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VI

Auf der Anderetalp war es heute still und friedlich wie immer. Innocenz hatte nirgends so wie hier je die Empfindung, in einer reinen und ruhsamen Welt zu verweilen, deren Atem ihm die heißen Schläfen kühlte und die Wogen seiner Seele sänftigte. Soviel auch von verschiedenen Seiten her in der letzten Zeit auf ihn einstürmte, um ihm den Schlaf seiner Nächte und die Klarheit seines Innern, ja sogar den Trost seines Betens zu rauben, hier fand er immer den Frieden, nach dem ihn verlangte, und als ein Neugestärkter stieg er jedesmal aus dieser Höhe in das Tal und in das Leben hinab.

Das rot und weiß gescheckte Almvieh weidete auf den saftgrünen Matten, die sich in sanften Wellenlinien zu Füßen der gewaltigen Felsriesen hindehnten, und das Geläut der Kuhglocken durchhallte die schimmernde Luft, wenn Innocenz auf dem Sandbühel saß und malte. Manchmal war Filomena schon dort und erwartete ihn, an anderen Tagen wieder spähte er selber auf dem Pfad, den sie kommen mußte, nach ihr aus, und hin und wieder blieb sie auch ganz fort. Dann hatte sie das wilde Gebirg nach einer anderen Richtung durchstreift oder sich beim Blumenpflücken oder bei einem Buche versäumt. In solchem Falle bat sie ihn jedesmal später um Verzeihung, und er konnte ihr nicht zürnen. Sie war ein Kind der Freiheit, und jeder Zwang war ihrer ungebundenen Natur verhaßt. Wie eine Blume der Hochlandswildnis war sie aufgewachsen. Und er hätte auch keine Freude daran gehabt, wenn er sich hätte sagen müssen, daß sie sich nur zwinge, zu kommen und ihm zu sitzen. So, wie es nun war, wußte er, daß sie gern kam, und ihr ungezwungenes Geplauder, das immer wie ein Naturlaut an sein Ohr schlug, beglückte ihn jederzeit in gleicher Art. Sie hatte in dem seltsamen Leben, das sie hier in der einsamen Welt des Hochgebirgs geführt, über mancherlei nachgesonnen und überraschte ihn oft durch Gedanken und Einfälle, die ihm über seinen Büchern in der Klosterzelle niemals gekommen waren.

Mit seinem Bilde schritt es inzwischen trotz seinem heißen Schaffensdrange nur langsam vorwärts. Noch mehrmals war er in der Ulrichskapelle gewesen, um wieder und wieder sich in die Fresken des großen Venezianers zu vertiefen, aber jedesmal kam er nur mutloser zurück und meinte dann, am eigenen Können verzagen zu müssen. Filomena hatte er schon mehrfach gezeichnet, ohne von diesen Skizzen selber befriedigt zu sein. Auf dem großen Landschaftsbilde, das er zum ersten Male in Farben auszuführen begonnen, sollte sie ihm zur Staffage dienen. Er wollte sie so malen, wie er sie zum ersten Male im Leben gesehen hatte: ein verwittertes, altes Heiligenbild mit frischen Bergblumen schmückend. Nur daß es ihm nicht gelingen wollte, die ungezwungene Grazie ihrer Bewegungen so auf die Leinwand zu zaubern, wie sie ihm in Wirklichkeit immer entgegentrat. Manchmal schalt er sich selber einen eitlen Toren, daß er seine Zeit mit solchem Stümperwerk vergeude, besonders an den Tagen, wo Filomena nicht neben ihm saß, und ihn aus ihren sinnenden Augen nicht jener Strahl der Hoffnung und Ermunterung traf, der ihm zum Bedürfnis bei seiner Kunstübung geworden war. Denn Filomena selbst glaubte fest an seinen Beruf zum Künstler. Darin traf sie sich mit dem wilden Xaverl, dessen anerkennende Bewunderung mit dem Fortschreiten des Bildes wuchs. Und nur die taube Lisi schalt unaufhörlich auf das sündhafte Teufelswerk und abscheuliche Heidenwesen, das einem Mönch wahrlich nicht anstehe, vor sich hin, betete ihre Rosenkränze eifriger als je, prophezeite ein Strafgericht des Himmels für die drei Erzsünder und schlechten Christen, ließ sich aber doch manchmal herbei, für deren körperliche Erquickung zu sorgen. Das friedvolle Stilleben auf der Alm wurde durch ihr verbissenes Zanken nicht weiter gestört.

Heute war nach ein paar Regentagen die Luft wieder kristallklar und von würziger Frische. Hier und da auf den Höhen lag Neuschnee, der in der Sonne schimmerte, kleine Rinnsale glitten wie Silberfäden an den Steilwänden stäubend nieder und manchmal legte sich ein duftiges, zart rosa gefärbtes Wölkchen um eine der kühn aufstrebenden Zinken, um bald wieder zu zerflattern und zu verwehen. Kühl strich der Wind über die Höhe.

Innocenz trank entzückt diese heitere Klarheit, in welcher seine Seele sich immer wieder gesund badete. Aber der wilde Xaverl, der neben ihm saß – Filomena war noch nicht gekommen – und, die krummen Beine nach seiner Gewohnheit unter dem Leibe gekreuzt, strickend in der Runde Umschau hielt, schüttelte unzufrieden den großen, haarumzottelten Kopf. »Mir ist's Wetter nicht recht,« sagte er bedächtig. »Wir sind einen anderen Sommer gewohnt, dafür sind wir nahe Nachbarn von Welschland, wo's beständiger und stetiger zugeht mit Sonne und Regen. Heuer wechselt's zu jäh. Wenn's schon im Juli Neuschnee gibt, ist's ein übles Zeichen. Pflegt dann im August noch reichlicher zu fallen und schmilzt dann im September noch einmal fort. Dann kann's bös werden. Ist schon manchmal bös geworden.«

»Was steht denn zu fürchten?« fragte Innocenz, der nur zerstreut während des Malens zuhörte.

»Kann Hochwasser geben,« meinte der Senn, den Kopf wiegend. »Wenn Ihr drüben gegen die hohe Zinne zu durchs Büllele wandert, könnt Ihr die Steinmuhren noch sehen vom letztenmal her. Halbe Berge hat's mitgerissen damals und ganze Wälder vernichtet. Hab' damals sechs Wochen hier auf der Alp gesessen und konnt' nicht rück- und nicht vorwärts, – überall Wasser. Hätt' leicht verhungern können, denn das Vieh war schon auf die Niederalm getrieben worden, und ich war bloß noch einmal herauf, um die letzten Käslaibe heimzuholen. Da ist's über Nacht gekommen, wie's von der Sündflut in der Bibel erzählt ist, und ich konnt' nimmer herab. War ein übler Spaß. Möcht's nicht zum zweitenmal erleben, Bruder Innocenz.«

»Es wird ein Strafgericht des Himmels gewesen sein,« sagte der Mönch, in Nachdenken verloren.

