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Elftes Kapitel
Unser Gast verläßt uns, weil wir ihm nicht gastfreundlich genug sind

Die Abreise von Beatrix ging noch in derselben Stunde vor sich. Ihre Jungfer fuhr mit ihr in der Postkutsche, und ein bewaffneter Mann saß auf dem Bock, um etwaigen Gefahren unterwegs zu begegnen. Esmond und Frank wollten den Wagen zu Pferde begleiten, aber sie wies ihr Anerbieten entrüstet zurück. So mußte noch ein anderer Mann der Kutsche bewaffnet folgen, mit dem Befehl, sie nicht zu verlassen, ehe sie die Heide von Hounslow am nächsten Tage hinter sich hatte. Da diese zwei die ganze männliche Bedienung des Hauses in Kensington ausmachten, wurde der treue John Lockwood aufgeboten, um Mylady in der Zwischenzeit zu bedienen. Er hätte es freilich vorgezogen, Fräulein Lucy, seinen Schatz, auf der Reise zu beschützen.

Wir hatten eine stille, trübselige Mahlzeit. Es schien, als liege eine Finsternis über dem Hause, seit das strahlende Antlitz von Beatrix daraus verschwunden war. Nachmittags kam eine Botschaft von Lady Masham, die unsere gedrückte Stimmung etwas hob. »Die Königin war sehr angegriffen«, schrieb sie, »aber sie erholt sich wieder, und es wird alles gut gehen. Sorgen Sie dafür, daß Mylord Castlewood sich bereithält für den Fall, daß wir nach ihm schicken sollten.«

Abends kam ein zweites Billett: »Im Rat ist große Schlacht gewesen. Lord O... ist gefallen, um nicht wieder aufzustehen. Nachfolger noch nicht ernannt. Lord B... empfängt heute abend eine große Gesellschaft von Whigs in Golden Square. Sollte er schwanken, so bleiben doch andere treu. Die Königin hat keine Anfälle mehr. Sie liegt zu Bett und ist ruhiger. Halten Sie sich für morgen früh bereit. Ich hoffe immer, daß alles gut gehen wird.«

Der Prinz kam zurück, als der Überbringer dieser Botschaft gerade das Haus verlassen hatte. Seine Königliche Hoheit hatte dem Weinkeller des Bischofs solche Ehre angetan, daß man über Geschäfte nicht mehr mit ihm sprechen konnte. Man brachte ihn in sein königliches Bett. Er nannte Castlewood vertraulich bei seinem Namen und vergaß völlig die Rolle, von deren Durchführung seine Sicherheit und seine Krone abhingen. Es war gut, daß die Dienerschaft von Lady Castlewood außer Hörweite war. Er fragte schlucksend nach der göttlichen Beatrix, fiel aber alsbald in tiefen Schlummer und in das Vergessen, mit dem Bacchus seine Jünger belohnt. Wir wünschten, Beatrix hätte ihn in seinem Rausch sehen können. Wir bedauerten fast, daß sie fort war.

Einer von den dreien am Kensington-Square war Narr genug, noch zur Nacht nach Hounslow zu reiten und in dem Gasthof abzusteigen, wo die Familie auf ihren Reisen nach Castlewood zu nächtigen pflegte. Esmond sagte dem Wirt, daß er Fräulein Beatrix nichts von seinem Kommen sagen solle, und hatte die grimmige Genugtuung, an der Tür vorüberzugehen, hinter der sie und ihre Jungfer schliefen, und vom Fenster aus zu beobachten, wie die Kutsche sich morgens in der Frühe wieder in Bewegung setzte. Er sah, wie sie lächelte und dem Diener, der Befehl hatte, bis über die Heide hinaus bewaffnet hinter dem Wagen herzureiten, ein Geldstück in die Hand gleiten ließ. Es schien, als wolle sie sich mit dem Schutz des Bewaffneten auf dem Bock begnügen. Der Bursche verbeugte sich zu vielen Malen vor seiner jungen Herrin, ließ sich in der Küche einen Krug Bier geben und trabte in Begleitung des Postillions und seiner Pferde nach London zurück.

