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Severin von Jaroschinski

(1827)

Severin von Jaroschinski war ein Edelmann aus Russisch-Polen. Er hatte im Jahre 1793 im Gouvernement Podolien als Sohn sehr begüterter Eltern das Licht der Welt erblickt. Sein Vater trug sich mit dem Plane, ihn für den höheren russischen Staatsdienst zu erziehen und brachte den Knaben nach Wien, weil es hier einige weltberühmte Schulen gab. Severin wurde in dem auf dem Hohen Markte gegenüber der Schranne befindlichen Flebanischen Institute inskribiert und genoß, da keine Kosten gescheut wurden, Einzelunterricht. Erstklassige Lehrer befaßten sich mit der Ausbildung des sehr aufgeweckten, aber maßlos eitlen und leichtsinnigen Knaben. Unter den Lehrern befand sich Reichelo, als Schauspieler »Küstner« genannt, sowie der beliebte Weltpriester und Professor der Mathematik Konrad Blank.

Während der vier Jahre, die Severin von Jaroschinski in dem Institute zubrachte, hatte die Vorsteherin wiederholt Gelegenheit nehmen müssen, dem Zögling ins Gewissen zu reden. Wir haben früher bemerkt, daß man aus den Fenstern der Lehranstalt auf die Schranne sah, wo der Pranger aufgerichtet war und wo die Verbrecher öffentlich zu ihrer Schande ausgestellt wurden. Hatte Severin nun etwas begangen, führte ihn die Dame zum Fenster und zeigte ihm den Schandpfahl, wobei sie sagte: »Sehen Sie diesen Verbrecher? Wenn Sie es so fortmachen, haben Sie das Nämliche zu erwarten.«

Nach Beendigung der Studien kehrte Jaroschinski zunächst in sein Vaterland zurück, um sich der militärischen Laufbahn zu widmen. Er beteiligte sich an verschiedenen Kriegen und erwarb den St. Annenorden. Unstet, wie er war, bekam er die Strapazen aber bald satt und trat in den Zivilstaatsdienst über. Dort brachte er es rasch zum »Marschall zu Mohilow«. Jaroschinski, der auch Malteserritter war, lebte nun auf so großem Fuße, daß er sich genötigt sah, reich zu heiraten. Er ehelichte ein begütertes Fräulein Theophila Scalacola und zahlte von der Mitgift seine beträchtlichen Schulden. Er lebte jedoch bloß einige Jahre mit seiner Gattin und drei Kindern zusammen, da der Haushalt Unsummen verschlang. Namentlich durch seine Spielleidenschaft kamen allmählich fast alle erheirateten Besitzungen unter den Hammer. Er verschuldete nun nicht allein sein Privateigentum, sondern auch Staatsgüter, und fand es schließlich für geraten, aus Rußland zu verschwinden. Vorher raffte er die letzten Gelder zusammen, unter denen sich auch Staatsgelder befanden, und wandte sich in Begleitung seines Dieners Michael nach Wien.

Diese Stadt der Gemütlichkeit und Genußfreudigkeit hatte er genau kennen und lieben gelernt, und hier hoffte er seiner Spielleidenschaft weiter frönen zu können.

Es war im Juni 1826, als Severin von Jaroschinski nach zwölfjähriger Abwesenheit wieder in die Kaiserstadt an der Donau einfuhr. Er trat sofort als Grandseigneur auf, ließ sich Visitkarten herstellen, auf denen es hieß: » Le Comte Sèverin de Jaroschinski, Maréchal de Mohilow, Chevalier plusieurs ordres etc.« und fand Aufnahme in die feinste Gesellschaft.

