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Achtes Kapitel
Familiengespräche

Was Harry an dem hübschen Jungen, seinem Vetter, bewunderte, war besonders die ruhige Überlegenheit, mit der er den Gönner spielte, als wäre es sein selbstverständliches Recht, zu herrschen, und als müsse sich die ganze Welt – unter seinem Stande – dem jungen Grafen Castlewood beugen.

»Ich kenne meine Stellung, Harry«, sagte er. »Ich bin nicht stolz; die Jungen auf der Schule in Winchester sagen, ich sei stolz. Das ist nicht wahr. Ich bin eben einfach Francis, Graf von Castlewood und Peer von Irland. Ich könnte auch Marquis von Esmond und Peer von England sein, weißt du das? Mein Vater hat den Titel ausgeschlagen, als er ihm von meinem Paten, dem verstorbenen König, angeboten wurde. Es ist gut, wenn du das alles weißt, du bist ja doch einer der Unsern; für den Fleck auf deinem Namen kannst du nichts, mein lieber Harry, mein guter Junge. Du gehörst trotzdem zu einer der besten Familien in England. Du hast zu meinem Vater gehalten, und bei Gott! ich will zu dir halten. Du wirst immer einen Freund haben, solange Francis, Graf von Castlewood, einen Schilling in der Tasche hat. Wir schreiben jetzt 1703; 1709 werde ich mündig. Dann gehe ich nach Castlewood und lebe dort. Ich will das Schloß wieder aufbauen. Mein Vermögen wird bis dahin wieder ziemlich in Ordnung sein. Der verstorbene Graf hat mein Vermögen schlecht verwaltet und in elendem Zustand zurückgelassen. Meine Mutter lebt sehr sparsam, wie du siehst. Sie hält mich so knapp, wie es mir eines Peers von Irland eigentlich nicht würdig scheint; ich habe nur zwei Pferde, einen Erzieher und einen Diener, der zugleich mein Reitknecht ist. Aber wenn ich mündig bin, werde ich das alles in Ordnung bringen, Harry. Unser Haus wird dann geführt werden, wie es uns zukommt. Du wirst mich in Castlewood besuchen, nicht wahr? Deine beiden Zimmer im Hof sollen immer für dich bereitstehen, und wenn jemand dich schief anzusehen wagt, dann soll er sich verdammt vor mir in acht nehmen. Ich will mich früh verheiraten. Trix wird bis dahin wahrscheinlich Herzogin sein, denn Seine Gnaden kann ja jeden Tag von einer Kanonenkugel getroffen werden.«

»Was?« sagte Harry.

»Still, mein Lieber!« gab Mylord zurück. »Du gehörst zur Familie – du bist uns treu, beim heiligen Georg, dir will ich alles erzählen. Churchill wird sie heiraten, oder ...« er legte seine kleine Hand an den Degen, »du verstehst wohl. Churchill weiß genau, wer von uns beiden die Waffe besser führt. Degen oder Pallasch, Säbel oder Dolch, was er auch wählt, ich schlage ihn. Ich habe mich mit ihm versucht, Harry, und bei Gott, er weiß, daß nicht mit mir zu spaßen ist.«

»Aber du meinst doch nicht«, fragte Harry, der sich mühsam das Lachen verbiß, »daß du Lord Churchill, den Sohn des größten Mannes in England, mit der Degenspitze zwingen kannst, deine Schwester zu heiraten?«

»Ich meine, daß wir von mütterlicher Seite Vettern sind, obwohl das nicht des Rühmens wert ist. Ich meine, daß ein Esmond genauso gut ist wie ein Churchill, und sollte der König zurückkommen, so wird die Schwester des Marquis von Esmond es mit der Tochter jedes Adligen im Königreich aufnehmen können. Es gibt nur zwei Marquis in ganz England, William Herbert, Marquis von Povis, und Francis James, Marquis von Esmond, und hörst du, Harry, schwöre mir, daß du kein Wort von alledem weitersagst. Gib mir dein Wort als Edelmann; denn du bist ein Edelmann, wenn du auch ...«

»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn Harry etwas ungeduldig.

»Nun ja: als wir nach dem Tode des Grafen mit meiner Mutter nach London gingen, um Gerechtigkeit gegen euch alle zu fordern – was Mohun angeht, so will ich mir sein Blut noch holen, so wahr ich Francis, Graf von Esmond heiße –, da wohnten wir bei unserer Verwandten, Mylady Marlborough, mit der wir so lange verzankt waren; aber als das Unglück kam, hat sie zu uns gestanden – wie auch die Gräfin-Witwe –, und du auch. Meine Mutter machte Bittgänge zum verstorbenen Prinzen von Oranien; König werde ich ihn niemals nennen. Lord Marlborough war mit der Armee in Holland. Und da – aber Harry, du sagst es doch nicht weiter?«

Harry schwor, er werde schweigen wie ein Grab.

