Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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III.

Den Pflegeeltern gegenüber ließ ich natürlich nichts von meinen Plänen verlauten; aber ich hatte eine gleichaltrige Freundin, der ich mein ganzes Herz ausschüttete. Der Neid, die Bewunderung, welche Aglae – so hieß meine Vertraute – empfand, als sie hörte, daß ich »liebte«, war etwas Großartiges. Von dieser Stunde an blickte sie zu mir empor, wie zu einem höheren Wesen. Sie fühlte sich klein und nichtig neben mir. Die Erhabenheit meiner Empfindung, die Wunderbarkeit meines Geschickes überwältigten sie. Sie huldigte mir; sie schwor, sich meinem Dienste zu weihen und mir zu helfen und beizustehen, wo sie nur könnte. Sie selber würde auf Liebe verzichten; es war schon herrlich genug, die Vertraute einer solchen Leidenschaft zu sein und sich im Glücke des berühmten Liebespaares sonnen zu dürfen. Denn daß Franzl und Seraphine an der Seite der Hero und Leander, Paul und Virginie, Abälard und Heloise usw. in der Geschichte fortleben würden, das stand bei uns beiden fest. Ihr begreift, daß ein Wesen, von dem ich so ganz verstanden, so richtig aufgefaßt wurde, mir unaussprechlich wert und teuer, ja unentbehrlich erschien. Ich setzte es daher auch durch, daß Fräulein Aglae, mit welcher ich übrigens entfernt verwandt war, als eine Art Adoptivschwester bei mir blieb. So wurden wir unzertrennliche Genossinnen in Arbeit und Spiel.

Unser liebstes Spiel war dieses: Aglae stellte Franzl vor und ich die siebzehnjährige Seraphine. Da wurden stundenlange Komödien aufgeführt. Wir ersannen die verschiedensten Situationen, in welchen die Begegnung, die Erkennung und schließliche Vereinigung dieses interessanten Paares vor sich gehen sollte. Die Handlung spielte entweder in meinem Schlosse, wo Franzl als Büchsenspanner in Dienst genommen worden; oder in der väterlichen Schmiede; mitunter auch auf dem Schlachtfelde, wo ich als barmherzige Schwester den verwundeten Geliebten pflegte. Hier endete die Szene öfters mit Franzls Tode, und was ich da Tränen vergossen habe, das ist unglaublich . . . Aglae starb aber auch zu schön. Da war ein gewisses Brechen des Auges und Aushauchen der Seele, das ihr niemand nachgemacht hätte. In den glücklichen Szenen war sie gleichfalls unnachahmlich. Wenn ich mich als die von Todesgefahr Errettete zu erkennen gab und mich und meine Million dem Franzl auf dem Präsentierteller meiner mit abgewandtem Gesichte gestandenen Liebe anbot, da wußte sie einen Schrei auszustoßen und mir zu Füßen zu sinken: – hinreißend! In diesen Augenblicken ward mir offenbar, was es heißt, den Gipfel alles denkbaren Erdenglückes erklommen zu haben. Der Charakter, den Aglae unserem Helden gab, war mit einer Konsequenz durchgeführt, um die sie jede deutsche Romanschriftstellerin und Darstellerin von Tugendausbündigkeit hätte beneiden können. Nichts als edle Regungen schwellten diese Jünglingsbrust . . . Tapferkeit, Reinheit, Ehrenhaftigkeit, Engelsgüte, Verstandesklarheit waren einige seiner Nebeneigenschaften. Die Grundeigenschaft war »Größe« überhaupt. Er fühlte gewaltig, dachte hehr und handelte erhaben. Das stach von der Schlichtheit seiner bäuerlichen Sprechweise, von seiner frischen, urwüchsigen Naturburschenhaftigkeit nur desto wirkungsvoller ab. Um dieses prachtvolle Charaktergebilde aufzubauen, hatte meine geniale Aglae nur eines Zuges bedurft, den ich ihr mitgeteilt; nämlich Franzls Verzicht auf einen Lohn für seine Rettungstat: – das war doch »groß« gewesen. Wenn man von einem vorsintflutlichen Vogel einen Flügelknochen ausgräbt, der zwei Meter lang ist, so kann man daraus die Gestalt des ganzen Vogels als eine riesige annehmen und bei demselben weder einen Sperlingsschnabel noch einen Schwalbenschwanz vermuten; desgleichen hatte dem Scharfsinn Aglaes jene bewiesene Uneigennützigkeit genügt, um über die Flügelweite von Franzls Seele in klarem zu sein und ein untrügliches Bild seiner nach jeder moralischen Richtung ausgebildeten Riesendimensionen zu gewinnen.