Der aller regelmäßigen Einkünfte bare Kavalier beteiligte sich an allen noblen Zusammenkünften, anläßlich welcher Karten gespielt wurde, und war von einem fabelhaften Glücke begünstigt. Daß er dasselbe nicht, wie sich der Franzose so liebenswürdig ausdrückt, »korrigierte«, beweist, daß es nicht immer auf seiner Seite blieb. Es dauerte kurze Zeit, so geriet Jaroschinski, der die kostspieligsten Passionen hatte und sich, namentlich Schauspielerinnen gegenüber, äußerst freigebig zeigte, in große Geldnot. Er wußte diesen wahren Zustand aber so geschickt zu maskieren, daß man ihm vielfach Geld lieh. Seine Gläubiger waren keineswegs nur Kavaliere, sondern auch gut bürgerliche Leute. So lieh ihm der Schneidermeister Mißgrill bare 12.000 Gulden Konventionsmünze, obwohl er von dem Edelmann für gelieferte Kleider noch 750 Gulden zu fordern hatte. Jaroschinski verausgabte auch das fremde Geld mit vollen Händen. Kein Wunder, daß er damals in Geldnot geriet und die unentbehrlichsten Gegenstände verpfänden mußte. Seine letzten zehn Gulden schenkte er einer ihm ganz fremden Frau, die ihn zugunsten ihres mittellosen Sohnes, dem das Nötige fehlte, um sich Bücher zu kaufen, anbettelte. Dazu kam, daß er Ende Jänner 1827 von der russischen Regierung den Befehl erhielt, unverzüglich heimzukehren und über die ihm anvertraut gewesenen Staatsgelder Rechenschaft zu geben.

In dieser furchtbaren Klemme faßte Severin von Jaroschinski, der, wie wir an dem einen Beispiele sahen, wohl grenzenlos leichtsinnig, aber nicht schlecht war, den schrecklichen Entschluß, seinen einstigen Lehrer, den greisen Professor Blank, umzubringen und zu berauben. Er wußte, daß der Abbé reich sei und allein wohne, und daß der alte Mann zu ihm Vertrauen habe.

Für den 9. Februar 1827 lud er denn den Geistlichen zu einem Mahle in seine Wohnung ein, nachdem er sich am 5. Februar ein langes, scharfes Küchenmesser zur Ausführung seines Planes gekauft hatte. Professor Blank leistete der Einladung mit tausend Freuden Folge, da er gern wieder mit seinem Schüler beisammen sein wollte, und teilte dem Gastgeber ahnungslos mit, daß sein Vermögen in Obligationen bestehe. Jaroschinski, der sich angelegentlichst erkundigte, wie man solche Wertpapiere am leichtesten zu Geld mache, hörte dem Geistlichen aufmerksam zu und beschloß, die Tat lieber in der Wohnung des Opfers zu vollbringen. Er bat den Gast, ob er sich die Effekten nicht ansehen könnte, da er die Absicht hege, sich welche zu kaufen und nicht übervorteilt werden wolle. Der Professor erklärte sich hiezu gerne bereit und forderte den Edelmann auf, ihn am 12. in seiner Wohnung zu besuchen.

Blank besaß im Hause Nr. 978 der Inneren Stadt, »Zur eisernen Birn«, eine behagliche, im vierten Stockwerke gelegene Wohnung. Jaroschinski traf pünktlich ein und ließ sich die Obligationen vorweisen. Da es aber nur solche von geringem Werte waren, drang er in seinen Lehrer, ihm doch auch höherbewertete zu zeigen, damit er (Jaroschinski) nicht beschwindelt werden könne. Professor Blank erklärte sich auch hiezu bereit, nur sei er nicht imstande, dem Wunsche gleich zu willfahren, denn er hätte die Papiere in die Obhut des k. k. Kammerdieners Kolb gegeben. Morgen könne Jaroschinski jedoch kommen. Blank begab sich wirklich zu dem Kammerdiener und verlangte sein Eigentum, da er es einem polnischen Grafen zeigen müsse.

