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Das Werkzeug

Im Jahr 1483, In demselben Jahr, in dem Luther geboren wurde, sass Doktor Coctier zu Paris in seinem Laboratorium und philosophierte mit einem durchreisenden Adepten.

Das Laboratorium lag im selben Gebäude wie sein Observatorium, im Stadtteil Marais, ungefähr dort, wo heute die Place des Vosges oder die Place Royale liegt; also in derselben Gegend wie die Bastille, das prachtvolle Hotel de Saint-Pol und das glänzende Des Tournelles, die Residenz der Könige, ehe das Louvre fertig wurde.

Hier hatte Ludwig XI. seinem Leibarzt, Kanzler und Doktor aller Wissenschaften, Coctier, ein Haus geschenkt, das in einem Parklabyrinth mit Namen Jardin Daedalus lag.

Der Doktor sprach und der Adept hörte zu:

– Ja, bereits Piaton nennt in seinem Timaios das Gold einen der dichtesten und feinsten Stoffe, der durch den Stein sickert. Und das Gold hat einen Schössling, der ist schwarz und ist das Eisen. Aber ein Körper, der dem Gold näher steht, ist das Kupfer, das einen kleinen und feinen Bestandteil von grüner Erde hat und aus glänzenden erstarrten Flüssigkeiten zusammengesetzt ist. Nun frage ich: warum kann man Kupfer nicht von seiner grünen Erde befreien und zu Gold veredeln?

– Doch, antwortete der Adept, das kann man, wenn man Atramentum oder Lapis Philosophorum benutzt.

– Was ist das?

– Atramentarius lapis ist Eisenvitriol ...

– Ventre-saint-gris, da ist Piatons Eisen! Jetzt klärt es sich! Wer hat Euch das gelehrt?

– Das habe ich gelernt von dem grössten lebenden Magier im Wittenbergschen. Er heisst Doktor Faustus und hat in Krakau Magie studiert

– Er existiert also! Erzählt! Erzählt!

– Dieser Mann hat nach aller Zeugnis Wunder Christi gewirkt; es hat es übernommen, die verlorenen Komödien des Plautus und Terenz wiederherzustellen; sein Geist kann die Flügel des Adlers nehmen und durchforschen, was oben ist und was unten ist.

– Hat er auch das Lebenselixier gefunden?

– Ja, seit das Gold aufgelöst werden kann ...

– Kann man das Gold auflösen, so hat es Bestandteile! Nennt sie!

– Das Gold löst sich mit Leichtigkeit in Vitriolöl, Ammoniaksalz und Salpeter.

– Was muss ich hören?

Der Doktor sprang auf; der Ofen hatte das Zimmer erwärmt, und ihn peinigte die Hitze.

– Gehen wir ein wenig spazieren! sagte er. Aber erst muss ich aufschreiben, denn wenn ich mich an etwas Wichtiges erinnern will, so mischt der Teufel die Karten in meinem Kopf. – Also: Vitriolöl, Ammoniaksalz und Salpeter!

Der Adept, der den Namen Balthasar trug, merkte jetzt erst, dass er seine Wissenschaft ohne Quittung, und ohne etwas dafür zu bekommen, hergegeben hatte, und da er nicht von der uneigennützigen Sorte war, warf er sein Netz aus:

– Wie steht es jetzt mit unserm gnädigen König?

Damit hatte er sein Geheimnis und sein Anliegen gesagt, und Meister Coctier erwachte:

– Ach so, du spekulierst auf den König mit deinem Lebenselixier! sagte der Doktor mit geschlossenen Lippen. Und dann laut:

– Ja, es geht ihm ganz gut!

– So? Ich habe etwas anderes gehört!

– Dann hat man gelogen.

Jetzt wurde es still, und die beiden Männer suchten die Gedanken des andern zu hören. Es war so furchtbar still, dass sie den Hass keimen fühlten, und sie kämpften bereits auf Leben und Tod.

Meister Coctier dachte so: Du kommst mit dem Elixier, um das Leben dieses Unmenschen, der König ist, zu verlängern; du willst damit dein Glück machen und mich ins Unglück bringen; und du weisst, wer des Königs Leben in seiner Hand hat, der hat die Macht.

Schnell wie der Blitz hatte er einen Entschluss gefasst, vorurteilsfrei, grausam, wie es ja die Sitte der Zeit war.

