Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine Köchin aus dem »Elysium«

(1836)

Das »Elysium« war einer der berühmtesten Ballsäle, jedenfalls aber der originellste Unterhaltungsort des vorkonstitutionellen Wien. Als seine Wiege ist der »Seitzer-Keller« anzusehen, der sich in jenem altertümlichen Gebäude zwischen der Seitzergasse und der Tuchlauben befand. Dort, wo sich später der »Bazar« erhob, welcher fortan den Durchgang vermittelte, stand bis in die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts ein stattliches, mit einem großen Hofraume versehenes Gebäude, der »Seitzerhof«. Die Gründung geht bis in das Jahr 1313 zurück. Herzog Friedrich der Schöne hatte nämlich zur genannten Zeit die Karthause zu Mauerbach gestiftet und ihr Gottfried aus der Karthause als Prior vorgesetzt. Da sich die Zahl der Mönche ständig vermehrte, schenkte er denselben auch ein Gebäude in der »Verber-« (nachmaligen Dorotheer-)gasse. Als auch dieses zu klein wurde, tauschten die Mönche dafür das Haus »zu den Röhren« ein und nannten es »Mauerbacherhof«. Das geschah im Jahre 1335. Anno 1403 taucht der Name »Seitzerhof« zum ersten Male urkundlich auf. Daß der »Mauerbacher-« und der »Seitzerhof« zwei Bezeichnungen für ein einziges Haus waren, zeigt ein Häuserschema von 1700, in welchem wir lesen: »Der ›Seutzer- oder Mauerbacher-Hoff‹, worinnen die Capelle St. Nicolai, auch eine Schänkstuben, eben zu selbigem Kloster gehörig.« Die »Schänk-Stuben«, wie man sie auch heute in Klöstern findet (man denke nur an die zahlreichen berühmten Stiftskeller) entwickelte sich allmählich zu einem großen, eleganten Restaurant, dem »Seitzer-Keller«.

Wir lesen, daß dieses Lokal aus weitläufigen, fünfundsiebzig Klafter langen, unterirdischen Räumen bestand, die einen Konzertsaal, Tanzräume usw. enthielten und zur Abhaltung von Produktionen verwendet wurden. So heißt es, daß sich in dem Konzertsaale die Zöglinge des Blindeninstituts produzierten, daß die »Speisesälle« allabendlich einen »hohen Adel und ein distinguiertes Publikum« beherbergten, und daß insbesondere »die schwarze Redoute«, ein prächtiger Tanzsaal, die »mindere Bevölkerung« anzog. Der »Seitzer-Keller« faßte schon damals 10.000 Personen. Wir haben heute keinen geschlossenen Belustigungsort, welcher geeignet wäre, solche Menschenmassen aufzunehmen. Ein sehr unternehmungslustiger Pächter war der Wirt Grader, der die »schwarze Redoute« mit Tannenreisig, Emblemen und Fahnen schmücken ließ und ein hervorragend gutes Geschäft machte.

Den Höhepunkt erreichte der »Seitzer-Keller« aber erst 1833, als ihn ein gewisser Johann Daum übernahm. Dieser gestaltete den Belustigungsort ganz um, ließ ihn durch den Tapezierer Eckhardt nach besonderen Plänen auf das glänzendste ausstatten und nannte die neuen Räume: »Elysium«.

Das Etablissement rief das größte Aufsehen hervor. Man hatte dergleichen noch nie gesehen. Der Besuch war ein massenhafter. Das »Elysium« bot tatsächlich entzückende Sehenswürdigkeiten für alt und jung, für das Volk sowohl, als auch für die elegante Welt. Man konnte dort sogar schon eine Art »lebender Bilder« bewundern. Der an den »Zeltsaal« angrenzende Speisesaal wurde nämlich im Jahre 1835 zu einer »Bildergalerie«, umgewandelt. Darunter verstand man keine Ausstellung von Kunstgemälden, sondern transparente Wandelbilder, welche häufig auch aktuelle Ereignisse betrafen. Es handelte sich also um den Vorläufer des heutigen »Kinos«. Damit waren selbstverständlich die Schaustellungen nicht erschöpft. Wir wollen nur nebenbei erwähnen, daß Daum an den Diwanen mechanische Fächer anbringen ließ, welche sich zu bewegen und Kühlung zuzufächeln begannen, wenn sich ein vom Tanze erhitztes Paar niedersetzte.

