Hermann Sudermann
Der Katzensteg
Hermann Sudermann

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5

Im Gasthause zum »Schwarzen Adler« saß in derselben Stunde ein Häuflein Schrandener Bürger und Bürgerssöhne beim Morgenschoppen vereint.

Die Schrandener mußten früh anfangen, wenn sie bis Mitternacht mit ihrem Tagewerk fertig sein wollten, denn hatten sie das Leben in der Schenke schon immer geliebt, so waren sie jetzt vollends aus den Fugen geraten.

Der junge Merckel führte bei allen Gelagen den Vorsitz. Er hatte sich zu einem strammen, breitschultrigen Burschen herausgewachsen, dem der kühn emporgewirbelte Reiterschnauzbart trefflich zu Gesichte stand und dessen Benehmen bei aller Lässigkeit, die in Flegelhaftigkeit ausarten konnte, einer gewissen Anmut nicht entbehrte. Er hatte nach dem Friedensschluß nicht, wie es nahelag, seinen Abschied genommen, sondern war mit einem Urlaub auf ungewisse Zeit in die Heimat zurückgekehrt, wo er sich in Ruhe zu entscheiden gedachte, ob es geraten sei, beim stehenden Heere weiterzudienen. – Sein bisheriger Beruf wenigstens legte diesem Entschlusse nichts in den Weg, denn genau besehen besaß er keinen.

Bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahre hatte er sich in den verschiedensten Ländern und Lebenslagen umgesehen, hatte dabei zumeist aus seines Vaters Tasche gelebt und war schließlich froh gewesen, als der ausbrechende Krieg seiner Tatkraft, die sich bis dahin nur in schlechten Streichen hatte äußern können, Zweck und Ziel verlieh.

Wie jener Baumgart war auch er als freiwilliger Jäger in das Heer getreten, war wie jener zur Landwehr übergegangen, war dort zum Leutnant avanciert und trug als Zeichen anerkannter Bravour das Eiserne Kreuz auf stolz geschwellter Brust.

Vorläufig dachte er nicht daran, die Heimat zu verlassen, die ihn jeden Tag aufs neue mit dem Hochgefühl sättigte, ein Held, ein Löwe zu sein.

Er trank, bramarbasierte und half den Haß gegen den Verräter schüren, den Haß, der seit der Rückkehr der siegreichen Soldaten noch einmal in hellen Flammen aufgelodert war. – Auf sein Hetzen hin waren die Schrandener ausgezogen, den Katzensteg zu zerstören und damit den Freiherrn auf seiner Insel einzuschließen.

Daß er vor ihren sehenden Augen, vom Schlage getroffen, zu Boden sinken würde, hatten sie in ihren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt, und jubelnd zogen sie ab, die Mär im Dorfe zu verkünden.

Daß dem Landesverräter das Begräbnis zu verweigern sei, war ihnen sofort beschlossene Sache. Diesem herrlichen Gedanken zuliebe, der ihrem Haß die Ehrenkrone aufsetzte, feierten sie ein großes Freudenfest, das nun schon drei Tage gedauert hatte und kein Ende nehmen wollte.

Da sie wie ein Mann zusammenstanden, da der Schulze auf ihrer Seite war und der Pfarrer beide Augen zuzudrücken schien, so hatten sie nicht zu befürchten, daß die Obrigkeit gegen sie einschreiten würde.

Daß dem Toten ein Helfer erstehen würde, hatten sie nicht geahnt.

Denn der Junker – Herrgott von Danzig! – wo war der Junker? – Verschollen, verwahrlost gewiß, erstickt in der Schmach seines Namens.

»Da kommt einer mit einer Landwehrmütze«, sagte Felix Merckel, durch eine Spalte der Jalousien auf den Marktplatz hinausschauend, der in der Hitze der Mittagssonne gelb und staubig dalag.

Der Lärm am Zechtische verstummte. Erwartungsvoll schaute man dem Fremden entgegen. – Der junge Merckel streckte die Beine von sich und spielte nachlässig mit seinem Ordenskreuze.

Die Tür ging auf. Ein Lichtstrom flutete hinter dem Eintretenden in den dämmerig kühlen Raum und versiegte sofort.

Ohne die Gäste zu grüßen, trat der Fremde an den Schenktisch, wo eine Dienstmamsell hinter ihrem Strickstrumpf dröselte, und fragte, ob der Schulze zu sprechen sei.

Nein – er sei mal aufs Feld gegangen.

Herr Merckel liebte es, die Bewachung des Schankwesens seinem Sohne zu überlassen, da er entdeckt hatte, daß das Bier im Fasse doppelt so rasch verschwand, wenn er nicht zugegen war. – Felix hatte eine besonders dringliche Art, die Gäste zum Trinken zu animieren, die sich für ihn, den Wirt, nicht gepaßt hätte. »Ein Hundsfott, wer seinen schundigen Rest nicht sauft!« Oder »wer mich mit meinem Anstich im Stiche läßt, der hätt' mich auch vorm Feind im Stich gelassen.« – Und dergleichen Redensarten mehr. – Ihnen nicht Folge leisten, hätte für die Schrandener geheißen, den Respekt vor ihrem Leutnant verletzen – und so kam's, daß Felix Merckel ein wahrer Schatz für seines Vaters Kasse geworden war.

Daß ihm der Fremde mit der Landwehrmütze den Gruß verweigert hatte, wiewohl er die Offiziersabzeichen auf seinem Rocke trug, ärgerte ihn, und er beschloß daher, keine Notiz von ihm zu nehmen.

»Kann ich auf den Schulzen warten?« fragte der Fremde.

»Es ist ja die Gaststube«, erwiderte die Mamsell.

Der Fremde setzte sich in die entgegengesetzte Ecke, so daß er den Zechenden den Rücken zudrehte, legte sein Ränzel auf den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.

Herr Felix, der es liebte, angeschaut zu werden, fand in diesem Benehmen eine Art von Herausforderung. Daß der Fremde nichts zu trinken verlangte, empörte überdies den guten Sohn seines Vaters.

