Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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VII.

Diese Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Sachen standen gar zu aufregend. Ich war ja eigentlich schon am Ziel – ich war schon geliebt. Er hatte mir angetragen, mich als sein »Schatzl« glücklich zu machen. Das war doch zu schnell gegangen. Ich war auf eine zum mindesten ein paar Wochen dauernde Belagerung seines Herzens gefaßt gewesen, und jetzt war er am ersten Tage erobert. Ein furchtbares Bangen ergriff mich. Denn bei dem großen Gewinn, den ich da zu verzeichnen hatte, war ich mir auch eines großen Verlustes bewußt. Es war mir etwas abhanden gekommen – etwas, was die ganze Zeit in meinem Innern gelebt, es war plötzlich tot: nämlich meine Liebe selber . . . Die Sehnsucht, wieder einmal an seiner Brust zu ruhen, wie damals, nach der Stierszene, die war verschwunden – war eher in Angst und Furcht umgeschlagen daß der pfeifengewohnte Mund sich frech und entweihend auf meine Lippen drücken könnte . . . Wäre Aglae nicht – wahrlich, ich ergriffe am nächsten Morgen schon die Flucht. Was würde diese aber zu solcher Charakterlosigkeit, solcher Feigheit sagen? . . . Ihr dürfte ich mit jener Vorstellung nicht kommen, daß Franzls Kuß eine Entweihung wäre, denn da würde sie mit gerechter Verachtung mich daran erinnern, daß meine Lippen längst nichts Geheiligtes mehr waren, daß im Gegenteil nur ein Verlobungskuß Franzls imstande sei, ihnen die verlorene Reinheit zurückzugeben. Daß sie seit ihrer Heirat in jener vor drei Jahren getauschten Liebkosung vielleicht etwas weniger Gräßliches und Entscheidendes sah: das wußte ich nicht.

Ich kam nur wieder zur Ruhe, als ich den Entschluß gefaßt hatte, nunmehr ein Paar Tage vergehen zu lassen, ohne Franzl wiederzusehen: ich würde es vermeiden, in den Garten zu gehen, und ins Schloß würde er doch nicht heraufkommen. Während der Zeit würde die Neigung, die ich offenbar schon heute erweckt – durch Sehnsucht gesteigert – in seinem Herzen wachsen, und auch ich könnte wieder – indem ich alle meine vergangenen Gefühle und Vorsätze rekapitulierte – das störende Bangen verscheuchen, das mich heute so unerwartet ergriffen hatte . . .

Ihr seht, wie ich euch da meine innigsten Seelenvorgänge zergliedere. Das vermag ich nur mit Hilfe der nachgelesenen Tagebucheinzeichnungen zu tun; was könnte ich sonst von all den verwickelten und schwankenden Empfindungen, die sich in meinem romantisch kindischen Gemüte abspielten, nach so langen Jahren noch wissen? Freilich sind im Kopfe alter Leute die Jugenderinnerungen deutlicher eingeprägt als so manche Ereignisse nächstliegender Zeit; aber nur die Bilder sind es, die da geblieben – von den Gefühlen, von den großen Schmerzen und großen Seligkeiten, die im jugendlichen Herzen getobt haben, ist alles verweht und zerstoben – dafür hat das Alter nicht das geringste Verständnis. Wüßte ich nicht, daß es meine eigenen Schriftzüge sind, die ich da vor Augen habe, ich hielte diese Blätter für die ersten Versuche eines talentlosen Belletristen.

Am folgenden Tage war die Gräfin unwohl und blieb zu Bett. Ich mußte den ganzen Tag bei ihr zubringen und hätte somit, auch ohne meinen Vorsatz, keine Möglichkeit gehabt, mich in den Garten zu begeben. Hier stehen wieder einige Dialoge verzeichnet, die in dem Krankenzimmer geführt worden sind.

»Du bist eine angenehme Pflegerin, Mirzl – und liest sehr hübsch vor – ich glaub' schon, daß ich mit dir zufrieden sein könnte. Nur merk dir, was ich wegen der Liebschaften gesagt habe . . . Du wirst ganz rot? – Setz dich her ans Bettende und erzähl: Hast du nicht einen Schatz zu Hause?«

»Ich will Frau Gräfin nicht täuschen: in der Tat, ich liebe.«

»In der Tat – sie liebt! Was das für eine Sprache ist. – Und wen liebst du, wenn man fragen darf?«

»Einen braven Jungen, den Sohn eines Schmiedes . . .«

»Hm – wird das zu deiner Bildung passen? denn du scheinst mir weit über deinen Stand hinaus erzogen.«

»Die Bildung ist eine Zufallssache und kann nachgeholt werden . . . Hauptsache ist doch der große Charakter und die schöne Seele . . . und dies besitzt derjenige, den ich –«

»Den du liebst? Desto besser. Aber ich wollte es doch erst bewiesen haben, eh' ich's glaube.«

»Ich habe Beweise.«

»So? Und bist du mit dem hochbedeutenden Schmiedlein schon verlobt?«

»Ja . . . das heißt, ich bin's –«

»Und er noch nicht? So wirst nur du ihn heiraten – ohne sein Mitwissen?«

»Ach bitte, Frau Gräfin, fragen Sie mich nicht aus – es ist mir peinlich.«

»O, ich bin nicht neugierig. Kann mich nur ärgern, daß alle Mädel – alle – immer Heiratsgedanken im Kopf herumtragen. Da bist du – ein halbes Kind noch: statt froh zu sein, eine Stelle gefunden zu haben, wo du jahrelang angenehm leben könntest; vielleicht auch, wenn du brav ausharrst, zu einer Erbschaft gelangen, die dich für dein Leben sorgenfrei machte; – statt dessen hegst du auch keinen sehnlicheren Wunsch, als dir einen armen Handwerker anzuketten, der dich vielleicht prügeln wird, oder ein Säufer ist, jedenfalls dir ein halb Dutzend Kinder verschafft, die du kümmerlich ernähren mußt . . . o, ihr dummes, dummes Mädelvolk!«

»Bitte tausendmal um Verzeihung für die Kühnheit meiner Bemerkung – aber Frau Gräfin sind ja auch nicht ledig geblieben.«

»Schnabel! – Bereite mir ein Glas Zuckerwasser.«

 


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