Das »Elysium«, welches von Jahr zu Jahr mehr Besucher hatte, erlitt jedoch im Jahre 1838 scheinbar den Todesstoß. Am 18. März öffneten sich zum letztenmal seine gastlichen Pforten, denn der ehrwürdige »Seitzerhof« sollte demoliert werden. Der Grund war für das neue Riesenhaus, den »Bazar«, bestimmt, welcher zwei Jahre später vollendet wurde.

Der kühne Daum ließ dessenungeachtet den Mut nicht sinken, wenngleich er einen enormen Schaden durch die Unterbrechung seines Betriebes zu verzeichnen hatte. Er mietete die kolossalen Kellerräume im St. Annengebäude (wo sich damals die Akademie der bildenden Künste befand) und adaptierte sie für seine Zwecke. Die genannten neuen Lokalitäten waren nicht unbekannt, denn in einem Teile derselben bestand schon vorher der »Annakeller«, auch »Tunnel« genannt. Eine alte Zeitung schildert die Schöpfung Daums mit folgenden Worten: »Am Faschingsonntag, dem 1. März 1840, wird das neue ›Elysium‹ eröffnet. Besonderen Reiz gewährt die originelle Einteilung der großartigen Räume in ›Weltteile‹. Der Ein- oder eigentlich Abgang ins ›Elysium‹ führt von der Johannesgasse aus. In der Tiefe angelangt betritt man zuerst Asien, die Wiege der Menschheit, nachdem man früher eine von Elephanten getragene Halle durchschritten. Asien selbst wird durch einen Nabobssaal charakterisiert. Hier werden mimisch-plastische Darstellungen, Jongleurstücke, gymnastische Übungen gezeigt, hier sind hübsche Chinesinnen zu sehen, Affen und bunte Papageien schwingen und schaukeln sich auf den Zweigen der Bäume. Aus der Kredenz dieser Abteilung führt ein Gang nach Europa, welches in das ›gemütliche‹ und das ›elegante‹ Europa zerfällt. Das gemütliche‹ wird durch eine Scheuer, in welcher die Zither ertönt und dralle Tirolerinnen ihre ›Dudler‹ und ›Jodler‹ loslassen, repräsentiert. Das ›elegante‹ Europa besteht aus einem großen Tanzsaal. Auf einer Treppe gelangt man von hier nach Afrika, durch einen ägyptischen Saal repräsentiert. Die Wandgemälde, ihre Seefahrt und ihren Aufenthalt im Harem darstellend, sind von Schilchers Meisterhand ausgeführt. Und nun erst der ›wirkliche‹, das heißt, der durch Statisten und Statistinnen dargestellte, über der Kredenz hinter einer großen Glaswand angebrachte ›Harem‹, welch ein Magnet für die Männerwelt! Die Repräsentantinnen der Seraildamen, für welche Daum eine Anzahl wirklich hübscher Mädchen zu gewinnen wußte, sind übrigens im vollsten Sinne des Wortes nur zum ›Anschauen‹ da und dürfen über strengen Auftrag der Polizei von Seiten dieser Holden keinerlei Anknüpfungspunkte mit dem männlichen Teile des Publikums gesucht werden. Ein tschibukrauchender, sorbetschlürfender Pascha bekundet von Zeit zu Zeit seine Liebe zu einer der Favoritinnen durch eine (nur ›markierte‹) Umarmung. Gegenüber dem Serail ist eine kleine Bühne angebracht, auf welcher Pantomimen, lebende Bilder, Kraftdarstellungen usw. in bunter Abwechslung vorgeführt werden. Ein mit Spiegeln und Shawels dekorierter Gang vermittelt die Kommunikation mit Amerika, einem Urwald mit Felsenpartien und einem rauschenden Wasserfalle. Drachenartiges Gewürm, Klapperschlangen und Eulen speien hier Lichtflammen aus. Der Hauptmagnet dieser Abteilung ist die ›Eisenbahn‹, auf hölzernen Schienen laufende Wägelchen, von Ponys gezogen, als deren Lenker phantastisch gekleidete Kinder Neulerchenfelds und Ottakrings fungieren. Für diese Fahrten, die hinüber nach Australien führen, muß separat gezahlt werden. Im letzten Weltteile sind Malereien, Ausblicke auf das Meer, von Holzer. Aus dieser Abteilung, in der eine Tropfsteingrotte und ein Vulkan angebracht sind, gelangt man über einen mit natürlichen Bäumen bepflanzten Hügel in eine Hütte der Urbewohner und von da wieder zurück zu dem Ausgangspunkte nach Asien. Daß in allen fünf Welttheilen echt wienerisch gegessen und getrunken werden wird, versteht sich von selbst, ebenso werden allenorts die heiteren Weisen größerer und kleinerer Orchester, bis zum ›Quartett‹ herab, ertönen, und sind die Musiker den verschiedenen Zonen entsprechend kostümiert. Auch zahlreiche andere Genüsse werden geboten. Ein Troubadour, einst ein reicher Hausherr und Fabrikant vom ›Brillantengrund‹, tänzelt zwischen den Speisetischen hindurch, seine Lieder mit der Guitarre akkompagnierend; ein Bruder Eremit, in einer Grotte, wie in einem Beichtstuhle sitzend, prophezeit zukünftige Geschicke. Taschenspieler arbeiten mit ihren Apparaten, und so weiter. Ein Improvisator wird durch seine glänzenden Einfälle entzücken …«

