Hermann Sudermann
Der Katzensteg
Hermann Sudermann

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9

Herr Leutnant Merckel war mit den Erfolgen des Begräbnistages nur wenig zufrieden. Er nannte die Schrandener Memmen und alte Weiber und schalt sie unwürdig, des Königs Rock getragen zu haben.

Wenn man ihn fragte, warum er sich vor dem Auszuge unsichtbar gemacht und die Schar im entscheidenden Momente führerlos gelassen habe, so erwiderte er, mit ihm wäre das ganz was anderes, er sei Offizier und als solcher verpflichtet, seinen Degen nur in des Königs Dienst zu ziehen.

Den Schrandenern, die an scharfe Logik nicht gewöhnt waren, schien dies einleuchtend. Sie versprachen, den Fehler bei nächster Gelegenheit wieder gutzumachen.

Aber Felix Merckel konnte sich hiermit unmöglich zufrieden geben.

»Vater«, sagte er eines späten Abends, als der alte Gastwirt freundlich schmunzelnd die Tageskasse zählte, »ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß der Schuft, der Lumpenhund königlich preußischer Offizier sein soll wie ich. Man muß sich ja ordentlich schämen, mit ihm zusammen gedient zu haben. Solche Gesellen kann unsere Armee nicht brauchen. Die verunzieren die Kokarde, vom Portepee ganz zu schweigen. Ich werd' ihn zum Duell fordern und ihn über den Haufen schießen.«

Er streckte die Beine über die Holzbank und drehte sich kühl lächelnd seinen Reiterschnauzbart. Der Alte ließ vor Schreck die Handvoll Silbergroschen, an denen er zählte, auf den Ladentisch fallen, so daß die Geldstücke fernab in die Ritzen rollten.

»Felixchen«, sagte er, »du mußt nicht so viel von dem Wacholderschnaps trinken. Der ist für die Gäste gut genug. – Ich werd' dir morgen 'ne Flasche von dem leichten Wein hinsetzen, Felixchen. Vielleicht macht's dir einer oder der andre nach. Und wir kommen wieder auf die Kosten.«

»Vater, du irrst dich«, erwiderte Felix. »Es ist mein Ehrgefühl, was mir keine Ruh' mehr läßt. Ich bin ein deutscher Jüngling, Vater, und ein tapferer Offizier – ich kann die Schande für meinen Stand nicht länger mit ansehen.«

»Felixchen«, sagte der Alte, »geh schlafen, mein Sohn, dann siehst du und hörst du nichts mehr.«

»Vater«, erwiderte der Sohn, »es tut mir leid, dir das sagen zu müssen – du hast kein Ehrgefühl im Leib.«

»Felixchen«, fuhr der Alte fort, »du machst dir zu wenig Beschäftigung. Wenn du noch wenigstens nach den Flaschen sehen möchtest – mein Gott, ich verlang's ja nicht, dazu ist die Mamsell ja da – aber 's würd dir ganz gut tun. Du würdest auf andere Gedanken kommen – auch auf die Jagd könntest du gehen – –«

»Wo denn?«

»Na, lieber Gott – die Schrandenschen Wälder stehen ja da – ob sich die Hasen untereinander auffressen oder ob du ihnen ihr Teilchen besorgst – es bleibt sich ja ganz egal.«

»Schickt sich nicht für mich, Vater – ich bin Offizier – darf bei keinem Wildfrevel betroffen werden.«

»Lieber Gott, Felixchen, wie du nur redest. Ich bin doch der Ortsschulze hier – ich werd' dich nicht an den Galgen bringen. – Aber wie du willst, mein Sohn. – Oder du kannst ja auch öfters ins Pfarrhaus gehen. Der alte Pfarrer spielt gern mal 'ne Partie Schach – 's ist zwar nichts dabei zu verdienen, aber die Leute sagen ja, daß es ein Vergnügen ist, und dann ist doch auch die Helene da – – –«

»Ach die!« sagte Felix und strich sich mit geschmeicheltem Lächeln über das Kinn.