»Also, da pflegten wir allerlei Spaß zu treiben, weißt du. Mylady Marlborough mochte uns sehr gern und sagte immer, ich solle ihr Page sein, und sie machte Trix zur Ehrendame; und während sie oben in ihrem Zimmer weinte, pflegten wir immer recht lustig zu sein. Und die Herzogin küßte mich, und ihre Töchter küßten mich auch, und Churchill verliebte sich ganz furchtbar in Trix, und Trix mochte ihn gern. Und eines Tages, da – da küßte er sie hinter einer Tür, und die Herzogin hat sie ertappt, und du hättest die Ohrfeigen sehen sollen, die sie den beiden gegeben hat. Dann hat sie gesagt, wir müßten sofort aus dem Hause gehen und hat meine Mutter beschimpft, sie wisse um die Sache; aber die wußte gar nichts, die hat immer nur an Vater gedacht. Churchill wurde eingesperrt und durfte Trix nicht mehr sehen. Ich habe ihn noch gesehen. Ich bin die Dachrinne hinaufgeklettert und zum Fenster hinein. Er saß drinnen und weinte.

›Marquis‹, habe ich gesagt, ›Sie wissen, daß ich einen Degen trage.‹ Denn ich hatte den Degen angelegt.

›Ach, Graf‹, sagte er, ›ach, mein liebster Frank!‹ Er warf sich in meine Arme und weinte bitterlich. ›Ich liebe Fräulein Beatrix so; ich sterbe, wenn ich sie nicht bekomme!‹

›Mein lieber Churchill‹, antwortete ich, ›du bist noch zu jung, um ans Heiraten zu denken.‹ Er war erst fünfzehn, und ein so junger Bursche kann noch nicht gut eine Frau nehmen, weißt du.

›Ich will zwanzig Jahre lang auf sie warten, wenn sie mich nur nimmt‹, sagte er. ›Ich werde niemals, niemals, niemals jemand anders heiraten als sie, auch eine Prinzessin nicht, wenn sie das etwa von mir verlangen sollten. Will Beatrix warten, so schwört ihr Churchill ewige Treue.‹ Und er schrieb auf ein Papier, aber es war nicht richtig geschrieben, denn er schrieb: ›Ich bin bereit, mit meinem Bluht zu sihgeln‹ – du weißt, Harry, so sind die Worte nicht richtig geschrieben – und gelobte, daß er nie eine andere Frau ehelichen werde als das ehrenwerte Fräulein Beatrix Esmond, einzige Schwester seines liebsten Freundes Francis, des vierten Grafen von Esmond. Darum habe ich ihm eine Locke von ihr gegeben.«

»Eine Locke von ihrem Haar?« rief Esmond.

»Ja. Trix hat sie mir nach dem Streit mit der Herzogin am selben Tag gegeben. Ich habe sie bestimmt nicht von ihr verlangt, und so habe ich sie Churchill geschenkt. Wir haben uns zum Abschied geküßt und uns ›Bruder‹ genannt. Dann bin ich an der Rinne wieder hinuntergeklettert» und wir sind denselben Abend nach Walcote gefahren. Er ist nach Cambridge ins Kings College gekommen, und ich gehe auch bald nach Cambridge. Wenn er sein Versprechen nicht hält – denn er hat erst einmal geschrieben –, so weiß er, daß ich einen Degen trage. Komm, Harry, wir wollen zum Hahnenkampf nach Winchester.«

»Aber ich glaube nicht«, fügte er nach einer Weile lachend hinzu, »daß Trix sich sehr um ihn grämen würde. Gott bewahre mich! Sie macht jedem Manne Augen, der ihr zu Gesicht kommt. Der junge Baron Wilmot Crawley und Anthony Henley von Alresford haben vor einem Monat auf dem Ball in Winchester ihrethalben die Degen gezogen.«