Die beiden Ehrenmänner waren noch nicht eine Meile über Hounslow hinaus, als sie es gut fanden, wieder einzukehren, und ihr Entsetzen war groß, als sie Oberst Esmond im Trab heranreiten sahen. Auf seine strenge Frage erhielt er die Antwort, Fräulein Beatrix ließe sich empfehlen, sonst habe sie ihnen keinerlei Botschaft mitgegeben. Sie habe eine sehr gute Nacht verbracht und werde bei Sonnenuntergang in Castlewood eintreffen. Der Gedanke, daß Beatrix sich immer weiter von der Gefahr entfernte, beruhigte Esmond nicht wenig. Lange ehe der betrunkene Gast zur Nüchternheit erwachte, war er schon wieder in Kensington-Square.

Das Ereignis des vorhergehenden Abends war am Morgen schon in ganz London bekannt. Ein heftiger Streit hatte im Ministerrat getobt, und in jeder Kneipe machte eine andere Darstellung dieses Vorganges die Runde. Die Nachrichten brachten Bischof Atterbury schon früh nach Kensington-Square, wo er auf das Erwachen seines königlichen Herrn wartete und der festen Hoffnung Ausdruck gab, daß er noch vor Ablauf des Tages zum Prinzen von Wales und Erben des Thrones ernannt sein werde. Am Nachmittag vorher hatte der Bischof eine Anzahl einflußreicher, königstreuer Herren bei sich zu Gast gehabt, und Seine Königliche Hoheit hatte aller Herzen gewonnen, sowohl die der Schotten wie der Engländer, die der Katholiken wie der Hochkirchler. »Sogar Quäker«, sagte er, »waren bei unserer Zusammenkunft. Hat der Fremde auch etwas zuviel britischen Punsch und britisches Bier getrunken, so wird er sich bald besser an diese Getränke gewöhnen. Mylord Castlewood«, fügte er lachend hinzu, »muß den grausamen Vorwurf ertragen, daß er einmal in seinem Leben etwas berauscht war. Er hat wohl zwölfmal auf die Gesundheit Ihrer schönen Schwester getrunken. Wir haben alle darüber gelacht und diesen hohen Grad brüderlicher Zuneigung bewundert. Wo ist denn die reizende Nymphe? Warum ziert sie nicht den Teetisch mit ihren glänzenden Augen?«

Mylady sagte trocken, Beatrix sei heute morgen nicht zu Hause. Des Bischofs Gedanken waren zu sehr von den großen Ereignissen erfüllt, um sich eingehender mit Abwesenheit oder Anwesenheit irgendeiner Dame zu beschäftigen, und sei sie noch so schön.

Wir saßen noch bei Tisch, als Doktor A... in großer Bestürzung vom Palast kam. Die Aufregungen am Tag zuvor waren von sehr ernsten Folgen für die Königin gewesen. Man hatte ihn gerufen, und er hatte einen Aderlaß verordnet. Der Wundarzt von Long Acre hatte ihn vorgenommen. Was ließ uns zusammenfahren, als wir den Namen Herr Aymes hörten? »Il faut être aimable pour être aimé«, sagte der lustige Doktor. Esmond zupfte ihn am Ärmel und bat ihn zu schweigen. In Aymes Haus hatten wir Lord Castlewood nach dem verhängnisvollen Duell zum Sterben gebettet. Ihre Majestät fühlte sich seitdem etwas freier und atmete leichter.

Ein zweiter Besuch des Prinzen bei der Königin konnte an diesem Tage unter keinen Umständen gewagt werden. Als unser Gast von oben her das Zeichen gab, daß er erwacht sei, brachten ihm der Arzt, der Bischof und Oberst Esmond ihre teils erfreulichen, teils zweifelhaften Nachrichten. Doktor A... mußte sich bald wieder entfernen, versprach aber, den Prinzen über alles, was im Palast geschah, auf dem laufenden zu halten. Er und der Bischof rieten, daß man Seine Königliche Hoheit an das Bett der Königin führen solle, sobald ihre Krankheit eine günstige Wendung nehme. Dann müsse der Ministerrat berufen werden. Von den wachthabenden Regimentern in Kensington und St. James waren zwei königstreu und ein drittes wenigstens nicht feindlich gesinnt. Man konnte sich darauf verlassen, daß sie sich für den Prinzen erklären würden, sobald die Königin ihn vor den Lords und dem Rat zu ihrem Thronerben ernannt hatte.

