Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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II.

Es trat eine Pause ein. Die alte Dame machte gar keine Miene, fortzufahren.

»Aber Tante,« sagte endlich eines der Mädchen, »wie lange willst du denn noch unter der ungemütlichen Bestie liegen bleiben und uns dabei zusehen lassen? Erzähle doch weiter: wie wurdest du gerettet?«

»Soll ich dir vielleicht helfen, verehrtes Tantchen?« fragte der Leutnant. »Ich würde vorschlagen: Plötzlich fiel ein Schuß und das Ungetüm wälzte sich in seinem Blute.«

Die Tante lachte. »Du glaubst also, daß ich mich einer freien Improvisation hingebe? Daß ich meine Einbildungskraft anstrenge, um euch zu unterhalten? Nein, es ist schon ganz genügend hübsch von mir, daß ich zu diesem Zweck mein Gedächtnis anstrenge – ich erfinde nichts. Mein Stier ist kein Fabeltier. Aber es fiel auch kein Schuß. Es packte mich einfach ein kräftiger Arm und schleuderte mich eine Strecke weit aus dem Bereich meines Feindes. Dieser raste weiter, ohne meinen Retter anzugreifen und ließ sich wo anders einfangen.

Ich war zitternd und halb ohnmächtig auf dem Platze liegen geblieben, wohin ich geschleudert worden; da kam mein Retter zu mir und richtete mich sanft auf. Kinder, ein hübscher Junge war's – ich sag' euch, – hübsch à croquer, zum Aufknacken. Er trug einfache, beinah bäuerliche Tracht, mir erschien er aber blendend wie ein Königssohn –«

»'s ist Ihnen doch nix g'schehn Fräul'n?«

Ich machte eine verneinende Kopfbewegung, denn zum Reden war ich noch zu erschüttert.

»Na, Gott sei Dank! 's wer do schad' g'wesen um so a bildsaubr's Mad'l.« – Denn ihr müßt wissen, ich war nicht übel in meinem Mai.

»Das brauchst du uns bei solchem Prachtoktober nicht erst zu versichern.«

»Schmeichelkater du, gestiefelter – besäbelter!«

»Nur weiter, Tante! Was geschah zunächst? Mir kommt nämlich deine jetzige Lage, in der Gewalt des jungen Bäuerleins, nicht viel weniger gefährlich vor – wenn auch in anderer Art – als diejenige, aus welcher er dich errettete.«

»Warum nicht gar!« rief eine der Schwestern. »Aber so seid ihr Männer – von wilden Tieren zerfleischt werden, das gönnt ihr uns viel leichter, als von euresgleichen – sofern ihr's nicht selber seid – ein Küßchen zu kriegen.«

»Richtig, du hast's erraten, Malwine; das war's, was mir drohte.«

»O Sie lieb's Schatzel – Sie sein ja noch ganz hin vor Schreck, können's denn noch gar nix reden?«

Dabei schaute er mich so zärtlich an und hielt noch immer meine Taille umschlungen. Endlich fand ich meine Stimme wieder.

»O mein Retter – mein Retter – mein Retter! Wie soll ich Ihnen danken?«

»Nix zu danken.«

»Was?! Das Leben nennen Sie nichts? Wie Ihnen jemals vergelten! – Was werde ich Ihnen geben können, das nur den hundertsten Teil meiner Schuld abtrüge!«

»Sie san mir nix schuldi. – Und schenken wollen's mir was? Was mer a recht große Freud' machen tät? Nachher schenken's mir a Bußl . . . Etwa nit? – Nachher nimm' i mers.«

Und er drückte seine roten Lippen, durch welche blendende Zähne schimmerten, auf die meinen; so herzhaft, so glühend, so lang', daß mir der Atem und schier die Besinnung verging.«

»Nun – hab' ich's nicht gesagt, daß diese zweite Gefahr –«

»Du hast recht, Georg, der Kuß war keine Kleinigkeit, Der fiel in mein dummes vierzehnjähriges Herz hinein, wie ein Wetterstrahl in eine Scheune und –«

»Tra – ra!« ahmte Georg die Feuerwehrtrompete nach.

»Zum Glück kam auch jetzt rechtzeitig –«

»Die Löschmannschaft?«

»Ein Wagen dahergerollt, in welchem mein Vormund saß.«

»Wie das alles klappt! Wenn ich deinen heiligen Eid nicht hätte, daß du nichts erfindest –«

»Als ob ein vorbeifahrender Vormund ein gar so phantastisches Meteor wäre! Wie aus den Wolken gefallen war er freilich, als er am Wegerand sein Mündel erblickte, vom Arm eines Bauernjungen umschlungen. Er war jedoch bald mit der Sachlage versöhnt, nachdem ihm die Rettungsgeschichte mitgeteilt worden. An ihrer Wahrhaftigkeit konnte ihm kein Zweifel aufsteigen, weil er soeben durch das Dorf gekommen, in welchem man unter großem Lärm das wütende Tier eingefangen hatte. Es war unter solchen Umständen dem Bauernjungen auch nicht übelzunehmen, daß er das noch halb ohnmächtige Fräulein mit seinem Arm unterstützte – von dem Kusse hatte der Heranfahrende zum Glück nichts gesehen – und so wurde mein Lebensretter mit gebührendem Lob und Dank überschüttet. Um Namen und Stand befragt, gab er an, daß er Franzl Hubinger heiße, Sohn des Dorfschmiedes sei – zwanzig Jahre alt, und eben zum Militär assentiert worden.