– Jetzt sollt ihr meinen Daedalus oder das Labyrinth sehen, nahm er den Faden wieder auf. Der hat seit dem Minotaurus auf Kreta nicht seinesgleichen.

Das Labyrinth war eine charmille, ein geheimer Gang von Hainbuchenhecken, vier Ellen hoch und so dicht, dass man das feine Eisengeländer, das zu diesem Zeug das Futter bildete, nicht bemerkte. Undurchdringlich, schlängelte es sich recht kunstgemäss, und mit falschen Perspektiven versehen, schien es unendlich lang zu sein. Aber dort waren auch geheime Türen und unterirdische Gänge, und der Wanderer merkte bald, hier handelte es sich nicht um Spiel, sondern um einen unheimlichen Ernst. Nur der König und Meister Coctier besassen den Schlüssel zu diesem Rätsel.

Als sie eine gute Weile gegangen waren und Statuen bewundert und Wasserkunst hatten spielen sehen, wollte Meister Balthasar sich auf eine Bank setzen, sei es, dass er müde war oder Unrat witterte.

– Nein, nicht auf die Bank, wehrte der Doktor ab.

Und sie gingen weiter. Jetzt aber beschleunigte der Doktor seine Schritte, und nach einer Weile fühlte sich sein Gast wieder müde und wirr im Kopf von dem beständigen Herumrennen. Darum warf er sich auf die erste Bank nieder, die er sah, und holte tief Atem:

– Ihr lauft das Leben aus mir heraus, Doktor, sagte er.

– So kurzlebig seid Ihr doch nicht, antwortete der Doktor. Ich sehe eine lange Lebenslinie auf Eurer Stirn, und der Balken zwischen Euern Augen deutet an, dass Ihr unter dem Planeten Jupiter geboren seid. Übrigens besitzt Ihr ja das Lebenselixier und könnt doch Euer Dasein nach Belieben verlängern, nicht wahr?

Der Adept bemerkte, wie sich ein grausames Lächeln über das Gesicht des Meisters breitete, und die Gefahr ahnend, wollte er aufspringen, aber die Lehnen der Bank hatten sich geschlossen, und er sass fest.

Im nächsten Augenblick schien Meister Coctier etwas mit dem rechten Fuss im Sand zu suchen, und als er es gefunden hatte, stellte er sich mit seiner ganzen Schwere auf den unsichtbaren Gegenstand.

– Lebwohl, junger Mann, sagte er; plauderhafter, eingebildeter junger Mann, der mit Meister Coctier Knecht spielen wollte. Jetzt steche ich den König für dich, passe und sei bete!

Die Bank verschwand in der Erde mit dem Adepten. Es war eine Oubliette, ein Brunnen mit einer Fallklappe, welche die Decke des Vergessens über den Verschwundenen zog.

Als er das ausgerichtet, suchte der Doktor aus dem Labyrinth herauszukommen, fand aber nicht sofort den Weg, denn er war in Gedanken versunken, und wiederholte die eben erworbene Formel des Elixiers, um sie nicht zu vergessen, falls sein Rezept fortkommen sollte. – »Vitriolöl, Ammoniaksalz, Salpeter.«

Plötzlich stand er vor einem runden Platz, in den mehrere Wege zusammenliefen; und seine Verwunderung war gross, als er einen Körper im Sand liegen sah. Der sah aus wie ein grosser brauner Kettenhund, aber schlaff, leblos.

Es ist ja nicht der erste, der sich in dieser Reuse gefangen hat, dachte er und trat näher. Als sich aber die braune Masse rührte, sah er, dass es ein Mensch mit zerrissenen Kleidern und einer räudigen Pelzmütze war.

– Der König!

Es war Ludwig XI. in seinem letzten Lebensjahr.

– Sire, im Namen aller Heiligen, was ist Ihnen rief der Doktor aus.

– Elender Mensch, antwortete der König, warum baust du solche Fallen, aus denen man nicht herausfinden kann?

Nun hatte Ludwig selber in seiner Jugend diese Schlinge aufstellen lassen, das durfte man aber nicht sagen; darum sprach der Doktor schöne Worte:

– Sire, Sie sind krank! Warum sitzen Sie nicht in Tours! Wie sind Sie hierher gekommen?