»Frag den Herrn, ob er etwas zu verzehren wünscht, Amalie«, rief er mit lauter Stimme zu dem Schenktisch hinüber.

Der Fremde tat, als habe er nichts gehört. Die Mamsell trat an seinen Tisch und stotterte etwas von Schrandener Doppelbier.

»Ich danke – ich trinke nichts«, erwiderte er, ohne aufzuschauen.

Herr Felix biß sich auf die Schnauzbartspitzen. Er war sich klar, daß dieses Betragen Züchtigung verdiente. Sein Angriffsplan war alsbald gemacht.

Er erhob sich, und den Deckelkrug schwingend begann er mit energischem Brustton: »Meine lieben Kameraden und Mitbürger, sowie die geehrten Anwesenden überhaupt! Preußens glorreiche Schlachten sind geschlagen. Unser geliebtes Vaterland hat sich aus dem Staube zu neuem, ungeahntem Glanze wieder erhoben. Die meisten von uns haben auf dem Felde der Ehre geblutet oder doch ihre Brust den feindlichen Kugeln dargeboten. Wer ein preußischer Patriot ist, der trinke mit mir auf Preußens Ruhm und Preußens Ehre!«

Mit hellem Hurrageschrei hoben sie alle die Krüge zu Munde, als ein schneidendes »Halt« des Leutnants sie unterbrach.

»Ich sehe hier jemanden«, rief er, »der sich von dieser Ehrenpflicht auszuschließen scheint.« Er trat mit klirrenden Schritten an den Tisch des Fremden.

»Mein Herr«, wetterte er ihn an, »Sie wünschen nicht auf Preußens Ruhm zu trinken?«

Der drehte sich halb zur Seite und sagte: »Ich wünsche in Ruhe gelassen zu sein.«

»Was, Herr? Sie tragen das Ehrenzeichen des Landwehrmanns an Ihrer Mütze, und weigern sich – – –«

Ein plötzlicher Griff des Fremden nach seiner Ledertasche ließ ihn verstummen.

Im nächsten Augenblicke sah er den Doppellauf eines Reiterpistols in seiner Hand erglänzen, sah ihn aufspringen und schaute zurückweichend in ein blasses, finsteres Gesicht, das er wohl kannte, doch aus welchem zwei Blitze wie diese ihm noch nie entgegengeflammt waren.

Er begriff es rasch: er stand einem Manne gegenüber, der zum Äußersten entschlossen war.

»Sieh mich an, Felix Merckel«, sagte der einstige Freund, »und du wirst wissen, daß ich nichts mit dir zu schaffen habe. Solltest du oder einer von denen, die mit dir sind, es wagen, mir zu nah auf den Leib zu rücken, so sei sicher, daß ich dich oder den ersten, der da kommt, niederschieße wie einen Hund.«

Felix Merckel hatte sich rasch gefaßt.

»Ah, der Herr Baron!« sagte er mit tiefer Verbeugung, »dann freilich wundert's mich nicht, daß Preußens – –«

Das zweimalige Knacken des Doppelhahns ließ ihn innehalten.

»Noch einmal, nimm dich in acht, Felix Merckel, ich bin Offizier wie du!«

Die doppelte Warnung tat ihre Dienste.

»Wenigstens will ich nicht stören!« sagte Herr Felix mit nochmaliger Verbeugung und schritt auf seinen Platz zurück, während die Sporen an seinen Stiefeln leiser erklangen.

Die Schrandener steckten die Köpfe zusammen, und gleich darauf trat der alte Merckel ins Zimmer. Sein feistes, glatt rasiertes Gesicht strahlte von Behäbigkeit und Wohlwollen. In achtsamer Würde, wie es dem Dorfpatriarchen geziemte, schob er sich an den Gläsern und Flaschen des Schenktisches vorüber. Auf die fettglänzende Atlasweste fiel eine dicke, silberne Uhrkette nieder, deren zwei Strähne von einem goldenen Mohrenkopfschieber zusammengehalten wurden und an der ein Bernsteinherz hing.

»Der Herr hat mich zu sprechen gewünscht?« fragte er mit einem tiefen Bückling, der aber gleichsam mitten entzweigebrochen wurde, als die zwei kleinen, grauen Luchsaugen bemerkten, daß der Fremdling kein Glas vor sich stehen hatte. Einem, der nichts verzehrte, brauchte man keine Reverenz zu machen.

Die Schrandener saßen auf der Lauer. – Felix war aufgesprungen, als harrte er auf einen günstigen Augenblick, den einstigen Freund mit den Fäusten zu packen.

»Es ist der junge Herr Baron, Vater«, rief er mit grellem Auflachen.

Merckel fuhr drei Schritte weit zurück. Sein wohlwollendes Lächeln wurde zu Stein, seine fleischigen Hände tasteten nach dem Schieber der Kette und krampften sich dort fest.

»Kann ich Sie allein sprechen?«

»O Herr Baron – natürlich, Herr Baron – geruhen der Herr Baron?«

Und er öffnete mit weitem Schwunge die Seitentür, die in das kleine Honoratiorenzimmer führte. Ein Sofa, mit zerschlissenem Wachstuch bezogen, samt etlichen bauchigen Lehnsesseln harrte vornehmer Gäste. Über dem vergitterten Tabakschrank stand auf einem Plakat geschrieben: »Hier darf nur Wein getrunken werden.«

Ehe der Wirt die Tür hinter Boleslav geschlossen hatte, winkte er rasch und heimlich zu seinen Mitbürgern hinüber, als wollte er deren Unruhe beschwichtigen. Dann ließ er unter halbgesenkten Lidern einen kurzen prüfenden Blick über die Erscheinung des heimgekehrten Herrensohnes gleiten, die ihn offenbar mit hoher Befriedigung erfüllte, denn sein Lächeln erhielt aufs neue den behäbig satten Fettglanz.

»Wie der Herr Junker inzwischen gewachsen sind!« begann er – »'s ist merkwürdig!«

Boleslav fixierte ihn schweigend.

