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Die Freundinnen von Althan

(1805)

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten in der Wiener Vorstadt Althan zwei Familien namens Pfundheller und Fallembichl. In jeder der beiden wuchs eine hübsche Tochter heran, die enge Freundinnen waren. Da traf es sich, daß der Graf Althan einen sehr netten, höflichen und zuvorkommenden Kammerdiener aufnahm, der alsbald die Bekanntschaft der beiden Mädchen machte. Der Diener hieß Franz Traittler und verstand es, die Liebe sowohl der Pfundheller-Marie als auch der Fallembichl-Resi zu erringen. Beide schmeichelten sich, die Auserwählte zu sein, und als der schöne Franz bald hier, bald dort freundlicher wurde, ging die Mädchenfreundschaft, wie so oft, in die Brüche. In Wirklichkeit fand der Kammerdiener an der sanften Resi das größere Wohlgefallen, wenn auch Marie temperamentvoller und hübscher war. Nach einem Jahre machte er der Fallembichl-Resi einen förmlichen Heiratsantrag, der mit großer Freude seitens der Familie angenommen wurde.

Von dieser Stunde an herrschte zwischen den Häusern Pfundheller und Fallembichl keinerlei Verkehr mehr. Marie sann Rache. Sie quälte ihre gewesene Freundin und deren Gatten unausgesetzt mit anonymen Briefen und anderen häßlichen Mitteln weiblicher Eifersucht und Engherzigkeit und brachte es so weit, daß Traittler, um endlich Ruhe zu haben, seinen Posten beim Grafen Althan kündigte und »in die Stadt« zog, wo er bei einem anderen Aristokraten eine Art Verwalterstelle erlangte.

Aber auch da hörten die Intrigen der grollenden Pfundheller-Marie nicht auf, so daß sich Traittler zu energischen Schritten entschloß. Er erbat sich den Schutz der Polizei und erzielte dadurch für einige Zeit äußerlich Ruhe. Marie schien es aber als ihr Lebenswerk zu betrachten, das Glück der Freundin zu stören. Sie heiratete allerdings, um zu zeigen, daß sie sich aus der Sache nichts mehr mache, einen Taglöhner namens Luger, den seine Eltern verstoßen hatten und der ein bezirksbekannter Tunichtgut war. Resi besaß damals schon einen fünfjährigen Knaben, der den Taufnamen seines Vaters trug.

Traittler wollte aus ihm ebenfalls einen Bedienten machen und ließ ihn allerlei Fertigkeiten erlernen, welche dem heranwachsenden braven Jungen die Wege ebnen sollten. Frau Luger verfolgte dies mit scheelem Neide. Auch sie gebar einen Sohn Anton, der aber in die Fußstapfen seines Vaters trat, nichts arbeiten wollte und der schlechteste Schüler war.

Noch vor Erreichung der Mündigkeit hatte der hoffnungsvolle junge Kammerdienersohn das Unglück, seinen Vater zu verlieren. Derselbe starb infolge einer furchtbaren Aufregung, die darin ihren Grund hatte, daß ihm sein Dienstgeber ein Kontrollorgan beigab. Als Traittler erfuhr, daß diese Maßregel auf eine anonyme Verdächtigung zurückzuführen sei, traf ihn der Schlag. Der verwaiste Knabe hatte, wie seine Mutter, die volle Überzeugung, daß hinter dieser Verleumdung wieder nur die Luger-Marie zu suchen sei, sichere Beweise hatte man aber nicht und Frau Traittler war eine ungemein versöhnliche, friedfertige Natur. Sie beruhigte ihren Sohn damit, daß man böse Menschen durch Liebe gewinnen müsse, sonst würden sie noch feindseliger. Im übrigen hoffte sie, als Witwe mit den Ersparnissen, die sie während ihrer Ehe gemacht, und dem Gnadengehalte, welchen ihr der letzte Dienstgeber ausgesetzt, ihr Fortkommen zu finden und auch die Erziehung ihres Kindes vollenden zu können.

