Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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XI.

Der Ball nahm seinen Fortgang. Die Damen aus dem Schlosse hatten sich bald entfernt, die jungen Herren aber waren geblieben und hatten sich zusammen an einen Tisch gesetzt. Als ich einmal am Arm eines Jägerburschen an diesem Tisch vorbeitanzte, stand der Graf auf und hielt mich fest.

»Auf ein Wort, Mirzl.«

Mein Tänzer wich bescheiden zurück.

»Was ich Sie fragen wollte . . .« begann Paul. »Ist es denn wirklich wahr? Ist der Hubinger Ihr Bräutigam?« Ich senkte den Kopf. »Ich kann nicht finden, daß er zu Ihnen paßt, Mirzl . . . Er ist ja sehr hübsch und mag ganz brav sein – aber eine solche Perle wie Sie – in so rauhe Fassung! Sind Sie denn wirklich mit Ihrem Herzen im klaren? . . .«

»Wie Sie mich das so teilnehmend fragen, Herr Graf –«

»Ja: wahrhaft teilnehmend – Sie haben das richtige Wort gesprochen – glauben Sie mir . . . ich habe keine böse Absicht, Sie Ihrem Glücke zu entreißen – ich frage mich nur, ob das wirklich ein Glück sein wird? Ich habe mich verliebt, ja, ich gestehe es offen . . . aber ich kann diese Anwandlung niederkämpfen, wenn es sein muß, und sie in ein warmes Wohlwollen umwandeln . . . Erinnern Sie sich, daß Sie einen Freund an mir besitzen. Wenn Sie mich brauchen – sei's um sich von Franzl zu trennen, sei's um sich mit ihm zu vereinen, wenn es hierzu z. B. an einer besseren Anstellung fehlte – dann denken Sie an mich. Und jetzt – behüt' dich Gott . . .«

Er drückte mir die Hand und ging. Regungslos blieb ich auf dem Flecke stehen und schaute ihm mit einem schweren Seufzer nach.

Das Fest wurde immer lauter. Die Nacht war völlig hereingebrochen und die Öllämpchen in der Tanzhütte wurden angezündet; auf den Tischen draußen brannten Kerzen unter Glaskugeln. Wein und Bier wurden reichlich ausgeschenkt; schon erhitzten sich die Gesichter und stiegen die Stimmen. In die dunklen Seitenwege verloren sich verschiedene Paare. Lachen, Schreien, Johlen, das Stampfen der Tänzer, die schrillen Weisen der nunmehr auch schon angeheiterten Musikanten füllten die mit unangenehmem Wein- und Pfeifenqualm gefüllte Luft auch mit unangenehmen Tönen.

Mir ward immer banger und unheimlicher. Nein: solchen Festen würde Franzl entsagen müssen . . . aber er schien sich darin wohl zu fühlen, wie ein Fisch im Wasser. Unaufhörlich tanzte er mit dieser oder jener. Oft auch stieß er sein Glas an andere Gläser – und stimmte in die verschiedenen »Hoch soll er leben – hoch soll er leben – er le – be – hoch!« begeistert ein. Mit mir konnte er später nicht viel reden, denn ich drückte mich an die Seite Nanis und gab vor, nicht mehr tanzen zu wollen.

Endlich erreichte er es doch wieder einmal, daß ich seinen Arm nahm. »Ich muß, ich muß mit dir red'n,« hatte er mir zugeflüstert. Gut, dachte ich, reden wir, denn ich hatte ihm auch etwas zu sagen. Nämlich, daß wir noch ein paar – nein, nicht Wochen – ein paar Jahre mit der Hochzeit warten müßten. Ich ließ mich also von ihm fortführen.

Als wir an dem Tische vorbeikamen, wo der junge Graf mit seinen Freunden saß, rief der erstere:

»Halt! – Lassen wir dieses hübsche Pärchen leben.«

Abermals gab's einen Tusch: Hoch sollen sie leben – usw. Franzl machte einen Kratzfuß.

»Dank schön, gnädige Herren – komm, Mirzl.« Und er schob mich weiter.

Meine Wangen brannten. Ich hatte das angenehme Gefühl, das man ungefähr nach Erhaltung einer öffentlich applizierten Ohrfeige haben mag.