Xaverl zog die Brauen in die Höhe, was bei ihm immer ein Zeichen dafür war, daß er so seine eigenen Gedanken über den Fall habe. Dann sagte er: »Ist halt ein eigen Ding mit unsern Wildwassern. Wenn die Gemeinden da überall heroben bei uns was Recht's täten für die Wasserregulierung, möcht' manches besser stehen. Legt aber jeder eben die Händ' in den Schoß, meint, das Geld könnt' man sparen, diesmal würd' 's ja wohl noch ausbleiben, das Hochwasser, oder es würd' doch einmal einen anderen schädigen; und so bleibt halt alles beim alten von Jahr zu Jahr, bis einmal wieder so ein Denkzettel kommt für die trägen, harten Köpf, und dann gibt's abermals ein lang' Überlegen hin und her und ein Zanken obendrein, und die Händ' halten sie alle ganz fest auf die Geldtaschen, daß ja nur nichts herausfallt. Nicht einmal für ordentliche Brücken mögen's sorgen, das Wasser könnt's ja fortreißen, und ein paar Steinblöck' tun's auch zur Not. Und wann's der Herrgott nicht wollen möcht', daß das Hochwasser kommt, würd' 's ja nicht kommen. Wann's aber kommt, hat er's auch gewollt, und dann würden doch Brücken und Dämme und nichts auf der Welt sonst nutzen, und das Geld für die Regulierung wär' zum Fenster 'nausg'worfen. Und gar eine große Sünd' wär's obenein, daß man sich hat wollen gegen den Herrgott auflehnen und empören, als ob der sich von sündigen Menschenkindern ließ' Vorschriften machen oder ins Handwerk pfuschen. Bleibt also alles, wie's war, und das Geld im Sack. Bloß, daß nachher der Schaden mehr kost't als die ganze Regulierung gekost't hätt', und dazu die Todesangst und die Menschenleben, die zugrund' gehn! Ich mein' halt, wann's ein Strafgericht ist, das Hochwasser, müßt 's g'rad' eins sein für solche hartköpfige Dummheit, Bruder Innocenz. Denn wo's im Flachland kein Hochwasser gibt, wie im Gebirg', werden die Leut' g'rad auch nicht sündenfreier sein und wie die Engel leben. Der liebe Gott will doch nicht, daß die Menschen die Händ' in den Schoß legen und die Mäuler aufsperren. Die Händ' hat er ihnen geschaffen, daß sie sie fleißig regen, und die Köpf, damit sie ein ganz klein bissel nachdenken.«

Innocenz hatte nicht sonderlich aufmerksam zugehört, weil ihm eine schwierige Farbennuance in seinem Bilde zu schaffen machte und Filomenas Ausbleiben gerade heute ihm unliebsam war. »Du magst schon recht haben, Xaverl,« sagte er, »wir sind allzumal recht blind, wir Menschen.« Nach einer Weile fragte er dann, einem ihm plötzlich durch den Kopf schießenden Gedanken folgend: »Ich hab' dich schon lang' einmal fragen wollen: Was ist's mit dem einsamen Marterl da oben an der scharfen Wegecke, wenn man nach der Ulrichskapelle hinüber will? Es ist gar so verlassen und verwahrlost. Und aus der Inschrift hab' ich zu lesen gemeint, es sei ein geistlicher Herr gewesen, der dort verunglückt ist. Weißt du etwas darüber?«

Der Senn blickte mißmutig drein. Es war ihm nicht recht, daß der Mönch von dem Gegenstand, auf den er ihn absichtlich gebracht hatte, schon wieder ablenkte und so wenig Teilnahme dafür zeigte. Nach seiner Meinung war es die Pflicht des Seeborgers, die Gemeindeglieder mit Ernst und Nachdruck auf das hinzuweisen, was ihre Aufgabe eher war als Messehören und Beten, und er hatte von Innocenz erwartet, daß er als der erste hier diese Pflicht erkennen und üben werde; er traute ihm auch zu, daß er die harten Köpfe der Männer von St. Ulrich erweichen und sie zu tatkräftiger Inangriffnahme eines Werks spornen könne, das dem wilden Xaverl heiliger und Gott wohlgefälliger erschien als alle Kirchenandacht, ja selbst als alle frommen Werke sonst. Und nun ließ auch Innocenz ihn in seinen Hoffnungen im Stiche und interessierte sich mehr für das »Pfaffenmarterl« als für die notwendigen Vorkehrungen gegen alle herbstlichen Hochwasserschäden auf der Lahn. Vom »Pfaffenmarterl« sprach der wilde Xaverl überdies nicht gern.

»Was soll's viel damit sein?« murmelte er unwirsch. »Den ›Pfaffensprung‹ heißen sie den Platz. Denn verunglückt ist der geistliche Herr dort wohl nicht, sondern herabgesprungen mit Wissen und Absicht. Ist übrigens damals schon kein geistlicher Herr mehr gewesen, sondern hatte den schwarzen Priesterrock ausgezogen und sich einen wilden Bart wachsen lassen, als er von Welschland zurückkam. Das Marterl hat ihm seine alte Mutter setzen lassen. Aber es ist lang' her, und von der traurigen Geschicht' redet kein Mensch mehr gern da heroben. Wie alles zugegangen ist, wissen auch nicht viele mehr. Das ist alles begraben.«

»Aber du weißt davon, Xaverl,« fiel Innocenz lebhaft ein, »nicht wahr?«

»Könnt' schon sein,« versetzte der Senn gleichmütig. »Red' aber nicht ohne Grund von so traurigen Sachen. Und jetzt muß ich hinab, nach der Kalbin schauen, die heut morgen nicht hat fressen wollen. Wär' ein übel Ding, wenn sie einginge. Laßt Euch die Zeit derweil nicht lang werden, Bruder Innocenz!«

Und damit trollte er sich, noch im Gehen weiterstrickend, den Bühel hinab, und seine listig zwinkernden Augen redeten davon, daß er ganz gut wisse, er tue dem Mönch jetzt die gleiche Enttäuschung an, wie jener vorher ihm selber. Als er schon fast bis zur Almhütte hinab war, rief er, sich umblickend, hinauf: »Da kommt die Filomena!«

Er sah das Mädchen in der Tat jetzt auf dem engen Felssteige daherkommen und schwenkte ihr grüßend mit einem hellen Jauchzer den verwaschenen Filz entgegen. Auch sie winkte mit ihrem weißen Tuche herauf. Dann verschwand er in der Hütte, während Filomena vollends den Hügel heraufklomm. Sie sah erhitzt aus von dem raschen, beschwerlichen Gange, als sie Innocenz ihren Gruß bot.