Franz Traittler war zwanzig Jahre alt geworden, als es ihm gelang, bei einer sehr vornehmen Herrschaft einen Vertrauensposten zu erwerben. Er wurde um die Stelle allenthalben beneidet. Allein, er kam nicht dazu, sie anzutreten. Am Tage seines Dienstantrittes erklärte ihm der Freiherr, in dessen Haus er aufgenommen war, daß er den Posten, so leid es ihm tue, anderweitig habe besetzen müssen.

Traittler stürmte, schäumend vor Wut, heim. Er erzählte seiner Mutter, was ihm widerfahren und erklärte, hieran könne nur die Luger schuld sein. Nun sei das Maß voll, er lasse sich nicht mehr länger zurückhalten, jetzt sei der Moment gekommen, wo er für alle die Kümmernisse abrechnen müsse, welche er und seine Eltern von jener Feindin erlitten hätten. Frau Traittler bemühte sich, den erregten Sohn zu besänftigen, doch dieser geriet dadurch noch mehr in Zorn.

Da, gerade im kritischesten Augenblick, öffnet sich die Tür und Frau Luger tritt mit der Miene innigster Freundschaft in die Stube. Frau Traittler zittert, indem sie der ehemaligen Freundin die Hand reicht, denn sie ahnt, daß ihr Sohn, dem alles Blut aus dem Gesichte gewichen ist, irgend etwas Schreckliches plant. Frau Luger wendet sich mit heuchlerischem Augenaufschlag an den jungen Traittler, meint, es sei Zeit, die alten, guten Beziehungen wieder anzuknüpfen, da stößt der Jüngling einen wilden Fluch aus, ergreift ein Terzerol und schießt eine Kugel gegen die Luger-Marie ab. Die Kugel verfehlt ihr Ziel und streift den Arm der Mutter. Frau Traittler fällt vor Schreck, nicht, weil sie eine ernstliche Verletzung erlitten, vom Sessel. Franz Traittler glaubt, daß er einen Muttermord begangen und schießt sich selbst eine Kugel ins Herz. Er sinkt tot zur Erde.

Die Luger wäscht die Schläfen der Witwe, bringt sie zum Bewußtsein, zeigt ihr, sich innerlich an deren Schmerz weidend, den Leichnam des Sohnes und droht ihr mit der Strafanzeige, denn es sei klar, daß Franz Traittler auf sie (die Luger) einen Mordanschlag verübt habe, und daß Frau Traittler im Einverständnis gewesen sei. Der Intrigantin ist es indessen mit der Strafanzeige nicht so ernst, als sie es glauben macht. Ihr Zweck ist ein anderer und sie erreicht denselben auch. Frau Traittler, furchtsam, wie sie schon einmal ist, sucht die Feindin durch Bitten von dem in Aussicht gestellten Schritte abzuhalten und verspricht ihr dafür jede gewünschte Unterstützung.

Der junge Traittler wurde als Selbstmörder begraben. Die Kirche verweigerte ihm die Einsegnung. Hinter seinem Sarg schritt nur die unglückliche Mutter, der man ihr Letztes, was sie hatte, in jenem abseits gelegenen Winkel des Friedhofes für immer in die Erde senkte …

Von diesem Tage an war Frau Luger mehrmals in der Woche Gast der Kammerdienerswitwe. Sie kaufte sich plötzlich bessere Kleider, auch Anton Luger zeigte sich in neuen Gewändern, und niemand wußte, daß das Geld hiezu aus den Erpressungen stammte, deren Opfer Frau Traittler geworden war. Allein im Jahre 1803 starb die Luger eines schimpflichen Todes. Sie hatte eine Wöchnerin bestohlen, wanderte dafür in das Gefängnis und zog sich daselbst eine Lungenentzündung zu, an deren Folgen sie noch vor stattgehabter Strafverhandlung zugrundeging.

Anton Luger ging nun im Hause der Traittler aus und ein. Er verlangte immerwährend Geld und schüchterte die alternde Frau durch Drohungen so ein, daß sie seinen steigenden Forderungen immer wieder gerecht wurde. Anton Luger war damals 29 Jahre alt, strich beschäftigungslos durch die Straßen und Gassen und ließ sich vollends von der Witwe Traittler erhalten.

Schließlich genügten ihm diese Unterstützungen auch nicht mehr, und er faßte den Entschluß, seine Wohltäterin zu ermorden.