»Und den alten gnäd'gen Herrn haben der Herr Junker – oder Herr Baron, muß ich ja wohl sagen – auch nicht mehr am Leben gefunden. Sind zu spät gekommen, um dem Seligen die Augen zuzu – – –«

Er hielt inne und zerrte heftig an seinem Bernsteinherzen, denn die Blicke Boleslavs, die sich starr und drohend in sein Antlitz bohrten, fingen an ihn zu beunruhigen. – Sollte er etwa einen Vagabunden vor sich haben, der sich an ihm vergreifen wollte?

»Aber ich komme nicht zu spät«, brach Boleslav los, »um das Schandenstück zu vereiteln, das meinen Vater um seine letzte Ehre bringen will.«

»Was für ein Schandenstück meinen der Herr Baron?«

»Ich rate Ihnen, mein Wertester, die scheinheilige Miene abzulegen. Ich durchschaue Sie ganz und gar. Es ist mir eine Äußerung von Ihnen zu Ohren gekommen, die es verdiente, daß ich Sie auf der Stelle züchtigte!«

»Herr Baron!« – und er machte Miene nach der Tür zu gelangen.

»Bleiben Sie!« herrschte Boleslav ihn an, ihm den Weg vertretend. Gott sei Dank, er hatte diesem Geschmeiß gegenüber das altererbte Herrenbewußtsein wiedergefunden. »Ist das der Dank, den Sie meinem Hause schulden, dessen Gnade Sie zu dem gemacht hat, was Sie sind?«

Der Krämer, der einst als stellesuchender Diener auf dem Schlosse vorgesprochen und sich allgemach als dessen Kommissionär sein ganzes Vermögen zusammengehamstert hatte, vergrub in gekränkter Unschuld die rechte Faust in der hohlen Linken, indem er bedauernd dazu mit der Zunge schnalzte.

»Lieber Herr Baron«, sagte er, das breite, glatte Gesicht ganz von väterlicher Milde überstrahlt – »ich verzeih Ihnen die Beleidigungen, die Sie hier gegen mich ausgestoßen haben, und werd' Ihnen treueste Auskunft geben, als ob nichts geschehen wär' – daraus werden Sie hoffentlich am besten sehen, wie freundschaftlich ich's meine.«

»Ich verbitte mir Ihre Freundschaft!« donnerte Boleslav dazwischen. »Sie sollen mir als Schulze von Dorf Schranden Red' und Antwort stehen – weiter nichts.«

»Die Schrandener, lieber Herr Baron, sind nämlich fürchterliche Menschen. Das sagt ich schon immer zu meiner sel'gen Frau – Sie haben sie noch gekannt, Herr Baron! Ja, ja – hat den kleinen Junker oft genug auf den Arm genommen und hat nicht gedacht, daß einstmals ein solcher Dank – –«

»Zur Sache, bitte!«

»Marianne, sagt ich oft, diese Schrandener sind noch mein Tod, denn, wenn die sich mal was in den Kopf setzen – einmal hatten sie sich in den Kopf gesetzt, meinen Wacholderbranntwein nicht zu trinken. Guten, schönen, reinen Wacholder, Herr Baron. Jetzt haben sie sich in den Kopf gesetzt, den alten gnädigen Herrn nicht begraben zu lassen, und – mein Wort! – kein Gott und kein Teufel wird sie dazu zwingen. – Auch Sie nicht, Herr Baron. Denn warum? – Der Leichenwagen gehört der Gilde – und die gibt ihn nicht her; – Pferde liefert Ihnen auch keiner . . . Leichenträger, ach du liebes Gottchen . . . Gehen Sie man 'rum im Dorf . . . lassen Sie mal ausklingeln, wer den Herrn Baron auf die Schulter nehmen will . . . wenn sich einer finden soll', so haben sie ihn 'ne Viertelstunde später lahm geprügelt – denn diese Schrandener! Na, und der Herr Pfarrer – der hat schließlich am meisten zu sagen – aber gehen Sie nur zum Herrn Pfarrer – Sie werden ja hören, was er meinen wird. Von Geläut und Vaterunser gar nicht zu reden . . . ja, nicht einmal 'nen Sarg kriegen Sie gemacht.«

»Das wollt' ich sehen«, knirschte Boleslav, der seinen Trotz um so mächtiger anschwellen fühlte, je klarer er in dies Gewebe von Bosheit und Tücke hineinschaute.

»Ja, wollen Sie's sehen?« rief der alte Merckel in schlecht verhehltem Triumphe. »Ihr Wille soll geschehen, Herr Baron.«

Er öffnete die Tür zum Schankraume, aus dem ein dumpfes Brausen von vielen Menschenstimmen hereindrang. Das halbe Dorf schien sich inzwischen versammelt zu haben.

»Der Hackelberg soll kommen!« schrie er hinaus und warf die Tür eilends ins Schloß, denn an ihrer Kante waren verschiedene Finger sichtbar geworden, welche die Absicht hatten, sie vollends aufzureißen.

»Wenn er nicht noch von gestern besoffen ist, Herr Baron, wird er Ihnen seine untertänige Meinung gleich selber ins Gesicht sagen.« Seine Augen blitzten in unverhohlener Schadenfreude, dann verzog sich sein Gesicht wieder zu dem wehmütig behäbigen Patriarchenlächeln.

