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Vorwort des Verfassers

Die Esmonds aus Virginia

Das Besitztum Castlewood in Virginia, das König Karl der Erste unseren Ahnen als einige Entschädigung für die Opfer gab, die von der Familie Esmond in der Sache Seiner Majestät gebracht wurden, liegt in der Grafschaft Westmoreland zwischen den beiden Flüssen Potomac und Rappahannoc und war einst so groß wie ein englisches Fürstentum, wenn es uns in den alten Zeiten auch nur geringen Nutzen trug. Tatsächlich befanden sich die Pflanzungen fast achtzig Jahre lang, nachdem sie Eigentum unserer Vorfahren wurden, in den Händen von Verwaltern, die sich selbst einer nach dem andern bereicherten, während ein paar hundert Oxhoft Tabak der ganze Ertrag waren, den unsere Familie noch lange nach der Restauration von ihren virginischen Gütern erhielt.

Mein lieber und verehrter Vater, Oberst Henry Esmond, dessen Geschichte, von ihm selbst aufgezeichnet, die folgenden Blätter enthalten, kam im Jahre 1718 nach Virginia, baute sein Haus Castlewood und ließ sich hier für die Dauer nieder. Nach einem langen bewegten Leben in England verbrachte er den Rest seiner reichbemessenen Jahre friedlich und in Ehren in diesem Lande; wie geliebt und geachtet von allen seinen Mitbürgern, wie unaussprechlich teuer seiner eigenen Familie, das brauche ich nicht zu sagen. Sein ganzes Leben war eine Wohltat für alle, die mit ihm in Berührung kamen. Seinen Freunden gab er das beste Beispiel, den besten Rat; er gewährte die reichste Gastfreundschaft und seinen Untergebenen die freundlichste Fürsorge, und seiner engeren Familie spendete er einen solchen Segen väterlicher Liebe und Beschirmung, daß nie ohne Ehrfurcht und Dankbarkeit daran gedacht werden kann, am wenigsten von uns; und die Kinder meiner Söhne, ob sie nun hier in unserer Republik oder zu Hause, im stets geliebten Mutterland leben, von dem der jüngste Streit uns getrennt hat, können gewiß stolz sein, von jemand abzustammen, der in jeder Weise so wahrhaft edel war.

Meine liebe Mutter starb 1736, bald nach unserer Rückkehr aus England, wohin mich meine Eltern zur Ausbildung brachten und wo ich Mr. Warrington kennenlernte, den meine Kinder niemals gesehen haben. Als es dem Himmel gefiel, ihn mir in der Blüte seiner Jugend und nach nur wenigen Monaten der glücklichsten Verbindung wieder zu nehmen, verdankte ich die Heilung von dem Gram, den mir dieses Unglück schuf, hauptsächlich der Zärtlichkeit meines teuersten Vaters und dann der Gnade, die mir durch die Geburt meiner beiden geliebten Söhne geschenkt wurde. Ich weiß, daß die verhängnisvollen Streitigkeiten, die sie politisch trennten, niemals ihre Herzen entzweiten; und so wie ich sie beide lieben kann, ob sie die Farben des Königs oder der Republik tragen, bin ich sicher, daß sie mich lieben und einander, und vor allem den, der ihnen so gut Vater war wie mir, den liebsten Freund ihrer Kindheit, den wirklichen Edelmann, der sie von Kind an im Bewußtsein und der Übung von Treue, Liebe und Ehre erzog.

