Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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XII.

Nach kurzer Zeit war ich erschöpft; ich konnte nicht mehr weiter weinen, obwohl noch für manchen Tränenstrom der Schmerzvorrat mein Herz erfüllte. Ich erhob mich von meiner knienden Stellung und ging zum offenen Fenster hin, wo der Mond in vollem Glanz hereinschien, das Gemach beinah taghell erleuchtend. Ich setzte mich auf die Brüstung und sah hinaus. Nicht hinab auf die Straße – die lag zu tief –, sondern in das Geflimmer der Sterne, in die blauen Nebellichter der Milchstraße . . . Wie klein mein Kummer in Anbetracht zu diesen Myriaden-Welten – und doch wie groß, wie unerträglich groß für mich! . . . Vom Wirtshaus klang noch die verhaßt gewordene Trampelmusik herüber – nur die Begleitakkorde hörte man – mir graute davor. O, der Blick des Grafen, als er betreten zurückwich: »Mirzl, ist das wahr?« – Ja, es war wahr. Wie er mich jetzt verachten mochte . . . – Was nun? Was morgen tun? Nur eins war möglich: nicht erst abwarten, daß die Gräfin nach dem Bericht der Wirtshausszene mich davonjage, sondern fliehen, zu Aglae fliehen und ihr sagen, daß ich lieber von zehn Stieren zerfleischt werden wollte, als noch einmal in einem finstern Baumgang mit Franzl allein sein . . .

Ein Geräusch weckte mich aus meinem Sinnen. Ich sah mich um und ließ mich erschreckt vom Fensterbrett herabgleiten: es hatte sich die Tür geöffnet und eine männliche Gestalt näherte sich. Meine Kehle war zugeschnürt – ich konnte keinen Schrei ausstoßen. Doch als die Gestalt in den Bereich des Mondstrahls trat, fand ich meine Stimme wieder – es war der Gefürchtete nicht.

»Graf Paul – Sie!«

Jetzt stand er an meiner Seite im Fenster und hatte meine Hand erfaßt.

»Ja, Mirzl, ich. . . Sie sind mir dort so entflohen – ich wollte Ihnen nicht nach . . . ich zog es vor, den wütenden Franzl zurückzuhalten, der Sie sonst verfolgt hätte. Unglückliches Kind – wie konnten Sie sich nur in den verlieben? – und noch dazu so rasch: in zwei Tagen? Ich dachte, Sie seien seit langem seine Braut und deshalb hierher gekommen –«

»Ach, ich Unglückliche!«

»Aber nicht wahr, Herz, jetzt mögen Sie ihn nicht mehr? . . . Jetzt werden Sie Ihre Huld einem Würdigeren schenken? . . . Einem, nicht wahr, der Sie zart und sanft behandeln wird . . .« Er trat näher an mich heran, »der liebevoll und innig –«

Ich wich zurück.

»Graf Paul, lassen Sie mich . . . wie gering, o wie gering Sie von mir denken! . . .«

»Mirzl!«

»Freilich, der Schein ist gegen mich und ich kann mich jetzt nicht rechtfertigen – aber glauben Sie mir – bei meinem Eide – ich war das Opfer eines Irrtums . . . nicht diesen Franzl hab' ich geliebt, sondern ein Bild meiner kindischen Phantasie – ich verdiene Ihre Verdammung nicht –«

Er glitt langsam auf die Knie.

»Ich verdamm' dich nicht, reizendes Geschöpf – ich lieb' dich!«

Ein heißer Taumel ergriff mich – eine Sehnsucht, auf dieses zu mir erhobene Antlitz, dessen liebverklärte Züge der Mond bestrahlte, mich herabzubeugen, wie Gretchen zu Faust – die Oper hatte ich gesehen – und wie jene zu hauchen: »Dich bet' ich an – – will ster–ben gern für dich . . .« – Aber noch rechtzeitig kam ich zu mir: das war ja nicht ich, der diese Werbung galt – nicht das romantische, verirrte, aber unschuldige Mädchen aus ebenbürtigem Hause – das war die leichtfertige Geliebte des Gärtners, die kokette, männernachlaufende Zofe – und was der junge Graf hier suchte – was er berechtigt war hier zu suchen – war ein munteres, kleines Abenteuer.

»Um Gottes willen, stehen Sie auf – gehen Sie fort . . . Wie konnten Sie überhaupt hierher zu dringen wagen? . . . Ach, ich Arme – so stolz zu sprechen hab' ich wohl in Ihren Augen kein Recht . . . also denn, ich befehle nicht, ich bitte, ich flehe . . . verlassen Sie mich! Wenn jemand käme – ich wäre verloren!«

»Mirzl, du holdes Kind, zier' dich nicht . . .«

»Herr Graf – ich rufe –«

»Vergebens, es ist niemand in der Nähe – die ganze Dienerschaft ist beim Tanz . . .«

»Graf Paul,« sagte ich und faltete die Hände in höchster Angst – »Paul, lieber, herrlicher Paul, sei barmherzig: geh!«

Er stieß einen Schrei des Entzückens aus; dieses liebende »du« mochte ihm die Sinne geraubt haben und er umfaßte mich stürmisch . . .

Zum zweitenmal an diesem Tage erwachte das Gefühl meiner bedrohten Mädchenehre . . . laut aufschreiend riß ich mich aus seinen Armen los, schwang mich auf das Gesims des offenen Fensters und von da – in die Tiefe hinab.

 


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