Herr Harry schlief in dieser Nacht nicht so gut, wie er die beiden ersten Nächte in Walcote geschlafen hatte. Die strahlenden Augen haben also schon anderen geleuchtet, dachte er. Das Mädchen ist erst sechzehn Jahre alt, und schon winselt ein junger Herr über einer Haarlocke von ihr, und zwei Junker sind bereit, sich gegenseitig den Hals abzuschneiden, um der Ehre eines Tanzes mit ihr teilhaftig zu werden. Was bin ich für ein Narr, mit einer solchen Leidenschaft zu tändeln und mir die Flügel an einer solchen Flamme zu versengen! Ich bin nur acht Jahre älter als sie; aber an Erfahrungen bin ich dreißig Jahre älter. Wie könnte ich mit meiner rauhen Art und meinem mürrischen Gesicht jemals hoffen, einem so süßen Geschöpf zu gefallen? Selbst wenn ich mir noch so große Verdienste erwerbe und Ruhm für meinen Namen gewinne, wie könnte sie mich je erhören? Sie ist zur Marquise geboren, und ich bin ein namenloser Bastard. Ach, mein Herr, mein lieber Herr! Mit leidenschaftlichem Kummer dachte er des Gelübdes, das er dem sterbenden Grafen abgelegt hatte. Ach, meine Herrin, meine liebe, gütige Herrin! Bist du mit dem Opfer, das der arme Verwaiste dir und den Deinen bringt, zufrieden?

Eine wilde Versuchung kam über ihn. Ein Wort von mir, dachte er, und alles sieht anders aus. Aber nein! Ich habe es meinem Wohltäter auf dem Sterbebett geschworen. Möge der Himmel mir helfen, meinen Schwur zu halten.

Obwohl sich Esmond am nächsten Morgen nichts merken ließ von dem, was in ihm vorging, und sich beim Frühstück zu ungewöhnlicher Heiterkeit zwang, bemerkten doch die klaren Augen seiner Herrin, denen keine seiner Stimmungen zu entgehen schien, daß ihn irgend etwas quäle. Sie sah während der Mahlzeit mehr als einmal besorgt zu ihm hinüber, folgte ihm, als er nach seinem Zimmer ging, und klopfte an die Tür.

Als sie eintrat, wurde ihr wohl mit einem Schlage die ganze Geschichte klar; denn sie fand den jungen Herrn beschäftigt, seinen Mantelsack zu packen. Er war fest entschlossen, sich durch einen schnellen Rückzug vor der Versuchung zu retten.

Sie machte die Tür sehr leise zu, lehnte sich daran, faltete die Hände und sah mit bleichem Gesicht dem jungen Mann beim Packen zu. »Willst du schon fortgehen?« fragte sie.

Er sprang von der Erde auf, wo er vor dem Mantelsack gekniet hatte, errötete darüber, daß er sich ertappt sah, nahm eine ihrer schönen Hände und küßte sie.

»Es ist am besten, wenn ich gehe, teuerste Lady«, sagte er.

»Ich wußte schon beim Frühstück, daß du gehen wolltest. Ich – ich hatte gedacht, du würdest etwas länger bleiben. Was ist geschehen? Warum kannst du nicht bleiben? Was hat dir Frank erzählt? Ihr habt gestern abend lange miteinander geredet.«

»Ich habe nur drei Tage Urlaub von Chelsea«, sagte Esmond so unbefangen als ihm möglich war. »Meine Tante – sie läßt sich Tante von mir nennen – ist ja jetzt meine Herrin. Ich verdanke ihr mein Kommando und meinen betreßten Rock. Ich bin in großer Gunst bei ihr, und mein neuer General wird morgen in Chelsea dinieren – General Lumley, der mich zu seinem Adjutanten bestimmt hat und dem ich die Ehre erweisen muß, ihm aufzuwarten. Hier ist der Brief von der Gräfin-Witwe; er ist gestern abend mit der Post gekommen. Ich habe nichts davon gesagt, um uns nicht den letzten heiteren Abend zu verderben.«

Mylady warf einen flüchtigen Blick auf den Brief und legte ihn mit etwas verächtlichem Lächeln nieder. »Ich brauche den Brief nicht zu lesen«, sagte sie. »Was hat dir Frank gestern abend erzählt?« Es war ganz gut, daß sie ihn nicht las, denn die Gräfin-Witwe schrieb in ihrem üblichen Jargon: »Je vous donne oui jour, pour vous fatigay parfaictement de vos parens fatigans ...«

»Er hat mir wenig erzählt, was ich nicht schon wußte«, antwortete Esmond. »Über das Wenige aber habe ich nachgedacht und bin zu folgendem Schluß gekommen: Ich habe kein Recht auf meinen Namen; nur solange Sie es dulden, darf ich ihn tragen, teure Lady. Wenn ich einen Augenblick daran gedacht habe, woran Sie vielleicht auch gedacht haben ...«