»Sie haben meine Freundschaft von sich gewiesen, junger Mann«, begann er, das Bernsteinherz drehend, »Sie haben mein weißes Haar gekränkt und beleidigt – gut – ich trag's nicht nach. Sie würden's nicht getan haben, wenn Sie gewußt hätten, wer es gewesen ist, der mit eigener Lebensgefahr, wenn diese Schrandener es nicht sahen – denn hätten sie's gesehen, sie hätten mich mit ihren Fäusten erwürgt – der den seligen Herrn Vater vor dem Verhungern bewahrt hat – fragen Sie nur das Fräulein! – –«

»Welches Fräulein?«

»Das liebe, treue Fräulein Regine – dem sel'gen Herrn Vater seine Herzallerliebste. Das ist eine Perle, Herr Baron, die sollten Sie wohl in Ehren halten und mit auf die Reise nehmen. Der hab' ich oft genug in der Dunkelheit ein Brot zugesteckt oder eine Rauchwurst, Herr Baron, und ein Säckchen Kaffee, Herr Baron, zuzeiten, als ich selber Roggenbrei zum Frühstück aß, von wegen der Hafensperre, Herr Baron.«

»Sind Sie nicht dafür bezahlt worden?«

»Na ja, ja. Wenn man auch sein Leben doch eigentlich bloß für Gotteslohn riskiert. – Und dann ist auch noch ein kleines Restchen, Herr Baron, vom letzten Eisgang her. Wenn der Herr Baron die Gewogenheit haben wollten –«

»Schreiben Sie auf, was Sie zu verlangen haben; das Geld wird Ihnen zugeschickt werden.«

»Es eilt nicht, Herr Baron. Ich hab' Vertrauen zu Ihnen, Herr Baron. Ja, aber was ich sagen wollt'. Wenn Sie auf den Rat eines alten, erfahrenen Mannes etwas geben wollen, so gehen Sie jetzt hübsch nach Hause – graben Sie hinter dem Schloß 'ne Grube, legen Sie den sel'gen Herrn Vater da hinein – zur Nachtzeit – ganz sacht, ganz sacht . . . Das liebe Fräulein Regine kann ja mit anfassen – dann machen Sie den Rasen hübsch gleich, damit keiner weiß, wo Sie ihn eingescharrt haben, und ehe noch der Morgen tagt, nehmen Sie das Fräulein Regine untern Arm und gehen Sie hübsch wieder dahin, wo Sie – – –«

Er hielt inne, denn Boleslavs Finger zuckten nach dem Kolben seiner Pistole. Aus dem salbungsvollen Rate dieses Biedermannes grinste offen der teuflische Hohn und stachelte seinen Widerstand bis zum äußersten.

Während die vergifteten Worte auf ihn eindrangen, war ein verzweifelter Gedanke in ihm aufgetaucht, der wie eine grelle Flamme sein Gehirn durchlohte.

Wahrlich, dies Begräbnis war nur der erste, der geringste Teil des Werkes, das zu vollenden ihm oblag! Nicht von dannen gehen in Nacht und Nebel – sich nicht wie ein Verbrecher von der Väter Erbe schleichen, um alles, was sie erschaffen, dem Verderben preiszugeben – nein, hierbleiben – ausharren – all diesen Hyänen zum Trotz, deren schlimmste grinsend, mit gierig blinzelnden Äuglein vor ihm stand und nur darauf lauerte, sich auf die herrenlose Beute zu stürzen!

Ausharren! Ausharren!

Das war die Sühne, die er den Sünden der Väter schuldete!

Und schrie jene ruchlose Tat, die sein Erbe vom Erdboden getilgt hatte, nicht immer noch zum Himmel nach Vergeltung empor?

Sollte er abziehen als Deserteur, als Fahnenflüchtiger, und all sein Hab und Gut mitsamt der Geliebten, die ihm verloren war für Zeit und Ewigkeit und die dennoch mit Bangen und Zagen seiner harrte, elend im Stiche lassen?

Nein, wahrlich, hier auf den Trümmern von Schloß Schranden wehte seine Fahne – mit feurigen Zügen stand das Wort »Rache« darauf geschrieben.

Und – ein Hundsfott – wer seine Fahne im Stiche läßt!

Er trat dicht vor den Schulzen hin, und ihm den drohenden Blick ins Antlitz bohrend, schrie er ihn an: »Wer hat Schloß Schranden in Brand gesteckt?«

Über Herrn Merckels feistes Gesicht lief ein Zucken. Die wundeste Stelle seines Gewissens schien getroffen. – Er wollte sich zu einer Antwort sammeln, doch in diesem Augenblicke schwoll das Brausen im Schankzimmer zu lautem Lärme an.

Er machte eine unwillkürliche Bewegung nach der Tür, als wollte er kommenden Ereignissen den Riegel vorschieben, aber schon wurde sie aufgerissen, und herein drängte, von einem Haufen wilder, bedrohlicher Gestalten gefolgt, ein kleiner verlotterter und zerlumpter Kerl mit starrem, schwarzem Haare, das in geölten Strähnen bis auf die Schulter fiel, graulichen Bartstoppeln und einem Paar verglaster Säuferaugen, die hinter geröteten, wimperlosen Lidern steckten.

Er schlug mit den Fäusten um sich und schrie: »Wo ist der Kerl? Wo ist die Brut? – Ich will sie erwürgen, die Brut!«

Dann, als er Boleslavs hohe Gestalt starr aufgerichtet sich gegenüber sah, verstummte er mitten im Worte und grollte und kollerte in sich hinein.

Hinter ihm erhob sich eine Mauer von erhitzten, boshaften, neugierigen Gesichtern, die alle auf Boleslav hinstarrten wie auf ein eingefangenes Wundertier.

»Ich allein gegen sie alle!« dachte er, und seine Brust hob sich höher.

»Sie sind der Tischler Hackelberg?« fragte er, indem er den Trunkenbold mit seinen Blicken im Banne hielt. Dessen Bild stand ihm aus der Kinderzeit dunkel in der Erinnerung. Er hatte ihn einmal mit seinem jämmerlichen Geschrei aus stillen Träumen emporgeschreckt, als er wegen Wilddiebens auf dem Hof durchgepeitscht worden war.

Nun ballte er die Fäuste, blähte sich und grollte und grunzte vor sich hin. –

»Sie arbeiten die Särge im Dorf?«

Der Tischler schüttelte langsam den Kopf, stieren Blickes vor sich hinstarrend, dann sprach er mit Grabesstimme: »Ich arbeite nur noch zwei Särge – – einen für mich und – einen für mein armes, verführtes Kind.«

Die Schrandener lachten verstohlen. Sie kannten diese Farce sehr wohl. Wenn jemand im Dorf gestorben war, so holten sie den Tischler ab, sperrten ihn mit einer Schnapsflasche und den nötigen Brettern zusammen ein und ließen ihn nicht wieder heraus, bis der Sarg fix und fertig dastand.