– Ich kann nicht schlafen, und ich vermag nichts zu essen! Ich habe in den letzten Tagen in Vincennes, in Saint Pol, im Louvre gewohnt, aber ich finde nirgends Friede. Schliesslich ging ich hierher, um sicher zu sein auf der einzigen Stelle, die nur du und ich kennen; ich kam gestern morgen, und wäre länger geblieben, aber ich wurde hungrig, und als ich hinaus wollte, fand ich nicht; ich habe hier diese Nacht gelegen und gefroren; führ mich fort, ich bin krank, fühl meinen Puls, ob es nicht das viertägige Fieber ist!

Der Doktor wollte den Puls untersuchen, fand ihn aber nur mit Mühe, denn er war am Erlöschen; das durfte er aber nicht sagen.

– Der Puls ist regelmässig und stark, Sire; lassen Sie uns unter Dach kommen!

– Ich will bei dir essen; nur du kannst Speisen bereiten, all die andern verderben sie mit ihren ewigen Gewürzen; sie würzen alle Speisen für mich, und sie haben schlechte Gewürze. Jakob, hilf mir fort von hier, hilf mir! Hast du den Stern heute Nacht beobachtet? Ist etwas Neues am Himmel? Es ist bestimmt ein Irrstern im Anzug! Ich fühle es am Leib, ehe sie kommen.

– Nein Sire, es sind keine Irrsterne im Anzug ...

– Antwortest du mir naseweis? Dann glaubst du, dass ich krank bin. Vielleicht unheilbar?

– Nein, Sire, Sie sind gesünder als je, aber folgen Sie mir, dann will ich Ihnen ein Bett machen und eine Mahlzeit.

Der König hatte sich erhoben und folgte dem Doktor. Der wollte jedoch dem Monarchen den Vortritt lassen; dieser aber war misstrauisch gegen seinen letzten einzigen Freund, der ihn allerdings nicht liebte, ihn gern tot gesehen hätte, ihm aber nichts Böses zu wünschen wagte.

– Hüten Sie sich vor den Bänken, Sire, warnte er; gehen Sie nicht zu nahe an die Hecke; bleiben Sie mitten auf dem Weg!

– Deine Bänke sollten selber ... verzeih mir meine Sünden.

Er machte ein Zeichen des Kreuzes.

Als sie ins Freie kamen, geriet der König in Wut, bei der Erinnerung an das, was er ausgestanden hatte, und statt dankbar gegen seinen Retter zu sein, brach er in Scheltworte aus.

– Wie kannst du mich in deinem Garten irre gehen und mich auf blosser Erde unter freiem Himmel schlafen lassen! Du bist ein Esel!

Sie traten ins Laboratorium ein, wo es warm war, und der König, der neugierig war, fand sofort das vergessene Rezept.

– Was hast du hinter meinem Rücken vor? Was schreibst du auf? Ist es Gift oder Medizin? Vitriolöl ist Gift, Salmiak ist nur für Ruhr, Salpeter erzeugt Skorbut. Für wen hast du das gemischt?

– Das ist für die Kuh des Gärtners, die gekalbt hat, antwortete der Doktor, der durchaus nicht das Leben seines Tyrannen verlängern wollte.

Der König legte sich auf ein Sofa:

– Jakob, sagte er, du darfst nicht fortgehen, ich will kein Essen haben, aber ich will schlafen, und du sollst dich hier neben mich setzen; ich habe seit acht Nächten keinen Schlaf in die Augen bekommen. – Aber lösch den Ofen, ich kann Kohlenfeuer nicht sehen, es tut meinen Augen weh. Aber du darfst die Gardinen nicht herunter lassen; ich will die Sonne sehen, sonst kann ich nicht schlafen.

Er schien in Schlaf zu fallen, aber es war nur ein Schlummer, der eine Minute währte, und dann war er wieder ganz wach und setzte sich im Bett aufrecht.

– Warum hast du Stare im Garten, Jakob?

– Ich habe keine Stare, antwortete der Doktor ungeduldig; wenn Sie sie aber pfeifen gehört haben, Sire, so müssen sie sich wohl mit Ihrer Erlaubnis dort finden.

– Hörst du sie denn nicht?

– Nein! Aber was singen sie?

– Ja! das weisst du! – Nach dem schimpflichen Vertrag von Peronne, als ich mich vor Karl von Burgund beugen musste, lehrten die Pariser ihre Stare Peronne schreien! Weisst du, was sie jetzt sagen?