»Ihr kommt heute spät,« sagte er.

Sie ließ sich auf dem Platze nieder, an dem sie sonst gesessen hatte, und blickte in leichter Befangenheit zu ihm hinüber. »Ich komme vielleicht nun überhaupt nicht mehr.«

»Warum nicht?« fragte er überrascht. »Ist's Euch leid, hier so stille zu sitzen?«

»Nein. Aber der Meßner« – sie sprach von ihrem Pflegevater niemals anders – »der Meßner sagt, die Leute könnten darüber reden.«

Sie hatte die Wimpern gesenkt, während sie sprach, und ihre Wangen glühten noch heißer als zuvor. Innocenz' Augen aber sprühten in zornigem Feuer. »Der Meßner scheint zu vergessen, wer ich bin,« stieß er heraus. »Ich möchte Auge in Auge mit dem sprechen, der hier ein freches Wort wagt. Hat man auf der Lahn denn alle Hochachtung vor dem Priestergewand verloren?«

Filomena hob die Augen nicht empor, als sie leise erwiderte: »Der Meßner sagt, ich sei nun einmal meiner Mutter Kind. Und wenn ein braver Bursch mich heiraten sollt' –«

»Ah! Der Barthel!« fiel Innocenz spöttisch ein, »nicht wahr? Der Barthel?«

»Von mir hat der Barthel das Jawort nimmer!« sagte sie herb.

»Und wenn er's hätte?« erwiderte Innocenz. »Man muß üble Meinung vor den Trägern des geistlichen Kleides hier hegen und schlimme Erfahrung gemacht haben, wenn es Lästerzungen wagen können, über Euch zu geifern, weil Ihr einem Mönch auf der Anderetalp ein Stelldichein gewährt. Pfui über die Schandmäuler! Mehr als alles andere beweist mir das, wie hoch man die Frömmigkeit, mit der die Leute hier sich brüsten, eigentlich im Wert schätzen darf. Wer den Priesterrock nicht mehr respektiert, wem der nicht als makellos und unantastbar gilt, der ist auch kein frommer Christ mehr. Das sagt dem Meßner, und sagt ihm, es komme von mir. Im übrigen will ich Euch gewiß nicht hindern im schuldigen Gehorsam gegen Euren Pflegevater. Ohnedies würd' ich Eurer kaum mehr zu meinem Bilde bedürfen, wenn Ihr mir heute noch gesessen habt. Und so seid Ihr von nun an frei.«

Immer noch klangen Zorn und Unwillen aus seinen Worten, und der Pinsel zitterte in seinen Fingern. Filomena sagte nichts mehr, aber es entging ihm nicht, daß ihr hin und wieder ein Schauer über den Leib rieselte, trotzdem sie in der hellen Sonne saß, die allmählich ihrer Mittagshöhe entgegenklomm. Sie sah tieftraurig und verzagt aus.

Innocenz mußte sie erst bitten, ihm ihr Gesicht wieder zuzukehren und ihre Mienen sich aufhellen zu lassen, damit er sie so sähe wie früher. Sie gab sich nun auch alle Mühe, seinem Wunsche zu willfahren, aber da keine innere Freudigkeit aus ihrem Antlitz leuchtete, machte sie es ihm doch nicht recht, und er schüttelte mehrmals trübe den Kopf. Dann sollte sie wieder die Stellung einnehmen, die er ihr auf dem Bilde gegeben, und die Arme so vor sich hinstrecken, als ob sie Blumen um ein Heiligenbild flechte. Auch hierbei war ihre Haltung jedoch so schlaff und so matt, daß er sich nicht mehr zurechtfand in ihr und auf sie zutrat, um ihr selber die Stellung zu weisen, deren er bedurfte. Dabei griff er, hinter ihr stehend, nach ihren Armen und brachte sie in die ihnen angemessene Lage. Ihre Hände, die er hierbei berührte, waren eiskalt, und wie eine Lähmung lag es auf ihrem jungen, geschmeidigen Leibe, aus dem alle Spannkraft, alles heiß vibrierende Leben gewichen zu sein schien. »Filomena!« sagte er mit einem halb traurigen, halb begütigenden Ton.

Nun wandte sie ihm ganz langsam ihr Gesicht zu, und ein Strahl traf ihn aus ihren dunklen, tiefen Augen, vor dem er im Innersten erschrak. Es lag so viel rührende, bedingungslose Hingebung in diesem Blick, wie er sie noch nie in einem Menschenantlitz gewahrt hatte. Ein Zittern durchrann ihn. Wie jählings erstarrt standen sie beide da, wie unter dem Bann eines furchtbaren Geheimnisses, das sich plötzlich vor ihnen zu offenbaren begann.

Da weckte sie ein mißtöniges Lachen. Drunten aus der Almhütte war ein Mann getreten, der schon vor geraumer Zeit dort eingekehrt sein mochte, ohne daß Innocenz ihn gewahrt hatte, vielleicht auch schon vor dessen eigenem Eintreffen auf der Alp. Wenigstens deutete seine Haltung darauf hin, daß er bereits eine Weile drinnen dem Enzeler der tauben Lisi zugesprochen hatte, wenn er überhaupt in nüchternem Zustande hier heraufgestiegen war. Sein bärtiges, wildes Gesicht war heiß gerötet, der spitze Filz mit dem Gemsbart saß ihm im Genick, und die Büchse hing über seinem Rücken. Innocenz erkannte den Mann wieder, der damals der Gräfin Donata nachgespürt hatte, als er selber ihr zum erstenmal in den Bergen begegnet war.