Am 16. März 1805 kam er abends zwischen 8 und 9 Uhr in ihre Wohnung »In der Stadt Nr. 407«. Nach einigen belanglosen Worten zog er mit einem Male ein scharf geschliffenes, großes Küchenmesser aus dem Rock und stach die Frau nieder. Er ging hiebei mit tierischer Grausamkeit vor, indem er der Armen nicht weniger als 37 teils tödliche, teils minderschwere Wunden beibrachte. Der Gerichtsarzt konstatierte sechs Schnitte und 31 Stiche am Kopf, am Hals, an der Brust und an den Händen. Außerdem war der Herzbeutel durchstochen und die Luftröhre durchschnitten. Nach verübtem Mord trug der Mörder das Opfer ins Bett und deckte es zu, so daß man vom Körper nichts sah. Dann durchsuchte er die Habseligkeiten der Verblichenen. Er eignete sich sieben Schnüre echter, sogenannter Kropfperlen an, ein silbernes Eßbesteck, eine Tabaksdose aus Elfenbein und eine andere Dose »Mannheimer Komposition«, wie der Akt sich ausdrückt, endlich drei weiße, leinene Sacktücher. Die letzteren behielt Anton Luger für sich, die anderen Beutestücke veräußerte er unter allerhand Vorspiegelungen an Bekannte.

Als die Frau ermordet aufgefunden wurde, dachte jedermann an einen ihr fernestehenden Täter. Hausleute wollten einen Bettler gesehen haben, der vorher bei anderen Türen frech ein Almosen verlangt habe und lenkten das Augenmerk der Polizei in diese Richtung. Es wurden ausgedehnte Streifungen in Wien veranstaltet, die sämtlichen Vorstadtwirtshäuser sowie der Stadtgraben durchstreift, in dem sich damals derart viel lichtscheues Gesindel aufhielt, daß die Finanzwachen den Auftrag bekamen, jeden Schmuggler unbarmherzig niederzuschießen, wenn er Gewalt entgegensetzen sollte.

Die Bemühungen waren aber natürlich vergeblich.

Die Wiener beschäftigten sich mittlerweile mit dem tragischen Tode der alten sympathischen Frau unausgesetzt weiter, und so konnte es nicht fehlen, daß deren besonders in der letzten Zeit inniges Verhältnis zu dem Sohne ihrer ehemaligen Freundin so manchem Eingeweihten auffiel. Man begann sich mit dem übelbeleumundeten Anton Luger zu befassen und fand bald, daß der arbeitsscheue Bursche einen bedenklichen Aufwand treibe. Er besuchte Unterhaltungen, bezahlte Schulden und verausgabte für »allerhand Ergetzlichkeiten« Summen, deren Herkunft zweifelhaft erschien.

Am 4. April sah sich daher die Polizei veranlaßt, seine Verhaftung anzuordnen. Anton Luger, welcher hartnäckig leugnete, wurde dem städtischen Kriminalgericht eingeliefert, dessen Beamten es bald gelang, den Mörder zum Geständnisse zu bringen.

Ende April 1805 sprach ihn der Magistrat des vollbrachten meuchlerischen Raubmordes schuldig und verurteilte ihn zum Tode durch den Strang. Am 13. Mai langte das Urteil, von den oberen Justizbehörden bestätigt, herab, worauf es ihm um 11 Uhr vormittags im Gerichtsgebäude am Hohen Markte öffentlich kundgemacht wurde. Dann erfolgte die Ausstellung am Pranger.

Die Hinrichtung wurde für den 16. Mai festgesetzt.

Interessant ist der Schriftenwechsel zwischen dem Magistrate und der Polizeibehörde, der vor jeder Justifizierung gepflogen wurde und eine geordnete Abwicklung dieser traurigen Amtshandlung zum Ziele hatte.

Wir entnehmen dem Akte zunächst folgende Note:

 

An die löbliche K. auch K. K. Polizey-Ober-Direction (in der Stadt Saitzergasse Nr. 455, dem kayserlich königlichen Hofkriegsgebäude gegenüber).