Der Doktor verlor die Geduld, denn diese alten Geschichten hatte er tausendmal gehört:

– Sie sagen doch nicht Gu-i-enne?

Das war eine hässliche Anspielung auf den Brudermord, denn der König stand im Verdacht, seinen Bruder, den Herzog von Guienne ermordet zu haben.

Er flog aus dem Bett in die Höhe, als wolle er sich schlagen:

– So, du glaubst an diese Fabel! Aber ich habe nie gemordet! Dich allerdings möchte ich ermorden ...

– Lass es bleiben! antwortete der Doktor zynisch. Du weisst, was die Sterne gesagt haben; acht Tage nach mir wirst du sterben!

Der König bekam einen Krampfanfall, denn er glaubte an diese Fabel, die Coctier erfunden, um sein Leben zu schützen. Als er aber wieder zum Bewusstsein kam, begann er von neuem zu faseln:

– Sie sagen auch, dass ich meinen Vater ermordet habe, aber das ist eine Lüge! Er hungerte sich tot, aus Furcht, vergiftet zu werden ...

– Von dir vergiftet zu werden! Du bist ein feiner Junge! Jetzt aber ist deine Stunde bald gekommen.

– Still! ... Ich erinnere mich jetzt an alles! Mein Vater, ein Tropf, der Frankreich von den Engländern überschwemmen liess, und, als die Jungfrau von Orleans ihn rettete, sie an die Engländer auslieferte! Meinen Vater, der meine Mutter mit Agnes Sorel betrog, und die ehelichen Kinder von seiner Geliebten erziehen liess, diesen Mann hasste ich. Und als er das Reich sich selber überliess, haben ich und die Herren des Landes es in die Hand genommen. Das nanntet ihr Aufruhr; ich habe aber niemals einen Aufruhr veranlasst! das ist eine Lüge!

– Hör mal, unterbrach ihn der Doktor, wenn du beichten willst, so such deinen Pater auf!

– Ich beichte dir nicht, ich verteidige mich!

– Wer klagt dich denn an? Dein böses Gewissen!

– Ich habe kein böses Gewissen, aber ich werde ungerecht angeklagt.

– Wer klagt dich an? Die Stare!

– Meine Frau, meine Kinder klagen mich an, und sie wollen mich nicht sehen.

– Nein, wenn du sie nach Amboise gesandt hast, so können sie dich nicht sehen, und sie wollen es auch wirklich nicht!

– Dass ich, der Sohn Königs Karl VII., so etwas von einem Quacksalber anhören muss? Ich habe immer die kleinen Leute geliebt; Olivier, der Barbier, war mein Freund ....

– Und der Henker Tristan war dein Pate ...

– Er war Generalprofoss, du Hund!

– Der Schneider wurde Herold ....

– Und der Quacksalber Kanzler! Stelle mir das in Rechnung, preise mich, Undankbarer, dass ich dich vor den Herren geschützt habe und nur nach dem Verdienst sah.

– Das ist ja ein versöhnender Zug ...

Jetzt erschien ein Mann in der Tür mit der Mütze in der Hand.

– Wer ist da? schrie der König. Ist es ein Mörder?

– Nein, es ist nur der Gärtner, antwortete der.

– Haha, Gärtner! Deine Kuh hat gekalbt, nicht?

Coctier wurde weiss im Gesicht, als der Gärtner antwortete:

– Ich besitze keine Kuh, Sire, habe nie eine besessen.

Der König geriet ausser sich und flog Coctier an die Kehle:

– Du hast mich belogen, Schurke; nicht Medizin hast du bereitet, sondern Gift.

Der Gärtner verschwand.

– Wenn ich tun wollte, wie ich müsste, sagte Coctier, so behandelte ich dich wie Karl der Kühne tat, als du ihn geprellt hattest.

– Was tat er? Was sagt man, dass er tat?

– Die Leute sagen, er habe dich mit einem Stock geschlagen!

Der König schämte sich und ging wieder zu Bett, wo er das Gesicht in den Kissen barg.

Der Doktor hielt jetzt den Augenblick für günstig, eine lange verweigerte Gnade zu erlangen:

– Willst du jetzt den Mailänder freilassen? fragte er.

– Nein!

– Aber er kann in seinem eisernen Bauer nicht mehr sitzen!

– Dann mag er stehen!

