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Apostata

Dreihundert Jahre und einige nach Christi Geburt hatte die Geschichte der Welt ihren Tespiskarren vom Mittelmeer nach Osten geschoben. Griechenland war in die ewige Ruhe eingegangen, Rom lag in Ruinen und war ein Vasallenstaat geworden, Jerusalem war zerstört, Alexandria am Nildelta heruntergekommen. Die Hauptstadt der Welt lag am schwarzen Meer und war eine halb morgenländische Kolonie, genannt Byzanz, oder nach Konstantin dem Grossen Konstantinopel. Die heidnische Welt lag brach, und das Christentum war Staatsreligion geworden. Aber der Geist des Christentums hatte das Kaisertum nicht durchdrungen; die Lehre war da, viele Lehren, aber der Hof lebte schlimmer als die Heiden, und der Weg zum Thron in Byzanz ging gewöhnlich über Mord.

Während aber Europa nach dem Orient gegangen war, waren gleichzeitig neue Eroberungen im Westen und im Norden gemacht. Die Römer hatten fünfzig Städte am Rhein gegründet, und ganz Gallien lag seit Caesars Zeit unter römischen Pflügen und verehrte römische Götter in römischen Tempeln.

Als jetzt das Christentum in Gallien eingeführt werden sollte, stiess das auf Schwierigkeiten. Des Landes eigene Religion, der Druidenkult, war eben vom Kaiser Claudius verboten worden, und der römische war eingeführt. Dass nun unmittelbar darauf die eine Veränderung nach der anderen kommen sollte, sprach die Nation nicht an. Darum befand sich Gallien in einem Zustand der Auflösung, aus dem jedoch etwas Neues zu wachsen versprach.

Unter der Regierung Konstantius' aber erhoben sich Gefahren von andrer Seite gegen die neugebildeten gallischen Provinzen. Germanische Stämme, Franken und Allemannen, wurden von den Lieblichkeiten des fetten Landes angelockt, wo ja die Berge von Wein trieften und die Ebenen mit gelbem Weizen überschüttet waren.

Um die beste Provinz zu schützen, und vielleicht auch aus anderen Gründen, sandte der Kaiser seinen Vetter und Schwager, Julianus, die Germanen zu bekriegen.

Julianus war allerdings im Kloster und auf der Universität erzogen, scheint aber den Krieg verstanden zu haben, denn er schlug die Usurpatoren, und zog darauf nach Lutetia Parisiorum.

 

Die Legionen waren den Mons Martis oder Martyrorum hinaufgezogen, wie er abwechselnd genannt wurde. An der Spitze ging der unbedeutende Mann mit dem Philosophenbart, Julianus, zum Caesar ernannt, darum aber nicht zum Kaiser.

Hoch oben auf dem Gipfel des Berges stand ein Marstempel, aber er war geschlossen. Da das Heer sich gelagert hatte, trat Julianus allein an den Abhang, um die Stadt Lutetia zu beschauen, die er noch nie gesehen.

Auf der Insel zwischen den beiden Armen des Seineflusses lag der Plan der Stadt, mit dem Jupitertempel; der Kaiserpalast und das Amphitheater waren auf dem Abhang des Berges des Parnasses am linken Flussufer zu sehen.

Seit dreihundert Jahren, von Caesars Zeit an, hatten die Kaiser zeitweise hier geweilt, und jetzt zuletzt hatten Konstantin der Grosse und Konstantius das Lutetia der Pariser bewohnt.

Als der gedankenvolle Caesar eine Weile das Tal mit dem Fluss betrachtet hatte, brach er aus:

– Urbs! Das ist ja Rom! Ein Fluss, ein Tal und Hügel, sieben oder mehrere, ganz wie in Rom; seht ihr nicht, wir stehen auf dem kapitolinischen Berg; auf der andern Seite haben wir Janiculum, den Berg des Parnasses; und im Norden bildet der Mons Valerianus ja unsern Vaticanus. Und die Stadt auf der Insel! Die Insel gleicht ja einem Schiff, ganz wie die Tiberinsel, auf der man einen Obelisk als Mast errichtet hat, so auffallend war die Ähnlichkeit! Caesar war doch wohl zu originell, um haben kopieren zu wollen! – Sie nennen Byzanz das Neue Rom, aber Rom ist wie der Wurm; wenn man den in zwei Stücke schneidet, so wird immer ein lebendes Wesen aus jedem Stück. Was sagst du, Maximus?