Der Prinz, der Bischof und Oberst Esmond brachten viele Stunden dieses Tages hinter verschlossenen Türen zu, um Proklamationen und Adressen an das Land, die Schotten, die Geistlichkeit und die Bevölkerung von London abzufassen, die die Ankunft des verbannten Sprößlings dreier Herrscher und seine Anerkennung als Thronerben durch seine Schwester verkündeten. Jede Sicherung ihrer Freiheiten, die Volk und Kirche verlangen sollten, wurde ihnen versprochen. Der Bischof konnte für die Anhänglichkeit vieler kirchlicher Würdenträger eintreten, die ihre Gemeinden und Geistlichen eifrig ermahnten, das geheiligte Recht des künftigen Herrschers zu bedenken und das Land von der Sünde der Empörung zu reinigen.

Während der Abfassung dieser Schriftstücke, bei der Esmond den Sekretär spielte, kam mehr als ein Bote mit Nachrichten über den Zustand der erlauchten Kranken vom Palast herüber. Um Mittag ging es ihr etwas besser; gegen Abend ergriff sie wieder die Schwäche, und ihre Gedanken verwirrten sich. Bei Einbruch der Nacht brachte Dr. A... einen etwas günstigeren Bericht; jedenfalls war keine augenblickliche Gefahr vorhanden. Im Lauf der letzten zwei Jahre hatte Ihre Majestät viele ähnliche Anfälle, aber viel schwererer Natur, gehabt.

Wir hatten um diese Zeit etwa sechs Proklamationen vollendet. Der Wortlaut war schwierig. Keine Partei durfte gekränkt, kein Mißtrauen durfte bei den Whigs und bei den kirchlichen Sekten erregt werden. Der junge Prinz hatte während der Arbeit eines langen Tages viel Behendigkeit im Begreifen der vorliegenden Tatsachen und Geschick und Erfindungsgabe im Aufsetzen der Schriftstücke bewiesen, die von ihm unterzeichnet in die Welt hinausgehen sollten. Er zeigte zudem auch eine Gutherzigkeit und eine so wohlbedachte Fürsorge, daß wir ihm zu Ehren hier davon erzählen wollen.

»Sollten diese Papiere verlegt werden«, sagte er, »oder unser Plan mißglücken, so würde Mylord Esmonds Handschrift ihn an einen Ort bringen, wo ich von Herzen hoffe, ihn nie zu sehen. Wenn Sie einverstanden sind, so will ich die Papiere selbst abschreiben, obwohl ich in der Orthographie nicht gerade stark bin. Werden sie gefunden, so belasten sie nur den einen, den sie am nächsten angehen.« Nachdem er die Proklamationen sorgfältig kopiert hatte, verbrannte er die von Esmond niedergeschriebenen Originale. »Jetzt, meine Herren«, rief er, »wollen wir zum Abendbrot gehen und mit den Damen ein Glas Wein trinken. Mylord Esmond, Sie werden heute abend mit uns essen. Sie haben uns in letzter Zeit viel zu selten Ihre Gesellschaft geschenkt.«

Die Mahlzeiten des Prinzen wurden gewöhnlich in dem Zimmer serviert, wo Beatrix sonst zu schlafen pflegte. An diesem Abend erwarteten ihn dort nur Frank Castlewood und seine Mutter, als er aus seinem Schlafzimmer, in dem er den ganzen Tag mit dem Bischof und dem Oberst gearbeitet hatte, zum Essen herüberkam.