Am 13. Februar erschien um 11 Uhr vormitttags, wie verabredet, Severin von Jaroschinski in der Blankschen Wohnung. Der Professor wies ihm acht Stück Obligationen im Gesamtwerte von 60.000 Gulden Konventionsmünze vor und breitete sie vor seinem Gaste auf dem Tische aus. Als er sich dann einen Augenblick abwandte, um etwas zu suchen, sprang Jaroschinski hinter ihn, zog das vorbereitete Küchenmesser aus der Tasche und versetzte dem alten Manne einen so wuchtigen Stich in den Hinterkopf, daß der Greis sofort zusammenstürzte. Blank war aber noch nicht tot, weshalb Jaroschinski auf das Haupt des Wehrlosen unbarmherzig einhieb. Überdies führte er auch Stiche in den Unterleib des Opfers. Dann packte er schnell die Obligationen und verschwand.

Als der Geistliche am 13. und 14. Februar nicht in die Schule kam, wurde man besorgt und es machten sich einige Schüler auf, um den Professor zu besuchen. Sie fanden ihn tot inmitten einer großen Blutlache auf dem Boden liegen.

Die alarmierte Polizei eruierte zunächst im Wohnhause des Ermordeten folgendes: Zu dem unterhalb Blanks wohnenden Professor Riegler war am 13. ein feiner Herr gekommen, dem der Dienstbote auf dessen Läuten öffnete. Auf die Frage des Ankömmlings, ob der Professor daheim sei, habe das Mädchen geantwortet, ob der Herr zu Professor Riegler oder zu Professor Blank wolle? Daraufhin sei der Fremde erschrocken und habe sich mit den Worten entfernt, er hätte sich im Stockwerke geirrt. Der Dienstbote sah ihm nach und stellte fest, daß er in das vierte Stockwerk gehe. Professor Riegler fügte hinzu, er habe zwischen 12 und 1 Uhr ein Gepolter in der Wohnung Blanks gehört und zu seiner Frau gesagt: »Was macht denn der Professor oben? Mir scheint, er rangiert seine Möbel?« Es habe ihm aber keine Ruhe gelassen, so daß er sich anschickte, hinaufzueilen. Seine Frau habe ihn zum Glücke davon abgehalten.

Auf diese Art erlangte die Behörde eine Personsbeschreibung des Täters, die auch entsprechend verlautbart wurde. Mittlerweile erschien der Kammerdiener Kolb bei der Polizei und gab an, daß der Ermordete ihm am 12. die Obligationen mit dem Beifügen abgenommen habe, er müsse dieselben einem polnischen Grafen zeigen. Schließlich fiel der Verdacht auf Severin von Jaroschinski, der sich, obwohl seine Geldkalamitäten bekannt waren, am 14. Februar einen Reisewagen um 1700 Gulden gekauft hatte, nachdem er Wertpapiere eingewechselt hatte. In der Wechselstube kannte man ihn nämlich persönlich. Man entsandte »Vertraute« in den Trattnerhof, in welchem der polnische Edelmann logierte und suchte sich über den Geldbesitz Jaroschinskis umsomehr zu orientieren, als die von dem Täter erlangte Personsbeschreibung genau auf ihn paßte. Man erfuhr von dem Diener Michael und einem zweiten Domestiken, daß der »Herr Graf« die Nacht nach dem Morde schlaflos verbracht und mit einem Eisen etwas geschlagen habe. Michael hatte ferner das große Küchenmesser durch Zufall einen Tag vor dem Morde in einer Kastenlade gesehen. Jaroschinski hatte nämlich einen Fidibus verlangt, und als Michael in der Lade nach einem Stück Papier suchte, war ihm das Instrument aufgefallen. Er wagte seinen Herrn nicht um die Bestimmung zu fragen, als er den »Grafen« aber dann in der Nacht hämmern hörte, sagte er zu seinem Kollegen: »Um Gottes willen, unser Herr wird uns doch nicht umbringen wollen, oder vielleicht sich selbst, weil er kein Geld hat?!« Am anderen Morgen, als ihm Jaroschinski ein Paket mit Geld einhändigte, welches er gut aufbewahren solle, konnte sich Michael nicht mehr beherrschen und fragte, woher denn auf einmal das viele Geld stamme? Jaroschinski antwortete: »Von meinem Bruder. Er schickte mir 1000 Dukaten.« Michael erkundigte sich nun auch nach der Bestimmung des Küchenmessers, worauf er zur Antwort erhielt, er möge es für die bevorstehende Reise behalten, denn man könne nicht wissen, wozu man es noch brauchen werde.