Er war alles in allem ein gefährlicher Kerl, dieser Hackelberg, das wußten die Schrandener sehr wohl, und sie ließen ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Wo er ging und stand, bewachten sie ihn, und so viele Ohren begierig auf seine Worte lauschten, so viele Arme lagen auf der Lauer, um ihm im nötigen Augenblick den Atem abzuschneiden.

Sie ließen ihn neben sich in den Schenken sitzen, sie betränkten ihn, sie päppelten ihn, lauschten ihm oder stopften ihm den Mund, sie legten ihn hinter Schloß und Riegel oder ließen sich von ihm quälen – es war, als hätten sie ihrem eigenen bösen Gewissen Fleisch und Blut gegeben und ließen es in dieser verwahrlosten Säufergestalt unter sich umherlaufen.

»Wer fertigt außer Ihnen sonst noch Särge im Dorf?«

Die Schrandener brachen in ein wieherndes Gelächter aus. Es würde ihm schwer werden, die Wahrheit herauszubringen.

Hackelberg blähte sich.

»Mein armes, elendes Kind«, grollte er, die glasigen Augen auf das Bernsteinherz des Herrn Merckel geheftet, das seinen Kopf zu beschäftigen schien. Und dann plötzlich fuhr er aus seinem Halbschlaf empor, in seinen Augen erwachte ein trüber Glanz, er streckte die Fäuste gegen Boleslav aus und schrie: »Was wollen Sie, Herr, von mir? – Einen Sarg wollen Sie von mir? Für wen wollen Sie den Sarg von mir? Für den Kerl, für den Hund, der sein Vaterland verraten hat – der mir mein Kind verführt hat – dem soll ich einen Sarg machen, Herr? – Sehen Sie mich an, Herr! Bin ich nicht ein Scheusal, Herr?« er riß sich das Hemd unter dem Halse auseinander, so daß die zottige Brust zum Vorschein kam – »ein Aas bin ich – nicht wert, daß die Hunde mich ans . . . und sehen Sie mal, mein lieber, teurer Herr, das hat der sel'ge Herr Baron aus mir gemacht – einen unglücklichen, verlassenen, kinderlosen alten Mann hat er aus mir gemacht« – er fing an, sich mit den Fetzen seiner englischledernen Jacke die Augen zu wischen – die Schrandener hinter seinem Rücken johlten ihm Beifall – »mein Kind hat er mir weggenommen – mein Kind hat er mir geraubt –«

»Ich denke, Sie haben Ihr Kind selbst aufs Schloß geschickt«, fiel Boleslav ihm ins Wort, aber er ließ sich in seiner Litanei nicht anfechten.

»Zur Dirne hat er mein Kind gemacht. Und noch mehr, junger Herr – was mir das Vaterherz am blutigsten zerfleischt – denn ich mag ein Lump sein, aber ein Patriot bin ich doch – denn in Preußen lieben auch die Lumpen ihr Vaterland – denn wir Preußen sind überhaupt keine Lumpen – aber mein Kind – ho, wissen Sie, was er getan hat mit meinem Kind? – Mit Rutenstreichen hat er es gezwungen, daß es gegangen ist in Nacht und Nebel und hat – aber glauben Sie, daß ich seitdem noch ein Kind hab'? – Nein, Herr, verflucht hab' ich das Frauenzimmer – mein Fleisch und Blut bist du nicht mehr – hab' ich ihr gesagt. –«

»Aber das Sündengeld hast du genommen!« wollte ihm Boleslav ins Wort fallen, da besann er sich, daß er damit die Schuld des Vaters diesen Wölfen preisgäbe.

»Und vogelfrei bist du, hab' ich ihr gesagt, und wer dich trifft, soll dich totschlagen, hab' ich ihr gesagt, und nun geh zu deinem gnäd'gen Herrn – hab' ich ihr gesagt – und er soll sich in acht nehmen – hab' ich –«

In diesem Augenblick wurde das Geschrei der Schrandener so laut, daß es die Worte des Tischlers verschlang. – Fremde Gestalten drängten sich vor ihn und nahmen ihn in ihre Mitte. Nur sein schrilles, boshaftes Lachen drang noch aus dem Haufen, in dem er verschwunden war.

»Nun, was hab' ich dem Herrn Baron prophezeit?« fragte Herr Merckel mit seinem wohlwollendsten Lächeln.

Boleslav hatte sich gegen die Sofalehne gestützt und starrte mit zusammengebissenen Zähnen die Schar der Schrandener an, die näher und näher herandrängte.

»Wenn's einem einfällt, die Faust zu erheben, schlagen die andern mich tot«, dachte er bei sich. Hier galt es, ruhig Blut zu bewahren.

»Laßt mich durch, Leute«, sagte er, indem er mit den Händen versuchte, sich eine Gasse zu öffnen.

Und war es der kalte, stählerne Blick seines Auges, war es der Schimmer des Landwehrkreuzes an seiner Mütze, was die Tobenden beherrschte – die Bahn vor ihm wurde frei –, er trat in den Haufen hinein.

Bei jedem Schritte erwartete er, den ersten verderbenbringenden Streich hinterrücks auf sich herabsausen zu fühlen, denn nur so weit sein Auge reichte, war er sicher. Doch nein – unangefochten gelangte er ins Freie. Felix Merckel war ihm nicht mehr begegnet.

Der ganze Haufe – nun mit Weibern und Kindern untermischt – trollte hinter ihm her.

Als er den Garten des Pfarrhauses erreichte, dessen Mauer, von den Strahlen der Mittagssonne überflutet, weiß leuchtend vor ihm lag, fühlte er, wie vom Herzen her ein Druck zum Halse emporstieg und ihm die Kehle zuschnürte.

In den Händen des alten Pfarrers ruhte die letzte Hoffnung. Wird auch er ihn von der Schwelle weisen? Doch das war es nicht, was in diesem Augenblicke seine Brust angstvoll emporschnellen ließ.

Angst kannte er nur angesichts der einen, die ihn verwerfen oder emporheben konnte, ihn, den Unreinen, von Schandtat Befleckten, zu sich in eine Welt des Friedens und der Unschuld.