– Die Stadt der sieben Hügel und der sieben Könige war Rom; wie viele es hier werden, kann niemand sagen.

– Daran habe ich nie gedacht, antwortete Julianus, dass Rom nur sieben Könige gehabt hat wie die Hügel ... ein seltsamer Zufall!

Maximus, der Mystiker, der gleich dem Sophisten Priscus den Kaiser stets begleitete, um ihm Gelegenheit zum philosophieren zu geben, wandte sofort ein:

– Es gibt keine Zufälle, Caesar; alles ist berechnet und gezählt, alles ist in bewusster Absicht geschaffen, und in Übereinstimmungen, die Veste des Himmels und das Rund der Erde ...

– Das hast du in Egypten gelernt, unterbrach ihn Priscus; denn die Egypter sehen ja den Nilstrom im Sternbild Eridanus. Möchte wissen, unter welchem Bild dieses Lutetia liegt!

– Es liegt unter der Andromeda wie Rom, antwortete Maximus, aber Perseus herrscht über das heilige Land, so dass Algol über Jerusalem steht.

– Warum nennst du das verfluchte Land heilig? unterbrach ihn Julianus, der seinen sonst ruhigen Geist nicht beherrschen konnte, sobald man von etwas sprach, was das Christentum betraf; denn das hasste er.

– Ich nenne das Land heilig, weil dort der Erlöser der Welt geboren ist. Und du weisst, dass der ohne Vater geboren wurde, wie Perseus! Du weisst auch, dass Perseus Andromeda erlöste, wie Jesus Christum Rom und Lutetia erlösen wird.

Julianus schwieg, denn er war als Neuplatoniker empfänglich für Analogien mit Perspektiven über das Endliche, und das poetische Bild war für ihn mehr als ein oratorischer Schmuck.

In einem Kloster von christlichen Priestern erzogen, hatte er früh einen Einblick in die neuen Lehren des Christentums getan; mit seiner philosophischen Bildung aber hatte er zu bemerken geglaubt, dass der Same des Christentums bereits bei Sokrates und Plato gekeimt habe; und als er dann die Bekanntschaft der Neuplatoniker machte, fand er eigentlich nichts an den eben diktierten Dogmen des Christentums auszusetzen. Aber ein grenzenloser Hass gegen diese Galiläer ergriff ihn, die sich jetzt alle Weisheit der vergangenen Zeit aneignen und ihr ihren Namen geben wollten. Das waren Diebe für ihn!

Dass Christus Gottes Sohn war, fand er ganz natürlich: denn als Pantheist glaubte er ja, dass die Seelen aller Menschen von Gott geboren sind und Teil an Ihm haben. Er selbst bekannte den jüngst angenommenen nicaeischen Glaubensatz, der Sohn ist des selben Wesens wie der Vater, wenn er ihn auch auf seine Art auslegte. Wunder geschahen alle Tage und konnten von Zauberern nachgeahmt werden. Den Sündenfall erkannte er an, denn Plato hatte ja auch erklärt, die Seele sei in der Materie gefangen, in der sündigen Materie, die wir bekämpfen müssen. Und das hatte Paulus in seinem Brief an die Römer bestätigt, wenn er sagt: »Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, tue ich.« Und ferner: »Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt ... Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?« – Das war die Klage des denkenden und erkennenden Menschen über die Gefangenschaft in der Materie: der Ekel des Menschengeschlechts über sich selbst.

Julianus hatte, als tief empfindender und hoch strebender Geist, diesen Druck gefühlt, und er hatte redlich gegen die Begierde des Fleisches gekämpft, und zwar mit Erfolg. Unter Mördern und Lüstlingen aufgewachsen, in dem unerhörten Luxus des byzantinischen Hofes, wo er z. B. anfangs tausend Barbiere und tausend Köche besass, hatte er sofort den Luxus abgeschafft, lebte selbst wie ein christlicher Asket, handelte recht und dachte edel. Die Gefangenschaft in der Materie oder der Sünde hatte er vollständig begriffen, von der Erlösung aber durch Christus verstand er keine Spur. Dreihundert Jahre waren vergangen, seit Christus geboren wurde, und die Welt war immer elender geworden. Die Christen, besonders seinen Oheim Konstantin den Grossen, hatte er schlimmer als Heiden leben sehen; und als junger Mensch hatte er die neue Lehre in seinen Seelenkämpfen erprobt: er hatte zu Christus gebeten wie zu Gott, war aber nicht erhört worden.