Dies waren schwerwiegende Indizien, aus denen die Polizei die Konsequenz zog, daß sie am 16. Februar abends den Trattnerhof mit »Vertrauten« umstellte.

In der Wohnung des Kavaliers fand ein Mahl statt, an welchem neben ihm die berühmte Schauspielerin Therese Krones und deren Kollegin Jäger teilnahm. Auch ein Baron von der russischen Gesandtschaft war zugegen. Jaroschinski hatte das Essen vom Trakteur Wittmann, und zwar das Gedeck für 5 Gulden Konventionsmünze pro Person, bestellt. Für die damalige Zeit war dies ein sehr hoher Betrag.

Als während des Speisens dadurch keine fidele Stimmung aufkommen wollte, daß sich der Gastgeber sehr verstimmt zeigte, begann die Krones das Lied: »Brüderlein fein« zu singen, wobei sie mit den Worten: »Es muß doch geschieden sein …« auf die bevorstehende Abreise Jaroschinskis anspielte. Es half aber nichts. Zufällig kam dann die Rede auf die Ermordung des alten Professors Blank, wobei die temperamentvolle Krones ausrief: »Ich wette, das war nicht die erste Tat des Spitzbuben. Aber, meiner Seel', ich brenne vor Begierde, den Kerl hängen zu sehen. Bin ich krank, so laß ich mich im Bett hintragen, um den schlechten Kerl baumeln zu sehen!«

Daraufhin verzog Jaroschinski sein Gesicht und sprach nichts mehr. Die Krones fragte ihn: »Graferl, was fehlt Ihnen denn?« und streichelte ihn am Kinne. Jaroschinski stand rasch und ärgerlich vom Tische auf und sagte: »Ich bin böse auf Sie.« Therese Krones nahm diese Bemerkung nicht allzu tragisch und fuhr im früheren Tone fort: »Graferl, Sie werden uns doch ein Abschiedspräsent machen?« Jaroschinski wies verstört auf einen Kasten mit Silbergeschirr und brummte: »Da, nehmen Sie, was Ihnen gefällt.« Sodann ergriff er seine Tabakspfeife und ging in das Nebenzimmer. Die Gäste wußten nicht, was Jaroschinski nur heute habe und beratschlagten. Im Zimmer nebenan vernahmen sie Stimmen. Sie glaubten, es handle sich um eine Abschiedsvisite und warteten, bis der Hausherr wieder erscheine, um ihm über sein Benehmen Vorwürfe zu machen. Endlich öffnete sich die Türe, und Jaroschinski wurde sichtbar. Hinter ihm standen aber Polizisten und seine Hände waren mit Stricken gefesselt. Die Krones sank, von einer schweren Ohnmacht betäubt, mit einem Aufschrei zu Boden. Der »Graf« und seine unschuldigen Diener wurden zum Stadtgericht gebracht, wo sie strengen Verhören unterzogen wurden. Jaroschinski leugnete hartnäckig, obwohl die Beweise klar für seine Schuld sprachen. Als er sich dann immer mehr in Widersprüche verwickelte, verurteilte ihn der Kriminalbeamte zu zwölf Stockstreichen, was nach der damaligen Strafprozeßordnung ein beliebtes Mittel gegen Leugnende war. Die überaus schimpfliche Prozedur trieb den Verbrecher zum Geständnisse …

