Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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VI.

»Wohin, wohin so eilig, schönes Kind?«

Es war auf der Stiege, wo ich durch diese Ansprache aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ein großer, schlanker, sehr vornehm aussehender junger Mann stand vor mir. Ich erriet, daß dies der Sohn der Gräfin sei, mit dem zu kokettieren – sie mir so streng untersagt hatte.

»In das Zimmer Ihrer Frau Mama, Herr Graf, um es mit diesen Blumen zu schmücken,« beantwortete ich die Frage und wollte weitergehen.

Er aber stellte sich mir in den Weg:

»Selbst Blume!« rief er aus.

»Das Kompliment ist nicht besonders originell.«

»Aber Sie sind originell, Kleine.«

»Ich heiße Mirzl und bin nicht auffallend klein.«

»Doch auffallend hübsch . . . Sie sind wohl die neue Zofe? . . . Wie kann Mama nur so unvorsichtig sein? Sie werden ja alle Köpfe verdrehen im Haus – bei meinem angefangen.«

Ich nahm, indem ich den Kopf zurückwarf, eine finstere Miene an:

»Ich werde niemandem erlauben – bei Ihnen angefangen – mir achtungslos zu begegnen. Bitte, wollen Sie mich vorbeilassen, Herr Graf.«

Mit stummer Verneigung trat der junge Mann zur Seite und ich eilte die Treppe hinan.

So hatte ich ihm doch imponiert. Der Zwischenfall war mir nicht unangenehm; auch wurde er sofort mit allen Einzelheiten in das Tagebuch eingetragen. Wenn nun gar auch dieser junge Herr mir den Hof machen wollte – und er war nicht übel, meiner Treu – dann würde die ganze Komödie und Maskerade noch viel verwickelter und amüsanter werden . . . Und was für ein herrlicher, dem Franzl zu gebender Liebesbeweis, wenn ich den glänzenden Ritter seinethalben verschmähte! Freilich – mit ehrbaren Absichten würde wohl jener der Zofe nicht nahen . . . desto strenger und kälter und stolzer müßt' ich ihn behandeln.

Ihr staunt wohl, daß ich bei meiner Jugend über derlei Dinge schon so weltklug dachte; doch ihr müßt euch erinnern, daß ich diese meine – mit großer Naivität gemischte – Weltklugheit in den zahlreichen Romanen und Theaterstücken gesammelt hatte, die ich von meinem zwölften Jahre an im Verein mit Aglae zu verschlingen pflegte.

Hier stehen – neben dem Berichte – auch meine Betrachtungen über die beiden angeführten Begegnungen eingetragen; hört:

»Ich hab' IHN also gesehen! . . . Ist ER's – der ganze ER? Sonderbar: in Aglaes Nähe liebt' ich ihn besser, als ich heute in seiner eigenen Nähe ihn zu lieben verstand. Die Erregung, die Feierlichkeit des Augenblicks war wohl zu überwältigend . . . Jetzt, wo ich wieder ruhiger bin, fühle ich die alte, ungeschwächte Liebe in mein Herz zurückkehren. Was sag' ich ›ungeschwächt‹ – gestärkt, vertieft. Ja, das Pfeifenrauchen werden wir ihm abgewöhnen: – es schien mir nämlich, als ob seinen Gewändern ein Knasterduft entströmte, während der junge Graf wohl eben aus einem mit Kölner Wasser bereiteten Bade gestiegen war. Merkwürdiger Mensch, dieser junge Graf – wie keck er anfangs war und doch, mit welcher Ritterlichkeit er mir dann grüßend Platz machte . . . Ich hab' ihm Respekt eingeflößt. Nächstens wird er mir aber wieder nachsetzen – das kann sich interessant gestalten. Wenn ich keinen andern liebte, könnte dieser mir gefährlich werden – – doch wenn ich den andern nicht liebte, wäre ich dann überhaupt hier und dieser Gefahr ausgesetzt? . . . Den gekrümmten Rücken werden wir ihm auch abgewöhnen – dem Franzl meine ich; der andere hat ja eine Haltung wie ein englischer Herzog. Ich habe zwar noch keinen englischen Herzog gesehen; aber so stelle ich mir die Gattung vor: vornehm, gentlemanlike, ein wenig arrogant und doch zartsinnig . . . Gut, daß ich für die Vorzüge aller anderen unzugänglich bin . . . Franzl, ich bin dein . . . Du hast mir das Leben gerettet, es ist nur billig, daß dieses Leben dir geweiht sei: Der Mensch liebt nur einmal und nachher is gar!«

Die nächstfolgende Eintragung stenographiert mein zweites Gespräch mit Franzl, welches noch am selben Nachmittag stattfand. Die Gräfin war ausgefahren; ich war frei, spazieren zu gehen; also benützte ich das, um meine Schritte nach dem Garten zu lenken. Vielleicht würde ich den Teuern doch von weitem sehen. – Richtig, da war er und schwang die Gießkanne über die blühenden Beete. Ich dankte seinem »Guten Abend! Fräulein Mirzl« mit einer Kopfneigung und einem Seitenblick, der als ein Geschoß auf sein Herz gemeint war, und eilte an ihm vorüber.

