Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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IX.

In mein Zimmer zurückgekommen, schrieb ich folgende Zeilen nieder. Hier steht noch der Aufsatz dazu:

»Franz Hubinger! Sie haben mir gestern gesagt, daß Sie einen Schatz glücklich machen wollen. Ich bin entschlossen, glücklich zu werden. Wegen der Krankheit der Gräfin kann ich heute nicht in den Garten – also schreiben Sie mir!«

Auf dieses Dokument, welches das Küchenmädchen beim Gemüseholen nach seiner Bestimmung trug, erhielt ich durch dieselbe Botin folgende, hier ebenfalls – und mit Beibehaltung der Orthographie – abschriftlich eingetragene Antwort. Der Eindruck des Briefes war kein angenehmer. Schon das Papier: – ein Stückchen Makulatur, wie es der Dorfkrämer zum Einwickeln seiner Waren benutzt; dann die Schrift: an die Schulhefte zehnjähriger Kinder mahnend, aber der Inhalt, nun der war – interpunktionslos zwar – aber bindend.

»Wohlgeborenes Freilen Mirzl! Wanns kan Spaß nit machen thun so will ich ihr treier Schatz sein und fihle mich sehr gehert in der erwartung Sie bald sehen können edle schöne Mirzl indem ich hofe meine hertzliche Liebe zu lohnen weil ich nicht mehr leben könnt ohne Mirzl morgen ist Kirtag jetzt bin ich für ewig mit Hochachtung Ew. Wohledelgeboren liebender Breitigam Franzl Hubinger.«

Als Stilist war Herr Hubinger nicht »groß« – das mußte ich zugeben. Aber war es seine Schuld, daß ihm die Vorteile einer akademischen Bildung nicht zuteil geworden? War sein Charakter darum minder erhaben angelegt? Und würde es ihm nicht ein leichtes sein, wenn er reich geworden, das bißchen Schliff nachzuholen, das ihm fehlte?

Wieder verbrachte ich eine halb schlaflose, halb schwer durchträumte Nacht. Es war mir gar so ein neues, ein viertel glückliches, aber drei viertel schreckliches Gefühl, Braut zu sein. Mir träumte von dem morgigen Kirchweihfest – das sollte mein erster Ball und zugleich mein Verlobungsfest sein . . . Ein fröhlicher Walzer erklang: »Komm, Mirzl, tanzen wir . . .« Ich ließ mich umschlingen und im Tanze fortdrehen, den Kopf an die Schulter meines Franzl gelehnt – mein Franzl, der mir desto lieber und vertrauenerweckender war, als er des Grafen Paul feine Züge hatte, als er, zu mir sich herabbeugend, mit seiner sanften Stimme mir zuflüsterte: »My darling – my queen . . .«

Am folgenden Tag bat ich die Haushälterin Nani, mich auf den Tanzplatz zu führen – allein hätt' ich mich doch nicht hingewagt. Die Gräfin war wieder hergestellt. Sie selber ermunterte mich, das Fest zu besuchen.

»In deinen Jahren muß man auch Belustigungen haben – geh nur tanzen, Kind . . . wirf dich in Staat, du wirst schöner sein als alle Mädeln im Dorf – und doch sind viele hübsche dabei. Zu lang' darfst du aber nicht bleiben . . . Später, wenn das Trinken angeht und die Burschen zu schreien und zu raufen anfangen, da mußt du fortgehen.«

Als ich fertig Toilette gemacht, mußte ich mich der Gräfin zeigen.

»Eine wahre figurine de Sèvres!« rief sie aus.

Ich hatte mich in der Tat ein wenig rokoko herausgeputzt. Ein geblümtes Kleid mit aufgerafftem Überwurf; rosafarbene Strümpfe und hohe Hackenschuhe; ein Spitzenhäubchen und Rosen auf dem hochfrisierten Haar; Rosen auch am Ausschnitt des gekreuzten halb durchsichtigen Busentuchs; schwarze Sammetbänder um Hals und Arme.

Was ich den ganzen Tag über für Gedanken und Gefühle hegte; wie ich der bevorstehenden Begegnung mit Franzl – dem ich mich inzwischen verlobt hatte – entgegensah, das kann ich heute nicht mehr erzählen, denn ich finde es im Tagebuche nicht verzeichnet. Vermutlich war ich in einem Zustand halber Blödsinnigkeit; vielleicht ging ich zum Tanzplatz wie ein geschmücktes Opfer zum Scheiterhaufen; oder wie ein Kind zu einer Partie »blinde Kuh«, oder wie ein sündhaftes Weib zu einem Stelldichein – ich weiß es nicht mehr.

Die Ereignisse des Bauernballes selber, die stehen wieder da und ich kann sie der Reihe nach berichten.

Neben dem Wirtshaus war eine aus Brettern gezimmerte, mit Reisig geschmückte Tanzhütte errichtet; daneben, im Freien, standen zahlreiche Tische und Bänke, welche alle dicht besetzt waren. Als wir ankamen – Nani und ich – wurde eben eine Polka ge – soll ich sagen getanzt, oder ge – trampelt? Die Paare waren so zahlreich, daß sie sich Schulter an Schulter drängten; nur mit Mühe konnten sie sich fortbewegen und wiegten sich meist auf demselben Flecke hin und her. Wir mußten uns durchwinden, um zu dem Platze zu gelangen, den uns der Wirt an einem für uns hingestellten Tisch anwies. Aber während dieses Ganges wurde ich plötzlich aufgehalten, indem sich ein Arm um meine Taille legte. Ich schaute auf: es war Franzl, der sofort im Polkaschritt – oder was war das für ein Schritt? – mich durch das wogende Dickicht schob.

Welch ein großer und schwieriger Augenblick! Hier war der Bräutigam, der neugewonnene, und mein Herz sollte sich zu den gehörigen Weihgefühlen schwingen, während meine Füße den richtigen Takt zu den trippelnden Bewegungen meines Partners finden sollten – und beides wollte nicht recht gelingen. – Franzl, wie die übrigen Burschen auch, die besonders »fesch« waren, hielt eine brennende Zigarre im Mund. Das empörte mich.

»Werfen Sie das fort – so will ich nicht mit Ihnen tanzen!«

»No, wär' nit übel – an Vierkreuzerstengel – fortwerfen?«

»Augenblicklich – sonst ist alles aus.«

Er entfernte das beleidigende Kraut von seinen Lippen und reichte es einem andern Burschen hin:

»Da hast, Nazl, das schenk' ich dir.«

»Vergelt's Gott.«

»No sehen's, Mirzl, wie lieb ich Ihnen hab': so was hätt' i für keine andre tan, schon um zu zeigen, daß i nit a so mit mir umkommandieren lass', als wie a Pummerl . . . Aber wenn eine gar so viel schön und gar so viel guat is, wie Sie – sagen's, Mirzl, war denn das wirklich Ihr Ernst mit dem Brief?«

»Platz da!« schrie einer, »einhalten – die Herrschaft kommt, die Herrschaft kommt.«

 


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