Bertha von Suttner
Franzl und Mirzl
Bertha von Suttner

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XIII.

Du schweigst, Tante? Ist die Geschichte aus? Warst du tot?

»Nein; ebensowenig wie nach der Stierepisode. Ihr könnt darüber leider nicht im Zweifel sein.«

»Zum Glück. Dieses Ende wäre ja gar zu tragisch gewesen.«

»Nicht tragischer als das der Virginia, oder das der Emilia Galotti. Für jede Standesehre ist schon oft gestorben worden; es ist nicht zu wundern, wenn auch zur Wahrung der Jungfrauenehre das Leben eingesetzt wird – desto verzweifelter eingesetzt, als es die Flucht vor einem unbekannten Schrecken gilt!«

»Wärest du gesprungen, Malwine?« fragte der Leutnant.

»Natürlich –«

»Ja, – dem schönen Grafen um den Hals.«

»Deine Schwester wäre überhaupt nicht in die Lage gekommen,« fiel die Tante ein, »sie ist ein zu gescheites und zu wohlerzogenes Mädchen, als daß sie jemals solche Maskerade unternommen hätte. Die Schwierigkeiten meiner Lage waren nur die gerechte Strafe des Leichtsinns, mit welchem ich die Schranken der Schicklichkeit durchbrochen hatte; die Gesellschaft ist so eingerichtet, daß, wer gegen ihre waltenden Gewohnheiten verstößt –«

»Keine sozial-ethischen Betrachtungen, mein liebes, gutes Tantchen! Bitte, erzähle weiter – die Situation ist ja spannend. Was tat Graf Lotz nach diesem deinem Heldensprung? . . . Und warst du schwer verletzt?«

»Nur betäubt. Es stand zufällig ein mit leeren Mehlsäcken gefüllter Wagen unter meinem Fenster. Auf diese war ich hingefallen, zwar ohne Schaden zu nehmen, aber doch unsanft genug, um die Besinnung zu verlieren.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf meinem Bette und die alte Nani saß neben mir. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Erinnerungen gesammelt hatte und wußte, wer ich sei und was geschehen. Meine erste, ziemlich überflüssige Frage war:

»Bin ich denn nicht tot?«

»Scheint nicht!« antwortete Nani mürrisch.

»Wie ist das nur möglich!« setzte ich den Ausdruck meines gerechten Staunens fort.

»Mehlsäcke sind nicht tödlich.«

»Mehlsäcke?« Ich wiederholte das Wort, ohne den Sinn zu fassen.

»Ja – auf solchen sind Sie gelegen – in des Müllers Wagen, der hier unter dem Fenster steht. Wie sind Sie da hinaufgekommen?«

»Hinauf? Nein hinab . . . von jenem Fenster aus.«

»Jessusmariaundjosef! Vom dritten Stock!! Also doch . . . ich glaubte, er phantasiere bloß.«

»Wer?«

»Der junge Herr – den man hier in Ihrem Zimmer gefunden – auf der Diele ohnmächtig . . . Wie ich vom Kirchweihfest nach Hause gekommen bin, vielleicht eine halbe Stunde nach Ihnen, will ich noch in Ihrem Zimmer nachsehen und schaun, ob Sie sich nicht schämen über die Geschichte mit dem Franzl . . . Ich klopfe an: keine Antwort . . . Ich mach' auf – es ist stockfinster. Ich zünd' ein Licht an und wen find' ich da? . . . den Herrn Grafen – leblos ausgestreckt, und von Ihnen keine Spur. Ich läute Sturm . . . Der Graf wird in sein Zimmer übertragen, immer noch bewußtlos. Endlich macht er die Augen auf und fängt zu phantasieren an: »O – auf die Straße gefallen – vom Fenster – den Kopf zerschellt . . .« Dann fällt er wieder zurück, von heftigstem Fieber geschüttelt. Wir haben gleich die Frau Gräfin geholt und um den Doktor geschickt . . . Nach Ihnen hat man gar nicht mehr gesucht. Soviel hat mir nur die Frau Gräfin, der ich die ganzen Geschichten erzählt habe, befohlen: »Daß mir das Mädel nicht mehr unter die Augen kommt. Sie soll augenblicklich von hier fort, besorgen Sie das, Frau Nani.« Nun ja, ganz natürlich – die Frau Gräfin ist sehr streng auf die Moral – und so ein nichtsnutziges Ding, das nicht nur mit dem Gärtnerburschen ein Verhältnis hat, sondern auch den jungen Herrn in ihrem Zimmer empfängt, der