»Es ist der Jäger-Lenzl,« kam es leise über Filomenas Lippen. »Der ist's auch, von dem's der Meßner erfahren hat, daß ich hierher komme, denn ich selbst hätt' nie ein Wort darüber reden mögen. Der Lenzl steigt öfters hier herauf, weil er sagt, die taube Lisi hätte den besten Enzeler im ganzen Gebirg.«

Der Mann unten vor der Almhütte lachte noch immer. »Aha!« schrie er der tauben Lisi zu, die unter der Türe stand, »dahinaus will's mit der Malerei. Hätt' sich jeder an den fünf Fingern abzählen können. Ist immer die gleiche Geschicht' mit den Schwarzröcken. ›Jungfernschänder‹ heißt man sie drunten in Welschland. Wird dem Meßner in die Blüten regnen. Der hätt' das fein' Blümerl da gern für den hochgebornen Herrn aufgespart. Und der Barthel schleicht ja auch um das Tauberl herum wie der Fuchs, wenn's Abend wird. Ja, so ein Kuttenträger sticht uns alle aus bei den Weibern. Aber das Jungferl da soll nur nicht denken, daß er's mit ihr allein hält, das fein' Herrle von den Benediktinern. Oh, es hat seine Augen im Kopf, das Herrle, und weiß, wo noch süßere Frücht' reifen, hoch, ganz hoch, und hat gleich zwei Saiten auf seiner Geig', – zwei Saiten auf einmal!« Und wieder lachte der Sprecher schrill und heiser hinterdrein, während er gleichzeitig seine mächtige Faust in der Luft schüttelte.

Filomena saß wie versteinert am Boden hingekauert, die Hände schlaff im Schoß, die Augen schreckhaft aufgeweitet, keines Wortes, keiner Bewegung, nicht einmal eines Blickes fähig. In dem Mönch aber kochte ein heißer Zorn auf. Er hätte dem widrigen Lästerer da unten mit der Hand ins Gesicht schlagen mögen, um ihn verstummen zu machen. Nur daß ihn seiner ekelte, daß er es wie eine Befleckung empfunden haben würde, wenn er so etwas Unreines berührt hätte. Dennoch hielt er es um Filomenas willen für unmöglich, hier zu schweigen und dem schamlosen Verleumder nicht den Mund zu verbieten.

Mit raschen Schritten stieg er den Hügel hinab, trat geradeswegs auf den Förster zu, der nun doch vor der drohenden Haltung und den blitzenden Augen des Mönches stutzte und einen Schritt zurückwich, und rief ihm mit dumpf knirschender Stimme zu, in der die mühsam gedämpfte Leidenschaft nachgrollte: »Jetzt kein Wort mehr, Mann, oder Ihr werdet es bereuen! Und wenn nicht die Trunkenheit allein aus Euch spräche, Ihr würdet schon das nicht straflos wagen dürfen. Nun aber trollt Euch eilends dort den Weg hinab, oder ich vergesse, daß Ihr nicht mehr Herr Eurer Sinne seid.«

Das unerwartet entschiedene Auftreten des Mönches übte auf den Trunkenen einen gewaltigen Eindruck aus. Seine Augen glimmerten in feindseliger Wut den Mönch an, aber doch nur scheu und von unten herauf, wie die eines lauernden Tieres, das jetzt sich nicht zum Angriff hervorwagt. Seine Lippen zitterten, und verbissene Wildheit lag in seinen Mienen, als er, sich krümmend, mit vorgebeugtem Kopf an dem Mönch vorüber zur Seite wich. Offenbar fand er nicht gleich eine Entgegnung oder wollte überhaupt schweigend das Feld räumen, zumal jetzt auch der wilde Xaverl, den das Schreien herbeigelockt hatte, aus der Hütte trat und sich neben dem Mönch aufstellte. Als er ein paar Schritte auf dem Wege abwärts gemacht hatte, wandte er sich noch einmal zurück, reckte seine Faust auf und schrie: »Mit dem Jungfernkind da oben macht's, wie Ihr wollt! Das ist nicht meine Sach'. Und Art läßt ja doch nicht von Art. Seid Ihr's nicht, wird's ein anderer. Aber da drüben – versteht Ihr – da drüben laßt die Hände fort! Das ist mein Revier. Und wenn Ihr wildern geht, könnt' sich leicht eine Kugel aus mein' Stutzen da einmal verirren. Seht Euch vor! Glaub' nicht, daß Mönchskutten kugelfest sind.« Mit wüstem Hohnlachen schritt er weiter zu Tal.

Innocenz verstand nicht, was seine Drohungen bedeuten sollten, und weshalb dieser Mann ihn haßte und schmähte. Hatte der Graf ihm die Überwachung Donatas anvertraut? Oder stammte der Haß des Jäger-Lenzls aus früheren, unliebsamen Erfahrungen her, die er mit den Trägern geistlichen Gewandes schon gemacht? »Welch ein roher, widriger Geselle!« rief Innocenz, sich schüttelnd, dem wilden Xaverl zu. »Man müßte sich die Hände waschen, wenn man ihn berührt hätte.«

»Hat wieder einmal zuviel getrunken, der Jäger-Lenzl,« versetzte der Senn gleichmütig. »Solltet Euch nicht drum aufregen, Bruder Innocenz. So wüste Reden führt mancher beim Enzeler, wenn er sonst auch die Augen verdreht und den Rosenkranz nimmer aus den Fingern läßt. Ist eben ein starker Mann, der Enzeler, bezwingt sie alle und kann keine Heuchelei ausstehen.«

Innocenz hörte kaum auf ihn. »Ich hätte nie geglaubt, daß das geistliche Gewand hier in solcher Achtung steht und solchen Angriffen ausgesetzt sein könnte!« rief er in heißer Empörung.

Der wilde Xaverl zwinkerte achselzuckend in die Sonne. »Ist doch auch vielleicht nicht ganz ohne Schuld der geistlichen Herren so geschehen, Bruder Innocenz. Und der Lenzl hat halt 's Unglück gehabt, mit einem von ihnen zusammenzugeraten. Ist lang' her. Aber der Lenzl hat sich's zu Herzen genommen und seitdem sieht er in jedem Geschorenen seinen Erzfeind und einen höllischen Versucher obendrein. Die Lisi sollt' ihm keinen Enzeler vorsetzen, werdet Ihr sagen, Bruder Innocenz. Aber die Lisi hat halt so ein arm's Hascherl, so ein' richtigen Trottel da unten im Dorf, das ist ihr leiblich Kind, wenn's auch keinen Vater je gekannt hat, und da sind ihr die paar Kreuzerl halt recht, die ihr der Enzeler einbringt. Der Lisi müßt Ihr nicht gram sein, Bruder Innocenz, beileib' nicht.«

Der Mönch stieg, ohne hierauf zu antworten, wieder den Sandhübel hinan. Die Erregung bebte noch in ihm nach, aber er zwang sich zur Ruhe, als er den Platz wieder erreichte, auf dem die von Xaverl kunstgerecht gezimmerte Staffelei mit dem fast vollendeten Bilde stand. Filomena empfing ihn wortlos, ohne auch nur die Augen zu ihm zu erheben, und er selber murmelte bloß: »Er war betrunken, der Lenzl, er wußte nichts von dem, was er redete.«

