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Die Verbrechen des Stiefsohnes

(1844)

Der Fall, welchen wir in den folgenden Zeilen behandeln wollen, gehört nicht zu jenen Kriminalgeschichten, deren ganzer Inhalt ein endloses Martyrium ist, bis wir das verwaiste Kind irgendeine Verzweiflungstat an den Stiefeltern begehen sehen, sondern zeigt uns ein verkommenes Individuum am Werke, für welches wir auch keine Sekunde lang Sympathie aufbringen können, und dessen Unschädlichmachung seinerzeit im Publikum ungeteilte Befriedigung erweckte. Jakob Bittner – so hieß der traurige Held – wurde am 17. August 1812 in Wien geboren. Er besuchte, wie das bis auf den heutigen Tag erhaltene »Urthel« sagt, »in seiner Jugend durch mehrere Jahre die deutsche Schule, machte aber aus Mangel am Fleiße nur mittelmäßige Fortschritte, kam sohin zu einem Weber in die Lehre, von dem er nach Dreivierteljahren wegen erhaltener Züchtigung, die er für seine Unlust zur Arbeit wohl verdient haben mochte, austrat. Seine Eltern brachten ihn zu einem anderen Meister, bei dem er zwar fleißiger arbeitete, dagegen aber einen Gesellen desselben nicht unbedeutend bestahl und darüber in Kriminaluntersuchung und Strafe geriet. Als er letztere überstanden hatte, ließ er sich selbst zum k. k. Militär engagieren, kam zu den k. k. Feldjägern nach Italien, mit denen er im Frühjahre 1842 nach der Mauer Gemeinde »Mauer« bei Wien, im Volksmunde noch heute »an der« oder »auf der Mauer« genannt. bei Wien in Garnison verlegt wurde. Nach seiner Konduiteliste und dem Strafextrakte erscheint er als ein schlechter Wirt, dem Trunke ergeben, wurde häufig wegen Disziplinarvergehen und öfters wegen Veruntreuung des Menagegeldes bestraft …«

In dem Orte Mauer begann er alsbald ein geheimes Liebesverhältnis mit einer Bauerstochter, welches er dazu benützte, um an dem geängstigten Mädchen Erpressungen zu begehen. Wenn ihn dasselbe nicht fortwährend mit Geld versorgte, welches er dann in anderer Gesellschaft durchbrachte, drohte er, die geheimen Beziehungen zu verraten. Das Verhältnis währte bis Anfang Juni, wo Bittner plötzlich um seine Beurlaubung bat. Was ihn dazu bewogen, ist aus dem vorhandenen Aktenmaterial nicht zu ersehen, doch läßt sich der Entschluß an der Hand einer Chronik und einiger militärgerichtlicher Aufzeichnungen erraten.

Im Frühjahre des Jahres 1842 stand nämlich der Infanterist Franz Baumer bei einem einsamen Pulverdepot auf Posten. Es war eine kalte, rauhe Nacht, denn es hatte eine Woche lang stark geregnet und gestürmt. Baumer war der Sohn eines wohlhabenden Bäckermeisters, diente erst kurze Zeit bei den Kaiserlichen und versah damals zum ersten Male Wachdienst. Er erfreute sich bei seinen Kameraden großer Beliebtheit, verfügte auch stets über Geldmittel und galt als intelligenter, strebsamer Mensch. Während Baumer in dem ihn umgebenden Moraste unaufhörlich auf- und niederschritt, bemerkte er mit einem Male eine Gestalt heranschleichen, die nach seiner Ansicht eine Soldatenmütze trug, so daß er sie zunächst herankommen ließ. Dann aber rief er vorschriftsmäßig sein: »Halt! Wer da!!?« Statt jeder Antwort schoß das Individuum aus einem Terzerol eine Kugel auf ihn ab, welche zwar nur seine Stirne streifte, trotzdem aber Bewußtlosigkeit herbeiführte. Franz Baumer stürzte nieder und wurde etwas später von der Ablösepatrouille in recht beklagenswertem Zustande getroffen. Er erzählte, was sich im Dunkel der Nacht abgespielt hatte und stellte fest, daß seine Geldbörse mit einem nicht unbedeutenden Inhalte verschwunden sei.

