nächsten Zimmer.

»O meine Beatrix, meine Schwester!« sagte Esmond und hielt das bleiche, erschreckte Geschöpf noch immer in seinen Armen. »Du bist die mutigste Frau der Welt; beweise das jetzt, denn du hast eine schwere Prüfung zu tragen.«

Sie riß sich von dem Freunde los, der sie so gern beschützen wollte. »Hat er mich verlassen?« rief sie. »Wir haben heute früh einen Wortwechsel gehabt; er war in sehr gedrückter Stimmung, und ich habe ihn geärgert; aber er wird es nicht wagen, er darf es nicht wagen!« Bei ihren Worten überzog eine brennende Röte ihr Gesicht und ihren Busen. Esmond sah es im Spiegel, vor dem sie stand und der ihr Bild zurückwarf, wie sie die geballten Fäuste an das klopfende Herz preßte.

»Er hat dich verlassen«, sagte Esmond und wunderte sich, daß Wut und nicht Kummer aus ihren Blicken sprach.

»Und er lebt«, schrie sie, »und du bringst mir diese Botschaft! Er hat mich verlassen, und du hast nicht gewagt, mich zu rächen! Du, der vorgibt, der Beschützer unseres Hauses zu sein, du duldest, daß ich so beleidigt werde! Wo ist Lord Castlewood? Ich will zu meinem Bruder gehen.«

»Der Herzog ist nicht mehr am Leben, Beatrix«, sagte Esmond.

Sie sah ihren Vetter mit wild flackernden Blicken an und taumelte gegen die Wand zurück, als habe sie ein Schuß in die Brust getroffen. »Und du kommst hierher, und – und – du hast ihn getötet?«

»Gott sei Dank, nein!« entgegnete er. »Das Blut seines edlen Herzens hat nicht meinen Degen befleckt. Er ist dir bis zu seiner letzten Stunde treu gewesen, Beatrix Esmond. Eitle, grausame Frau! Danke dem Himmel, der über Tod und Leben entscheidet und die Stolzen züchtigt, auf den Knien dafür, daß der edle Hamilton dir treu ergeben starb, daß es wenigstens nicht dein Stolz, deine verruchte Eitelkeit, ein Streit um deinetwillen war, der ihn seinem Verhängnis in die Arme trieb. Er ist durch den unseligen Degen gefallen, der schon deines eigenen Vaters Blut vergoß. Hast du nichts als Rachsucht und Eitelkeit aufzubieten, um an seiner Leiche zu trauern? Gott helfe dir und verzeihe dir, Beatrix. Er ist es, der diese furchtbare Strafe über dein hartes, trotziges Herz verhängt!«

Esmonds Worte waren kaum verklungen, als seine Herrin eintrat. Das Gespräch zwischen ihm und Beatrix hatte nur wenige Minuten gedauert, doch hatte sein Diener die Schreckensnachricht schon im ganzen Hause verbreitet. Die Boten des Marktes der Eitelkeit, die draußen im Vorzimmer warteten, rafften ihren Trödel zusammen und flohen entsetzt. Die gute Lady Castlewood hatte sich in ihrem Zimmer mit dem Dechanten Atterbury, dem Berater und Beichtiger des frommen Wesens, besprochen. Er hatte ihr Haus betreten wie der Arzt, dessen Platz am Krankenbett ist. Sie sah Esmond an und eilte zu ihrer Tochter, mit bleichem Gesicht, mit offenem Herzen und offenen Armen, ganz Güte und Mitleid. Aber Beatrix wich vor ihr zurück; sie wollte auch von dem Zuspruch des geistlichen Arztes nichts wissen. »Ich bin am besten in meinem Zimmer und allein«, sagte sie. Ihre Augen waren trocken. Esmond sah sie nur einmal um dieses Toten willen weinen. Sie reichte ihm ihre kalte Hand, ehe sie das Zimmer verließ. »Ich danke dir, Bruder«, sagte sie leise und mit einer Einfachheit, die erschütternder war als Tränen; »alles, was du gesagt hast, ist wahr und gütig, und ich will gehen und um Verzeihung bitten.« Die drei anderen blieben zurück und sprachen über das furchtbare Ereignis. Doktor Atterbury schien fast noch mehr davon ergriffen als wir. Der Tod Mohuns, des Mörders ihres Gatten, erregte Lady Castlewood noch heftiger als das unglückliche Ende des Herzogs. Endlich erzählte Esmond alles, was er über den Streit und seine Ursache wußte. Die beiden Edelleute lagen schon lange in Fehde wegen der Güter des Lord Gerard, der ihrer beider Schwiegervater gewesen war. Sie trafen sich am Morgen dieses Tages bei ihren Anwälten in Lincoln Inn Fields und hatten einen Wortwechsel, der den übrigen sehr unwesentlich erschienen war, nicht so aber den beiden Männern, die durch lange Feindschaft aufs äußerste gegeneinander gereizt waren. Mohun hatte den Herzog gefragt, wo er sich mit seinen Sekundanten besprechen könne, hatte ihm noch in derselben Stunde zwei von seinen Freunden geschickt, und so war das tödliche Duell vereinbart worden. Es wurde mit einem solchen Ungestüm vorbereitet, und die Veranlassung war so unbedeutend, daß sich alle Menschen damals darüber einig waren, die drei berüchtigten Raufbolde seien nur die Agenten einer Partei gewesen, der es daran lag, den Herzog von Hamilton aus dem Wege zu schaffen. Es fochten drei auf jeder Seite, wie in jener traurigen Nacht vor zwölf Jahren, von der wir so viel erzählt haben. Die Gegner stürzten sich aufeinander, ohne auch nur vorbereitend die Degen zu kreuzen, und stachen so verzweifelt aufeinander los, daß jeder mehrere Wunden empfing. Als Mohun tödlich getroffen war und der Herzog neben ihm auf der Erde lag, kam Macartney dazu und gab dem Herzog den Todesstoß. Oberst Macartney leugnete diese Tat; aber das Entsetzen und die Entrüstung des ganzen Landes erklärten ihn schuldig. Er floh aus England und ist nie dorthin zurückgekehrt.