Ich hatte mich in die Komödie so hineingedacht, daß der durch meine Freundin vorgestellte Held für mich ein wirkliches Leben besaß; und ihrerseits war Aglae so sehr in ihre Rolle aufgegangen, daß auch in ihr – sobald wir unser Spiel gewonnen – ein anderes Leben pulsierte. Es war für beide eine förmliche Umwandlung – eine »Transsubstantiation« – ein Mysterium mit einem Wort.

Die Idee, daß ich vielleicht doch einmal einem anderen meine Hand reichen könnte, die kam uns gar nicht – das wäre ja eine Lästerung gewesen. Denn wir waren ein paar tugendhafte Jungfräulein, die von der Heiligkeit magdlicher Liebe und Reinheit gar hohe Begriffe hatten. Zweimal lieben durfte kein edles Frauenherz, und einem anderen angehören als demjenigen, der den ersten Kuß von den jungfräulichen Lippen gepflückt, das wäre ein Frevel – ein Ding der Unmöglichkeit. Besonders Aglae war in dieser Richtung streng. Der Umstand, daß mein Mund nicht mehr unberührt war, hätte mich in ihren Augen zu einem Greuel gemacht, wenn sie nicht angenommen hätte, daß die Sündhaftigkeit jenes Kusses durch die Verheiratung mit dem Mitschuldigen wieder ausgelöscht werden sollte. Schon um Aglaes Umgang mir zu erhalten, mußte ich mich als Franzls Braut betrachten. Würde ich nur eine Anspielung haben fallen lassen, daß ich als adeliges Fräulein, als reiche Erbin, vielleicht doch einst auf eine andere Partie Anspruch erheben konnte als auf diejenige mit dem Schmiedsohn, Aglae hätte mir sicher die Freundschaft gekündigt. Übrigens, wozu auch an eine andere Möglichkeit denken? Ein größeres Glück konnte mir das Schicksal doch nicht bieten, als die Vereinigung mit demjenigen, den es mir so augenfällig bestimmt hatte. Daß jener Stier eigens vom Fatum auserkoren worden, um mich über den Haufen und unter die Haube zu rennen, das unterlag ja weiter keinem Zweifel. Halberwachsene Mädchen sind überzeugte Fatalistinnen.

Unter den Variationen, welche unsere Einbildungskraft über das Thema einer bevorstehenden Verheiratung erdichtete, war folgende die am häufigsten aufgeführte: Ich nahte mich dem Geliebten in irgend einer Verkleidung als ein Mädchen seines Standes. Er lernte mich lieben und wollte mich heimführen. Doch sein Vater verweigerte die Einwilligung, weil ich keinen Kreuzer Geld besaß. Franzl war unglücklich, schwor, mir ewig treu zu bleiben und mich zu heiraten, bis er sich die Selbständigkeit erarbeitet. Da warf ich mich eines Tages in Prunkgewänder (meist purpurroter Samt mit Hermelinbesatz, wechselte auch mit himmelblauem, perlengesticktem Damast ab), setzte mich in eine von vier Rappen, oder je nach der Toilette – ihr wißt, – ich liebe Farbenharmonie, – von vier Schimmeln gezogene Staatskarosse, nahm eine Maroquinbrieftasche zu mir, in der meine Million enthalten war und fuhr an der Schmiede des harten Vaters vor. Eben war sein Sohn bei ihm, um wieder einmal zu versuchen ihn zu erweichen, und während jener Hufe hämmerte, hämmerte er aufs Vaterherz. Ich trat geräuschlos ein; die beiden kehrten mir den Rücken und sahen mich nicht.

»Vater,« sagte Aglae-Franzl zu einem großen bronzenen Lampengestell, welches meinen zukünftigen Schwiegervater vorstellte, »hab doch ein Erbarmen! Ohne mein Mirzl kann i nit leben . . . Was? Du schüttelst den Kopf (mir war's, als säh' ich die Lampenkugel mit strenger Miene verneinen) – du willst nix hören? Wegen des schnöden Mammons? (Aglae mischte nämlich ein etwas gesuchtes Hochdeutsch mit dem bäuerlichen Dialekt, welchen sie auf meine Weisung dem Franzl lieh.) Du woaßt nit, wia's mer ins Herz g'wachsen is, dös Blitzmädel, dös von den Grazien so reichbeschenkte Wesen! I' bring' mi um, Vatter – i' terstürz mi in die Wehren . . . oder ich setze den Giftbecher an!«

Die Lampe blieb unerbittlich.

Da trat ich vor in meiner ganzen Pracht; Franzl stieß einen Schrei aus, während die Lampe, mich nicht erkennend, vor der großen Dame die Mütze abnahm. Jetzt folgte die Szene der Aufklärung: ich packte meine Million aus; Franzl wurde vor Freude nahezu wahnsinnig; der väterliche Widerstand war natürlich gebrochen und wir knieten, segenerflehend, vor dem Lampengestelle nieder.

 


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