Seine Mienen verdüsterten sich, als Beatrix' strahlendes Antlitz ihn nicht begrüßte. Er fragte Lady Esmond, wo seine schöne Begleiterin vom gestrigen Tage geblieben sei. Mylady schlug die Augen nieder und sagte ruhig, Beatrix könne heute nicht zum Abendbrot kommen. Sie gab nicht das leiseste Zeichen der Verwirrung von sich, während ihr Sohn rot wurde und Esmond seine Verlegenheit nicht bemeistern konnte. Ich glaube, Frauen haben von Natur die Gabe der Verstellung; sie können ihre Gefühle geschickter verbergen als der geriebenste männliche Höfling. Verbringen nicht viele von ihnen den besten Teil ihres Lebens damit, ihre Tyrannen zu umgaukeln und hinter zärtlichem Lächeln und künstlicher Heiterkeit ihre Zweifel, ihre Kümmernisse und Ängste zu verstecken?

Unser Gast schlang sein Abendbrot mißmutig hinunter; erst nach der zweiten Flasche fing er an zu scherzen. Als Lady Castlewood um die Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen, ließ er Beatrix sagen, er hoffe, sie am nächsten Tag beim Mittagessen zu sehen. Dann ergab er sich dem Trinken und späterhin dem Gespräch. Stoff genug dafür war vorhanden.

Am nächsten Morgen wurde aus dem Palast berichtet, es gehe der Königin etwas besser. Sie sei eine Stunde lang auf gewesen, aber noch nicht wohl genug, um irgendeinen Besucher zu empfangen.

Zu Mittag war nur für Seine Königliche Hoheit gedeckt; die beiden Herren allein bedienten ihn. Wir hatten morgens mit Mylady eine Beratung gehabt und hatten beschlossen, daß Fragen des Prinzen nach Beatrix in Zukunft von den Herren des Hauses beantwortet werden sollten.

Er war sichtlich verstört und unruhig und sah beständig nach der Tür, als erwarte er jemand. Es kam aber niemand als der brave Lockwood, der die Speisen heraufbrachte, klopfte und sie den Herren durch die Tür hineinreichte. So waren die Mahlzeiten geordnet, und der hohe Rat der Küche wird wohl der Ansicht gewesen sein, daß der Priester, den Mylord mitgebracht hatte, uns alle zu Papisten machte, und daß die Papisten wie die Juden ihre Mahlzeiten nur unter sich und nicht unter den Augen anderer Christen einnehmen dürfen.

Der Prinz versuchte sein Mißvergnügen zu bemänteln, aber er war ein ungeschickter Heuchler. Wenn er schlechter Laune war, so konnte er nur mit äußerster Schwierigkeit ein heiteres Gesicht aufsetzen. Er machte ein paar törichte Versuche zu gleichgültigem Gespräch, kam aber alsbald auf den wunden Punkt und sagte so harmlos, als es ihm möglich war, zu Lord Castlewood, er hoffe und wünsche, daß Mylords Mutter und Schwester beim Abendbrot erscheinen möchten. Er dürfe nicht ausgehen; die Zeit werde ihm daher lang, und Fräulein Beatrix könne ihm doch beim Kartenspielen Gesellschaft leisten.

Frank sah Esmond an; Esmonds Blick antwortete. Darauf sagte Lord Castlewood zu Seiner Königlichen Hoheit In London redeten wir den König unweigerlich als Königliche Hoheit an, obgleich die Frauen darauf bestanden, ihm die Ehren eines Königs zu erweisen., seine Schwester sei nicht in Kensington; ihre Familie habe es gut gefunden, daß sie die Stadt verlasse.