Dann versuchte er, weiterzuarbeiten. Aber es wollte nicht gehen. Und es war nicht nur der widrige Auftritt da unten bei der Hütte, den er erlebt hatte, was ihm die Hand lähmte und die Gedanken verwirrte, sondern mehr noch die Rückerinnerung an jenen Blick, den Filomena ihm vorher zugeworfen hatte, und unter der ihm noch jetzt das Blut siedend in die Schläfen hinaufstieg. Er konnte ihn nicht vergessen, und er konnte um deswillen den Pinsel nicht mehr halten. Die Farben auf der Leinwand verschwammen ihm ineinander, sein Arm sank kraftlos herab. »Wir wollen aufhören,« sagte er, »ich bin's müde.«

Filomena hatte bisher noch keinen Laut von sich gegeben. Jetzt zuckte sie leicht zusammen. Und während er die Malgerätschaften zusammenräumte und die Staffelei sich über den Arm hing, kam sie auf ihn zu, blieb mit gesenkten Wimpern vor ihm stehen und sagte: »Ihr müßt mir nicht zürnen, Bruder Innocenz. Ich bin an dem allen nicht schuld, was Euch bekümmert. Wenn es nach mir geht, ich will gewiß tun, was Ihr von mir erwartet. Ich folge Euch blindlings. Sagt mir nur, was geschehen soll.«

Es lag so viel rührende Hilflosigkeit und so viel flehentliche Innigkeit in ihren Worten, daß es dem Mönch das Herz mächtig bewegte. Er wußte, daß sie die Wahrheit sprach, und daß er wirklich von ihr fordern könne, was er wollte. Aber das gerade machte ihn stark und ruhig.

»Filomena,« sagte er mit liebevoll brüderlichem Ton, »weshalb sollt' ich Euch wohl zürnen? Ihr wart immer gut und willfährig, und nur zu danken hab' ich Euch. Ich selber war unvorsichtig, weil ich ahnungslos war und mich sicher fühlte. Ich wußte nichts von dem, was früher geschehen ist, und nichts von dem, was die Menschen Übles denken könnten. Dem, was Euer Pflegevater Euch heißt, müßt Ihr gehorchen. Wir werden uns ja trotzdem wieder sehen dürfen, denk' ich. Und nun kommt, ich will Euch eine Strecke weit das Geleit geben.«

Er rief dem Sennen, der ihm das Malgerät in die Hütte tragen sollte, nahm Abschied von ihm und schritt, als Filomena das gleiche getan hatte, ihr voran auf dem Wege nach Moosbrunn. Er hatte jedoch den oberen Pfad dorthin eingeschlagen, der am Pfaffensprung vorüberführte, und bis dahin ging er mit ihr. Unterwegs sprachen sie nichts, nur hin und wieder blieben sie stehen, wie wenn der Atem ihnen knapp würde, und blickten mit großen, verwunderten Augen in die Talschlucht hinunter und zu den ragenden Felsmauern empor, wie in eine ihnen ganz fremde Welt. Ihre Augen trafen sich aber niemals dabei.

Als sie so das Pfaffenmarterl an der Felsecke über dem jähen Absturz erreicht hatten, sagte Innocenz, innehaltend: »Um das Bildstöckl hier solltet Ihr auch einmal einen Kranz winden, Filomena. Es ist gar so verlassen.«

Zum ersten Male sah sie ihn wieder an, aber mit einem seltsam träumerischen, schwimmenden Glanz in ihren Augen. »Es ist für einen Selbstmörder,« sagte sie. »Die Leute schlagen drei Kreuze, wenn sie vorübergehen, und in der Vollmondsnacht geistert's hier, meinen sie.«

Innocenz lächelte wehmütig. »Schreckt Euch das? Für die arme Seele, die hier Ruhe gesucht, sollte man fleißiger beten als für alle anderen, mein' ich.«

»Freilich wohl,« erwiderte sie in ihrem versonnenen Ton, »das sollte man. Sie sagen, es sei ein Priester gewesen, und er hätte ein Weib geliebt, trotzdem er es nicht durfte. Und obgleich es eine Todsünde war, wollte er sie doch zu seinem Weibe machen. Sie aber hat es nicht gewollt, weil ihr davor graute, und da hat er nicht mehr leben mögen. Der Teufel hat ihn hier herabgestürzt, sagen die Leute. Wird aber wohl seine eigene Verzweiflung gewesen sein.«

In Innocenz' Augen war ein jähes, heißes Feuer aufgelodert. »Und worüber war er verzweifelt?« stieß er irr heraus. »Über die Todsünde, die er hatte begehen wollen, oder über das Weib, das ihm nicht folgen wollte, trotzdem es ihn liebte?«

Er hatte sie bei den Worten, die wie aus einer dunklen, ihm selbst noch unbekannten Tiefe seines Herzens hervorbrachen, nicht angeblickt, sondern starr in den Abgrund niedergeschaut, der zu ihren Füßen klaffte. Filomena überrieselte es kalt. »Ich weiß nicht,« murmelte sie, ängstliche Blicke auf ihn werfend. Und nach einer Weile setzte sie hinzu. »Ich glaube, es ist kein guter Platz hier.«

»Ihr habt recht,« sagte der Mönch, vor sich hinnickend, »es ist kein guter Platz. Droben auf der Alm war's lichter und freudiger und man atmete freier. Lebt wohl, Filomena!«

Er wandte ihr sein Gesicht jetzt wieder zu und sie gewahrte, wie ernst und verdüstert es geworden war, gerade, als wäre eine graue Aschenschicht auf das helle Feuer seiner Augen gefallen. Die Hand, die er ihr bot, war eiskalt. Sie hatte sie kaum flüchtig berührt, als er hastig davonschritt.