Wie wird er sie wiederfinden?

Muß sie nicht entsetzt zurückprallen, wenn sie ihn in diesem Aufzuge, bestaubt und verwildert, von dieser wüsten Horde johlend eskortiert – vor sich wird erscheinen sehen? –

Und so geschah es!

Eine erschrockene Hand riß die Glastür der Veranda auf . . .

Das war sie. Das mußte sie sein. – Eine lichte, schlanke Gestalt, die zitternd die abwehrenden Arme gegen ihn und den Haufen erhob – einen leichten Schrei des Schreckens ausstieß – und verschwunden war, ehe Boleslav nur einen einzigen fragenden, flehenden Blick in die geliebten Züge hätte tauchen können.

Vor seinen Augen wehten weiße Nebel. Halb gedankenlos schritt er die Stufen der Veranda hinan und schloß die Tür hinter sich, der Dinge wartend, die da kommen sollten.

Die Schrandener, welche die Veranda blockierten, drückten sich an den Glaswänden die Nase platt, um besser sehen zu können.

Eine der Scheiben klirrte. Ein Hintenstehender hatte seinen Vordermann hineingestoßen.

Da wurde drinnen die eherne Stimme des alten Pfarrers laut. – Mit einem schweren Knotenstock in der Faust erschien er in der Veranda. Sein weißes Haar flatterte ihm um die hochgewölbten Schläfen. Die Habichtsnase blähte ihre Nüstern, als witterte sie Kampf und Totschlag. – Unter den schneeweißen Brauen, die sich wie zwei halb zerfaserte Pinsel nach vorn streckten, glühten die Augen gleich Feuerbränden.

Das war der alte Pfarrer Götz, der im März des Jahres 1813, mit dem Altarkreuze in der Hand und einem Trommler hinter sich, von Haus zu Haus gezogen war, um die Schrandener zum heiligen Kampfe aufzurufen. Und wäre er auf dem Marsche nach Königsberg nicht ohnmächtig liegengeblieben, wer weiß, ob er die Wehrmänner seines Sprengels nicht auch ins Feld begleitet hätte!

Die Schrandener hatten nicht geringe Furcht vor seiner Zucht, und kaum sahen sie den geschwungenen Stock, als sie eilends von den Fenstern zurückwichen und die Gartenpforte zu gewinnen suchten.

»Du Schwefelbande! – Du Rotte Korah!« schnob er hinter ihnen drein, die Glastür aufreißend – »komm du mir Sonntag ins Gotteshaus – dich werd' ich zwiebeln!«

Dann wandte er sich gegen Boleslav und maß ihn mit finsterem Blicke vom Wirbel bis zur Zehe. Sein Auge blieb an der Landwehrmütze haften, die dieser zwischen den Fingern hielt.

»Sie haben den Feldzug mitgemacht?« fragte er.

»Ja.«

»Säh' ich das Kreuz nicht über dem Schirme, so würd' ich fragen, für oder gegen Preußen?«

Boleslav, dessen Gedanken noch an der entflohenen Lichtgestalt hingen, verstand ihn im ersten Augenblicke nicht, dann fuhr er in jähem Zorne gegen ihn an.

Doch der alte Pfarrer war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen – und während die Blicke beider düster ineinander ruhten, rief er: »Boleslav von Schranden, hab' ich ein Recht zu diesem Argwohn oder hab' ich es nicht?«

Da schlug Boleslav die Augen nieder. Er konnte den Richterblick des einstigen Lehrers nicht ertragen.

Dieser öffnete die Tür seines Arbeitszimmers, wo zwischen Bücherschränken und Pfeifengestellen Pallasche und Feuergewehre an den Wänden lehnten, und sagte: »Um der Mütze willen, die Sie tragen, soll Ihnen der Eintritt nicht versagt sein. Doch machen Sie es kurz. Für einen Schranden ist kein Platz in diesem Hause.«

Er stellte den Stock in eine Ecke, schlug sich den geblümten Schlafrock um die dürren Lenden und ging im Zimmer auf und nieder.

Boleslav rang nach Worten. Wie ein Verbrecher stand er vor diesem Mann, aus dessen Munde jedes Wort wie ein Tropfen geschmolzenen Erzes auf ihn niedersank. Wahrlich – es war kein leichtes Stück, die Schuld des Vaters auf die eigenen, ehrlichen Schultern zu laden.

»Herr Pfarrer«, begann er stammelnd, »vergessen Sie für einen Augenblick, daß ich den Namen Schranden trage.«

Der Alte lachte bitter in sich hinein. »Viel verlangt«, murmelte er, »viel verlangt.«

»Sehen Sie in mir nichts weiter als einen Sohn, der seinen Vater begraben will und dem die Erfüllung dieser höchsten und heiligsten Pflicht von ruchlosem Gesindel verweigert wird.«

Der Alte hob und senkte die Brauenpinsel, erwiderte aber nichts.

»Ich wende mich nun an Sie, den Priester der christlichen Kirche, und frage Sie, ob Sie einen solchen Frevel in Ihrer Gemeinde dulden wollen –?«

»In meiner Gemeinde kann das nicht vorkommen!« polterte der Alte. »Wo ich hingesetzt bin, die Seelen zu Gott zu führen, bekommt ein jeder sein ehrliches Begräbnis.«

»Und doch wagt man –«

»Halt – um wen handelt es sich?«

»Um meinen Vater.«

»Den Freiherrn Eberhard von Schranden?«

»Ja.«

»Der Mann ist seit sieben Jahren tot.«

»Herr Pfarrer!«

»Seit sieben Jahren ist er aus der Gemeinschaft der Lebenden ausgeschieden. – Seit sieben Jahren modert er in der Erde. – Lassen Sie mich in Ruhe mit ihm.«

»Herr Pfarrer, ich bin Ihr Schüler gewesen . . . Sie sind es, der mich den Namen Gottes zuerst gelehrt hat . . . Ich habe Sie allzeit für einen tapferen, ehrlichen Mann gehalten . . . Ich bereue meinen Glauben, Herr Pfarrer . . . Denn das sind feige, lügnerische Winkelzüge.«

Der alte Mann richtete sich hoch empor. Seine Kinnbacken arbeiteten. Seine Nüstern blähten sich. Fahl und glutäugig trat er vor Boleslav hin.