»Nicht in Kensington!« sagte der Prinz. »Ist sie krank? Sie war gestern ganz gesund; warum war es gut für sie, die Stadt zu verlassen? Tat sie es auf Ihren Befehl, Mylord, oder auf den Wunsch des Obersten Esmond, der in diesem Hause der Herr zu sein scheint?«

»In diesem Hause ist er nicht der Herr«, sagte Frank stolz, »nur in unserem Hause auf dem Lande, das er uns gegeben hat. Dieses Haus gehört meiner Mutter, und Walcote stammt von meinem Vater. Der Marquis von Esmond weiß, daß er nur ein Wort zu sagen braucht, und ich gebe ihm das seinige zurück.«

»Der Marquis von Esmond! Der Marquis von Esmond«, rief der Prinz und stürzte ein Glas Wein hinunter, »mischt sich zuviel in meine Angelegenheiten und pocht auf den Dienst, den er mir geleistet hat. Wenn Sie mit Ihrer Werbung bei Beatrix durchdringen wollen, Mylord, so sperren Sie sie nicht in einen Kerker ein. Das ist nicht die Art, wie man eine Frau gewinnt.«

»Ich erinnere mich nicht, Eurer Königlichen Hoheit von meiner Werbung um Fräulein Beatrix erzählt zu haben.«

»Bah, Monsieur! Wir brauchen kein Schwarzkünstler zu sein, um das zu durchschauen. Es offenbart sich jeden Augenblick. Sie sind eifersüchtig, Mylord, und die Hofdame braucht nur einen anderen Mann anzusehen, dann fangen Sie an, finstere Gesichter zu schneiden. Ihr Tun ist unwürdig, Monsieur, ungastlich, c'est lâche, oui, lâche.« Er sprach hastig auf französisch weiter, seine Wut steigerte sich mit jedem Satz. »Ich komme in Ihr Haus; ich wage mein Leben; ich verbringe es in Langeweile; ich verlasse mich auf Ihre Treue; ich habe keine andere Zerstreuung, als die Predigten Euer Gnaden und die Unterhaltungen jener anbetungswürdigen jungen Dame, und Sie nehmen sie mir fort! Merci, Monsieur! Ich werde Ihnen danken, wenn ich einmal in der Lage dazu bin; ich werde wissen, eine Treue zu belohnen, die ein wenig zudringlich ist, Mylord, ein wenig zudringlich. Seit einem Monat langweilen Sie mich über alle Maßen mit Ihren Beschützermienen. Sie geruhen, mir die Krone anzubieten, und Sie verlangen, daß ich sie kniend in Empfang nehme wie einst König Johann – was? Ich kenne die Geschichte meines Landes, Monsieur; ich spotte über stirnrunzelnde Barone. Ich bewundere Ihre Geliebte, und Sie schicken sie auf eine Bastille in der Provinz. Ich betrete Ihr Haus, und sie mißtrauen mir. Ich werde es verlassen, Monsieur; heute abend noch werde ich es verlassen. Ich habe andere Freunde, deren Treue nicht so schnell bei der Hand sein wird, meine Treue zu verdächtigen. Habe ich einmal Orden zu vergeben, so werde ich Edelleute damit schmücken, die nicht so geneigt sind, Arges zu denken. Besorgen Sie mir einen Wagen. Entweder Sie lassen die schöne Beatrix zurückkehren, oder ich verlasse dieses Haus. Ich will Ihre Gastfreundschaft nicht auf Kosten der Freiheit jenes lieblichen Geschöpfes genießen.«

Er sprach mit raschen Handbewegungen, wie es die Art der Franzosen ist, und rannte mit erhitztem Gesicht im Zimmer auf und nieder; seine Hände zitterten vor Wut. Häufige Krankheiten und ausschweifendes Leben hatten ihn mager und gebrechlich gemacht. Sowohl Castlewood wie Esmond hätten ihm in der Zeit von einer Minute den Garaus machen können. Er aber scheute sich nicht, beide zu beschimpfen, und geruhte kaum, ein Hehl aus der Leidenschaft zu machen, die er für die Tochter des Hauses empfand. Lord Castlewood antwortete einfach und würdig auf seinen Wortschwall.

»Es gefällt Eurer Königlichen Hoheit«, sagte er, »zu vergessen, daß andere für Ihre Sache das Leben aufs Spiel setzen. Wenige Engländer würden es wagen, an Ihre geheiligte Person die Hand zu legen; keiner aber würde daran denken, unser Leben zu schonen. Das Leben unserer Familien, alles war uns gehört, steht Ihnen zu Diensten, nur unsere Ehre nicht.«

»Ehre! Bah, Monsieur! Wer denkt daran, Ihre Ehre zu verletzen?« sagte der Prinz mit mürrischem Gesicht.