Eine Weile stand das Mädchen noch wie festgebannt auf der gleichen Stelle und blickte ihm ratlos, verständnislos nach. Sie wartete, daß er noch einmal zurückkommen, daß er ihr noch ein Wort sagen solle, aber er war hinter der Bergecke verschwunden, und die tiefe Stille des Sommernachmittags lag über dem Hochland und brütete schweigend um sie her. Da überkam sie plötzlich ein Gefühl furchtbarer Einsamkeit. Sie kam sich so verlassen und ausgestoßen vor in der ungeheuren Ruhe, die wie mit körperhafter Schwere auf sie niederdrückte, daß es ihr den Atem in der Brust beklemmte. Zum ersten Male in ihrem Leben empfand sie das geheimnisvolle Grauen vor der Größe dieser Natur, die ihr bisher vertraut, die mit ihrem innersten Fühlen und Sein verwachsen gewesen. Sie meinte den Flügelschlag des Bergadlers, der in unerreichbarer Höhe über ihr durch die Bläue der Luft steuerte, in dieser odemlosen Stille vernehmen zu können. Eine nie gekannte Angst schnürte ihr die Kehle zusammen; sie hätte fast einen Hilferuf ausgestoßen, ohne zu wissen, warum, ohne zu wissen, nach wem. Dann warf sie sich plötzlich auf ihre Knie nieder, schlang ihre beiden Arme um das verwitterte Bildstöckel, legte ihren Kopf darauf und weinte. Heiß rannen ihr die Tränen herab, und ihr junger, schlanker Leib ward durch ein wildes Schluchzen erzittert. Wer sie aber gefragt hätte, weshalb sie weine, dem hätte Filomena keine Antwort zu geben vermocht.

Innocenz eilte indessen dem Dorfe zu. Er schritt rasch aus, trotz der Mittagsglut, die in dem felsigen Engtale heute zum ersten Male sengend fühlbar ward, und die hellen Tropfen perlten ihm auf der Stirn. Sein Auge blieb verdüstert, und er sah heute nichts mehr von der schimmernden Sonnenherrlichkeit des Hochlandes, durch die er hinzog. Das Mittagsgeläut von St. Ulrich schwamm ihm durch die klare Stille entgegen, aber er hörte es nicht, nahm seinen Hut nicht aus der Stirn und betete nicht. Erst als er die ersten Häuser des Alpendorfes vor sich sah, schien er sich wieder zu besinnen, wo er war.

Die Resi stand unter der Tür des Pfarrhauses, als er es erreichte. Er bat sie um einen Trunk Wein, da er durstig geworden sei, auf das Mittagessen aber leiste er Verzicht, er spüre keinen Hunger.

Die Pfarrköchin brummte etwas davon, daß man im Schlosse wohl besser speise als im Priesterhause, und schlurrte mißmutig davon. Im Gange stieß Innocenz auf den Pfarrherrn, der stehen blieb und sagte: »Gut, daß Ihr da seid. Der Toni Pyrker hat schon ein paarmal nach Euch gefragt. Was habt Ihr mit dem?«

Innocenz gab eine ausweichende Antwort. »Der Mann war stark erregt,« fuhr Aloys Antholzer fort, »um Gotteswillen, macht Euch den nicht zum Feinde! Lieber jeden andern auf der Lahn. Wenn Ihr's mit dem verderbt, seid Ihr hier verloren. Gebt ihm nach in allen Stücken. Tretet ihm nicht zu nahe.«

»Ich werde ihm und aller Welt gegenüber meine Pflicht tun, hoff' ich,« sagte Innocenz kalt.

Der Pfarrer zuckte die Achseln. »Wie Ihr wollt, Ihr seid gewarnt. Die Resi soll hinübergehen, ihm zu sagen, daß Ihr zurück seid.« Damit ging er.

Innocenz hatte kaum Zeit, sich in seiner Kammer durch ein Gebet zu stärken und sich auf einen ernsten Kampf vorzubereiten, der ihm aller Voraussicht nach jetzt bevorstand, als der Sägemüller an seiner Tür pochte. Er kam nicht allein, auch der Hamerl war mit ihm. Die beiden Männer sahen finster drein. Der Hamerl hielt sich im Hintergrunde, nur dann und wann einen mißtrauischen, bösen Blick zu dem Mönch hinüberwerfend. Anton Pyrker aber trat breitbeinig und steifnackig vor Innocenz hin, die Augen zusammengekniffen, die Daumen der beiden breiten Hände im gestrickten Ledergurt vor dem Bauche, einen trotzig-herausfordernden Zug um die herabgezogenen Mundwinkel in dem knochigen, bartumstoppelten Gesicht. Auf seiner kantigen Stirn gruben sich tiefe Falten ein. »Gott zum Gruß,« sagte er, »und ich hätt' mit Hochwürden zu reden.«

»Nehmt also Platz und redet.«

»Danke. Kann stehen. Hochwürden wissen ja wohl, weshalb ich komme.«

»Das kann ich nicht wissen.«

Der Sägemüller lächelte durch ein Heraufziehen des linken Mundwinkels und ein Zudrücken des Auges darüber. Es war ein Lächeln, in dem sich Verachtung und Überlegenheit ausdrückten. Dann sagte er achselzuckend: »Wenn Ihr's nicht wissen wollt: wegen der Aloysia ist's. Was habt Ihr dem Weibe eingeredet, Hochwürden?«

Innocenz krauste seine Stirn. »Vor allen Dingen werdet Ihr in einem anderen Tone zu mir sprechen, Anton Pyrker! Ihr scheint zu vergessen, wen Ihr vor Euch habt. Besinnt Euch, daß Ihr vor Eurem Seelsorger steht.«

Der ihm ungewohnte Klang dieser Worte und mehr noch die Haltung, in der Innocenz vor ihm sich emporreckte, übten auf den Sägemüller einen gewissen Eindruck aus. Aber er war der Mann nicht, um sich zu demütigen. »Ist schon recht,« kam es über seine sich kaum öffnenden Lippen, »werd's nicht vergessen. Aber daß ich's kurz mach': die Aloysia ist wie vor den Kopf geschlagen, weil Ihr gesagt habt, der Windische Sepp, der erzvermaledeite Lump, sei ihr Mann und nicht ich. Sie heult und jammert den ganzen Tag oder sitzt da und brütet stier und stumpf vor sich hin, daß es einem das Herz abdrücken könnt'. Und manchmal führt sie ganz wirre grausliche Reden, daß man meinen könnt', es sei nicht mehr richtig bei ihr. Und daß das Kind besser wird, darüber grämt sie sich, statt daß es sie freuen sollt'. Ein ganz anderer Mensch ist's worden gegen sonst. Und das habt Ihr mit Eurer Red' ganz allein zustandgebracht, und nun ist's Eure Schuldigkeit, daß Ihr kommt und macht's wieder richtig. Deshalb bin ich da.«

Er sagte das alles mit ruhiger Bestimmtheit, als ob es sich um einen Holz- oder Viehkauf handle, der rückgängig gemacht werden müsse, weil er ihm sonst zum Schaden gereiche.