Als er dem gläubigen Eusebius sein Leid klagte, hatte dieser geantwortet:

– Seid geduldig in der Hoffnung! Fahret fort im Gebet!

Der Jüngling aber erwiderte:

– Ich kann nicht geduldig sein!

Darauf Eusebius:

– Die Erlösung kommt, aber nicht zu unserer Zeit. Tausend Jahre sind wie ein Tag vor dem Herrn Gott! Warte fünf Tage, dann wirst du sehen!

– Ich will nicht warten, raste der Jüngling.

– So sagen die Verdammten auch. Aber, siehst du, die Ungeduld ist eine von den Plagen der Hölle, und du schaffst dir deine Hölle selbst mit deiner Ungeduld!

Julian wurde Christushasser, ohne eigentlich zu wissen, warum. Die Philosophen lehrten es ihn nicht, denn die passten das Christentum ihrer Philosophie an. Celsus' einfache Widerlegung hatte Julians reifen und gebildeten Verstand auch nicht verführt.

Eusebius erklärte den Christushass seines Schülers also: »Er hat heidnisches Blut im Leib, denn er ist von illyrischer Herkunft; er gehört wohl nicht in diesen Schafstall. Oder ist sein Hochmut so grenzenlos, vielleicht sein Neid so gross, dass er im Reich des Geistes keinen Alleinherrscher duldet? Er lebt ja selbst wie ein Christ und lehrt dasselbe wie Christus, ist aber doch ein Christushasser.«

 

Inzwischen hatte sich der Caesar, um seinen Zorn zu verbergen, dem kleinen Marstempel auf dem Hügel genähert. Das Gebäude war verfallen, die Türen fortgetragen und die Säulen gesprungen.

Als er in die Zelle eintrat, sah er das Marsstandbild, das nach einem guten griechischen Ares gemacht war, in der Apsis; aber die Nase war abgeschlagen, die Finger fehlten und die ganze Statue war mit Schmutz bestrichen.

– Das haben die Galiläer getan! sagte Julian, aber das sollen sie bezahlen.

– Das haben sie bereits mit ihrem Leben bezahlt! antwortete Maximus. Dionysius wurde auf diesem Hügel enthauptet, und seine Kapelle ist dort unten am Abhang zu sehen.

– Bist du auch Galiläer?

– Nein, aber ich liebe die Gerechtigkeit!

– Die Gerechtigkeit und deren Göttin Asträa haben die Erde verlassen, als das eiserne Zeitalter begann, und jetzt sitzt sie als Stern am Himmel.

– Im Tierkreis, fiel Priscus ein; ich glaube auch, wir leben alle in Tierkreisen, und da hat die Gerechtigkeit keinen Platz!

Gemurmel war vom Lager zu hören. Julian stieg auf einen Steinhaufen, um nachzusehen, was es gab.

Die ganze nordöstliche Seite des Marsberges war von Soldaten bedeckt, und unten im Tal waren Zelte und Lagerfeuer zu sehen. Diese Tausende stammten von allen Völkern der Welt. Da waren Römer, Griechen, Egypter, Neger, Hebräer, Perser, Afghanen, Skythen, Germanen, Briten und Gallier. Jetzt aber waren sie in Bewegung und bildeten ein Gewimmel, wie wenn Mücken tanzen.

– Was verursacht die Unruhe? fragte Julian.

Eine kleine Glocke von der Denis-Kapelle läutete Angelus, und die Christen waren auf die Knie gefallen, während die Heiden stehen blieben oder in ihrer Beschäftigung fortfuhren. Die Christen hielten sich für gestört, und die Heiden auch.

