Hermann Sudermann
Der Katzensteg
Hermann Sudermann

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17

Zu derselben Stunde saßen die Schrandener, so viele ihrer sich von Haus und Hof hatten frei machen können, im »Schwarzen Adler« zum Abschiedstrunk vereinigt.

Der alte Merckel zahlte alles.

Hinter dem Schanktische stand er mit seinem wehmütigsten Lächeln, das ihm heute ein jeder glauben mochte, und goß unaufhörlich die geleerten Gläser voll.

»Trinkt, liebe Leute«, mahnte er, »laßt euch durch das Unglück meines Hauses nicht abhalten. Was tut's, wenn er füsiliert wird? Er stirbt einen braven Tod für seine Ehre und für sein Vaterland.«

Er wischte sich den Schweiß von der glänzenden Stirn, während seine Äuglein in Unruhe und Erwartung von einem zum andern glitten.

»Bring auch denen ein Glas, Amalie«, wandte er sich an die Schankmamsell, »die bei ihm Wache halten. Ich will sie's nicht entgelten lassen, daß sie helfen, ihn ins Verderben zu stürzen.«

Die Schrandener, gerührt von so viel Edelsinn und Geistesgröße, schauten mit verbissenem Ingrimm in ihre Krüge. Sie mochten sich schämen, mit ihrer Gier bei dem Unglück zu Gaste zu gehen, hätten es aber für ein Verbrechen gehalten, die freigebige Regung des Alten nicht mit allen Kräften auszubeuten. So gossen sie Bier und Schnaps in Strömen hinunter, und ein jeder paßte fein auf, ob auch kein Nachbar rascher trinke als er.

Die Mamsell, fett und schlau wie ihr Dienstherr, machte sich mit einem halben Dutzend schäumender Krüge davon, nachdem sie ein paar leise Befehle mit verständnisvollem Blinzeln von ihm entgegengenommen hatte.

»Und wenn du den alten Hackelberg siehst«, rief er ihr nach, »lad ihn ein – lad ihn ein. Auch er ist durch den Schuft ins Elend gebracht worden. Er soll nicht fehlen bei diesem traurigen Gelage.«

»O wackere Soldaten«, fuhr er fort, indem er sich die Augen wischte, »trinkt, trinkt. Ihr müßt ja vergessen, daß ihr heut eure Ehre zu Grabe tragt. – Ja, ihr seid beklagenswert – beklagenswerter als mein armer Sohn, denn dem ist es wenigstens vergönnt, für seine Ehre in den Tod zu gehen. Aber ihr – pfui – pfui – wie wird euch zumute sein, wenn der Sohn des Landesverräters, der Schuft, den unser verehrter Herr Pfarrer verflucht hat, morgen in der Frühe mit euch abmarschieren wird. – ›Du, Born, putz mir die Schuhe‹, wird es heißen, ›du, Bichler, halt mir den Steigbügel‹ – und mehr dergleichen.«

Die beiden Genannten fuhren mit einem Fluche in die Höhe.

»Und ihr andern alle – wenn er euch anschnauzen und verschimpfieren wird – er hat ja zu befehlen – und wer da sich zu mucken wagt, wird einfach niedergeschossen. Das, meine armen, lieben Freunde, wird euer Los sein. Drum trinkt und nehmt Abschied von der Soldatenehre. Morgen wird sowieso kein Hund mehr ein Stück Brot von euch haben wollen.«

Ein halb ersticktes Gemurmel ging durch die Schar, unheimlicher als sonst ihr Wutgeschrei.

Da trat der Tischler Hackelberg, der irgendwo in der Nähe gelungert haben mochte, taumelnd und halb betrunken wie immer in die Schankstube.

Tiefes Schweigen empfing ihn. Der alte Merckel aber ging ihm feierlich entgegen, faßte ihn bei der Hand und führte ihn auf seinen Ehrenplatz.

»Auch du bist ein unglücklicher Vater«, redete er ihn mit vor Rührung stockender Stimme an. »Auch dein Herz hat der Untergang deines Kindes gebrochen. Dich wie mich und wie uns alle hat der Wüterich drüben auf seinem Gewissen. Setze dich, beklagenswerter Mann, und trinke einen Schluck mit uns.«

Der Trunkenbold, der gewohnt war, von allen geknufft und gehänselt zu werden, selbst wenn sie's gut mit ihm meinten, wußte nicht, wie ihm geschah, als er sich so mit Ehren überschüttet fand. Er blickte aus seinen trüben Augen argwöhnisch in die Runde und schien mit sich zu Rate zu gehen, ob er sich blähen oder zu weinen anfangen solle. Inzwischen trank er, soviel zu erraffen war.

»Seht ihn an, dieses klägliche Opfer freiherrlicher Lüste«, fuhr Merckel fort. »So verwahrlost und verlottert der Mensch, dem die Möglichkeit zur Rache geraubt ist, der seinen Groll alltäglich und allstündlich in sich hinunterfressen muß. Aber auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, und wer kann's uns verargen, wenn wir wünschten, der Frevler möchte den folgenden Tag nicht erleben?«

»Schlagt ihn tot!« lallte der Tischler, der allgemach in Wut geriet, aber nur ein schüchternes Echo antwortete ihm; denn jetzt, da man Soldat war und seinem direkten Vorgesetzten gegenüberstand, war das Totschlagen keine Kleinigkeit mehr.

