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Ismael

Nach dem Tod Gregors des Grossen schien das Christentum in dem ganzen bekannten Europa gesiegt zu haben, in Byzanz, Palästina, Egypten und an der Mittelmeerküste Afrikas. Der Sieger aber wollte sich gerade zur Ruhe begeben, als etwas ganz Neues, Unerwartetes eintrat, welches das Christentum mit Untergang bedrohte und einen neuen Volksstamm auf den Schauplatz brachte. Ismaels Nachkommen, Abrahams uneheliche Söhne, die in Wüsten herumgeirrt waren, die Wüstenwanderung fortsetzend, begannen sich unter Fahnen zu sammeln und sich ein Kanaan zu suchen.

Sechs Jahre nach Gregors Tod wurde der damals vierzigjährige Prophet, Muhamed mit Namen, »erweckt«; und wie eine Feuersbrunst breiteten sich seine Scharen aus, und hundert Jahre später glaubte das christliche Europa, der jüngste Tag sei gekommen. Des Christentums erste Eroberungen, Syrien, Palästina, Kleinasien, Egypten und die afrikanische Küste waren abgefallen und hatten dem neuen Antichrist gehuldigt. Byzanz war bedroht, Sizilien und Sardinien waren genommen, und Italien war in Gefahr.

Von der südlichen Spitze Spaniens konnte man bei klarem Wetter nach der afrikanischen Küste hinüber sehen, wo die Sarazenen wohnten.

Spanien war nämlich ein Land, das, ziemlich entfernt von Rom, sich zu einer der reichsten Provinzen ausgewachsen und entwickelt hatte, nachdem Phönizier und Karthager zuerst den Grund zu einer Zivilisation gelegt. Als sich aber Rom auflöste, stürzten Barbaren, die von der Ostsee kamen und zu den neuen germanischen Völkern gehörten, deren Zukunft Tacitus prophezeit, über Spanien her, gründeten ein Reich oder zwei, und besassen nun am Anfang des achten Jahrhunderts die prächtigen Hauptstädte Toledo und Sevilla.

 

In Sevilla, in dem schönen Andalusien, am Guadalquivir, sass der alte Jude Eleazar in seinem Waffenladen und zählte die Tageskasse.

– Es werden in diesen Zeiten viel Waffen verkauft, sagte plötzlich ein Fremdling, der unbemerkt an den Tisch getreten war.

Eleazar sah auf, fand das Aussehen des wohlgekleideten Fremdlings ansprechend und antwortete vorsichtig:

– Ja, es werden allerdings viel verkauft.

– Erwartet ihr Krieg?

– Hier ist immer Krieg, am meisten jedoch Wortkrieg.

– Du meinst die zwanzig Konzile, die man hier gehalten hat. Die Christen sind sich nie einig.

Eleazar antwortete nicht.

– Entschuldige, fuhr der Fremdling fort, aber ich vergass, wer du bist, und das letzte Konzil möchtest du am liebsten vergessen!

– Nein, niemals! wie sollte ich das?

– Es richtete sich gegen dein Volk ...

– Und mein einziger Sohn, der im Begriff stand, sich mit einer christlichen Jungfrau zu verheiraten, musste sie verlassen, da die Ehe mit Juden verboten wurde ...

– Nun, und wie endete es?

– Er konnte es nicht überleben, sondern legte Hand an sich selbst; und als sie ihm in den Tod folgte, bekamen wir die Schuld; verloren Eigentum und Freiheit.

– Eleazar! rief der Fremdling. Kennst du mich nicht?

– Nein!

– Wenn ich aber meinen Namen nenne, weisst du, wer ich bin: Julius, Graf Julius ...

– Seid Ihr – Graf Julius?

– Ich bin derselbe, dessen Tochter Florinda in Toledo erzogen wurde und König Roderich in die Hände fiel, dem Räuber und Wüstling ... Darf ich zu dir in deine Kammer eintreten? Wir haben uns viel zu sagen!

Eleazar zögerte, obwohl die beiden als gekränkte Väter verlorener Kinder manch Gemeinsames haben mochten. Ihm war nämlich bange vor den Christen, die gerade anfingen die Juden zu verfolgen.