Ich hatte mir ein Buch mitgenommen und mit diesem setzte ich mich in eine Laube, die am Ende des Küchengartens lag. Rechtzeitig war es mir eingefallen, daß ich nicht zur »Herrschaft«, sondern zur Dienerschaft gehörte – da gebührte mir kein Platz in den Zieranlagen. Hier zwischen Obstbäumen und Mistbeeten, Petersilie und Spargel konnte ich mich niederlassen, ohne unbescheiden zu erscheinen. Hier konnte auch Franzl, wenn er wollte, mich aufsuchen.

Und das tat er auch. Ich hatte kaum zehn Minuten gelesen – ohne zu wissen, was ich las – als der Gegenstand meiner sehnenden Gedanken vor mir stand, ein kleines Sträußchen in der Hand.

»Da haben's a paar Bleameln, Fräul'n. Aber nit für die Frau Gräfin – für Ihnen.«

»Danke schön, Herr Hubinger.«

»Heißen's mi ›Franzl‹, bitt' schön.«

Ich erbebte. »Recht gern, Franzl,« – ach, wie süß mir der Name durch die Lippen glitt – »dann müssen Sie mich aber auch Mirzl nennen.«

»Dös lass' i mir nit zweimal sag'n. Da seh' i mi aber auch a bissel her zu Ihnen, Mirzl.«

»Ja, ja – aber nicht so nahe, bitte.«

»Is so weit g'nug?«

»Sie . . . Sie rauchen wohl keine sehr guten Zigarren?«

»I? – Pfeifen rauch' i. Na – was Sie aber für Augen haben!«

»Lassen wir meine Augen – sprechen wir von Ihnen, Franzl. Erzählen Sie mir von Ihrer Militärzeit und sagen Sie, was Ihre Zukunftspläne sind.«

»Meine – was?«

»Wie Sie sich Ihre Zukunft denken.«

»Lieber Gott, i' hoff', daß i amal a Gärtner und zuletzt an Obergärtner werd'.«

»Wollten Sie nicht lieber Gutsbesitzer sein?«

»Lachen's mi aus? – I denk' nit über meine Lag' hinaus – i bin so a zufrieden.«

»Sie sind groß, Franzl.«

»Fünf Schuh zehn Zoll –«

»Eine große Seele wollt' ich sagen. Warum sehen Sie mich so erstaunt an? . . . Aber was ich vorhin fragen wollte: es kann ja sein, daß Sie einmal in eine andere Lebenslage kommen – durch einen Treffer in der Lotterie zum Beispiel . . .«

»I setz' gar niemals in d' Lotterie.«

»Kurz, daß Sie auf eine oder die andere Weise ein vornehmer Herr werden –«

»Dös gibt's net für mi. Könnten's denn nur an vornehmen Herrn gern haben, Mirzl? Wann aner a braver Bursch wär und weiter nix, da wollten's nix von ihm wissen?«

»O, Franzl . . .«

»No ja, Sie schaun ja aus wie a Komtess', obwohl's nur a Stubenmadl sein, und da bin i Ihnen gewiß zu schlecht? Aber glauben's mer, wann i a Schatzl recht lieb hätt', i tät's a glückli machen – besser wie die großen Herren, die immer glei drei, vier Schatzeln auf einmal hab'n müssen . . . Mirzl, san's gut – sagen's mir a freundlich's Wort . . . U, jeh – da kommt wer! Ich wer mi schnell davondrucken, sonst merken die Leut' gleich was und plauschen – morgen sehn wir uns wieder, nit wahr?«

Es war die Haushälterin Nani, die daherkam.

Obwohl Franzl sich eiligst in die Büsche geschlagen, mußte sie ihn doch gesehen haben, denn sie fuhr mich streng an:

»Was treiben's denn hier, Mirzl? Wenn ich noch einmal so was merke, sag' ich's der Frau Gräfin.«

Errötend und gesenkten Hauptes folgte ich ihr ins Schloß.

 


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