Herr Merckel geriet in sittliche Entrüstung.

»Oh, pfui doch, liebe Leute, wer wird gleich so gotteslästerliche Reden führen! Ich bin die Obrigkeit und darf so was nicht gehört haben. Sich vor der Front bei hellem Tageslicht an ihm zu vergewaltigen, das wär' 'ne gewagte Sache, und ich möchte nicht, daß ihr die Möglichkeit auch nur in den Mund nehmt. – Denn seine Feinde soll man lieben, steht schon in der Bibel geschrieben. Aber was kann dem Zorne wehren, wenn er überschwillt und sich in Verwünschungen Luft macht? Und so wünsche ich, unser aller Feind und Verderber möchte diese Nacht in seinem Bette sterben – oder er möchte verschwinden auf Nimmerwiedersehen – oder er möchte morgen früh im Maraunefluß gefunden werden. Dann sähe man doch wenigstens, daß der alte Gott über uns noch am Leben ist und Gericht hält über die Sünder und Verdammten. Amen.«

»Amen«, grollte es aus dem Haufen, und die schwieligen Hände falteten sich.

»Aber das wird ja nicht der Fall sein – den Frevler sieht man fett und alt werden in diesem Jammertal! Morgen wird er angeritten kommen und wird meinen Felix zur Schlachtbank schleppen, und die, welche im Gliede gemurrt haben, wird er auch angeben. – Mich sollt's wirklich wundern, wenn ihr mit dem Leben davonkämt; denn er hat's ja darauf abgesehen, ganz Schranden auszurotten. – Wie eine Herde Hammel, die der Schlächter aufgekauft hat, wird er euch morgen von dannen führen, und die Witwen und Waisen werden hinter euch her weinen.«

Ein Wutgeheul brach los, so jählings, daß der Hetzende selber erschrocken zurückfuhr.

»Leise, liebe Leute, leise! Nichts wider das Gesetz. Zwar ist kein Angeber unter uns, und lieber würden wir uns die Zunge abbeißen, als daß wir einen von den unseren verrieten – der Hackelberg kann ein Lied davon singen – was, alter Freund? – Aber wer weiß, ob der Herr Kapitän nicht selber unter den Fenstern herumspionieren – –«

Fünf, sechs Köpfe fuhren gegen die Scheiben.

»Meint ihr, es wär' ihm nicht zuzutrauen? – Oh, der scheut vor keiner Gemeinheit zurück. – Aber ich weiß, was ihr sagen wollt, und wahrhaftig, ich kann's euch nicht verdenken: Wenn der hier in dunkler Nacht auf Schleichwegen betroffen würd', dann sollt's ihm schlecht ergehen.«

»Totschlagen – totschlagen!« brüllte der Haufe.

»Schreit bloß nicht immer von Totschlagen, Kinder. Die Ohren tun mir schon weh. So was macht man leise ab. – Paff, ein Schuß knallt – paff – noch einer – ein Wilddieb ist's gewesen vom Walde her. – Rehe treiben sich ja genug drin 'rum – was Hackelberg?«

Der lachte und schnalzte mit der Zunge. – »Paff!«

»Sitz nicht so dösig da, Kerl; hast du denn Fischblut in den Adern? – Weißt du nicht mehr, wie der alte Baron dich hat durchpeitschen lassen, daß man Riemen aus deiner Haut hätte schneiden können? – Potztausend! wie du da 'rumsprangst und heultest! Es war kein Vergnügen anzusehen!«

Hackelberg rülpste sich und grollte in sein Glas hinein.

»Aber damals warst du noch ein Jäger, gewaltig vor dem Herrn, und deine Kugel lief nie den falschen Weg. – Trink, Mensch! – Es ist gar nicht zu glauben, wie du einmal hast schießen können.«

»Kann ich auch heut' noch«, lallte der Tischler.

»Hahaha – verzeih, daß ich lache, Alterchen! Erstens weiß man ja gar nicht, wo du deine Flinte gelassen hast –«

»Aber – ich w–weiß, wo!«

»Und außerdem ist dir die Hand zum Zielen zu schlapp geworden, und deine Ehre ist flöten gegangen und die Courage dazu.«

Der Tischler lachte. In seinen Augenwinkeln erwachte ein giftiger Glanz.

»Was? Du willst behaupten, daß du noch Ehre im Leib hast, und duldest, daß deine Tochter verführt worden ist? Duldest, daß der Verführer frei mit ihr herumläuft und daß dein eigen Fleisch und Blut dich verachtet, deine Hand zurückschlägt – die undankbare, pflichtvergessene Person!«

Der Tischler sprang taumelnd in die Höhe. – »Komm' mir keiner nach!« schrie er und schüttelte die Faust.