Der Graf verstand das, liess aber den Griff nicht los, denn er schien mit seinem Besuch eine bestimmte Absicht zu haben.

– Lass mich in deine Kammer, und ich will in drei Worten mein Geheimnis und deins sagen.

Eleazar wollte nicht nachgeben, begann aber zu parlamentieren.

– Sagt ein Wort! Ein einziges, das mich überzeugt! bat er.

– Oppas! Da hast du eins!

Eleazar öffnete die Augen, bat aber um noch ein Wort.

– Zijads Sohn!

– Noch besser! sagte Eleazar. Jetzt aber das letzte!

– Bar-Koch-Ba!

Eleazar reichte ihm seine Hand.

– Tretet ein unter mein Dach, esst von meinem Brot und trinkt von dem gesegneten Wein.

In einem Augenblick war der Laden geschlossen, und die beiden Alten sassen beim Abendbrot in der Ladenkammer.

Das Gespräch war im Gang.

– Wir Hebräer sind einige Hunderttausend hier in Spanien. Als nämlich Kaiser Hadrian zum letztenmal Jerusalem zerstört hatte, schickte er fünfzigtausend Hebräer hierher. Das ist sechshundert Jahre her, und wir haben uns natürlich vermehrt: ja bis zu der Menge, dass man neunzigtausend von den Unsrigen zur Taufe zwingen konnte ... Auch ich bin getauft, aber ob sie mich auch mit Wasser begossen haben, ich habe den Glauben meiner Väter behalten, und wie könnte ich anders? Die Christen haben keinen Glauben, sondern viele. Die Synode, die 589 in Toledo tagte, lehrte zum Beispiel, dass der Heilige Geist nicht bloss vom Vater, sondern auch vom Sohn ausgeht. Aber die Synode von 675 verkündete, der Sohn sei nicht nur vom Vater, sondern auch vom Heiligen Geist gesandt. Das ist ja Unsinn, und darum fallen sie selber von ihrer Lehre ab. Statt aber zum alten Testament zurückzufallen, das die Mutter des neuen ist, stürzen sie in Unglauben und Heidentum. Das ist der Fall mit Erzbischof Oppas selber in Toledo, der sich Christushasser nennt, und lieber den Islam anerkennt als Rom.

– Kennst du Oppas?

– Er ist unser Mann!

– Du nennst den Islam: was meinst du zu der Lehre?

– Das ist ja unser heiliger Glaube: Ein einziger Gott, der Einzige und Wahre! Und der Prophet ist ja Abrahams Nachkomme, der die Verheissung geerbt hat. Ismael war ja von der Magd, aber doch Abrahams Same!

– Aber Muhamed vertrieb die Juden aus Arabien.

– Ja, das tat er; er war nicht vollkommen; das hat sich jedoch geändert, alles ändert sich, um so besser. Muhamed bekam seine ersten Eindrücke von seinem Vetter Wuraka, der von jüdischer Herkunft war, und anfangs war Muhamed sehr freundlich gegen Israel gestimmt; ja nicht gen Kaaba sollten sich die Gläubigen im Gebet wenden, sondern gegen Jerusalem. Es gibt auch eine Überlieferung, der Prophet sei Jude gewesen; und das kann man sagen, da er Araber oder Ismaelit war, was dasselbe ist.

– Und Ihr wollt jetzt lieber unterm Halbmond dienen als unterm Kreuz?

– Gewiss!

– Und Simon, den Ihr Bach-Koch-Ba nennt, steht in Unterhandlung mit dem Erzbischof Oppas, um Roderich zu stürzen?

– Das ist die Wahrheit!

– Gut, dann bin ich dabei! Aber merk genau auf das, was ich sage: Wenn unser gemeinsames Ziel der Sturz des Westgotenkönigs ist, so habe ich als Gouverneur von Ceuta auf der afrikanischen Seite mich beim Emir Mussa al Nazir und seinem Oberst Tarik Zijads Sohn erkundigt, ob sie uns vielleicht gegen Schadenersatz von Ceuta und Umgegend Hilfe leisten. Glaubst du, man wagt den Sturm loszulassen?

Eleazar kaute seinen Bart.

– Ist er nicht los? sagte er trocken.

– Seid Ihr weiter gekommen, als ich weiss?

– Was wisst Ihr?