Der Alte betrachtete aufmerksam die vorweltliche Fliege, die in das Bernsteinherz eingeschlossen war.

»Ich hab' nämlich den Animus, daß das 'ne ganz gute Partie für dich wäre, falls der Pfarrer einwilligt und sie dich haben will.«

»Warum sollt' sie mich wohl nicht haben wollen?« fragte Felix.

»Es war' doch möglich, daß sie wen anders –«

Felix lächelte zweifelnd.

»Oder meinst du, daß sie schon ein Auge auf dich –?«

Felix zuckte die Achseln.

»Siehst du, Felixchen, das wär' ein großes Glück für uns, denn die Leute munkeln dies und das von der Art, wie ich mein bißchen Geld erworben hab'. Mit Unrecht, versteht sich – mit Unrecht. – Gibt uns aber der Pfarrer Götz seine einzige Tochter zur Frau – siehst du – ein Mann wie der Pfarrer Götz, der bringt die Lästermäuler schon zum Schweigen. Also, wie gesagt, sei ein bißchen um sie 'rum, streich ihr Honig um den Mund – und überhaupt ein Kerl wie du –«

»Lieber Vater, spar dir gefälligst deine Ratschläge«, unterbrach ihn der Sohn. – »Ob Helene meine Frau wird oder nicht, hängt ausschließlich von mir ab. – Ich bin eben noch nicht entschlossen. Sie hat ja 'ne niedliche Fratze, das ist nicht zu leugnen, bißchen dünn zwar ist sie, aber schließlich könnt' man sie ja 'rausfuttern. Und dann, weißt du, hat sie so was von der alten Jungfer – so was Spitziges, Eckiges. Wenn man sie mal um die Taille fassen will, meint sie, ›ach, lieber Herr Leutnant, Sie werden mir den Strich verknüllen‹ – neuerdings siezt sie mich nämlich; oder wenn man sie mal pieken will – zum Jokus, weißt du, dann schreit sie gleich – ›ach, lieber Herr Leutnant, tun Sie das nicht, ich hab' so 'ne feine Haut.‹ Natürlich ist das alles Geziere und Getue – und wenn man sie mal resolut anfassen würde, möcht' sie schon mit Handkuß einwilligen, aber wie gesagt – ich bin noch nicht entschlossen . . . Sie läuft ja nicht davon, siehst du.«

Der Alte, der inzwischen mit flinken Händen die Geldstücke in Papierrollen zusammenschloß, schaute mit freudigem Stolze zu dem Prachtsohne hinüber, den er sich erzogen hatte. Dann faßte ihn die Besorgnis aufs neue: »Und nicht wahr, Felixchen, das Duell, da denkst du nicht mehr dran . . . das ist ja Unsinn . . . das heißt ja das Leben aufs Spiel setzen.«

Felix warf sich in die Brust: »In Ehrensachen, Vater, bleib aus dem Spiele. Davon verstehst du nichts. Sobald ich einen anständigen Kartellträger gefunden habe –«

»Was ist das – Kartellträger, Felixchen?«

»Das ist der Mann, welcher die Forderung überbringt.«

»Wem überbringt – dem Boleslav?«

»Natürlich.«

»Auf die Insel?«

»Auf die Insel.«

»Aber Felixchen, wo denkst du hin? Welcher Christenmensch wird sich denn auf die Insel wagen? Du weißt doch, daß dort Schritt für Schritt Wolfsfallen und Selbstschüsse sind. – Sieh dir den Hackelberg an, der hinkt ja noch heutigestags, der hat mal drin gesessen – aber red nicht davon, verstehst du. Denn es darf nicht 'rauskommen, daß der Hackelberg jemals auf der Insel gewesen ist. Wie gesagt, das darfst du keinem zumuten, und überhaupt, wer wird sich mit so 'nem gefährlichen Menschen einlassen? Dabei ist nichts zu verdienen, mein Jungchen.«

»Oh, er soll mir kommen«, knirschte Felix in sich hinein.