»Wo willst du hin?«

»Geht keinen was an!«

Die Schrandener fanden in ihrem Zorn noch Lust, über den Trunkenbold zu lachen, aber Merckel winkte ihnen begütigend. »Laßt ihn«, raunte er den Nächsten zu, »er geht seine Flinte aus dem Miste kratzen.«

»Doch was hilft das alles!« fügte er mit einem Seufzer hinzu, während seine Augen sich in verstohlener Angst auf die Tür hefteten. »Er wird sich hüten, sich zur Nacht in unsere Hand zu geben. Und morgen früh, bei Tageslicht, wenn keiner von euch sich wehren kann, wird er kommen, euch euern Henkern zu überliefern – wie meinen Sohn Felix, und keiner von euch wird Schranden jemals wiedersehen. – Drum trinkt, Kinder, nehmt Abschied von eurem alten Vater Merckel. – Halt, kommt da nicht Amalie?« unterbrach er sich, in freudiger Spannung aufhorchend.

Die Tür wurde aufgerissen, und herein stürmte die Schankmamsell, die ihm eilends eine Meldung ins Ohr flüsterte.

Sein Gesicht verklärte sich. Er faltete die rundlichen Hände zum Dankgebet.

»Kinder«, rief er »es lebt noch ein Richter im Himmel! Der Freiherr ist in eure Hände gegeben.«

Die Schrandener erhoben ein Freudengeschrei und sprangen von ihren Sitzen.

»Wie? Wann? Wer hat ihn gesehen?«

»Erzähl, Amalie!« stöhnte er. Dann sank er erschöpft zusammen wie einer, der sein Tagewerk getan weiß.

Und Amalie erzählte. Sie habe warten wollen, bis die Wachen ihr Bier ausgetrunken hätten, und sei noch ein wenig in dem schönen Mondschein spazierengegangen – da habe sie einen Mann über die Felder kommen sehen, in der Richtung vom Katzensteg her. Der sei nach dem Kirchhof zu gegangen und habe einen Offizierrock angehabt mit rotem Kragen und blanken Knöpfen.

»Ist er bewaffnet gewesen?« fragte ein vorsichtiger Sohn Schrandens.

Ja, der Säbel habe nur so im Mondenschein geblinkert.

Diese Tatsache erregte Bedenken.

»Er wird wohl die Wachen revidieren wollen«, meinte ein andrer und kratzte sich den Kopf.

Herr Merckel stieß ein unruhiges Gelächter aus. »Seit wann stehen Wachen auf dem Kirchhof?« rief er, »Ich werd' euch sagen, was er dort will. Seinen sauberen Herrn Papa will er besuchen, will ihm am Grabe schwören, daß er ihn rächen werd' an euch, sobald ihr als Soldaten in seine Hände gegeben seid. Gratuliert euch nur zu diesem Gange.«

In diesem Augenblick entstand ihm ein Bundesgenosse, auf den er nicht mehr gezählt haben mochte.

Der alte Tischler stürzte zur Tür herein, in der Rechten eine Jagdflinte schwingend, an der noch Kot und Halme hingen. Eine Berserkerwut schien ihn gepackt zu haben. Er schlug seine Brust und sprang taumelnd umher wie ein Besessener.

»Ich soll keine Ehre haben?« schrie er. »Ich soll mir mein Kind verführen lassen? Wo ist das Frauenzimmer, das Schande auf mein graues Haupt gebracht hat? Ich mach' ihr keinen Sarg! Niederschießen tu' ich sie – alle beide tu' ich sie niederschießen.«

»Kommt auf den Kirchhof!« erschallte es aus dem Haufen, der sich ermutigt fühlte.

Der alte Gastwirt erschrak. »Nicht auf den Kirchhof, Kinder!« mahnte er eifrig. »Erstens ist der Ort heilig, und zweitens könnt' er euch entwischen. Wenn ihr in Güte und Liebe was mit ihm abzumachen habt – ich weiß zwar nicht was? und will es auch nicht wissen – so rat' ich: Geht zum Katzensteg. Dort gibt's am Ufer Buschwerk genug – zwar ist's noch dünn – aber verstecken tut es euch doch.«

»Und wenn er durchs Dorf zurückgeht – über die Zugbrück'?« meinte der Vorsichtige.

Herr Merckel wußte Bescheid. »Tut er nicht,« lachte er, »der Katzensteg liegt ihm bequemer.«

»Los zum Katzensteg!« schrie der Tischler und stieß mit dem Kolben gegen die Bänke und Tische. Die Schar setzte sich in Bewegung. Herr Merckel stopfte ihnen so viel Schnapsflaschen zu, als seine Hände in Eile erraffen konnten.

»Nehmt, Kinder, nehmt!« rief er, »alles für eure Ehre!«

Dann, als die Letzten draußen waren, trocknete er sich den Schweiß von der Stirn, faltete die Hände und sagte mit einem beklommenen Seufzer: »Ach, Amalie, wenn sie sich nur nicht an ihm vergreifen möchten.«

 


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