Das Ereignis wurde sofort in der kleinen Gemeinde bekannt, und es schlossen sich der Ortspolizei mehrere Einwohner an, um die etwaigen Spuren des Räubers zu verfolgen. Man fand tatsächlich deutliche Abdrücke zweier großer, genagelter Schuhe, welche zunächst auf die Hauptstraße, von hier über einige Felder zu einem Schuppen führten und sodann in eine Seitengasse, wo sich das einstöckige Gebäude des Vaters der Geliebten Bittners befand. Von hier konnte man sie noch eine Strecke weit wahrnehmen, verlor sie jedoch dann, da die übrigen Wege immer stark begangen waren. Die Fußstapfen führten auch an einem Teiche vorbei, an dessen Ufer am nächsten Tage Schulkinder ein Terzerol fanden. Diese Waffe gehörte ebenfalls dem Vater der Geliebten Bittners, der sich ihr Verschwinden nicht erklären konnte.

Sofort nach dem Bekanntwerden des Mordanschlages wurde Alarm geblasen und die ganze Garnison, die ja nicht groß war, versammelt. Es fehlte niemand. Man war aber auf allen Seiten überzeugt, daß nur ein Kamerad Baumers der Täter gewesen sei. Der Wirtschaftsbesitzer, dessen Terzerol offenbar als Instrument gedient, hatte viele Verhöre zu bestehen, und eines Tages zog man seine ältere Tochter, die sich in selbstmörderischer Absicht in den übrigens nicht tiefen Ortsteich gestürzt, gerade noch im letzten Augenblicke aus dem Wasser. Es hieß, das Mädchen habe sich die gegen ihren Vater gerichteten Beschuldigungen zu Herzen genommen. Solche waren aber gar nicht erhoben worden. Unter den Frauen und Mädchen gab es übrigens viele, die die Verstimmung der Bauerstochter ganz anders erklärten. Sie wollten schon längst bemerkt haben, daß mit ihr eine Veränderung vor sich gegangen sei. Das Mädchen wurde streng beobachtet. Man kontrollierte jede seiner Bewegungen, und das mochte vielleicht einen triftigeren Grund zur Melancholie bilden. Wer der Geliebte sei, brachten die Gevatterinnen freilich doch nicht heraus.

Einige Wochen nach dem Attentate erhielt der Jäger Jakob Bittner aus Wien den Besuch seines Stiefvaters. Er führte denselben in das Haus jenes Wirtschaftsbesitzers, und am nächsten Tage verkündete dieser in der Gemeinde, daß seine ältere Tochter nach Wien heirate. Wieder zerbrachen sich die guten Freundinnen den Kopf, wie man eine so rasche Verlobung verstehen solle. Hatte die Braut ihren Erwählten doch vorher erwiesenermaßen nicht gekannt. Darauf wurde bloß geantwortet, Bittner habe seine Mutter verloren, und nun hege sein Stiefvater die feste Absicht, ein Mädchen vom Lande zu heiraten. Derselbe habe sich an seinen Stiefsohn um Rat gewandt, und dieser hätte ihm das in Mauer wegen seiner Tugenden geschätzte Bauernmädchen empfohlen. Damit mußte man sich wohl oder übel begnügen.

Wir lassen nun das »Urthel« weiter sprechen: »… Am 8. Juni 1842 nahm er Urlaub, gieng nach Wien zu seinem Stiefvater, der nach dem Tode seiner leiblichen Mutter sich mit der Katharina B. verheiratet hatte, und ihn nun mit Kost, Kleidung und Unterstand versorgte … (Anmerkung: Jakob Bittner hauste also mit seinem geistig beschränkten Stiefvater und der gewesenen Geliebten unter einem Dache und hob bald darauf ein »frühgeborenes Kind« seiner Stiefmutter aus der Taufe, wie eine Randnotiz uns kurz erzählt.) Weil er dem Trunke ergeben, bei der Arbeit träge war, entfernte ihn der Stiefvater vom Hause, und da er mit seinem Verdienst, den er bei anderen Arbeiten fand, nicht auslangte, und bereits Schulden kontrahiert hatte, rückte er am 23. April 1843 wieder zu seiner Compagnie ein, ließ sich aber am 16. Oktober 1843 neuerlich bis zur Einberufung beurlauben.« Diesen Schritt tat Bittner jedenfalls deshalb, weil ihn die Kameraden wegen seiner unehrenhaften Aufführung mieden und weil es nicht selten vorkam, daß man ihn im Scherze mit dem Mordanschlage gegen Baumer in Beziehung brachte. Bittner brauste dann immer auf, was ihn natürlich noch mehr den Sticheleien aussetzte. Er fühlte endlich den Boden unter sich so heiß, daß er dem Militärdienste Valet sagte. Der Stiefvater nahm ihn über seine Bitten wieder auf, obwohl es seinerzeit nicht nur wegen der Faulheit Bittners, sondern auch um seiner Vertraulichkeit mit der Stiefmutter willen zu Mißhelligkeiten gekommen war.