Doch es war nicht nach dem Tanzplatz, daß Franzl unsere Schritte lenkte: er bog in einen Seitenweg des Wirtshausgartens. Ich hatte nichts einzuwenden, denn da konnte man besser sprechen, und ich schickte mich also an zu sagen, was ich auf dem Herzen hatte.

»Hören Sie mich an, Herr Hubinger. Ich beabsichtige, morgen von hier wegzureisen . . . als Ihre Braut . . . bedingungsweise; das heißt, Sie werden durch drei Jahre eine Universität beziehen –«

»A, da hab' ich's . . . Hab' schon glaubt, daß ich's verlor'n g'habt hab' . . . mein Taschenveitel . . . bin ich aber froh! Jetzt, mein Schatzel, red'.«

Also hatte er mich gar nicht gehört, sondern die Zeit über sein Taschenmesser gesucht. Es hieß denn, von vorn anfangen:

»Mein lieber Franzl, es handelt sich um wichtige Maßregeln –«

»I bitt di gar schön, plausch nit.«

»Es handelt sich nämlich . . . Aber kehren wir um, hier wird es finster –«

»Je finstrer, je besser – du Marzipanherzl du – die Pußeln hab'n ka Farb!«

. . . Ein Schrei, so laut, so gellend, wie unter einem Mordanfall entfuhr meinen Lippen. Diese Berührung – roh und rauh – gemein und brutal – o der eine Augenblick! Es war ärger, ärger, ich schwör' es euch, als jener, wo der schnaubende Stier sich über mich gebeugt . . . Da hab' ich's erfahren, daß Todesangst gering ist gegen die instinktive Angst, welche die jungfräuliche Reinheit unter dem Attentat der männlichen Sinnengier erfaßt. Ein Augenblick nur zum Glück; denn auf meinen Schrei ließ mich mein Angreifer los und von allen Seiten kamen Menschen herbeigerannt. Ich lief ihnen entgegen – Franzl mir nach.

»Was gibt's? Was ist geschehen?« riefen die Leute.

»Dummheit – nix is g'schehn – geht's außernander, Leuteln – des Madel is a biss'l verruckt.« Und er packte mich wieder beim Arme.

Ich aber riß mich los und stürzte auf Paul zu, den ich eben erblickt.

»Helfen Sie mir – retten Sie mich!« flehte ich, mich an ihn klammernd.

Er legte seine Hand um meine Schulter.

»Seien Sie ruhig, Kind . . . Hubinger, was soll das heißen?«

Aber Franzl war wild geworden. Er trat vor . . .

»Die g'hört mir, Herr!«

Die andern, erschrocken, daß er gegen den Gutsherrn die gebührende Achtung vergesse, hielten ihn zurück.

Er ballte die Faust und schlug um sich.

»Wollt's mi loslassen – ös dummes Volk? Glaubt's denn, i hab' das Madel fressen woll'n?«

Es kamen immer mehr Menschen herbei – der ganze »Kirtag« bildete einen Kreis um uns. Franzls Augen rollten:

»I lass' mir solche Dummheiten nit g'fall'n,« schrie er.

»Ruhig, ruhig, Kind,« klang es wieder von meines Beschützers Munde, und er schmiegte mich noch inniger an sich.

»I bin ka Hanswurscht,« tobte der andere weiter. »Und das Madel braucht nit zu machen, als hatt' ich's g'stohlen . . . i kenn's gar nit. Sie is mir nachg'laufen – nit ich ihr. Seit zwei Tag' is erst da – vordem hab' ich's gar nie g'sehn – und sie hat mir an Heiratsantrag g'macht.«

Der Arm des Grafen ließ mich los. Er trat einen Schritt zurück:

»Ist das wahr. Mirzl?«

Ich aber wandte mich um, um zu fliehen. Ich stieß ein paar Frauen zur Seite, die hinter mir gestanden, und lief fort, fort, an dem nunmehr leeren Tanzplatz vorbei, durch die Dorfstraße bis ins Schloß und geradewegs in den dritten Stock auf mein Zimmer.

Dort sank ich kniend vor meinem Bette nieder und schluchzte – schluchzte, wie ein armes, hartgezüchtigtes Kind unter den ärgsten Hieben schluchzt.

 


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