Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der »Freihaus-Jud«

(1830)

Kein Wiener Gebäude hat eine so reiche Geschichte, wie das »Freihaus«. Die Überlieferungen beginnen bereits in der Zeit Kaiser Ferdinands III., welcher vom Jahre 1637 bis 1657 regierte. Dieser ruhmbedeckte Herrscher war ein ebenso leidenschaftlicher als kühner Jägersmann. Er liebte es, sich nur mit geringem Gefolge den Gefahren einer »Sauhatz« auszusetzen. Sein steter Begleiter war Graf Konrad Balthasar von Starhemberg. Da geschah es im Juni 1647 daß der Kaiser, nachdem er vor den Wällen unserer Vaterstadt schon zwei Eber erlegt hatte, durch ein drittes, nicht gut getroffenes Wildschwein in ernste Lebensgefahr geriet. Er hatte das Tier mutig in ein Gebüsch verfolgt, es krachte auch ein Schuß, der Kaiser gab aber auf das Hüfthornsignal des Grafen Starhemberg keine Antwort. Besorgt arbeitete sich der letztere daher durch das Gestrüppe, bis er seines Gebieters ansichtig wurde, der sich mit der hocherhobenen, bereits abgeschossenen Büchse gegen den wütenden Eber verteidigte. Graf Starhemberg sprang mit seinem Hirschfänger hinzu und befreite den kühnen Jäger, um den es sonst geschehen gewesen wäre. Der Kaiser umarmte wortlos den treuen Gefolgsmann und brach die Jagd ab, um nach Wien zurückzureiten. Sie näherten sich längs des Wienflusses im Schritte der Residenz. Ferdinand sprach auch jetzt noch keine Silbe, erst als sie hinter der Schleifmühle zu einer Gabelung des Flusses kamen, der dort einen großen Flächenraum als Inselplatz umschloß, sagte der Kaiser plötzlich: »Da drüben die Insel ist ja dein, nicht wahr?« – »Majestät scherzen«, antwortete der Graf. – »Es muß doch so sein,« lautete die Erwiderung, »sie heißt doch Konradswörth!« – »Mein Name ist wohl Konrad,« wandte Graf Starhemberg bescheiden ein, »allein die Insel ist Eigentum Eurer Majestät.« – »War es,« lächelte der Kaiser, »solange mich der Graf Starhemberg nicht vom Tode befreit hat. Jetzen gehört sie dir! Kein Wort des Dankes. Du bist nicht mir, sondern ich dir verpflichtet, nimm sie, und der Besitz möge dir Glück bringen!« Einige Tage später empfing der Graf die vom 3. Juli datierte Pergamentrolle, welche die Schenkung beinhaltete, das große Siegel und die eigenhändige Unterschrift des Monarchen trug und überdies die Bemerkung enthielt, daß Konradswörth für immerwährende Zeiten von allen Lasten, Gaben und Dienstbarkeiten befreit sein solle.

Graf Starhemberg ließ bald darauf den Arm der »Wien«, welcher seinen Besitz zur Insel machte, ableiten, das heißt, er regulierte den Flußlauf und errichtete ein Sommerpalais, dem er den Namen »Freihaus« gab. Das stattliche Schloß ging aber im Jahre 1657 durch einen großen Brand zugrunde. Der gräfliche Besitzer erbaute an seiner Stelle ein neues Gebäude, welches er mit einer Unzahl von Nebenhäusern versah und nicht mehr für sich allein behielt, sondern an Bürger, wenigstens zum größten Teile, vermietete. Viele Geschäftsleute zogen hierauf aus der Stadt hinaus und gestalteten das »Freihaus« zu einer kleinen Stadt um. Aber auch in dieser neuen Gestalt hatte das Bauwerk kein Glück. Die Pest brach aus und im »Freihaus« allein lagen 300 Personen an dieser schrecklichen Seuche darnieder. Zu dieser Zeit gehörte der Besitz bereits dem jungen Grafen Ernst Rüdiger von Starhemberg, jenem tapferen Soldaten, dessen Namen mit der Geschichte Wiens für ewige Zeiten ruhmvollst verknüpft ist. Er gehörte damals zu den wenigen Bewohnern, die von dem furchtbaren Übel verschont geblieben waren, labte die Kranken, tröstete die Witwen und Waisen und führte die Überlebenden nach dem Erlöschen der Krankheit persönlich in die Stadt auf den Graben, wo sie einer Messe beiwohnten, welche der Erzbischof zelebrierte. Kaum war die Pest abgewendet, drangen Nachrichten an das Ohr der vielgeprüften Wiener, daß ein großes Türkenheer im Anzüge sei, um die Kaiserstadt einzunehmen. Graf Starhemberg wurde Oberkommandant, und als er von seiner hohen Warte, dem Stephansturme aus bemerkte, daß gerade sein Haus für die Feinde eine Festung werden könnte, entschloß er sich zur Opferung desselben. Die Bewohner des »Freihauses« mußten ausziehen, der Graf erschien sodann mit Soldaten und legte selbst Feuer an. In kurzer Zeit stand Konradswörth in hellen Flammen. Es folgte die Belagerung Wiens und dessen heldenmütige Verteidigung. Aus Dankbarkeit befreite der Stadtrat mit Ratsbeschluß vom 20. September 1683, dem Beispiele Kaiser Ferdinands folgend, auch das in der Krugerstraße befindliche, »zur weißen Lilie« benamsete zweite Haus des Grafen Starhemberg von allen Gaben und Leistungen.