Meine Kinder werden nie Erscheinung und Antlitz ihres verehrten Großvaters vergessen, und ich wünschte, ich hätte die Begabung zum Zeichnen (die mein Papa in Vollendung besaß), so daß ich unseren Nachkommen das Bildnis eines Mannes, der so gut und so geachtet war, hinterlassen könnte. Mein Vater war von dunkler Hautfarbe, mit sehr hoher Stirn und dunkelbraunen Augen, von Brauen überhangen, die noch lange schwarz blieben, als sein Haar schon weiß war. Er hatte eine Adlernase, sein Lächeln war außerordentlich gewinnend. Wie lebhaft ich mich daran erinnere und wie wenig meine Schilderung imstande ist, sein Bild zurückzubeschwören! Er war von ziemlich kleiner Gestalt, nicht über fünf Fuß sieben Zoll hoch, und pflegte lachend zu sagen, daß meine Söhne, die er seine Krücken nannte, zu lang gewachsen wären, um sich darauf zu stützen. Aber so klein er war, er hatte eine vollkommene Anmut und Hoheit der Haltung, wie ich sie in diesem Lande nie gesehen habe, außer vielleicht bei unserem Freund Mr. Warrington, und er wirkte achtunggebietend, wo immer er erschien.

In allen körperlichen Übungen zeichnete er sich aus und bewies eine außergewöhnliche Schnelligkeit und Gewandtheit. Das Fechten liebte er besonders und bildete meine zwei Jungen in dieser Kunst so hervorragend aus, daß nicht einer der französischen Offiziere, die mit Monsieur Rochembeau ins Land kamen, meinen Henry darin übertraf, und der konnte sich noch nicht einmal mit meinem armen George messen, der in unserem beklagenswerten aber ruhmreichen Unabhängigkeitskrieg die Partei des Königs ergriffen hatte.

Weder mein Vater noch meine Mutter trugen je das Haar gepudert; soweit ich zurückdenken kann, waren beider Köpfe silberweiß. Meine liebe Mutter hatte bis zuletzt eine besonders helle frische Haut, die Leute wollten auch nicht glauben, daß sie kein Rouge auflegte. Mit sechzig Jahren sah sie noch jung aus und fühlte sich durchaus munter. Erst seit dem furchtbaren Angriff der Indianer auf unser Haus, der mich als Witwe zurückließ, noch ehe ich Mutter wurde, schwand die Gesundheit meiner lieben Mutter dahin. Sie überwand nie den Schrecken und die Angst jener Tage, die für mich, die damals kaum ein halbes Jahr verheiratete junge Frau, so unselig endeten, und sie starb in den Armen meines Vaters, ehe das erste Jahr meiner Witwenschaft vergangen war.

Von diesem Tage bis zum letzten seines teuren verehrten Daseins war es mir Freude und Labsal, als sein Tröster und Gefährte bei ihm zu bleiben; und aus den kleinen Notizen, die meine Mutter hie und da in den Bänden gemacht hat, in denen mein Vater seine Abenteuer in Europa beschreibt, erkenne ich sehr gut, welche höchste Verehrung sie ihm widmete. Es war eine so leidenschaftliche und ausschließliche Ergebenheit, daß sie meine Mutter hinderte, glaube ich, irgendeinen anderen Menschen zu lieben, es sei denn mit geringerer Schätzung, da all ihr Denken auf diesen einzigen Mittelpunkt ihrer Zuneigung und Anbetung gesammelt war. Ich weiß, daß mein teurer Vater vor ihren Augen seine Liebe zur Tochter nicht zeigte – und in ihren letzten ehrwürdigsten Augenblicken gestand mir diese liebe und zärtliche Mutter reuig, daß sie mich nicht genug geliebt hätte, gestand selbst ihre Eifersucht, daß mein Vater seine Neigung irgend jemand außer ihr allein zuwenden könnte. Und mit den schönsten und liebevollsten Worten zärtlicher Mahnung bat sie mich, ihn nie zu verlassen und den Platz auszufüllen, von dem sie scheiden sollte. Ich glaube, ich kann mit reinem Gewissen und unbeschreiblich dankbarem Herzen sagen, daß ich diese Befehle einer Sterbenden erfüllte und daß mein teuerster Vater bis zu seiner letzten Stunde niemals klagen konnte, Liebe und Treue seiner Tochter hätten ihm gemangelt.