»Mein Sohn«, sagte er, »seh' ich aus wie einer, der Lügen feilhält?«

Boleslav trotzte vor sich hin, aber so sehr er sich dagegen wehrte, er fühlte etwas von dem alten, lang vergessenen Schülerrespekt in sich erwachen.

»Mein Sohn«, fuhr der Alte fort, »es kostete mich nur ein Wort, um dich der Rotte, die draußen am Gartenzaune auf dich lauert, zu überliefern – aber noch einmal – um der Mütze willen, die du trägst, soll dir verziehen sein. Und was ich dir sagte, will ich auch beweisen.«

Er schritt zu einem der Schränke, wo in langen Reihen – ein zerlumpter Foliant neben dem andern – die Kirchenbücher der Gemeinde standen – holte eines von ihnen herunter und schlug eine Seite auf, auf welcher zuoberst die Zahl 1807 verzeichnet war.

»Hier lies, mein Sohn!«

Und Boleslav las: »Am 5. März starb Hans Eberhard Freiherr von Schranden, ex memoria hominum exstinguatur!«

Dahinter standen drei Kreuze.

»Das ist eine Fälschung!« rief Boleslav.

»Ja, mein Sohn«, erwiderte der Alte feierlich, »das ist eine offenbare und wissentliche Fälschung, ein Frevel an meinem Amte, und wenn du mich den Gerichten ausliefern willst, so werde ich abgesetzt und ins Gefängnis gesperrt, wo ich dann meine Tage beschließen werde. Nun tue, was dein Sinn dir eingiebt. Mein Schicksal ist in deiner Hand.«

Ein Schauer, aus Grauen und Ehrfurcht gemischt, überrieselte Boleslavs Leib. Er kannte den wilden Drang, Freiheit, Glück und Leben der Vaterlandsliebe zum Opfer zu bringen, gut genug aus eigener Brust, um zu verstehen, was den Alten zu diesem wahnwitzigen Geständnis trieb.

»Mit diesen Kreuzen«, fuhr der Pfarrer fort, »hab' ich vor sieben Jahren den Mann begraben, der trotz seiner Grausamkeiten und wilden Gelüste bis dahin mein Freund gewesen war. Und wer mir noch seinen Namen aussprach, den jagte ich selbigen Augenblicks aus meinem Hause. – Dann kam eine Nacht, in der die Flammen des brennenden Schlosses diese Wände taghell beleuchteten. Da bin ich aus meinem Bette gesprungen, habe mich auf die Knie geworfen und habe zu Gott um Verzeihung gebetet für den, der's angesteckt hat – denn angesteckt war's, es brannte zugleich an allen vier Enden. – Von jetzt an, dacht' ich, wird mit dem Täter auch die Stätte, auf der die Tat geschah, ausgetilgt sein aus der Menschen Gedenken. – Mit dem Gespenste, das späterhin zwischen den Ruinen von Schloß Schranden herumgespukt haben soll, hatte ich nichts mehr zu schaffen. – Und nun kommst du plötzlich, mein Sohn, erzählst mir, das Gespenst sei kein Gespenst, sondern ein lebendes Geschöpf gewesen, selbiges habe erst vor etlichen Tagen das Zeitliche gesegnet und harre nun auf sein christliches Begräbnis. Aber ich verweigere es . . . und zwar auf Grund dieses Registers. – Ich begrabe niemand zweimal. – Zeigst du mich an, so werde ich verurteilt – das versteht sich von selbst. – Aber du weißt, daß ich sowieso darauf vorbereitet bin. Nun tu, was du willst – begrabe den Leichnam – erweis ihm alle Ehren, deren du ihn für würdig hältst, hol dir ein Gefolge zusammen, so glänzend, wie's kein Kaiser hat – aber mich laß aus dem Spiel.«

Er setzte sich in seinen grün gepolsterten Lehnstuhl, stützte das Gesicht in die runzligen, behaarten Hände und starrte vor sich nieder in das aufgeschlagene Kirchenbuch.

Von diesem Eisenkopf war nichts zu hoffen. Es wäre Wahnwitz gewesen, sich darob einer Täuschung hinzugeben. – Auch jener andern Täuschung, daß die Geliebte durch Kampf und Sühne jemals auf Erden zu erringen sei.

Zertrümmert und zerstampft war alles, was schüchterne Träume in seiner verödeten Seele wieder aufzubauen gewagt hatten.

Ein qualvolles Lachen entrang sich seiner Kehle.

»Das also ist die Gnade, die Vergebung, die Ihr predigt!« rief er, Tränen des Zornes in den Augen. – Der Alte erhob sich langsam und ließ die Hand schwer auf Boleslavs Schulter niederfallen. –