Bald darauf fällte ein Kriminalsenat das Urteil: »Zum Tode durch den Strang.« Das obere und das oberste Gericht bestätigte das Todesurteil, und nun versammelte sich täglich ein nach Hunderten zählendes Publikum vor der Schranne, um des Mörders, der nach dem geltenden Gesetze »ausgestellt« werden mußte, ansichtig zu werden. Am 27. August fand die Verkündigung des rechtskräftigen Spruches statt. Jaroschinski wurde zu diesem Zwecke in den Ratssaal geführt. Er war auf das feinste gekleidet: Grauer Pantalon, grüner Frack, schwarzsamtene Weste. An den Füßen trug er leichte Schellen. Der sechs Kriminalräten vorsitzende Staatsrat begann mit der Verlesung, indem er feierlich verkündigte, daß das Urteil des Wiener Magistrates von der höchsten Instanz bestätigt worden sei. Jaroschinski unterbrach ihn mit den Worten: »Das ist der Tod.« Trotzdem er also wußte, daß es um ihn geschehen, griff er wütend nach einem Stuhle, als er die Worte »vom Leben zum Strange« vernahm. Der Präsident fügte hinzu, daß sich die öffentliche Verlautbarung unmittelbar anschließen werde. Dies war dem Edelmanne furchtbarer als der Tod. Er bat, ihm diese Demütigung zu ersparen, doch konnte seinem Wunsche nicht entsprochen werden, da das Gesetz vorschrieb, daß das Urteil öffentlich vom Balkone verkündet und vom Verurteilten von der »Schandbühne aus« angehört werden müsse. Jaroschinski sah dies ein, verbeugte sich und ließ sich dann in die Wachstube führen, wo er im Gespräche mit dem Gerichtsarzte bis 10 Uhr verblieb, um welche Stunde die Ausstellung vor sich gehen sollte. Als die Uhr die zehnte Stunde schlug, betrat er den Pranger, auf welchem er sich sehr gefaßt, fast frech zeigte. Er überblickte die wogende Menge und sah dann zu jenen Fenstern auf, an welchen ihn vor einem Jahrzehnt das prophezeit worden war, was er heute erleben mußte. Endlich durfte er abtreten und wurde in den Gerichtshof gebracht, wo ihn zwei Priester der Kongregation der Liguorianer erwarteten. Als ihn dieselben fragten, ob er französisch spreche, fuhr er sie zornig an: »Besser als Sie« und kehrte ihnen den Rücken. Auf die weitere Frage, ob er ein Vaterunser beten könne, schrie er: »Glauben Sie, daß ich ein Bauer bin? Ich bin Kavalier und in Wien erzogen worden.« Eines ferneren Wortes würdigte er sie nicht. Der Vizebürgermeister Krachan schickte daher zu dem Seelsorger des Wiener k. k. Provinzialstrafhauses Philipp Jakob Münnich, dessen Memoiren wir auch die Schilderung der letzten Stunden des Raubmörders entnehmen, und ließ ihn bitten, dem widerspenstigen Verurteilten, der keinen Geistlichen sehen wolle, Trost zuzusprechen. Der Pater folgte der Einladung und wurde von Jaroschinski wider Erwarten freundlich empfangen. Der Häftling sagte: »Ich bitte, bleiben Sie bei mir; ich will nur die Liguorianer nicht.« Der Priester verbrachte schlaflos und ohne aus den Kleidern zu kommen, die Tage bis 30. August mit dem Delinquenten. Für den 30. August war die Justifizierung bei der »Spinnerin am Kreuz« festgesetzt. Wir wollen den Seelsorger nun selbst sprechen lassen: »Jetzt wurden wir zum Abendessen gerufen, und zwar zum letzten. Ich zwang mich, etwas zu essen, um ihn dadurch zur Nahrung zu reizen. Aber mein Mund war verschlossen. Jaroschinski aß sehr wenig, trank ein Glas Bier und verließ das Speisezimmer. Als wir im Aussetzzimmer auf- und abgingen, sagte er mir leise, daß er eine unbeschreibliche Angst fühle, zwar nicht, weil er sterben müsse, denn er habe es verdient, sondern weil er eine greuliche Tat verübt habe, weil er schändlich sterben müsse, wodurch seine Familie geschändet sei, die doch an der Sache unschuldig ist. Er fragte mich auch öfters, ob seine Mutter während seiner Verhaftung in Wien gewesen sei, ich sagte, ich wisse es nicht.