»Wir bitten Eure Königliche Hoheit inständigst, sie niemals verletzen zu wollen«, entgegnete Lord Castlewood und verneigte sich tief. Die Nacht war warm, und die Fenster standen nach allen Seiten offen. Esmond hörte durch die geschlossene Tür vom Schlafzimmer des Prinzen, das nach dem Platz hinaus lag, den Nachtwächter draußen die Runde ausrufen. Er öffnete die Tür; der Diener Martin, der Beatrix bis Hounslow begleitet hatte, verließ den Raum im Augenblick, in dem Esmond ihn betrat. Als seine Schritte verklungen waren, hörte man wieder den Singsang des Nachtwächters: »Zehn Uhr vorbei und eine sternklare Nacht.« Der Oberst sagte leise zum Prinzen: »Eure Königliche Hoheit hören den Mann.«

»Après, Monsieur?« fragte der Prinz.

»Ich brauche ihm nur vom Fenster aus zu winken und ihn fünfzig Meter weit zu schicken, so kommt er alsbald mit einer Wache zurück, der ich die Person dessen übergeben werde, welcher sich Jakob der Dritte nennt und für dessen Ergreifung das Parlament fünfhundert Pfund ausgesetzt hat, wie Eure Königliche Hoheit auf dem Ritt von Rochester her an den Straßenecken gelesen haben. Es bedarf nur eines Wortes, und beim Himmel, der mich erschaffen hat, ich würde dieses Wort aussprechen, wenn ich nicht der Überzeugung wäre, daß der Prinz um seiner eigenen Ehre willen davon abstehen wird, unsere Ehre zu beflecken. Aber der vornehmste Mann Englands kennt seine Pflicht zu gut, um sich mit Geringerem zu vergessen und seine Krone durch eine schmachvolle Tat zu gefährden.«

»Hat Mylord auch noch etwas zu sagen«, fragte der Prinz und wandte sich bleich vor Wut Frank Castlewood zu, »irgendeine Drohung oder Beleidigung, um der Unterhaltung dieses angenehmen Abends ein Ende zu machen?«

»Ich folge in allem dem Oberhaupt unseres Hauses«, sagte Frank und verbeugte sich feierlich. »Um welche Zeit wünscht der Prinz uns morgen früh erscheinen zu. sehen?«

»Sie werden so früh als möglich den Bischof von Rochester aufsuchen. Sie werden ihn veranlassen, mir seinen Wagen zu schicken und mir eine Wohnung in seinem eigenen oder in einem anderen sicheren Hause vorzubereiten. Der König wird Sie reich belohnen für Ihre Dienste, seien Sie ohne Sorge. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Wenn es dem Marquis von Esmond nicht gefällt, seinen Kollegen, den Nachtwächter, zu rufen, damit ich die Nacht in Gesellschaft der Wache von Kensington zubringen kann, so will ich mich jetzt zu Bett begeben. Leben Sie wohl! Seien Sie versichert, daß ich Ihrer gedenken werde. Mylord Castlewood, ich brauche heute abend keinen Kämmerling.« Der Prinz entließ uns mit einer grimmigen Verbeugung, verschloß die Tür nach dem Zimmer, wo er zu Abend gegessen hatte, und riegelte auch hinter uns die Tür nach dem Kabinett zu, in dem Frank Castlewood oder Monsieur Baptiste schlief. Es war der Ausgang, durch den Esmond vor wenigen Minuten den Diener verschwinden sah.