»Um deiner Mütze willen, mein Sohn, will ich dir auch hierauf Rede stehen, obwohl dein Anblick mir verhaßt ist. Es sind anderthalb Jahre her, da kamen aus Rußland Horden zerlumpter, bettelnder Franzen – elend, verhungert, mit Frostbeulen bedeckt. Die Schrandener griffen nach Sensen und Dreschflegeln, um sie totzuschlagen, und 's wär' ihnen vielleicht recht geschehen, den Napoleonischen Schinderknechten. Aber da hab' ich die Pforten der Kirche weit aufgetan, damit sie sich an Gottes Altar flüchteten, hab' ihnen Feuer angezündet auf den Fliesen, hab' ihnen eine heiße Suppe kochen lassen und zur Nacht eine Streu gelegt – denn sind es auch Feinde, hab' ich den Schrandenern gesagt, so tragen sie doch Menschengesichter wie ihr und schleppen das Kreuz des großen menschlichen Elends, das einst der Heiland getragen hat, auf ihren Schultern. Geht heim und betet zu Gott, daß er euch damit verschonen möge. – – Du siehst, mein Sohn, ich kann auch milde sein. – – Und nun auf das Begräbnis zurückzukommen – ich weigere niemand seinen guten Ruheplatz. Wo ich zu befehlen habe, wird keiner in den Winkeln verscharrt, auch der Selbstmörder nicht. Wenn's einem im Leben miserabel ging, muß er doch wenigstens im Tode sein Vergnügen haben, sag ich. Und wenn einer vom Schafott hergebracht würde, der seine eigene Mutter erschlagen hat, ich würde in vollem Ornat zu seiner Grube gehen, würde die Hände über seinem Leichnam falten und würde flehen zum Herrn der Heerscharen: ›Vergib ihm, denn er wußte nicht, was er tat.‹ – An allen will ich Milde üben, nur an deinem Vater nicht! Denn wer sich an seinem Vaterlande versündigt, der schändet alle himmlischen und irdischen Gesetze, der schändet die Mutter, die ihn geboren hat, und verfemt die Kinder, die er erzeugt. Den soll man hinausstäupen aus aller menschlichen Gesellschaft, denn er ist wie der Aussätzige – Tod und Verderben bringt er mit sich, wohin er tritt. Wie ein toller Hund ist er, der mit seinem Geifer die Tollwut ausspritzt über alles Lebende, das ihm begegnet. – Wie groß meinst du wohl, mein Sohn, daß die Schuld deines Vaters ist und was er alles versündigte? Die paar hundert pommersche Jungen, die draußen auf dem Anger eingescharrt liegen, die trag ich ihm nicht nach. Die hätten vielleicht sowieso dran glauben müssen. Auf ihren Gräbern steht hohes Gras, und ihre eigenen Väter haben sie wohl längst verschmerzt – aber komm her, mein Sohn –«

Er ergriff Boleslavs Hand und führte ihn ans Fenster.

»Sieh hinaus – was siehst du dort am Gartenzaun? Einen Haufen wilder Tiere siehst du, die mit blutgierigem Geschrei umherlungern, ob die Beute bald kommen wird, ihren Hunger zu stillen, und die doch zu feige sein werden, sich auf dich zu stürzen und dich zu zerfleischen, wenn du unter sie treten wirst. Und sieh mich an, mein Sohn! Ich bin hierher gesetzt von Gott, seine Liebe zu verkündigen, und ich predige Haß. – Worte der Milde, süß wie Honig, sollen von meinen Lippen träufeln, statt dessen springen Skorpionen heraus, sobald ich den Mund auftue, denn auch ich bin ein wildes Tier geworden. – Und das hat die Untat deines Vaters aus uns gemacht! – Hier unten in Schranden findest du nichts Gutes – denn das Gift deines Vaters gärt in uns und impft sich fort auf Kind und Kindeskind, bis der Herr die Stätte des Frevels samt ihrem vermaledeiten Namen vertilgen wird von seiner heiligen Erde – Amen.«

Mit erhobenen Händen wie ein fluchender Prophet des Alten Bundes stand er da, und in seinen Mundwinkeln kochte der Schaum.

Boleslav, betäubt von Entsetzen und Grauen, wandte sich schweigend nach der Tür.

Der Alte rief ihn nicht zurück. –

Als er den Hausflur durchschritt, fuhr er heftig zusammen, denn ihm war, als hätte er hinter einer halbgeöffneten Tür das Rascheln eines Frauenkleides vernommen.

Um alles in der Welt – ihr nicht begegnen! Heute nicht, in diesem Augenblicke nicht, da ihm zumute war, als ob alles Gute und Hohe, das er in seiner Seele still heimlich auferbaut hatte, zermalmt und besudelt am Boden läge.

»Wenn alle Bestien geworden sind, kann ich ja auch zur Bestie werden«, dachte er, während er, die Tasche mit den Pistolen handgerecht auf der Brust, dem Haufen der Schrandener entgegenschritt.

Der alte Pfarrer hatte recht: sie johlten und schmähten hinter ihm her – Mordlust blitzte aus ihren Augen – aber Hand an ihn zu legen, wagten sie nicht. – – –

Als er die Zugbrücke erreichte, hinter deren Pfeilern eine Frauengestalt zusammengekauert seiner harrte, war ein wilder, verzweifelter Entschluß in ihm zur Reife gekommen: Er wird dem Vater mit Waffengewalt die letzte Ruhe erzwingen.

»Willst du dir wieder einmal ein schönes Stück Geld verdienen?« fragte er das junge Weib, das bei seinem Nahen, von Glut übergossen, in die Höhe schoß.

Sie sah ihn eine Weile sinnend und staunend an, dann, als ob sie jetzt erst begriffen habe, schüttelte sie heftig den Kopf.

»Warum nicht?« herrschte er sie an.

Sie begann zu zittern. »Was soll ich mit Geld, Herr?« fragte sie leise und zitternd. »Sie nehmen's mir ja doch bloß weg.«

»Wer?«

»Die Menschen – alle Menschen – bitte, bitte, Herr, bloß kein Geld.«

»Offenbar ist ihr Geist verstört«, dachte Boleslav.

»Und dann ist ja Geld genug da«, fuhr sie mit scheuem Umblick flüsternd fort, »im Keller liegt Geld – ein ganzer Kasten voll – dort, wo die Weinfässer stehen – da nehm' ich mir immer 'raus, soviel ich für ihn – für den gnäd'gen Herrn – brauchte. Für mich selber brauch' ich nichts, Herr, höchstens 'ne neue Jacke.«

»Willst du dir also eine neue Jacke verdienen?«

»Die brauch' ich mir nicht zu verdienen, Herr. Wenn ich nächstens nach Bockeldorf geh' – denn der Herr muß doch was zu essen haben –, bring' ich mir eine mit.«

So mag das Haustier fühlen, das gedankenlos seine Arbeit tut, wie es gedankenlos sein Futter entgegennimmt.

»Willst du also, ohne was zu verdienen, diese Nacht einen weiten Gang für mich tun?«

»Ob ich will, Herr? Wenn Sie nur wollen, Herr!

 


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