Die Voraussage des Blattes traf wirklich ein. Während des Faschings war das Gedränge im »Elysium« ein geradezu lebensgefährliches.

Aber auch sonst gab es in Wien kein zweites Lokal, welches derart beliebt gewesen wäre. Vater und Sohn Daum erfanden alljährlich neue Zugnummern und machten durch die humoristische Beleuchtung der Tagesereignisse ihre Räumlichkeiten zu einer Stätte köstlichen Humors.

Trotzdem fand das »Elysium« ein unerwartet frühes Ende. Der Gründer Johann Daum, welcher auch Besitzer des Kaffeehauses auf dem Kohlmarkte und des Hotels am Peter (heute »Hotel Wandl«) war, starb am 12. Dezember 1854 an der Cholera. Er befand sich damals schon in Wucherhänden und wurde von Gläubigern hart bedrängt. Das wäre jedoch nicht der Grund des Zusammenbruches gewesen. Zur Zeit des Konkordates Von 1855-1870, wo dasselbe einseitig von Staats wegen gekündigt wurde. wurde vielmehr das St-Anna-Gebäude, welches ehedem den Jesuiten gehört hatte, denselben wieder zurückgegeben, und es war natürlich undenkbar, daß ein Belustigungsort, wie das »Elysium«, weiter unter einem so frommen Dache bestehe. Am 8. März 1859 fand denn die letzte Vorstellung statt, worauf diese prächtige Unterhaltungsstätte in das Meer der Vergessenheit versank.

Wie alle Lokale, in denen eine für Geld erhältliche Lebensfreude pulsiert, so hatte auch das »Elysium« seitens solcher Menschen Opfer gefordert, die nicht imstande waren, die nötigen Beträge auf ehrlichem Wege aufzubringen. Die alte Polizeigeschichte verzeichnet so manchen Selbstmord in den Kellern des St.-Annen-Gebäudes, sowie wegen desselben. Auch Verbrechen gegen das Eigentum und die Person kamen wiederholt vor. –

Einen derartigen Fall wollen wir in den nachstehenden Zeilen behandeln, obwohl die Quellen leider hier etwas spärlich fließen. Wir hätten sowohl vom kriminalgeschichtlichen als auch vom kriminalpsychologischen Standpunkte gewünscht, daß uns die Beweggründe erhalten geblieben wären, welche das Wiener Stadtgericht veranlaßt haben, gegen einen keineswegs sympathischen Täter eine mildere Auffassung Platz greifen zu lassen. Adolf Kratochwil, 21 Jahre alt, seines Zeichens ein Schlossergeselle, war seit jeher leichtsinnig veranlagt, trieb sich, statt zu arbeiten, in Wirtshäusern und Tanzlokalen umher und geriet bald in Schulden.

Mitte der Dreißigerjahre kam seine Schwester aus dem Heimatsorte Kardaschrzetschitz (so schreibt der Akt das Wort) nach Wien und fand als Köchin (wahrscheinlich nur als Küchenmädchen) im »Elysium« Aufnahme. Dies bedeutete den vollständigen Ruin des liederlichen Burschen. Er besuchte nun öfters die Schwester und faßte dabei Zuneigung zu einer »Jodlerin«, die ihm solange sehr freundlich tat, als er Bestellungen beim Kellner zu machen imstande war. Ging ihm das Geld aus, wandte sie sich anderen Gästen zu, was den verliebten Schlossergesellen in Harnisch brachte. Es kam zu Auftritten, welche den Geschäftsleiter veranlaßten, dem Kratochwil das Lokal zu verbieten.