Der Alte betrachtete ihn mit Besorgnis, dann schenkte er ein Spitzglas mit Pfefferminzschnaps voll und brachte es seinem Sohne.

»Trink das aus, Felixchen«, sagte er, »das schlägt nieder.«

Felix trank.

»Und fürs weitere laß deinen alten, braven Vater sorgen, der wird über Nacht schon ein Mittelchen finden, das dich von deinem sogenannten Ehrgefühl kurieren soll. – Gute Nacht, Felixchen.«

Er hatte nicht zuviel versprochen, der alte, brave Vater.

Am nächsten Morgen, als er seinem Sohne gegenüber am Frühstückstische saß, fragte er in dem ihm eigenen Tonfall wohlwollenden Bedauerns: »Na, Felixchen, hast du den dummen Gedanken nun ausgeschlafen?«

Felix wurde böse . . . »Ich hab' dir schon gesagt, Vater – davon –«

»Versteh ich nichts! Sehr richtig, mein Jungchen. Aber eins möcht' ich drum eben wissen: Mit wem willst du dich eigentlich duellieren, mit dem Herrn von Schranden oder dem Herrn Baumgart?«

Felix stutzte. Eine dunkle Ahnung sagte ihm, wo der Vater hinauswollte. »Das sind Spitzfindigkeiten, Vater«, erwiderte er. – »Ich bin ein schlichter, geradedenkender Soldat. Mir mußt du mit so was nicht kommen.«

»Aber, Felixchen, sei doch nicht so hitzig. Ich mein's ja gut mit dir. Der Herr von Schranden ist nie Offizier gewesen, der geht dich also nichts an, und der Leutnant Baumgart ist ein Schwindler, denn er hat sich 'nen falschen Namen zugelegt, der geht dich also erst recht nichts an.«

»Das ist wahr«, sagte Felix, sich Honig auf sein Butterbrot streichend. »Ich dürft' ihm eigentlich die Ehre gar nicht antun, ihn zu fordern.«

Ein neues Bedenken stieg in ihm auf. »Wenn er sich nur nicht Leutnant titulieren dürft'«, fügte er grimmig hinzu. »Das leidet mein Ehrgefühl nicht von solchem Schuft.«

Der Alte schien auf diesen Einwurf nur gewartet zu haben.

»Warum tituliert er sich denn noch Leutnant?« fragte er, indem er die fleischigen Lippen schmunzelnd ineinanderkniff. »Weil seine Vorgesetzten nichts von dem Betrug wissen. Die würden ihn schön auf den Trab bringen, wenn sie 'ne Ahnung hätten.«

Felix begann zu verstehen.

»Du meinst, man sollte –«

»Natürlich sollte man.«

Aber Felixens leicht verletzbares Ehrgefühl wollte auch hiervon nichts wissen. »Ich erinnere dich daran, daß ich Offizier bin, Vater«, rief er entrüstet. »Deine Zumutung ist geradezu beleidigend für mich.«

Der Alte zuckte die Achseln. »Ja, wenn du nicht willst«, meinte er.

Dem ehrliebenden Sohn erschien jetzt ein rettender Ausweg.

»Man müßte denn gerade ohne Namensunterschrift –«

»Darauf geben sie nichts«, erwiderte der Alte. »Aber ich weiß was viel besseres. Ich werd' die Geschichte selber in Schwung bringen. Du sollst bloß mit den andern zusammen deinen Namen unterzeichnen. Da verliert er sich in der Masse.«

Am Nachmittag desselben Tages wurden die Landwehrmänner durch den Gemeindeboten Hoffmann in den »Schwarzen Adler« geladen, ein Verfahren, das nur dazu diente, die Feierlichkeit der bevorstehenden Handlung zu erhöhen, denn sie wären auch ohnehin gekommen.