Zeile/n fehlend im Original.

ihres Bleibens könnte im Hause nicht sein . . . Aber um Sie wegschicken zu können, hätten Sie erst da sein müssen – und wie gesagt, im ganzen Haus keine Mirzl . . . Zwei Stunden später aber, neuer Krawall: Jemand entdeckte eine Gestalt auf dem Müllerwagen . . .«

»Verzeih die Unterbrechung, Tante, aber jene Mehlsäcke kamen doch wieder merkwürdig rechtzeitig unter dein Fenster gefahren . . .«

»So geht es immer in der Welt –«

»Immer kommen Mehlsäcke rechtzeitig angefahren?«

»So geht es, meine ich, daß die Wirklichkeit stets sonderbarere und merkwürdigere Umstände herbeiführt, als man wagen würde zu erfinden. – Aber ich fahre fort. Es ist nämlich immer noch Nani, welche spricht:

»In dieser Gestalt erkennt man die Mirzl, und es wird jetzt abermals ein lebloser Körper auf sein Bett gebracht. Und trotz allem Reiben und Beuteln und Spritzen und Essigeinatmen sind Sie nicht zu sich gekommen . . . Warum Sie auf den Wagen überhaupt hinaufgekrochen waren, das hat man sich nicht recht erklären können – einige meinten, es sei zum Rauschausschlafen – darüber habe ich aber doch Zweifel ausgedrückt. Erst jetzt wird mir's klar: Sie sind vom Fenster aus hinabgefallen . . . Wie es scheint, hat unser junger Herr zugesehen und ist darüber erschrocken.«

»Ja, ja, so ist es . . . Weiß die Gräfin, wo ich gefunden worden?«

»Bis jetzt weiß sie nichts. Es ist auch besser, ihr nichts zu sagen, denn sie wird nur noch wütender werden, wenn sie wüßte, daß Sie, um junge Herren zu erschrecken, beim Fenster hinausspringen.«

»Das ist nicht meine Gewohnheit, Frau Nani.«

Ich richtete mich auf. Bis auf einen leisen Schmerz am Hinterkopfe fühlte ich mich gesund. Nur ein Wunsch beseelte mich: fort. Und so bat ich denn Nani, mir behilflich zu sein, das Schloß sogleich zu verlassen, um bei meiner Gönnerin, Frau Aglae, welche in der Nachbarschaft wohnte, Zuflucht zu suchen.

Da mein Wunsch mit der Weisung übereinstimmte, welche die alte Frau von der Gräfin erhalten hatte, so fand sie sich auch bereit, denselben zu erfüllen. Um so bereiter, als ich ihr anbot, das Geld, welches sie mir auszuzahlen hatte, zu behalten. So half sie mir meinen Koffer packen, ließ ein Bauernwägelchen anspannen – und es war noch früher Morgen, als ich mich einsetzte, um den Ort zu fliehen, wo ich so erschütternde Sachen erlebt und wo ich den Ruf zurückließ, ein – wie hatte Nani doch gesagt? – ein »nichtsnutziges Ding« zu sein.

Und doch . . . bei einem – dessen war ich sicher und das tröstete mich über die Meinung der andern – mußte ich die Überzeugung wachgerufen haben, daß ich das Gegenteil von »Nichtsnutz« sei, daß ich Tugend und Ehre hoch halte, höher als das Leben. Jetzt mußte er doch zur Einsicht gelangt sein, daß ich dem Franzl nicht nachgelaufen, daß ich keine leichtsinnige Bauerngeliebte sei, welcher nachzusetzen ein junger Edelmann sich keine Skrupel zu machen brauchte. Und er mußte mich doch wirklich ein wenig lieb gehabt haben, wenn der Schreck über meinen mutmaßlichen fürchterlichen Tod ihn besinnungslos zu Boden warf . . . Wenn er zu sich käme, würde es ihm ein Trost sein, zu erfahren, daß ich unversehrt geblieben, und das Andenken an mich würde sein Leben lang ein gerührtes und ein achtungsvolles bleiben.

 


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