– Diese Religion, sagte Julian, die alle sammeln sollte, sondert nur. Wenn die Kirchenversammlungen, statt neue Bekenntnisse zu formulieren, alle Formen gesprengt und einen freien Kultus verkündigt hätten, mit Lobgesang und Anbetung des Allerhöchsten, dann hätten alle Völker im Namen des Namenlosen ihr Knie gebeugt. Aber seht die Christen! Da das Gesetz auf ihrer Seite ist, haben sie die Oberhand, und darum zwingen sie die Heiden, ihren Galiläer zu verehren! – Aber helfen werde ich ihnen nicht. Nationen kann ich zusammen halten, über Bekenner aber vermag ich nichts! – Lasst uns in die Stadt gehen; in diese Sache will ich mich nicht mischen.

Einige christliche Tribunen näherten sich Caesar, in der sichtbaren Absicht zu klagen, er aber winkte ihnen, dass sie umkehren sollten und dass er nicht mit ihnen sprechen wolle.

 

Julian hatte zu Fuss und mit seinen Philosophen Einzug in Lutetia gehalten. Generale oder andern Befehl hatte er nicht mitgenommen, weil er sich nicht auf sie verliess.

In der neuen Stadt fand er das Rom der Caesaren in Miniatur. Hütten mit Strohdächern bildeten allerdings den Kern, aber da waren mehrere Tempel und Kapellen, eine Praefektur, ein Forum und ein Amphitheater. Das Forum oder der Markt war von Pfeilergängen umgeben, in denen Handelsleute und Wechsler ihre Läden aufgeschlagen hatten; und die eine Kurzseite wurde von der Praefektur gebildet, in der auch der Aedil und der Quaestor wohnten.

Vom Volk unbemerkt und nicht gekannt, ging der Caesar in die Praefektur. Im Vestibül sah er christliche Symbole. Das Kreuz, den Fisch, den guten Hirten und dergleichen. Das Christentum war allerdings Staatsreligion, aber der Hass des Caesars gegen alles Christliche war so gross, dass er die Bilder nicht sehen konnte. Er ging also wieder hinaus, rief den Praefekten herunter und befahl ihm, den Weg nach dem Kaiserpalast auf der linken Seite des Flusses zu zeigen.

Und dort richtete er sich ein, selbst eine einfache Kammer einnehmend, die einer Mönchszelle glich.

Da er viele Umwege hatte machen müssen, seit er Byzanz verlassen, und da die Züchtigung der Franken und Allemannen Zeit gekostet, waren Briefe vor ihm angekommen. Darunter war einer vom Kaiser, der Julian viel Kummer machte.

Die Stellung des Kaisers zum Vetter Julian war immer etwas zweideutig gewesen, beinahe feindlich; und jetzt nach den gewonnenen Siegen hatten Neid und Furcht den Geist des byzantinischen Despoten eingenommen. Der Brief enthielt den Befehl an Julian, die Legionen sofort zurückzusenden, da der Krieg zu Ende sei.

Julian sah die Gefahr, wenn er das wiedergewonnene Land von der Verteidigung entblösste, aber sein Pflichtgefühl und seine Rechtschaffenheit geboten ihm zu gehorchen, und ohne Zögern sandte er das Edikt des Kaisers ins Lager.

Dies geschah am Abend des ersten Tages.

 

Am folgenden Morgen war Julian mit seinem gelehrten Stab auf Wanderung hinaus gegangen. Sie stiegen langsam über den Berg des Parnasses und streiften durch den Eichenwald auf der nördlichen Seite, gebahnte Wege verlassend.

Es wurde gewaltig philosophiert und disputiert, und Zeit und Ort vergessend, verirrte sich die Gesellschaft immer tiefer in den Wald.

Schliesslich hatten sie einen offenen Platz erreicht, wo äsende Rehe die Flucht ergriffen, und dort liessen sie sich auf seltsam geformte Steine nieder, die in einem Kreis lagen. In den Eichen über ihren Köpfen waren grosse, grüne Büsche von andrer Farbe als die der Baumblätter zu sehen, und die hielten sie für Vogelnester.

– Noch nie habe ich soviel Krähennester auf einmal gesehen, sagte Caesar.