Als alle Tische besetzt waren – das Dorf Schranden hatte etwa dreißig Kämpfer in den heiligen Krieg entsandt – und das wachsame Auge des Herrn Merckel weit und breit gefüllte Gläser vor sich sah, trat er hinter dem Schenktisch hervor, rieb sich behaglich das Bäuchlein, und einen verstohlenen Blick mit seinem Sohne wechselnd, begann er folgende Anrede: »Ja, seht mal, liebe Mitbürger, die Geschichte ist nämlich folgende: Ihr seid hier als brave Soldaten und habt in mancher heißen Schlacht für euer armes Vaterland gekämpft. Da seid ihr manchmal durstig genug gewesen und habt nicht einmal einen Tropfen schmutziges Lachenwasser in der Nähe gehabt. Drum ist's euch wohl zu gönnen, daß ihr jetzt nach Last und Hitze des Krieges von Zeit zu Zeit in den ›Schwarzen Adler‹ geht und dort einen guten Schluck Braunbier trinkt. Das habt ihr euch redlich und sauer verdient. Prost, Soldaten!« –

Er führte seinen Krug, den er für diesen und ähnliche Fälle bereit hielt, mit einem wackeren Schwunge zum Munde und hielt während des Trinkens lauernde Umschau nach allen denen, die ihr Stangenglas bis gegen den Grund hin geleert hatten. – Dann gab er der Schenkmamsell einen heimlichen Wink, und sich kräftig die Lippen wischend, fuhr er fort: »Ich, als euer Ortsschulze, bin nun zwar nicht mit in den Krieg gezogen, denn ich mußte derweilen für eure Hinterbliebenen sorgen« – ein Murmeln beifälliger Rührung ging durch den Raum – »aber ich bin ein Patriot wie ihr, und mein Herz schlägt warm und treu für Vaterland und Ehre, wie nur das eure, ihr braven Soldaten. – – Beeil dich mal ein bißchen, du faule Person, der Herr Weichert verdurstet ja schon fast« – Herr Weichert wehrte sich, aber es half ihm nichts, das Glas wurde ihm aus den Händen fortgerissen – »und meine Brust hebt sich vor Stolz, wenn ich meinen Sohn ansehe, der ein schlichter, geradedenkender Soldat ist und den das Vertrauen der Kameraden und des Königs Gnade gar zum Offizier gemacht hat. Ich spreche gewiß euch allen aus dem Herzen, wenn ich rufe: Die Freude des Dorfes, der brave Sohn, der gute Kamerad, der tapfere Soldat und ehrliebende Offizier, Leutnant Merckel, lebe hoch und noch einmal hoch und zum drittenmal hoch!«

Voll Begeisterung stimmten die Schrandener ein, und Herr Merckel senior bemerkte mit Genugtuung, daß bei dieser Gelegenheit wiederum einige der Gläser leer geworden waren, Um Amalien Zeit zum Vollfüllen zu lassen, machte er eine kleine, effektvolle Pause, während welcher er seinem Sohne in stummer Ergriffenheit um den Hals fiel; dann fuhr er fort: »Mit um so größerem Schmerze aber muß es uns erfüllen, wenn wir sehen, wie unser geliebter und gesegneter Ort, dessen Schande ihr durch eure glänzenden Waffentaten schon getilgt hattet, aufs neue verunglimpft wird durch den Sohn jenes Mannes, der schuld an all unserem Unglück ist. – Auf der Brandstelle haust er nun zusammen mit der Geliebten seines Vaters – ich will nichts weiter gesagt haben, aber schön, Kinder, ist es nicht, was dort oben geschieht.« – Ein unsauberes Lachen erhob sich ringsum und wandelte sich langsam in sittliche Entrüstung um. »Ja, und was das schönste ist, dieser wüste Gesell gehört gleichfalls unserer braven und glorreichen Armee an. Unter falschem Namen hat er sich in ihre Reihen geschlichen, ja noch mehr als das, bis zum Offizier hat er sich in die Höhe geschwindelt . . . Was euch allen, ihr braven Männer, nicht gelungen ist – mit Ausnahme meines Sohnes natürlich –, das hat so ein Mensch sich durch Lug und Trug erworben. Wollt ihr das dulden, ihr braven Schrandener, wollt ihr es euch gefallen lassen, daß am Ende so ein Schwindler, der Sohn eines Landesverräters, euch als seine Untergebenen betrachten soll? – Seid ihr deshalb durch die Gnade eures lieben Königs zu freien Männern geworden?«