Als sich die Kriegswogen geglättet hatten und wieder Ruhe ins Land gezogen war, erbaute der Graf das »Freihaus« von neuem. Wieder wurde es, da es noch vergrößert worden war, die Heimstätte hunderter Wiener Bürger. Allein auch der dritte Bau sollte zerstört werden.

Am 24. Juni 1759 brach nämlich eine Feuersbrunst aus, welche ganz Wien mit Angst und Schrecken erfüllte. Sie war in den gräflichen Stallungen entstanden, das brennende Stroh wurde vom Sturmwinde über die Dächer getragen, in der Grasgasse begann es zu brennen, dann auf der Landstraße, ja bis Erdberg fraß sich das gierige Element weiter. 32 Hütten und Häuser wurden ein Raub der Lohe, die Bewohner rannten plan- und hilflos umher, an ein Löschen war nicht zu denken, zwei Tage und eine Nacht dauerte das Wüten des Brandes, und als endlich der Sturm nachließ und die Flammen kleiner und seltener wurden, sah man vom »Freihaus« nur mehr eine kahle Ruine. Das größte Wiener Gebäude sollte aber wiedererstehen, hunderte Hände rührten sich, um diesen Plan zu verwirklichen, und so entstand das »Freihaus« in der Gestalt, wie es bis auf uns kam. Kaiserin Maria Theresia wohnte der Einsegnungsfeierlichkeit bei. Das Haus hatte nämlich eine Kapelle erhalten, was bei seiner enormen Einwohnerzahl wohl nicht verwundern kann.

Es ist nun ganz selbstverständlich, daß an einer Niederlassung, wie dem »Freihaus«, welche Jahrhunderte alt ist und ganze Menschengenerationen heranwachsen sah, unzählige historische Erinnerungen, Denkwürdigkeiten und Legenden haften. Man erzählte sich zum Beispiele noch lange hernach von dem Gastmahle, welches Graf Georg Adam Starhemberg im Jahre 1786 seinen 800 Mietern gab, als er in den Fürstenstand erhoben wurde; oder gar die Überlieferungen, welche dessen ersten »Richter« betrafen – das »Freihaus« hatte nämlich eine eigene Gerichtsbarkeit – den wohledlen Herrn »Oehlerer Balthasar«. Er wurde anno 1699 angestellt und war durch seine gemütlichen salomonischen Urteile berühmt. Sein strengstes Disziplinarmittel war die Drohung mit der Kündigung. Eine solche Schande mochte niemand heraufbeschwören. Der Neffe eines späteren Richters, namens Christian Roßbach, kam auf die Idee, im Freihause ein Theater zu errichten. Dasselbe wurde die Wiege des »Theaters an der Wien«. Wir sehen Mozart und Schikaneder im »Freihaus« verhandeln, dort wurde Text und Musik zur unvergänglichen »Zauberflöte« geboren; und wir begegnen außerdem einer Anzahl bekannter Männer aus allen Berufsgattungen, die im »Freihaus« segens- und ruhmvollst wirkten. Für die meisten war und ist das Gebäude, nein, die »Stadt« ein heiliger Boden, der gewissermaßen gar nicht zum übrigen Wien gehört. So gab es auch Geschäftsleute, die, obwohl selbst nicht im »Freihaus« wohnhaft, nur mit den Bewohnern desselben Handel trieben, und zu diesen zählte auch ein Handeljude mit Namen Jesaias Broda, welcher in der Wiener Kriminalgeschichte einen bedauernswerten Platz einnimmt, aber ganz vergessen ist.

Jesaias Broda war ein Trödler, welcher das Geschäft von seinem Vater übernommen hatte und so reell führte, daß man seinen notorischen Reichtum allgemein als einen ehrlich und rechtschaffen erworbenen bezeichnete. Er war der Geldmann der kleinen Leute des »Freihauses« und der von sämtlichen Parteien bevorzugte Käufer gebrauchter Kleider. Wenn man einen Gegenstand an den Mann bringen wollte, so wartete man, bis der »Freihaus-Jud« komme, und auch dieser trieb bloß mit Bewohnern des »Freihauses« Handel.

Am 3. Juni 1830 besuchte ihn nun ein junger Mann, der sich darauf berief, daß er zwar selbst nicht Mieter des »Freihauses« sei, aber dort einen Onkel habe und durch diesen die Verhältnisse kenne. Er bat den Trödler, ihn am nächsten Vormittage in seiner Wohnung zu besuchen. Er habe nämlich eine Erbschaft gemacht, die ihm eine Reihe höchst wertvoller Möbel und Wäschestücke verschaffte. Da er damit nichts anfangen könne, sei er willens, diese Objekte zu verkaufen. Er wäre nun in derartigen Dingen ganz unerfahren und möchte nicht übervorteilt werden, ob nicht Jesaias Broda, als anerkannt redlicher Käufer, das Geschäft mit ihm abschließen wollte. Der Trödler, obwohl erst 36 Jahre alt, war eine abergläubische, zaghafte Natur, als der junge Mann aber in überschwenglichen Worten von der Pracht der Waren schwärmte, sagte er endlich zu.