Er schien sich bald zu fassen und sagte: »Wann werden sie mir den Kopf abhacken?« Ich sagte, daß er nicht geköpft, sondern gehängt werde. – ›Wie ist das Hängen? Haben Sie es schon einmal gesehen?‹ Nachdem ich sagte, ich sei schon einem Unglücklichen von dieser Art beigestanden, mußte ich ihm die ganze Manipulation erklären. – ›Wie lange kann es dauern?‹ fragte er ganz ruhig. – ›Eine Minute‹, war meine Antwort. – ›Das ist lange‹, sagte er. ›Werden Sie auf der Richtstätte mir eine Predigt halten?‹ – ›Ja.‹ – ›Vor der Hinrichtung?‹ – ›Nein.‹«

Der Seelsorger schildert nun die letzte Nacht, während welcher der Verurteilte sich mit ihm aussprach und ihn bat, seinen Kindern zu schreiben, daß sie nur ja ihre Leidenschaften, besonders aber den Stolz bekämpfen sollen. In der Frühe beichtete der Mörder und schlug sich nach Empfang der heiligen Kommunion dreimal mit solcher Andacht an die Brust, daß alle zu Tränen gerührt wurden.

Die Erinnerungen Pater Münnichs fahren dann fort: »… Nach der Messe richtete ich mich zur Reise (nach der Spinnerin am Kreuz), ich steckte ein Fläschchen Hoffmannsgeist zu mir, um bei vielleicht eintretendem Übelsein Hilfe leisten zu können. Im Talar, mit einem weiten, schwarzen Mantel angetan, das Kruzifix in der Hand, den Kopf mit einer Kamera bedeckt, erschien ich im Aussetzzimmer und erwartete die siebente Stunde. Von Jaroschinski war sehr unruhig und bat mich öfters, Anstalt zum Abgehen zu treffen.

Endlich, als es sieben Uhr schlug, klopfte es an die Türe, ich rief: ›Herein!‹ Da trat der Kommissär des Gerichtes, schwarz gekleidet, herein, begab sich zu Jaroschinski, der unterdessen aufgestanden war, und sagte: ›Lieber von Jaroschinski! Die Stunde hat geschlagen. Das Gesetz fordert Sie nun, die Ihnen zuerkannte Strafe zu vollziehen.‹ Da rief von Jaroschinski um einen Schnaps, fiel dem Ober-Gefangenwärter, dem Schreiber, den sogenannten Stöckelknechten, dem Polizeifeldwebel, Korporal, jedem Gemeinen um den Hals, küßte sie und weinte bitterlich. Alle weinten. Es herrschte Grabesstille. Jaroschinski sammelte sich, nahm das ihm dargereichte Rosoglio-Gläschen und stellte es mit einer solchen Heftigkeit nieder, daß es zerbrach.

Ich nahm ihn unter die Arme, da sagte er zu mir: ›Ich werde Ihnen zeigen, daß ich standhaft bin.‹ Wir gingen über die Stiegen, wo ihm an den letzten Stufen die Eisen, die zum Abstreifen schon bereitet waren, abgenommen wurden.