Der Augenblick schien günstig, um Seine Majestät den König hochleben zu lassen, denn Amalie war inzwischen mit dem Einschenken fertig geworden. Der Erfolg war ein vollständiger, und Herr Merckel begann nach zwei Seiten hin mit den Resultaten seiner Rede zufrieden zu sein.

»Nein, ihr braven Schrandener«, fuhr er fort, »das dürft ihr euch nicht gefallen lassen, die Armee muß befreit werden von dem Schandfleck – sonst müßt ihr euch ja schämen, preußische Soldaten zu sein.«

»Schlagt ihn tot! Schlagt ihn tot!« erscholl es von den Tischen her.

»Nein, ihr lieben Freunde«, erwiderte er mit seinem gutmütigen Schmunzeln. »Ihr müßt nicht immer gleich von Totschlagen reden – ich, als eure Obrigkeit, darf das gar nicht gehört haben – sonst –«. Er erhob in wohlwollendem Drohen den Zeigefinger. »Aber ich will euch was viel Besseres raten. Die hohen Herren haben natürlich keine Ahnung, wer eigentlich hinter dem Leutnant Baumgart steckt, denn vorigen Frühling fragte man nicht erst viel nach Taufschein und sonst was; aber jetzt ist die Sache anders – jetzt wird man sich den Mann wohl mal ansehen wollen, den man als königlich preußischen Leutnant a. D. im Lande 'rumlaufen läßt. Und mit dem ›a. D.‹ hat das auch noch so 'ne Bewandtnis. – Besinnt ihr euch, was der Johann Radtke aus der Heide hier an dieser Stelle erzählt hat, damals als noch keiner von uns 'ne Ahnung hatte, was für ein sauberes Tierchen sein berühmter Herr Leutnant Baumgart eigentlich war?«

Ein zorniges, haßerfülltes Lachen unterbrach ihn. Sein Sohn Felix war's, der es ausgestoßen hatte. –

»Aus Frankreich soll er hergewandert sein, zu Fuß und mutterseelenallein, wie 'n Handwerksbursch. Und verwundet hat er gelegen, und gefangen ist er gewesen, und was weiß ich sonst. – Aber überlegt euch mal, was das sagen will! Das will sagen, daß er keinen Abschied genommen hat, sondern daß er sich aus der Armee 'rausgestohlen hat wie 'n Dieb in der Nacht, akkurat so, wie er sich vorher 'reingeschlichen hat. Und wißt ihr, wie das auf gut preußisch heißt? Desertieren heißt das.« –

Ein Jubelgeschrei erhob sich, welches Herr Merckel mit großer Genugtuung begrüßte, da seiner Erfahrung nach durch Schreien die Kehlen trocken wurden. – –

Er ließ sie also nach Kräften sich satt toben, dann fuhr er fort: »Wir als brave Patrioten und wackere Soldaten haben nun die heilige Pflicht, den hohen Herren vom Generalkommando ein Licht über den sauberen jungen Herrn aufzustecken. Wir sind das unserem Könige, unserem Vaterlande und vor allem uns selber schuldig. Mag man ihn mit Schimpf und Schanden ausstoßen aus unserer tapferen Armee – mag man ihn ins Gefängnis werfen – mag man ihn füsilieren – uns kann's egal sein – wir haben keine Ursach', uns für ihn ins Zeug zu legen.«

Die Schrandener erhoben ein Wut- und Wehegeschrei bei dem bloßen Gedanken, daß so etwas von ihnen verlangt werden könnte.

Herr Merckel zog ein Blatt Papier aus der Brusttasche.