– So, so, Ihr seid so weit? – Nun gut! Mit meinem schönen Spanien ist es dann zu Ende!

– Nichts geht zu Ende, es ändert sich nur, nachdem es seine Zeit gehabt. Spanien hatte seine Zeit als es Rom Kaiser gab: Trajan, Hadrian, Antonius, Mark Aurel, Theodosius, die ebensogut Iberer und Phönizier sein könnten. Spanien gab Rom Gelehrte und Dichter: Seneca, Lucan, Martial, Quintilian, Pomponius Mela, Columella. Das sind fünfhundert Jahre her, und jetzt haben wir die Barbarei gehabt unter christlichen Nordländern von der Ostsee. Jetzt können wir etwas Morgenland gebrauchen!

– Glaubst du an die Zukunft des Islams?

– Ja, allerdings! Mussa hat geschworen, dass er Hannibals Weg über Gallien und Germanien nach Rom gehen wird, um die »Heiden und Frauenverehrer« zu dem einzigen wahren Gott zu bekehren.

– Das weisst du? Dann gibt es keine Umkehr?

– Nein! Es ist zu spät! Am neunzehnten Juli geht der Halbmond auf über Spanien, und er wird wohl seinen Wechsel bis zum Vollmond aushalten. Was dann folgt, wissen wir nicht, und das geht uns nichts an, denn Einer herrscht, der Herr Zebaoth.

 

Am siebzehnten Juli des Jahres 711, als es dunkel geworden, wurden Feuer auf der südlichsten Spitze Spaniens, Punta de Europa, angezündet. Und auf der afrikanischen Küste, zwei Meilen davon, antwortete man mit ähnlichen Signalen.

Ein westlicher Wind wehte vom Ozean und führte eine sarazenische Flotte mit fünftausend Mann in Waffen und mit Pferden heran.

Auf der Spitze Europas, die später Gibraltar hiess, hoch oben auf der abschüssigen Klippe standen langbärtige Bürger und schürten die Feuer, warfen Brennholz darauf, bliesen in die Glut.

Am Morgen landete die Vorhut am Fuss der Klippe, und damit begann die Eroberung von Spanien durch die Mauren.

Mussa Ibn Nassir kam am folgenden Tage mit der Hauptmacht.

Der Westgotenkönig versammelte schleunigst hunderttausend Mann, und sich unüberwindlich glaubend, fuhr er hin, sich den Sieg anzusehen. In Seide und Gold gekleidet, wie ein byzantinischer Kaiser, lag er in einem Wagen von Elfenbein, der mit zwei weissen Mauleseln bespannt war, und ihm folgten Mundschenke und Haremsfrauen.

Drei Tage lang ging alles gut, aber am vierten geschah etwas Unerwartetes.

Zwischen den Bergen und Flüssen von Andalusien eingeschlossen, vermochten sich seine Scharen kaum zu rühren, und der König hatte sich am Ufer des Guadalete gelagert. Da sah er von den Höhen sein Volk wie einen Fluss herunterstürzen, die eine Abteilung unter dem Erzbischof Oppas, die andere unter dem Grafen Julius.

Roderich, der glaubte, sie flöhen vorm Feind, brach das Lager auf, konnte aber nicht umkehren, sondern wurde in den Fluss hinunter gedrängt. Schwimmend wollte er das andere Ufer erreichen, da aber stiess er auf Bogenschützen.

Auf einem roten Klepper kam eine Amazone ans Ufer gesprengt und richtete ihren Bogen auf den Ertrinkenden, der sich mitten in der Strömung hielt.

Auf dem andern Ufer sah er seine Scharen, die Halt gemacht hatten, mit weissen Fahnen den Feinden auf der gegenüberliegenden Seite zuwinken, also das Zeichen des Friedens geben!

Als er verstand, dass Verräterei im Spiel war, ging er auf den Grund, und mit ihm das ganze Westgotenreich.

Mussa zog sofort nach Toledo, ehe eine neue Königswahl stattfinden konnte, und damit war der Islam zu Hause in Europa, und blieb dort bis 1492.

Die Juden, die den Mauren die kräftigste Hilfe geleistet, wurden sofort befreit, und in jede einzelne Stadt Spaniens wurde ein Jude als Statthalter gesetzt.


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