– Weisst du nicht: wenn man sterben muss, sühnt eine gute Tat tausend Verbrechen!

– Ich werde nicht sterben!

– Doch, Sire, du wirst bald sterben!

– Nach dir!

– Nein, vor mir!

– Du hast auch das gelogen ...

– Alle haben dich belogen, Lügner! Und deine viertausend Opfer, die du hast hinrichten lassen ...

– Es waren keine Opfer, es waren Verbrecher!

– Deine viertausend Hingerichteten werden vorm Gnadenstuhl gegen dich zeugen.

– Verlängere mein Leben, dann werde ich mich bessern.

– Lass den Mailänder frei!

– Niemals!

– Dann geh in die Verdammnis! Und bald! Dein Puls ist so niedrig, dass deine Stunden gezählt sind!

Der König sprang auf, fiel vor seinem Arzt auf die Knie und bat:

– Verlängere mein Leben!

– Nein, ich möchte es verkürzen, wenn du nicht ein Gesalbter des Herrn wärest. Rattengift müsstest du haben ...

– Gnade! Ich gestehe, dass ich aus schlechten Beweggründen gehandelt habe; dass ich nur an mich selbst gedacht; dass ich das Volk nie geliebt, es aber benutzt habe, um die Herren zu erniedrigen; ich gebe zu, dass ich Bündnisse und Verträge schloss in der Absicht, sie zu brechen; dass ich ... Ja, ich bin ein armer sündiger Mensch, und mein Name wird vergessen werden; alles was ich getan, wird ausgetilgt werden ...

Ein Fremdling erschien jetzt in der offnen Tür. Es war ein junger Mann in der Ordenstracht der Minoriten.

– Mörder! schrie der König und sprang auf.

– Nein, antwortete der Mönch; ich bin der, den Sie gerufen, Vincent von Paula.

– Mein Retter! Sag ein Wort, ein einziges Wort des Trostes!

– Sire, antwortete Vincent. Ich habe Ihr Bekenntnis gehört und werde Ihnen die Absolution geben kraft meines Amts.

– Sprich!

– Wohlan! Ihre Absichten waren nicht rein, wie Sie selber gestehen, aber Ihr Werk wird nicht vertilgt werden, denn der die Geschicke der Menschen und Völker leitet, benutzt alles und alle für seine Zwecke. Eben war es eine reine Jungfrau, die Frankreich rettete; jetzt ist es ein nicht ganz so untadeliger Mann. Aber Ihr Werk, Sire, war in seinen Folgen von grösserer Bedeutung als das der Jungfrau, denn Sie haben vollendet, was der Römer Caesar begann. Der hundertjährige Krieg mit England ist aus, die Armagnacs und Burgunden raufen sich nicht mehr, der Jacqueriekrieg hat aufgehört und die Bauern sind an ihre Pflüge zurückgekehrt. Elf Provinzen haben Sie gesammelt, Gallien ist ein Land geworden, ein Volk, und wird jetzt die Stelle von Rom einnehmen, das Jahrhunderte lang verschwinden und vergessen werden wird, um vielleicht einst wieder in die Höhe zu steigen. Frankreich wird Europas Geschicke lenken und unter der Königskrone gross und mächtig werden, solange es nicht nach dem Rom der Caesaren mit der Kaiserkrone strebt, denn dann ist es aus! Sire, das haben Sie getan! Danken Sie Gott, dass Sie haben dienen dürfen, ohne den Willen und die Absichten Ihres Herrn zu kennen, als Sie eigene Wege zu gehen glaubten.

– Montjoie Saint Denis! rief der König aus. Herr, jetzt lässt du deinen Diener in Friede fahren ...

– Aber nicht hier! unterbrach ihn der Doktor, der die ganze Geschichte satt hatte. Reis nach Tours zurück, nimm den Priester mit und lass mich in Ruhe!

 

Der König kehrte nach Plessis-les-Tours zurück, wo er seine Tage nach einem schweren Kampf beschloss. Friede bekam er nicht, aber sterben durfte er.

– Jetzt ist die Rute aufs Feuer geworfen, sagte Doktor Coctier. Möge sie verbrennen; die Kinder sind erwachsen und können sich selbst versorgen. Henker haben auch ihre Aufgabe, das weiss Tristan L'Ermite und sein Herr Ludwig XI. Friede sei mit ihnen!


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