Und erst seitdem ich ihn so völlig kannte – denn zu meiner Mutter Lebzeiten eröffnete er sich mir nie so ganz –, seitdem ich den Wert und die Kostbarkeit dieser Neigung erkannte, die er mir nun schenkte, seitdem habe ich verstanden und verziehen, was mich zu ärgern pflegte, wie ich gestehe, solange meine Mutter lebte: ihre Eifersucht auf die Liebe ihres Gatten. Die war ein so kostbares Geschenk, kein Wunder, daß sie, die es besaß, es völlig für sich behalten wollte und mit niemand teilen konnte, nicht einmal mit ihrer Tochter.

Erstaunlich war es, mit welch gewaltigem Respekt mein Vater von seinen Leuten betrachtet wurde, obgleich ich ihn nie ein hartes Wort gebrauchen hörte; und die Arbeiter auf unserer Pflanzung, sowohl die aus England gedungenen wie die gekauften Neger, gehorchten ihm mit einem Eifer, den auch die strengsten Aufseher in der Gegend rundum nie von ihren Leuten erreichen konnten. Er war nie vertraulich, doch vollkommen einfach und natürlich, derselbe gegenüber dem geringsten Manne wie dem höchsten, und zu einem schwarzen Sklavenmädchen ebenso höflich wie zu der Frau des Gouverneurs. Niemand wagte je, sich eine Freiheit gegen ihn herauszunehmen (nur einmal ein betrunkner Gentleman aus York, und ich muß gestehen, daß mein Papa ihm nie verzieh). Er brachte die bescheidensten Personen sofort auf gleichen Fuß mit sich und schraubte die arrogantesten durch eine feierlich-satirische Art herab, die die Leute besonders an ihm fürchteten. Seine Höflichkeit war nicht äußerlich, wie ein Sonntagskleid, das abgelegt wird, wenn die Gäste gehen; sie blieb stets dieselbe, so wie er gleich sorgfältig gekleidet war für ein Dinner zu Haus wie für einen großen Empfang. Man sagt ihm nach, daß er gern die erste Rolle in seiner Gesellschaft spielte, aber in welcher Gesellschaft wäre er nicht der Bedeutendste gewesen? Als ich zu meiner Ausbildung nach Europa reiste und wir einen Winter in London mit meinem Halbbruder Lord Castlewood und seiner zweiten Gemahlin verbrachten, sah ich am Hofe Ihrer Majestät einige der bekanntesten Gentlemen jener Tage, und ich dachte bei mir: keiner von ihnen ist besser als mein Papa. Und der berühmte Lord Bolingbroke, der aus Dawley zu uns kam, meinte das auch, und daß die Männer der heutigen Zeit nicht mit denen seiner Jugendjahre zu vergleichen wären. »Müßte Ihr Vater, gnädiges Fräulein, in die Wälder ziehen«, sagte er, »so würden die Indianer ihn zum Häuptling wählen« – und Seine Lordschaft beliebte mich Pocahontas zu nennen.