Früh am nächsten Morgen erschien der Bischof und hatte mit dem Prinzen ein längeres Gespräch unter vier Augen. Der Prinz klagte seinem Ratgeber die Kränkungen, die ihm seiner Auffassung nach die Herren des Hauses zugefügt hatten. Der würdige Prälat trug nach dieser Unterhaltung einen sehr befriedigten Ausdruck zur Schau. Er war ein erfindungsreicher Mann von unbedingter Zuverlässigkeit, reich begabt und mit vielen Tugenden geschmückt; aber er war höchst empfindlich und eifersüchtig und von einem Temperament, das am Sturz eines Günstlings Freude hatte, wie er auch jetzt trotz seines besseren Ichs sein Wohlgefallen nicht unterdrücken konnte, als er das Ministerium Esmond gestürzt sah.

»Ich habe Ihren Gast besänftigt«, sagte er zu den beiden Herren und zu Mylady, die man über den Streit vom Abend vorher unterrichtet hatte. »Aber wenn ich alles in Erwägung ziehe, so scheint es mir doch am besten, wenn der Prinz dieses Haus verläßt. Dann, Mylady Castlewood«, fügte der Bischof hinzu, »kann meine hübsche Beatrix zurückkommen.«

»Sie ist ebensogut in Castlewood aufgehoben, bis alles vorüber ist«, sagte Mylady.

»Sie sollen Ihren Titel bekommen, Esmond, das verspreche ich Ihnen«, sagte der gute Bischof und nahm die Haltung eines ersten Ministers an. »Der Prinz hat sich sehr würdig über die kleine Meinungsverschiedenheit von gestern abend geäußert; und ich stehe Ihnen dafür, daß er auf meine Predigt gehört hat, wie auch auf die Predigt anderer Leute«, meinte er schelmisch. »Er hat neben seinen großen und edlen Eigenschaften allerdings auch eine Schwäche für das schöne Geschlecht, die eine Erbschaft seiner Familie ist, eine Schwäche, die er mit vielen berühmten Herrschern seit König Davids Zeiten gemein hat.«

»Mylord, Mylord!« fuhr es Lady Esmond heraus, »die Nachsicht, mit der Sie über ein solches Betragen gegen unser Geschlecht sprechen, kränkt mich tief. Was Sie als Schwäche bezeichnen, scheint mir eine beklagenswerte Sünde.«

»Sünde ist es, mein liebes Kind«, sagte der Bischof, zuckte mit den Schultern und nahm eine Prise, »aber denken Sie an König Salomos Sünden, der noch dazu tausend Weiber hatte.«

»Genug davon, Mylord«, entgegnete Lady Castlewood und verließ würdevoll das Zimmer.

Der Prinz erschien mit lächelndem Gesicht; vom Zorn des vergangenen Abends ließ er sich jetzt nichts merken. Er reichte jedem der Herren höflich die Hand. »Wenn alle ihre Bischöfe so gut predigen wie Doktor Atterbury«, sagte er, »dann weiß ich nicht, was aus mir noch werden wird, meine Herren. Ich habe gestern abend sehr unbesonnen gesprochen, Mylords, und bitte Sie beide um Verzeihung. Aber ich will nicht länger hierbleiben, da ich den Argwohn guter Freunde erwecke und schöne Mädchen von Hause fernhalte. Mylord, der Bischof, hat einen sicheren Aufenthalt für mich gefunden, nicht weit von hier im Hause eines Geistlichen, dem wir vertrauen können und dessen Frau so häßlich ist, daß man nicht für sie zu fürchten braucht. Wir wollen also neue Quartiere beziehen. Ich verlasse Sie dankbar für hundert Freundlichkeiten, die mir hier erwiesen wurden. Wo ist meine Wirtin? Ich möchte ihr Lebewohl sagen. Ich hoffe, ich kann sie bald in meinem eigenen Hause begrüßen, wo meine Freunde keine Ursache haben werden, sich mit mir zu erzürnen.«

Lady Castlewood betrat errötend das Zimmer. Tränen füllten ihre Augen, als der Prinz sie gnädig begrüßte. Sie sah so anmutig und jung aus, daß der Bischof es nicht lassen konnte, dem Prinzen in seiner scherzenden Art von ihrer Schönheit zu sprechen. Der Prinz machte ihr ein ritterliches Kompliment, das sie von neuem erröten und noch reizender aussehen ließ.


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