»Ich habe eine kleine Niederschrift gemacht«, sagte er, »in welcher ich einem hochweisen und hochedlen Generalkommissario untertänigst unsere Beschwerden auseinandersetze. Wenn ihr es erlaubt, liebe Freunde –«

Er machte Miene, das Blatt zu entfalten, da kam ihm ein glücklicher, ein vielverheißender Gedanke.

»Ich könnte euch nun die Schrift sogleich zur Unterzeichnung vorlegen«, fuhr er strahlend fort, »aber dann hätte sie meine und nicht eure Fassung. Und ich will, daß ihr die Worte aufs genauere prüft und, wo nötig, auch ändert . . . Daher schlag' ich euch vor, daß ihr eine Kommission von fünf Kameraden aus eurer Mitte wählt, mit denen wir uns, mein Sohn und ich, in das Herrenstübchen zurückziehen wollen, um in Ruhe die Fassung zu beraten, während ihr andern hier versammelt bleibt.« Dann nannte er die Namen derer, die er als Würdigste zu diesem Ehrenamte in Vorschlag brachte – fünf Bursche, die er als flotte Geldausgeber kannte und bei denen sich etliches Ehrgefühl erhoffen ließ. –

Halb neidisch und halb schadenfroh stimmte man ihm zu.

Die Erwählten machten lange Gesichter, denn sie ahnten, was ihnen bevorstand, aber da sie sich zu gleicher Zeit geschmeichelt fühlten, so hüteten sie sich, nein zu sagen.

Mit der Ehrfurcht, die Herr Merckel sofort empfand, wenn jemand Miene machte, das Herrenstübchen zu betreten, riß er die Tür auf, über der als Warnung und Lockung zugleich die bedeutungsschweren Worte geschrieben standen: »Hier darf nur Wein getrunken werden.«

In ängstlichem Stolze betraten die Auserwählten den vornehmen Raum, die Mützen krampfhaft zwischen den Fingern drehend.

Als letzter folgte der Sohn des Hauses.

Da wandte sich Herr Merckel noch einmal um und rief laut und feierlich zum Schenktisch hin: »Amalie, zwei Flaschen Muskat für mich und den Herrn Leutnant.«

Muskat war ein Wein, den er aus Rum, Zucker, Zimt und Johannisbeersaft mit dem nötigen Quantum Wasser selber zu bereiten pflegte und für einen Taler die Flasche an die Schrandener verkaufte. Die Doppelzahl nannte er, damit die Gäste sich nicht einfallen ließen, je paarweise eine Flasche unter sich zu teilen.

In der Schankstube entstand ein tiefes Schweigen.

Mit ernsten, gespannten Gesichtern sahen die Zurückgebliebenen einander an und starrten dann wieder nach der geschlossenen Tür.

Auch aus dem Herrenstübchen drang kein Laut. Dort wurde zwischen dem Wirt und seinen Gästen ein stummer, doch erbitterter Kampf geführt. Es war zweifelhaft, wer Sieger bleiben würde.

Doch nach etlichen Minuten schon – die Mamsell war soeben mit zwei rasch aufgefüllten Flaschen aus dem Keller zurückgekehrt – riß Herr Merckel die Tür weit auf und schrie triumphierend hinaus: »Amalie, noch fünf Flaschen Muskat!«

Ein vielstimmiger Seufzer erscholl in dem Raum.

Die Spannung löste sich. Die Partei der Gäste war wie gewöhnlich unterlegen.

Gleich darauf drangen die eintönig dumpfen Laute eines Vorlesenden den Lauschenden ans Ohr.

*

Als Herr Merckel senior sich diesmal zur Ruhe legte, fand er, daß sein Tag kein verlorener gewesen war. –

Der Sohn war von seinem gefahrvollen Gedanken befreit, das Schicksal des Letzten derer von Schranden war besiegelt, und in der Kasse fand sich eine Extraeinnahme von acht Talern und fünfundzwanzig Silbergroschen. –

»So schlägt man drei Fliegen mit einer Klappe«, sagte er zufrieden lächelnd, faltete die Hände und entschlummerte sanft.

 


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