Am 4. Juni 1830 entfernte sich Broda vormittags mit dem Versprechen aus seiner Wohnung, in kurzer Zeit wieder zurückzukehren. Als er daher bis nachmittags, ja bis abends noch nicht daheim war, bemächtigte sich seiner Angehörigen die größte Sorge. Jesaias Broda galt als ein pünktlicher Mensch und überdies hatte er ein hübsches Stück Geld mitgenommen. Die Polizei, welche damals recht gemütlich amtierte und derartige Sachen durchaus nicht ernst zu nehmen pflegte, erklärte, vorläufig nichts machen zu können, da man die Adresse jenes Verkäufers nicht kannte. So verging der nächste Tag, ohne daß man eine Spur des »Freihaus-Juden« gefunden hätte. Die Angehörigen des Trödlers rasteten aber nicht. Sie erinnerten sich, daß der junge Mann gesagt habe, er sei ein Bandmacher und der Neffe eines im »Freihaus« wohnhaften Tischlers. Sie fragten nun selbst solange dort bei den Parteien herum, bis sie den mutmaßlichen Namen des jungen Mannes erfahren hatten. Er hieß: Johann Baptist Sabath. Nun liefen sie wieder zur Behörde und stellten die Wohnung desselben fest. Unter diesen Namen war wirklich ein Bandmacher vorgemerkt. Über Betreiben der Verwandten Brodas begab sich ein Polizeidiener in das Wohnhaus Sabaths.

Dort hieß es, daß der Gesuchte am 4. Juni mittags fortgegangen sei, ohne bis jetzt heimzukehren. Entweder habe sich Sabath in Geschäften entfernt, oder um leichtsinnigen Streichen nachzugehen, denn beides wäre bei ihm nichts Seltenes. Die Behörde entschloß sich nach längerer Überlegung, die Türe gewaltsam zu öffnen. Man drang in die Wohnung ein und entdeckte im zweiten Zimmer – den blutbefleckten Leichnam des Jesaias Broda. Er lag hingestreckt auf dem Fußboden, nicht weniger als 20 Kopfwunden hatten um den erstarrten Körper eine riesige Blutlache ausgeströmt. Sechs Verletzungen erklärte der Wundarzt für absolut tödlich. Auch das Mordwerkzeug fand sich vor, ein schwerer Hammer, der dem Bandmacher gehörte. Er mußte sein Opfer von rückwärts überfallen haben. Die Verwandten des Ermordeten konstatierten den Abgang der Brieftasche mit Wechseln im Betrage von mehreren tausend Gulden. Es war also ein Raubmord.

Die Polizei veranstaltete sofort Streifungen, die jedoch keinen Erfolg hatten. Johann Baptist Sabath blieb vorläufig gänzlich verschollen. Inzwischen befaßte sich die Sicherheitsbehörde mit seinem Vorleben. In dem Akte heißt es wörtlich: »Johann Baptist Sabath, 25 Jahre alt, in Wien geboren, katholisch, verheiratet, Bandmacher, war schon in seiner frühesten Jugend leichtsinnig und arbeitsscheu. Nach seiner Freisprechung fand er teils in Wien, teils bei Wien als Geselle Beschäftigung. Im Jahre 1829 erlangte er die Bandmacherbefugnis. Er erhielt große Geldvorschüsse, machte aber trotzdem leichtsinnig Schulden. Als eine Anzahl Wechsel fällig wurde, die er nicht bezahlen konnte, wurde er nach Ungarn flüchtig. Nach seiner baldigen Rückkunft arbeitete er bei einem Hutmacher, verlor jedoch den Posten wieder wegen schlechten Geschäftsganges. Zu Pfingsten des Jahres 1830 kämpfte er bereits mit Nahrungssorgen. Diese Verhältnisse brachten ihn offenbar zu dem Entschlusse, den als wohlhabend bekannten israelitischen Handelsmann Jesaias Broda zu ermorden …«

Nach einiger Zeit vergeblichen Suchens traf aus Preßburg ein Akt ein, in welchem es hieß, daß man dort einen Mann namens Johann Baptist Sabath wegen verschwenderischer Geldausgaben angehalten habe. Derselbe wolle ein großer Bandmacher aus Wien sein.

Ob diese Angaben auf Wahrheit beruhten. Die Antwort welche mit Eilpost abging, lautete natürlich auf Einlieferung an das Wiener Kriminalgericht. Sabath wurde bald darauf nach Wien eskortiert und als geständig am 19. August 1830 zum Tode durch den Strang verurteilt. Durch kaiserlichen Gnadenakt wurde aber die Todesstrafe in siebzehnjährigen schweren Kerker umgewandelt.


 << zurück weiter >>