Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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XV.

Ein Jahr war vergangen. Ich lebte mit meinen Vormündern in Wien und wir machten dort ein ziemlich großes Haus. Ich war von vielen Bewerbern umgeben, aber es war keiner unter ihnen, der mir so gut gefallen hätte, daß ich geneigt gewesen wäre, ihm meine Hand zu gewähren. Einst war es der Gedanke an Franzl, der mich gegen alle unempfindlich gemacht; jetzt war es der Gedanke an einen andern, der daran schuld war, daß ich mich zu keiner Wahl entschließen konnte. Keiner war mit Graf Paul zu vergleichen, keiner konnte den Eindruck auf mich hervorbringen, den jenes Züge damals hervorgebracht, als er mondbeschienen zu meinen Füßen gekniet. Wie ihr seht, ich war in Paul verliebt –«

»Hast aber schließlich doch Onkel Alfred geheiratet,« unterbrach Malwine; »und sehr bald darauf, denn soviel ich weiß, warst du mit achtzehn Jahren vermählt. Ah, Tante, Tante – die Beständigkeit in der Liebe scheint keine deiner hervorragendsten Mädcheneigenschaften gewesen zu sein.«

»Schnabel, – wie meine Herrin, Gräfin Lotz, bemerkt hätte – höre nur meine Geschichte zu Ende.

Ich hatte über Paul schon lange keine Nachrichten erhalten. Aglae war aus jener Gegend fortgekommen und sonst war ich mit niemand dort im Verkehr.

Eines Tages machte mir meine Pflegemutter folgende Eröffnung: Gräfin Lotz sei mit ihr in Briefwechsel getreten – es handle sich um eine Partie zwischen dem Sohne Paul und mir.

Also hatte die alte Dame diese Idee nicht fallen gelassen . . . Gräßlich aber war mir der Gedanke, daß sie in mir das weggejagte Stubenmädchen wiedererkennen würde, und ich dachte schon an Mittel und Wege, einer etwaigen Begegnung zu entgehen und war auf dem Punkte, zu erklären, daß ich von so einer Partie durchaus nichts wissen wolle. Aber ich schwieg . . . Denn plötzlich erfaßte mich die Sehnsucht, Paul wiederzusehen . . . Wer weiß? . . . Vielleicht . . . ich dachte den Gedanken nicht aus, aber ich fragte auf die eben gemachte Mitteilung zurück:

»Nun? – Und wie soll das eingeleitet werden? Wird die Gräfin mit ihrem Sohn nach Wien kommen?«

»Die Mutter noch nicht; vorläufig nur der Sohn. Heute über acht Tage wird er bei uns erscheinen. Ich habe der Gräfin geschrieben, daß an diesem Tage, anläßlich deines achtzehnten Geburtstages, ein Ball bei uns stattfindet; das ist die beste Gelegenheit – dein Freier wird dieselbe benutzen, um sich dir vorzustellen. Du kannst dir ihn ja auf alle Fälle ansehen!«

»Gut, ich werde mir ihn ansehen . . . Das verpflichtet zu nichts. – Aber eine Bedingung stelle ich: ich wünsche, daß zu diesem Balle alle Damen, ich natürlich auch, maskiert erscheinen.«

»Was ist das für eine Laune?«

»Ich habe meine Gründe.«

»Diesen Scherz kannst du dir ja leicht machen. Du brauchst nur deine Eingeladenen zu verständigen.«

Einige Tage später erhielt ich einen Brief des Grafen Paul. Er steht hier abschriftlich eingetragen:

»Hochgeehrtes Fräulein! Wenn zwei junge Leute, die einander nicht kennen, von ihren Eltern behufs Eheschließung zusammengeführt werden, so kommt es öfters vor, daß der eine oder der andere Teil nicht mehr freien Herzens ist und dann vertrauensvoll dem andern sagt: Haben Sie die Güte: schlagen Sie mich aus. – Es ist mir bekannt, daß Ihnen bekannt ist, was meine Vorstellung in Ihrem Hause bezwecken soll. Nun ist aber der obenerwähnte Fall mein Fall. Ich hege eine tiefe Neigung . . . Doch habe ich meine Gründe, vorläufig meiner Mutter den Wunsch zu erfüllen, mich als Ihr Bewerber zu erklären. Also befinde ich mich auch in der Lage, Sie zu bitten – ›geben Sie mir einen Korb!‹

Ich finde, daß die Sache für uns beide leichter abgemacht ist, wenn dieselbe schon vor unserer ersten Begegnung klargestellt worden; es fällt dann jene verletzende Voraussetzung fort, daß der Korb aus persönlichem Mißgefallen verlangt oder gegeben wird. Es ist ja auch der Fall möglich – und nach allem, was ich von Ihrer großen Schönheit und Liebenswürdigkeit gehört, sogar wahrscheinlich –, daß es mir – nachdem ich Sie gesehen – ungeheuer erschwert würde, das oben ausgedrückte Verlangen an Sie zu richten. Zudem ist noch der dritte Fall am allerwahrscheinlichsten, daß Sie mir aus eigenem Impulse ein Körbchen reichten, und auch dieser, meine Eitelkeit kränkenden Eventualität wird durch meinen gegenwärtigen Schritt vorgebeugt. Wüßte ich nicht durch Ihre Freundin Aglae, daß Sie ebenso geistreich wie schön sind, hätte ich nicht gewagt, so offen zu Ihnen zu sprechen; so aber kann ich hoffen, daß Sie mich verstehen und in Huld betrachten als Ihren aufs tiefste ergebenen, abgewiesenen

Paul Lotz.«

»Aha,« bemerkte der Leutnant.

»O, du brauchst nicht gar so schlau lächelnd und alles durchblickend dreinzuschauen, mein Lieber. Natürlich glaubst du erraten zu haben, daß die treue und geheime Neigung der Mirzl Schulze galt. – Auch ich erriet im ersten Augenblick dasselbe. Jener heftige Schreck bei meinem Sturz aus dem Fenster ließ wohl auch auf eine heftige Neigung schließen . . . Aber andrerseits: was kannte der Graf von dieser Mirzl Schulze, das ihm hätte Liebe einflößen können, und was war sie? – ein dahergelaufenes, und nach zwei Tagen wieder davongelaufenes und während dieser Zeit einem Gärtnerburschen nachgelaufenes Ding . . . Schon damals hatte er seiner Mutter erzählt, daß er ein Frauenbild im Herzen trage – o, sicherlich, er liebte eine Dame aus der Gesellschaft, vermutlich eine verheiratete Frau, und nur um sich von seiner vielleicht unglücklichen Leidenschaft zu zerstreuen, hatte er mit dem hübschen Zöfchen liebeln wollen. So sind ja diese jungen Herren – das wußte ich sattsam aus meinen Lektüren.

Mit großer Spannung und Erregung sah ich dem Feste entgegen, da ich Paul wiedersehen sollte. Ich freute und fürchtete mich auf die Begegnung. Zuerst unter der Maske – dann die Erkennungsszene: es würde jedenfalls in hohem Maße interessant werden.

Ich schickte dem Grafen folgende Antwort:

»Gut – das Körbchen ist bereit. Ich werde es jedoch mit Vergißmeinnicht füllen. Diese Scharade verstehen Sie nicht? Die Lösung soll Ihnen am Ballabend werden.

Seraphine.«

Noch vor dem Balle natürlich machte Graf Lotz seinen Aufwartungsbesuch, doch wurde er nur von meinen Vormündern empfangen – ich selber blieb auf meinem Zimmer. Ich vermied es überhaupt, die ganzen Tage hindurch auszugehen, damit ich ja nicht vor dem betreffenden Abend von Paul gesehen und erkannt werde.

 


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