Vermöge allerhöchster Entschließung ddo. praes … ist das wider den Raubmörder Anton Luger gefällte Todesurteil bestätiget worden, das nach drey Tagen an ihm vollzogen werden muß; welches einer löblichen k. auch k. k. Polizey-Ober-Direction mit dem Ersuchen eröffnet wird, dieselbe wolle die nötige Mannschaft beordern, welche bey dem mutmaßlichen Zusammenflusse des Volkes die Ruhe und die ungestörte Vollführung der Exekution sichern könne; und da sich hiebei ein oder andere Anstände noch ergeben dürften, so fragt der Magistrat auf eine vorläufige mündliche Besprechung an, zu dem Ende möge eine löbliche Polizey-Ober-Direction den Tag und die Stunde bestimmen, in welcher selbe vorzunehmen gefällig seyn wolle. Wien, den …

Exped, den 12. May 1805. Macher m. p.
Exped. eodem Schwarzer m. p.

Das Resultat des gepflogenen Einvernehmens ist dann das folgende von der Polizei ausgestellte Dekret:

 

»An die k. auch k. k. Herren Polizey-Kommissäre Hofbauer und Hinterfeld!

Vorweiser dieses ist der von dem löblichen Magistrate bestimmte Herr Kommissär, der vor der Exekution auf Befehl der Hochlöblichen Landes-Regierung die Erinnerung an das Publikum zu machen hat, daß sich Niemand an dem Freymann vergreyffen solle, auf den Fall, als die Execution ihm nicht gelingen möchte; es ist ihm daher aller Vorschub, um in das innere des Kreises zu gelangen, zu leisten, damit er seinen Auftrag in Vollzug setzen könne.

K. auch K. k. Polizey-Ober-Direction.
Wien, den 15. May 1805.

Ohs m. p.«

 

Die erwähnte »Erinnerung«, welche der Magistratskommissär regelmäßig zu verkünden hatte, lautete folgendermaßen:

 

»Von der Hochlöblichen K. auch K. k. niederösterreichischen Landes-Regierung wird hiemit Jedermann kund und zu wissen gemacht, daß, falls der Freymann bey der heutigen Hinrichtung des zum Tode verurtheilten Delinquenten auf was immer für eine Art, wider alles Verhoffen, unglücklich seyn sollte, denselben Niemand von den gegenwärtigen Zuschauern, weder mit Worten, noch auf eine andere Art bey schärfster Ahndung, zu schimpfen oder sonst zu beleidigen, berechtigt seyn sollte; indem der Freymann, wenn sich durch ihn ein Fehler ereignen sollte, ohnehin von Seite des Gerichts zur schärfsten Verantwortung gezogen werden wird!« …

Die Hinrichtung war, wie immer, für 10 Uhr vormittags festgesetzt. Einige hundert Mann Militär hatten im Vereine mit der Polizeiwache für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen. Der Referent des Stadtgerichtes, Gerichtskommissärssubstitut Josef Franz Seißer, berichtet über den Vollzug der Todesstrafe und die letzten Stunden des Mörders an seine Vorgesetzten in nachstehender Weise. Der Galgen sei vor der Matzleinsdorferlinie errichtet gewesen. Der Delinquent, der schon in der Armensünderzelle große Reue an den Tag gelegt habe, wäre kraftvoll vom »Malefizwagen«, der ihn aus dem Gerichtsgebäude hinausbrachte, gestiegen, um das »Vorbereitungsgebet« mit lauter, standhafter Stimme zu sprechen, vor dem Seelsorger niederzuknien und nochmals zu beichten. Dann sei Luger »fest« die Leiter emporgestiegen und habe dem Scharfrichter, während ihm dieser die Schlinge um den Hals legte, etwas für die Umstehenden Unverständliches ins Ohr geflüstert. Scharfrichter Hofmann habe nachher mitgeteilt, daß die letzten Worte des Verurteilten Abschiedsgrüße an seinen Schulkollegen, den Wagnermeister Arbhann, gewesen seien. Unter allgemeiner Rührung sprach der Seelsorger, Pater Alexander, nach geschehenem Akte eine kurze Predigt, die mit einem Gebete endigte. Der Körper sei sodann dem Gesetze gemäß bis halb acht Uhr abends hängen geblieben, um sodann abgenommen und auf dem Selbstmörderplätzchen verscharrt zu werden.

So endete eine Mädchenfreundschaft.


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