Dieser kehrte sich unter der Vorgabe nicht daran, daß er seine Schwester besuchen könne, wann er wolle, da es seinen Eltern durchaus nicht gleichgültig sein könne, ob ihr unverdorbenes Kind sittlichen Gefahren ausgesetzt sei oder nicht. Die Antwort war die sofortige Entlassung der »Köchin«. Marie Kratochwil fand durch dasselbe Dienstvermittlungsbureau bald einen neuen Posten, und zwar bei der in Mariahilf, Kirchengasse 113, wohnhaften Hauptmannswitwe Frau Elisabeth Baronin Jugenicz. Die Baronin war eine etwas nervöse, jedoch seelensgute Dame, bei welcher das Dienstpersonal lange Jahre auszuhalten pflegte. Es ist daher gewiß auffallend, daß Adolf Kratochwil am Palmsonntag 1836 bei ihr erschien und in äußerst brutaler Weise verlangte, daß seine Schwester nicht mehr »malträtiert« werde, da er als Bruder über ihre Ehre und Gesundheit zu wachen habe. Als die alte Frau entrüstet erwiderte, unterbrach er sie heftig und begehrte die sofortige Verabschiedung der Schwester. Die Baronin wäre damit einverstanden gewesen, obwohl sie das Dienstmädchen sehr gut leiden mochte, dieses aber bat sie mit aufgehobenen Händen, auf die Worte des Bruders nichts zu geben. Er habe sie schon um einen guten Platz gebracht. Die Baronin erklärte hierauf dem Burschen, daß sie gesetzlich keineswegs bemüßigt sei, die Köchin sofort zu entlassen, und forderte ihn auf, die Wohnung nie wieder zu betreten, widrigenfalls sie die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen würde. Adolf Kratochwil entfernte sich fluchend, und nun erzählt uns der Akt, daß er der Baronin »in den nächsten Wochen viermal aufgelauert habe, ohne eine Gelegenheit zur Stillung seines Rachebedürfnisses zu finden«. Am 23. August des Jahres 1836 kam er plötzlich in die unversperrte Wohnung der alten Dame, nachdem er so lange in der Nähe des Hauses gewartet hatte, bis seine Schwester dasselbe verließ. Er rief der allein anwesenden Baronin schon in der Tür zu, er sei erschienen, um ihr grobes Benehmen zu strafen. Die hilflose Witwe, deren rechte Hand gelähmt war, wurde von Todesangst ergriffen und flehte den wild dreinblickenden Schlossergesellen an, er möge ihr nichts Böses zufügen. Kratochwil packte sie aber an der einen Hand und zog ein Rasiermesser aus der Tasche. Während die Baronin mit dem letzten Aufgebote ihrer Kräfte um Hilfe rief, fügte er ihr zwei tiefe Schnitte in den Hals bei. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte die Dame zusammen. Dieser war nicht ungehört geblieben. Die Hausleute liefen aus ihren Wohnungen, und nun sah Kratochwil, daß er verloren sei, wenn er nicht fliehe. Er gab daher Fersengeld und warf das blutige Messer weit von sich. Doch es war schon zu spät. Er wurde ergriffen und der Polizei übergeben.

Um die schwer verletzte Baronin bemühten sich mehrere Ärzte vergebens. Sie starb bald nach dem Mordanschlage. Die Obduktion ergab, daß ihr Kratochwil die innere Drosselblutader durchschnitten hatte, so daß der Tod unbedingt, und zwar rasch, erfolgen mußte.

Die gerichtliche Untersuchung förderte zutage, daß Kratochwil im Juni seinem Arbeitskollegen einen blauen Tuchmantel in dem damals ganz respektablen Wert von 28 fl. Konventionsmünze entwendet hatte, um den Erlös – im »Elysium« durchzubringen. Er war dort als »zahlender Gast«, wie er sich nannte, erschienen, hatte sich ins »Gemütliche« gesetzt und brachte die Verkaufssumme bis auf den letzten Kreuzer durch. Auch Schulden höchst bedenklicher Art hatte er gemacht, um den gedachten Unterhaltungsort besuchen zu können. Es drängt sich uns daher der bestimmte Verdacht auf, daß Kratochwil die Baronin nicht aus Rache ermordete, sondern um sie zu berauben. Wenn er keine Beute machte, so lag dies in den äußeren Umständen, da er eben die Flucht ergreifen mußte. Man ist sich Zwang anzutun genötigt, um zu der Auffassung des Wiener Magistrates zu gelangen, daß der jugendliche Mörder nur seine verletzte Ehre habe rächen wollen. Er wurde tatsächlich nicht wegen Raubmordes, sondern wegen gemeinen Mordes mit Erkenntnis vom 5. Jänner 1837 zum Tode durch den Strang verurteilt und über Antrag des Magistrates zu schwerem Kerker begnadigt.


 << zurück weiter >>