Innocenz machte eine Bewegung der Ungeduld. »Meint Ihr, ich könnte etwas von dem widerrufen, was ich der Aloysia gesagt habe?« fuhr er auf. »Ist das Wort Gottes und das Gebot unserer heiligen Kirche nichts anderes, als was ein Mensch aus sich heraus redet? Läßt sich daran etwas wandeln? Müßt Ihr, wenn Ihr ein wahrer Christ seid, nicht alles das gerade so gut wissen wie ich? Daß die Aloysia Euch das gestanden hat, was ihr widerfahren ist, und was ich ihr gesagt habe, ist mir lieb. Zurücknehmen kann ich nichts davon, wie Ihr selber wissen müßtet. Ihr habt schwere Sünde begangen, Anton Pyrker, und es wird an Euch sein, Eure Schuld zu sühnen. Wie es den Anschein hat, sind die Demut und reuige Zerknirschung, die Euch so wohl anstehen würden, noch nicht bei Euch eingekehrt!«

Der Sägemüller hatte mit einer Hand nach dem breiten Hut gelangt, den er vorher auf den Tisch geworfen, als wenn er sich zum Gehen rüsten wolle, da hier seine Zeit doch nutzlos vergeudet sei. Dann aber legte er ihn wieder hin, zog die eine Schulter in die Höhe und sagte: »Darum handelt sich's nicht, mein' ich. Die Aloysia hat mir auch erst nichts gebeichtet. Der Sepp ist selber bei mir gewesen. Daß ich den Erzhalunken nicht gleich niedergeschlagen hab', den wortbrüchigen, als er in die Tür getreten ist, nimmt mich selber wunder, und man könnt' es mir groß anrechnen. Denn verdient hat er's gewiß. Für die Zukunft möcht' ich auch nicht einstehen. Und heimgeschickt hab' ich ihn schon so, daß er's Wiederkommen vergessen wird, Da hab' ich mit der Aloysia reden wollen, daß sie sich nicht erschrickt, wenn sie ihn zu Gesicht bekommt, den Spitzbuben. Aber es war ja schon zu spät. Seither weiß ich nun alles und versteh' jetzt, weshalb die Aloysia so schreckhaft verändert ist in ihrem Wesen. Wegen des Sepp ist's nicht –, um so einen grämt sie sich bei Gott nicht!«

»Was meint Ihr denn also selber, was nun geschehen sollte?« fragte Innocenz finster.

Der Sägemüller spreizte die Beine noch weiter auseinander und warf den Kopf in steifem Trotz in den Nacken. »Was hat da viel zu geschehen? Und wie kann davon die Frag' sein? Die Aloysia ist meine Frau und bleibt meine Frau. Dafür bin ich der Anton Pyrker von St. Ulrich!«

»Und der Sepp?«

»Der Sepp? Was schert mich der Sepp? Sollt' ich um so einen Lotter auch noch einen Finger rühren? Sein Wort hat er gebrochen, der Erzlump, und's Geld hat er vertan, und weil's ihm nimmer gut drüben im Amerika worden ist, ist er wieder heimkommen, das ist die ganze Geschicht' von sein' Ansprüchen auf mein Eh'weib. Tot hat er sein wollen, hat er damals versprochen, so gut wie tot. Damit war's recht, und die Aloysia ist meine Frau worden. Wie kann er jetzt wieder aufleben wollen? Tot ist tot und kommt nicht wieder.«

»Ihr wißt doch, daß Euch harte Strafe erwartet, wenn der Sepp aufs Bezirksgericht geht und die ganze Sache zur Anzeige bringt. Schreckt Euch auch das nicht, Sägemüller?«

Anton Pyrker stieß achselzuckend ein kurzes, verächtliches Lachen aus. »Wird sich wohl hüten, der Lotterbub', der nichtswürdige. Aufs Gericht laufen und sein eigene Schand' ausposaunen, daß sie ihn nur gleich selber dabehielten – das sollt' ihm einfallen! Denkt an das nicht, der ehrvergessene Vagabund. Ist ihm ums Geld zu tun, ganz allein ums Geld. Hätt' ich ihm heut' in der Früh gleich ein paar Hunderter in die Hand 'drückt, auf und davon wär' er und hätt' den Teufel mehr gefragt nach seinem lieben Eheweib. Nein, nein, Hochwürden, um den Windischen Sepp müßt Euch halt nicht grämen. Den werden wir schon wieder los, hat gar kein' Sorg'. Und wenn's im guten nicht war', dann müßt's im schlimmen geh'n. Schad' ist's ja gewißlich nicht um so ein' nichtswürdigen, erzvermaledeiten Schuft, Und man tut der Welt nur einen Gefallen, wenn man ihn nur gleich in die Höll' schickt.«

»Ihr redet nicht mehr wie ein Christ, Sägemüller,« fiel der Mönch zornig ein.

»Lassen wir's also dabei bewenden,« versetzte Pyrker trocken. »Der Sepp kümmert uns hier nichts, hab' ich nur sagen wollen, mit dem wird der Sägemüller von St. Ulrich schon selber fertig. Um den wär' ich nicht hier. Aber das Weib sollt Ihr mir wieder zur Räson bringen, darum handelt sich's. Das Weib habt Ihr mir toll gemacht, dem Weib müßt Ihr den Kopf wieder zurechtsetzen. Das ist Eure Schuldigkeit.«