Der Akt erzählt weiter: »Da sein Stiefvater inzwischen eine Schwester seines Weibes zu sich genommen, und nun für Bittner kein Platz war, schlief dieser in demselben Hause in einem Stalle, hielt sich aber bei Tage in der Wohnung des Stiefvaters auf …« Der Grund, warum Bittner nicht in der Wohnung der Stiefeltern schlief, scheint uns jedoch glaubwürdiger in einer publizistischen Schilderung des Lebens dieser merkwürdigen Familie angeführt. Bittner hatte nämlich Beziehungen zur Schwester seiner Stiefmutter angeknüpft, was die letztere unter keinen Umständen dulden wollte. Vielleicht aus Eifersucht? Vielleicht aber auch, weil sie ihre unschuldige Schwester vor der Berührung mit dem verbrecherischen Stiefsohne bewahren wollte.

»Er hieng dem Müßiggange und dem Trunke nach,« fährt der Kriminalreferent fort, »lebte großenteils von kontrahierten Schulden, und da die Gattin seines Stiefvaters über diese Aufführung sich gegen die Hausleute ungünstig äußerte, faßte er einen Zorn gegen dieselbe, der so weit ging, daß er Samstag, den 13. Jänner 1844, Mittags, bei einem von ihm herbeigeführten Zanke die Holzhacke ergriff, ihr mit dem Hackenhaupte von rückwärts einen Streich gab, worüber selbe zusammensank, und ihr dann schnell hintereinander viele und kräftige Hiebe versetzte, bis er sie für todt hielt, sohin in der Küche zum Herde schleppte, das Vortuch, wo sie, wie er wußte, den Kastenschlüssel hatte, abriß und den Kasten aufsperrte um sich Wäsche zur Umkleidung zu nehmen. Während er damit beschäftigt war, hörte er, daß sich die Unglückliche noch bewege, daher derselben noch mehrere Streiche versetzte, bis sie sich nicht mehr rührte. Hierauf nahm er sich einige Wäsche aus dem Kasten, und da er bei dieser Gelegenheit Geld fand, nahm er auch dieses im Betrage von 40 fl. C.-M. zu sich, kleidete sich um, und verließ um halb zwei Uhr den Thatort, sperrte die Wohnung zu, warf den mitgenommenen Schlüssel weg und brachte einen großen Theil des Geldes in Wirthshäusern, mit Fiakern und im Theater durch, bis er am Morgen nach der That angehalten wurde.

Nach dem Obduktionsbefunde hatte die Getödtete einundzwanzig Wunden am Kopfe, wodurch der Schädel zertrümmert war, und es wurden nicht bloß diese Gesamtverletzungen, sondern vier von den Wunden, jede für sich allein für absolut tödtlich erklärt. Bittner legte vor dem Criminalgerichte ein mit den Erhebungen durchaus übereinstimmendes Geständnis ab …«

Jakob Bittner wurde wegen Mordes und Diebstahls zum Tode verurteilt. Das vorerwähnte »Urthel« gelangte am 25. April 1844, als am Hinrichtungstage, zur Verteilung.

Wir müssen mit dem mangelhaften Apparate der damaligen Kriminalpolizei rechnen, sonst wäre es undenkbar, daß Bittner nicht auch des Mordanschlages in Mauer rechtlich bezichtigt wurde. Erst nach seinem Tode begann man seinen Namen im engsten Zusammenhange mit jener geheimnisvollen Vorfallenheit allgemein zu nennen, sowie es auch erst dann plötzlich zutage kam, daß der Justifizierte der Geliebte seiner späteren Stiefmutter gewesen sei. War man einmal so weit, so schob man ihm noch viel mehr in die Schuhe, was freilich gänzlich haltlos war. Tatsächlich gab es noch vor Jahren alte Leute in Mauer, welche viel von ihm zu erzählen wußten.

Zweifellos gehört Jakob Bittner zu den mit moral insanity behafteten Menschen, über welche Kriminalpsychologen und Zeitungsberichterstatter heute Ströme von Tinte vergießen.


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