»Das habe ich, Harry«, unterbrach sie ihn. »Ich denke noch daran. Ich würde dich lieber zum Schwiegersohn haben als den mächtigsten Fürsten Europas. Denn wer ist so gut und so tapfer wie du, und wer würde sie so lieben wie du? Aber es sprechen Gründe dagegen, die eine Mutter schwer in Worte fassen kann.«

»Ich kenne sie«, sagte Esmond und lächelte. »Ich weiß, daß Baron Crawley und Herr Anthony Henley und Mylord Marquis von Churchill sich um ihre Hand bewerben und daß der Marquis der bevorzugte Freier ist. Ich hoffe, Sie werden mich zur Hochzeit Ihrer Gnaden der Frau Marquise einladen.«

»Ach, Harry, Harry; diese Torheiten erschrecken mich wenig!« rief sie. »Lord Churchill ist ein Kind, seine Leidenschaft für Beatrix ein jugendliches Strohfeuer. Seine Eltern würden ihn lieber im Grabe sehen als neben einer Frau, die im Rang niedriger steht. Glaubst du, ich würde mich je dazu verstehen, Francis Esmonds Tochter in diese hochmütige Familie hineinzuschmuggeln, zwischen Sohn und Eltern einen Hader heraufzubeschwören und Beatrix geringschätzig behandeln zu lassen? Sie selbst würde ein solches Los verschmähen. Ach, Harry, der Fehler liegt nicht bei dir, sondern bei ihr. Ich kenne euch beide, und ich liebe dich. Muß ich mich jetzt dieser Liebe schämen? Nein, nie, niemals, und nicht du bist es, lieber Harry, der unwürdig ist. Um meine arme Beatrix zittere ich – ihr trotziger Eigenwille erschreckt mich; ich kann ihres eifersüchtigen Temperaments und ihrer Eitelkeit nicht Herr werden. Man sagt ja, ich sei auch eifersüchtig gewesen. Wolle Gott, daß ich von dieser Sünde geheilt bin. Aber keine Warnungen und Bitten von mir können Beatrix helfen, sie wird durch Leiden, Erfahrungen und Reue lernen müssen. Ach, Harry, sie wird keinen Mann glücklich machen, der sie liebt. Geh fort, mein Junge, verlasse sie. Behalte uns immer lieb und denke freundlich von uns. Du weißt, Lieber, daß du mir das Teuerste auf Erden bist.«

Hat Esmond die Wahrheit ihrer Worte in späteren Jahren eingesehen? Er war gewarnt. Aber Männer sind oft gewarnt worden, und er hat die Warnungen nicht besser zu nützen verstanden als andere auch. Mein junger Graf war über die Maßen traurig, als er hörte, daß Harry nach London mußte und ihn nicht zum Hahnenkampf begleiten konnte. Aber ohne Zweifel tröstete er sich, sobald die Hähne von Hampshire siegten, und krähte munter über die Niederlage der Herren aus Sussex.

Als Esmond mit seinem Diener nach London ritt, erzählte ihm dieser grinsend, Fräulein Beatrix habe zum Mittagessen ein neues Kleid und blaue Strümpfe anziehen wollen; als sie aber gehört habe, daß er weggehe, sei sie in Wut geraten und habe ihrer Zofe eine Ohrfeige gegeben. Die Zofe sei weinend in die Küche gekommen, und auf ihrer Backe habe man noch die fünf Finger gesehen. Esmond befahl ihm zu schweigen und ritt weiter, mit allerlei traurigen, aber auch manchen lieben und angenehmen Gedanken beschäftigt.

Seine Herrin, von der er ein ganzes Jahr getrennt gewesen war, hatte ihm alles wiedergegeben, was sie ihm genommen. Die Familie, die er liebte, war wieder seine Familie. An die Schönheit von Beatrix dachte er mit gleichem Entzücken zurück wie an die wundervollen Bilder lächelnder Madonnen, die man ihm im Kloster Cadiz gezeigt hatte. Was seine Herrin anging, so war es schwer zu sagen, was er fühlte. Es war Glückseligkeit gewesen, sie zu sehen, es war kein allzu großer Schmerz, von ihr zu scheiden. Eine kindliche Zärtlichkeit, eine Liebe, die zugleich ehrfürchtig und beschützend war, erfüllte ihn ganz, und er betete darum, daß bis zu seinem Tode, ob er der Herrin nah oder fern weilte, die heilige Flamme nicht erlöschen möge.


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