Er stand jetzt, die Hände in den Hosentaschen, die wadenbestrumpften Beine weit ausgegrätscht, in herausforderndem Trotz vor dem Mönch da, als handelte es sich um eine kontraktliche Verpflichtung, deren Erfüllung er fordern müsse. Innocenz bekämpfte mühsam seine grollende Empörung, um ruhig zu bleiben und seiner priesterlichen Würde nichts zu vergeben. »Sägemüller,« sagte er nach einer kleinen Weile, »Ihr verkennt, daß ich nicht als Mensch hier zu Euch zu sprechen oder für Euch zu handeln habe, sondern daß ich einzig und allein auf dem Boden der Kirche stehe und als Verkündiger unseres heiligen Glaubens rede. Wenn Euch die irdischen Strafen nicht schrecken, so denkt an die himmlischen! Ihr seid vor dem göttlichen Gesetz ein Ehebrecher, denn Ihr durftet das Weib eines anderen nicht freien, solange er noch lebte, gleichviel, wo und wie er lebte; die Ehe ist ein Sakrament und kann nicht gelöst werden, außer durch den Tod. Und Ihr seid vor dem göttlichen Gesetz auch ein Lügner und Betrüger, denn Ihr habt dem Priester, der Euch traute, verschwiegen, daß der Ehemann des Weibes, mit dem Ihr vor seinen heiligen Altar kamt, noch lebe; dadurch habt Ihr ihn wider sein Wissen und Wollen zu einer Handlung verleitet, welche die Kirchenordnung verbietet. So seid Ihr doppelt und dreifach schuldig geworden und habt alle Ursache, in Euch zu gehen, zu bereuen und zu büßen, statt daß Ihr hier trotzig und rechthaberisch auf Eure Macht und Euer Ansehen im Orte pocht, mit Geld das Geschehene ungeschehen zu machen gedenkt und von mir fordert, was Euch zu Eurer Ruhe gut und notwendig dünkt. Ich wiederhole Euch, was ich der Aloysia schon gesagt habe und immer wieder sagen muß: sie ist Euer Weib nicht, sie ist das Weib des Windischen Sepp, solange er lebt. Und nun geht hin und tut, was Euer Gewissen Euch heißt, Sägemüller. Nur das sag' ich Euch noch: solange Ihr Eure Sünden nicht bekennt und bereut, und solange Ihr mit dem Weibe eines anderen Mannes in ehelicher Gemeinschaft weiterlebt, muß Euch die Kirche durch mich ihre heiligen Gnadengüter versagen. Ihr habt in Eurer starren Blindheit schwer gefrevelt, Anton Pyrker, Ihr werdet schwer büßen müssen, ehe Gott sich Euch in seiner Barmherzigkeit wieder zuwendet!«

Anton Pyrker hatte ihm in wachsendem Erstaunen zugehört. Anfangs lächelte er fast ungläubig, als ob er das Ganze für einen übel angebrachten Scherz halte, dann verfinsterte sich seine Stirn immer mehr, und seine Lippen preßten sich fester aufeinander. Man sah, wie seine Fäuste sich in den Hosentaschen ballten. Ein zorniger Blitz schoß aus seinen zusammengekniffenen Augen auf den Priester hinüber, der ihm, dem Sägemüller von St. Ulrich, solche Worte zu sagen wagte. Wenn man dem Mönch dort hätte glauben wollen, wäre er ja der größten Sünder und Verbrecher einer gewesen und schlechter als die Verworfensten und Elendesten auf der Lahn. Er mußte sich mit der Faust an die Stirn schlagen, um sich nur erst wieder daran zu erinnern, wer er eigentlich war, und weshalb er hier stand. Was wußte auch der junge Mensch dort in der schwarzen Kutte von ihm und vom Leben überhaupt, und von dem, was man darin tun durfte oder nicht durfte? Der redete, wie er es in seinen Büchern gelesen hatte, und wie der Blinde von den Farben, wenn er von der Liebe und von der Ehe sprach. Um deswillen war er ja gar nicht hier, eine Predigt hatte er nicht hören wollen, dazu war's Sonntags Zeit genug, und im Beichtstuhle kniete er hier auch nicht. Der Pfaffe vergaß wohl ganz, daß er jetzt nicht auf der Kanzel stand und sein Sprüchlein nicht eben hätte aufsagen brauchen.

»Hochwürden,« brachte Anton Pyrker endlich mühsam heraus, »ist das alles, was Ihr mir in dieser Sache zu sagen habt?« Es lag eine dumpfgrollende Drohung in seiner Frage.

»Das Weitere erwart' ich von Euch, Sägemüller. Die Kirche hat gesprochen.«

»Und Ihr wollt der Aloysia nichts Tröstliches sagen, damit das arme Weib von seinem Wahn geheilt wird, Hochwürden?«

»Eh' sie reuig wird und Buße tut, kann ich sie nicht trösten, denn eher hat die Kirche keinen Trost für Sünder. Ich kann sie wohl beklagen und von Herzen bedauern über die traurigen Irrwege, in die sie geraten ist, aber wenn mir selbst das Herz darüber brechen sollte: freisprechen kann ich sie nicht. Und so lange Ihr beide in Eurer sündigen Gemeinschaft verharrt, kann ich Euch nicht absolvieren. Mein Mitleid darf hier nicht zu Worte kommen, und wenn es riesengroß aufwüchse. Ich stehe nicht als Mensch vor Euch, ich stehe hier als Priester und verkündige Euch das Wort Eures Gottes. So hab' ich keinen Trost für sie, als den der Buße.«

»So bleibt Ihr also dabei, daß die Aloysia zum Windischen Sepp zurück müßt'?« Wie ein Hohnlachen klang es aus der Frage des Sägemüllers.

»Das muß sie.«

»Und wenn er sie mir auch tausendmal abträt' und für immer verschwänd'?«

»Sie bliebe doch sein Weib.«

»Und die Kinder, Hochwürden? Unsere Kinder?« Zum erstenmal war ein weicherer Herzenston in seinen Worten.

»Was kommen die Kinder dabei in Frage? Es sind Kinder der Sünde.«

Innocenz hatte die Arme über der Brust ineinander verschränkt, um finster vor sich hinzublicken. Da schlug der Sägemüller ein wildes Gelächter auf, griff nach seinem Hut, wandte sich und schmetterte die Tür des Gemaches hinter sich zu.

Der Hamerl war zurückgeblieben. Er drehte unschlüssig seine Mütze zwischen den Fingern, während er vor sich hinmurmelte: »Hier muß ein End' gemacht werden – ganz g'wiß muß hier ein End' gemacht werden.« Dann kehrte er sich gegen den Mönch zu, der in einen Stuhl niedergesunken war und die heiße Stirn in die Hände gestützt hatte. Er war wie gebrochen. »Hochwürden,« begann der Hamerl, und warf dem Mönch einen schrägen Seitenblick zu, »läßt sich an dem allen wirklich nichts ändern? Die Sägemüllerin, müßt Ihr wissen, ist in solcher Gewissensnot, daß sie meint, es wär' am besten, ihr Kind stirbt, damit es Fürbitt' einlegen kann für die Mutter als Engel vor dem heiligen Thron Gottes. Und wenn sie anders kein' Ruh nicht findet, Hochwürden, wer weiß, was geschieht? Recht wie ein Wahnsinn ist's schon über sie 'kommen. Ich mein' halt, man sollt' sie getrösten aus alleinigem Mitleid.«

Innocenz schüttelte das Haupt. »Weshalb peinigt Ihr mich? Ich hab' keinen Trost für sie. Sie soll umkehren und Buße tun. Solang der Sepp lebt, ist sie des Sepp Weib.«

Da ging auch der Hamerl leise hinaus.


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