Als er aber die ungeheure Menge Menschen, die Kavallerie, Infanterie, den Wagen, die Henkersknechte, die ihn anfaßten, sah, verlor er alle Kraft und das Bewußtsein; er bemühte sich, sich zu fassen, sprang auf den Wagen und setzte sich auf meinen Platz, ich nahm den seinen ein, da kam der Gefangenwärter des Stadtgerichtes und sagte, er müsse rückwärts sitzen, er tat es, und ich begab mich auf den für den Priester bestimmten Platz. Jaroschinski konnte sich nicht aufrecht halten. Sein Sitz hatte keine Lehne, er saß in der Mitte und fiel bald vor-, bald rückwärts, bald rechts, bald links. Hätte ich nicht seine Knie mit den meinigen festgehalten, so wäre er in oder aus dem Wagen gefallen. Er versuchte oft zu sprechen, ich verstand aber nichts, als: ›Ich sehe nicht.‹ Seine Mundmuskeln waren gelähmt und Geifer floß aus denselben. Ich nahm mein Sacktuch, um ihn zu reinigen; er wollte aber sogleich seines herausziehen, konnte es aber lange nicht herausbringen; endlich gelang es ihm, wie es aber aus der Tasche war, flog es schon aus dem Wagen. Man hob es auf und reichte es mir, da es aber vom Kote verunreinigt war, gab ich es dem Finder zurück.

Ich hatte seine rechte Hand in der meinigen; sie war sehr kalt, aber auf seiner Stirne zeigten sich Schweißtropfen. Er fing an, seine Wangen aufzublasen und versuchte es mit Gewalt, sein Halstuch zu öffnen, um sich Luft zu verschaffen. Es wollte ihm lange nicht gelingen, endlich öffnete sich der Knoten und das Halstuch flog aus dem Wagen. Nun sah er aus, als wäre er schon vom Galgen herabgekommen. Seine Augen waren sehr trübe. Ich machte ihn, als wir zur Paulanerkirche auf der Wieden kamen, aufmerksam, seine gegenwärtigen Leiden Gott für seine Sünden aufzuopfern. Er verstand es und nickte mit dem Kopfe ja zu.

Bald darauf riß er die Augen mit Gewalt auf, erheiterte sich und sagte: ›Da kommt eine Hofequipage, die bringt mir Pardon!‹ (Es war ein Fiaker, der den Gerichtskommissär führte.) Bald darauf sagte er: ›Da kommt ein Stabsoffizier, der bringt mir Pardon!‹ (Es war ein Militärchirurg.) Außerhalb der Linie ritten zwei k. k. Reitknechte schnell am Wagen vorüber; dies bestätigte ihm ganz, daß er begnadigt werde. Wer es weiß, daß von Jaroschinski bald fünf Jahre in Wien verlebte, die Hofequipagen und Militärbranchen genau kannte, wird daraus deutlich sehen, daß er sich nicht gegenwärtig war. Als er schon unter dem Galgen stand und die Henkersknechte ihn anfaßten, um ihn zu binden, rief er: ›Meinen Geistlichen‹ und wand sich aus den Händen der Henkersknechte, schwankte aber im Gehen und stieß heftig an die Galgensäule, die er aus Angst nicht sah. Ich sprach ihm Mut zu und munterte ihn zur Geduld auf. Er faßte sich, stellte sich in die Mitte des Galgens, ließ sich geduldig binden und sagte: ›Ich bitte, machen Sie geschwind.‹ Ich war an der linken Seite des Galgens, als er aufgezogen wurde. Ich dachte nun über die an das Volk zu haltende Rede, ich war davon ganz begeistert. Ich achtete nicht darauf, was geredet wurde.

Der Henker kommandierte mit seinen Knechten, diese sprachen auch. Ich sah in die Höhe, von Jaroschinski hatte den Strick um den Hals. Der Henker winkte seinen Knechten, die hinter dem Galgen ließen nach, die unter dem Galgen zogen an. Von Jaroschinski war tot.

Mehr als 20.000 Menschen umgaben den Gerichtsplatz. Ich trat gegen das Gesicht des Erhängten und begann meine Rede an das Volk. Ich sprach von der Macht der Leidenschaften. Ich würde auch die Pflicht der Eltern berührt haben, aber es fing zu regnen an, wodurch die Zuhörer in Bewegung und Unruhe gerieten …«


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