Was war die wirkliche Ursache vom Tode des Herzogs von Hamilton? Ein erbärmlicher Streit, der leicht hätte beigelegt werden können; ein Streit mit einem so heruntergekommenen, verworfenen Schurken, befleckt von Mord und Verbrechen, daß ein Mann vom Ruf und fürstlichem Rang des Herzogs sich wohl hätte weigern können, seinen Degen mit solchem Blut zu besudeln. Aber sein Mut war ebenso hoch gespannt wie seine Barmherzigkeit; er konnte niemand von sich weisen. Das wußten die Feinde, die ihn verderben wollten, und so kam es, daß er durch die Hand Mohuns und der anderen beiden Halsabschneider fiel, die man auf ihn hetzte. Der Gesandte der Königin war tot, der treue, ergebene Diener der Stuarts, selbst ein königlicher Prinz von Schottland, der dem verbannten Herrscher und Bruder der Königin feierliche Botschaft vom Vertrauen und der Reue seiner Schwester, vom guten Willen von Millionen Bürgern hatte überbringen sollen.

Die Partei, zu der Lord Mohun gehörte, hatte den Vorteil von seiner Tat und war zugleich den Schurken selber los. Er und Meredith und Macartney standen im Dienst des Herzogs von Marlborough, und die beiden Obersten waren erst im Jahr zuvor entlassen worden, weil sie auf den Untergang der Torys getrunken hatten. Seine Gnaden war jetzt ein Whig und Hannoveraner und war so begeistert für den Krieg wie der Prinz von Savoyen selbst. Ich behaupte nicht, daß er um den Plan gegen Hamiltons Leben gewußt hat; ich sage nur, daß seine Partei den Gewinn davon hatte.

Als Esmond und der Dechant das Haus verließen im Gespräch darüber, wie verhängnisvoll dieses Ereignis für die Sache sei, die ihnen beiden am Herzen lag, da waren die Ausrufer schon mit ihren Flugschriften unterwegs und brüllten die wahre und schreckliche Geschichte vom Tode Lord Mohuns und des Herzogs von Hamilton durch die ganze Stadt. Einer von den Burschen war bis hinaus nach Kensington geraten und schrie früh am Morgen seine Neuigkeit auf dem Platz aus, als Esmond zufällig vorüberging. Er trieb den Menschen von dannen, der gerade unter dem Fenster von Beatrix seine Stimme erhob, im Augenblick, da es geöffnet wurde. Die Sonne schien, obwohl es im November war. Esmond sah die Marktwagen zum Tor hereinrollen, die Wache am Palast ablösen, die Arbeiter zum Tagewerk nach der Stadt ziehen. Die fliegenden Händler erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei, die Welt ging an ihre Geschäfte. Was kümmerte es sie, daß Herzöge auf der Bahre lagen, daß Damen um sie trauerten, daß Königen das Spiel verdorben wurde. Esmond sah im Geist den Eilboten nach Norden reiten, der dem jungen Mann, der gestern Graf von Arran war, verkünden sollte, daß er heute Herzog von Hamilton sei. Er sah tausend große Pläne und Hoffnungen, die vor wenigen Stunden noch ein ritterliches Herz geschwellt hatten, im Staube liegen.


 << zurück weiter >>