Mein Vormund sagte ihm hierauf auch, wer das Fräulein sei, dem er zu Hilfe gekommen, und gab ihm zu verstehen, daß er auf hohen Lohn Anspruch habe, den er fordern möge.

»Tun's mer den einzigen G'fallen, gnä' Herr, und zahlen's mi nit; sonst is mer die ganze Freud' verdorben. D'Fräul'n hat sich eh' schon bei mir bedankt – und so schön, daß ich's mein Lebtag nit vergessen wer!«

Mein Vormund hatte mich indessen in den Wagen gehoben.

»B'hüat Ihna Gott, schön's Fräul'n« – sagte der Franzl, »lassens mir nur noch a mal Ihnera Hand küss'n.«

»Na, wir sehen uns schon noch,« sagte mein Vormund, »sprechen Sie bei uns vor –«

»Nit so bald, gnä' Herr: morgen muß i einrücken zum Regiment – und komm erst in drei Jahren wieder hoam. B'hüat Gott no' mal!«

Er schwenkte den Hut und, über den Weggraben setzend, lief er querfeldein. Wir fuhren davon. Ich winkte mit dem Tuche, so lange als die Gestalt des Burschen zu sehen war, dann fiel ich in die Kissen zurück mit einem schweren, schweren Seufzer und war – ich geb's euch als Scharade auf – was war ich?«

»Verliebt,« antworteten Neffe und Nichten gleichzeitig.

»Ihr seid bangenerregend gescheit, Kinder! Ja, das war mein Zustand. Nur drückte ich es edler aus: ich liebte . . . Es läßt sich nicht sagen, was mir dieser neue, überraschende Umstand für Hochachtung vor mir einflößte. Es war mir, als hätte ich irgend eine Weihe empfangen. Dieselbe, die ich früher gewesen, war ich keinesfalls mehr; ich fühlte mich deutlich verwandelt. Und das Los meines Lebens war gefallen; Franzls Weib. Seraphine Hubinger: das war meine Zukunft. Keine üble Zukunft . . . Denn, daß ich's nur gestehe, jener Kuß war mir als etwas ganz unbeschreiblich Süßschreckhaftes vorgekommen, etwas Fabelwonniges, Götterrätselhaftes . . . und die Zukunft als Franzls Weib stellte ich mir als eine ununterbrochene Fortsetzung derselben Kußempfindung vor. Was ich da war – das geb' ich euch diesmal nicht als Scharade auf, das konstatiere ich lieber gleich von vornherein: mehr Mädchen als Fräulein – mehr Turteltaube als Mädchen und mehr – – Gans als Turteltaube.«

»Du bist streng, Tante. Doch vermutlich hat diese Schwärmerei nicht lang' gedauert? Und da du nicht Frau Hubinger heißest, so wissen wir, daß dein Zukunftstraum unerfüllt geblieben.«

»Es ist recht ärgerlich, daß meine bloße Existenz und staatsbürgerliche Stellung diese Erzählung aller spannenden Eigenschaften beraubt. Zuerst konntet ihr nicht wegen eines tödlichen Ausganges des Stierüberfalles zittern, und jetzt nicht wegen der möglichen Heirat mit Franzl. Aber nicht alle Liebesgeschichten enden am Traualtar; es gibt noch hundert andere tragische und komische, interessante und merkwürdige Abschlüsse dafür; also lauschet immerhin mit so atemloser und fieberhafter Neugier, als ihr wollt.«

»Wir hängen an deinen Lippen –«

»Das ist ja für beide Teile recht behaglich. – Die Schwärmerei habe nicht lange gedauert, meint ihr? O, doch! – Jahre und Jahre. Diese Liebe hatte sich mir sozusagen inokuliert und blühte, mit meinem Organismus verwachsen, mächtig heran. So wie jeder Mensch beim Erwachen seine Identität fühlt, so war jeder Morgen mein erster Gedanke: Franzls Weib – das ist mein Los. Schwierigkeiten sah ich keine vor mir. Alles beugte sich ja stets meinem Willen – wer würde mich hindern, mein Schicksal, wie es im Buche der Vorsehung und in meinem eigenen Herzen geschrieben stand, zu erfüllen. Weltliche Rücksichten? Über die würde ich mich hinwegzusetzen wissen. Schlimmsten Falles würde ich bis zu meiner Volljährigkeit warten müssen . . . Wie ihr seht, war ich so ziemlich bewandert, was übrigens eine natürliche Folge meines fleißigen Romanlesens war. Freilich wäre das Warten bis zum einundzwanzigsten Jahre ein sehr bitterer Fall gewesen, denn sieben Jahre – die Hälfte des bisher zurückgelegten Lebensweges – schienen mir eine unabsehbar lange Epoche. Drei Jahre wollte ich nur warten; die drei Jahre, welche der Franzl beim Militär bleiben mußte, und welche noch zu meinem vollen Erwachsensein fehlten.

 


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