Unsere andere Verwandte, Bischof Tushers Gemahlin, von der in Papas Erinnerungen so viel die Rede ist, sah ich nicht, obgleich meine Mama aufs Land fuhr, um sie zu besuchen. Ich bin nicht überheblich (was ich dadurch bewies, daß ich meiner Mutter Bitte willfahrte und einen Gentleman heiratete, der nur der jüngere Sohn eines Baronets in Suffolk war), doch ich bekenne mich zu einem würdigen Respekt für meinen Namen und wundere mich, wie eine, die ihn führte, ihn jemals gegen den einer Frau Thomas Tusher tauschen mochte. Ich übergehe jene Berichte als anrüchig und unglaubwürdig, die ich in Europa hörte und damals zu jung war zu begreifen: daß diese Person, nachdem sie ihre Familie verlassen hatte und nach Paris geflohen war, aus Eifersucht auf den Prätendenten seine Geheimnisse an Lord Stair, König Georgs Gesandten, verriet und fast des Prinzen Tod verursachte; daß sie nach England kam und diesen Herrn Tusher heiratete und eine große Favoritin König Georgs des Zweiten wurde, der Herrn Tusher zum Dekan und später zum Bischof machte. Ich sah die Dame nicht, die während unseres ganzen Aufenthalts in London vorzog, in ihrem Palast zu bleiben, aber meine arme Mama sagte nach dem Besuch bei ihr, daß sie all ihre Schönheit verloren hätte und warnte mich, zuviel auf solche Gaben zu vertrauen, die mir die Natur verliehen hatte. Sie werde unmäßig beleibt, erzählte Mutter, und ich erinnere mich, daß meines Bruders Frau, Lady Castlewood, sagte: »Kein Wunder, daß sie Favoritin wurde, denn der König schätzt die alten häßlichen, wie vor ihm sein Vater schon.« Worauf Papa bemerkte: »Darin glichen sich doch alle Frauen – keine wäre je so schön gewesen, wie diese eine, aber wir könnten ihr alles verzeihen, nur ihre Schönheit nicht.« Und hierauf sah Mama ärgerlich aus, und Lord Castlewood fing an zu lachen, und ich war natürlich ein zu junges Geschöpf, um den Sinn ihrer Unterhaltung zu verstehen.

Nach den Begebenheiten, die im dritten Buch dieser Memoiren erzählt sind, wanderten mein Vater und meine Mutter aus, da ihre Freunde ihnen rieten, jener Geschäfte wegen, die am Ende des dritten Bandes berichtet sind, das Land zu verlassen. Aber als mein Bruder erfuhr, daß die zukünftige Bischofsgemahlin Castlewood verlassen und sich mit dem Prätendenten in Paris vereinigt hatte, verfolgte er ihn und hätte ihn getötet, ob er auch ein Fürst war, wenn es dem Prinzen nicht gelungen wäre, zu entkommen. Als er unmittelbar darauf in Schottland landete, war Lord Castlewood so wütend auf ihn, daß er um Erlaubnis bat, als Freiwilliger in des Herzogs von Argyle Armee zu dienen, der zu begegnen der Prätendent niemals wagte – und hinfort war Mylord völlig versöhnt mit der jetzt regierenden Familie, durch die er sogar im Rang erhoben wurde.

Frau Tusher war zu dieser Zeit so ärgerlich auf den Prätendenten, als nur irgendeiner ihrer Verwandten, und pflegte sich zu rühmen, wie ich hörte, daß sie nicht nur Mylord der Kirche von England zurückgewonnen, sondern ihm auch die englische Pairswürde verschafft habe, deren sich der jüngere Zweig unserer Familie gegenwärtig erfreut. Sie war sehr befreundet mit Sir Robert Walpole und wollte nicht eher ruhen, bis ihr Gatte in Lambeth schlief, wie mein Papa lachend zu sagen pflegte. Jedoch der Bischof starb plötzlich am Schlagfluß, und seine Frau errichtete ein großartiges Denkmal über ihm, und das Ehepaar ruht unter jenem Stein mit einem Baldachin aus Marmorwolken und Marmorengeln über sich, während die erste Frau Tusher sechzig Meilen entfernt in Castlewood begraben liegt.

Doch meines Papas Genie und Bildung sind beide so viel größer, als man von irgendeiner Frau erwarten kann, und seine Abenteuer in Europa weit aufregender als sein Leben in diesem Lande, das im stillen Dienst der Liebe und der Pflicht verbracht wurde; darum will ich nichts mehr zur Einführung in seine Memoiren bemerken und will auch meine Kinder nicht länger aufhalten, eine Geschichte zu lesen, die so viel interessanter ist als die ihrer liebenden Mutter Rachel Esmond Warrington.

Castlewood, Virginia, 3. November 1778


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