– Das sind keine Krähennester, Hohe Gnaden, antwortete der Schreiber Eleazar, der als Sekretär Dienst tat. Das ist die heilige Mistel, die auf der Eiche wächst und durch Einwirkung kosmischer Kräfte diese Kugelform annimmt, welche die der Erde wie die der übrigen Himmelskörper sein soll.

– Ist das ...

– Ja, und wir scheinen in einen heiligen Opferhain eingetreten zu sein, in dem die Urgötter des Landes noch von Druiden verehrt werden, trotzdem ihr Kult verboten ist.

– Verboten, trotz des Kaisers Edikt über die Religionsfreiheit, fiel der Sophist Priscus ein.

Julianus liebte es nicht an diese Freiheit erinnert zu werden, durch die das Christentum Freiheit erhalten hatte, die andern Bekenntnisse zu unterdrücken. Er erhob sich, und mit ihm seine Gesellschaft, um die Wanderung fortzusetzen.

Sie hatten nach einer Weile Suresnes und seine Weinberge erreicht, wo Feigen- und Pfirsichbäume die Mauern einfassten. Als sie auf eine Anhöhe gestiegen waren, sahen sie das ganze Seinetal vor sich liegen, mit seinen Feldern, Gärten und Villen.

– Das ist ja das gesegnete Land von Kanaan! brach Julian aus, von dem schönen Bild hingerissen.

Auf der andern Seite des Flusses erhob sich der Marsberg mit seinen Tempeln und Kapellen; und wo der Bergboden entblösst war, glänzte stellenweise der weisse Kalk, einer unendlichen Menge Zelte gleich, die auf den Höhen aufgeschlagen.

Die Philosophen standen lange da und betrachteten die Aussicht, als ein Getöse zu hören war, wie bei einem herannahenden Gewitter. Doch war keine Wolke zu sehen und das Gefolge blieb fragend und lauschend stehen.

Das Getöse nahm zu und wurde zu Geschrei, Geheul, Waffengerassel.

Jetzt schien der Marsberg in Bewegung zu kommen; es wimmelte auf seinem Scheitel, und blanke Blitze schossen heraus. Wie ein Fluss begann das Bewegliche und Glänzende sich den Berg hinunter zu wälzen, der Stadtseite zu.

Da verstand man.

– Das sind die Legionen, die sich empören! warf Maximus hin.

– Das Edikt hat gewirkt!

– Sie suchen ihren Caesar!

– Dann bleibt nur übrig, umzukehren und heimzugehen.

Die Gesellschaft schlug den Weg längs des Flussufers ein und folgte ihm stromaufwärts, um ein Auge auf das Vorhaben der Legionen werfen zu können.

Immer gewaltiger stürzte der dunkle Fluss mit seinem Glitzern von blanken Waffen und Helmen.

Ihre Schritte beschleunigend, erreichten die Wanderer den Palast, in dem grosse Bewegung herrschte.

Julian war von Natur ein mutiger Mann, aber die Schüchternheit des Denkers machte ihn oft scheu vor öffentlichem Auftreten. Er ging darum durchs Badehaus hinein und suchte seine einsame Kammer auf, um abzuwarten, was geschehen würde. Er ging im Zimmer auf und ab, in grosser Unruhe, als sollte sein Schicksal eben jetzt fürs ganze Leben entschieden werden.

So kam es, was er beinahe wusste.

Rufe von der Hofseite waren zu hören:

– Ave Caesar Julianus Imperator!

– Wir wählen Julian zum Kaiser!

– Julian das Diadem!

– Tod dem Konstantius, dem Mörder und Weichling!

Es gab keine Zweifel mehr! Die Legionen hatten Julian zum Kaiser ausgerufen, denn sie wollten dieses gelobte Land nicht verlassen, dessen Eroberung ihr Blut gekostet hatte.

Julian, der nicht nach der Macht gestrebt hatte, weil er die Verantwortung fürchtete, wollte Widerstand leisten, aber Gesandte vom Heer warnten ihn:

– Wenn du die Wahl nicht annimmst, wirst du tot geschlagen!

– Wer nicht zu herrschen wagt, der soll geknechtet werden!

Damit war Julian Kaiser über das grosse Reich, das sich vom schwarzen Meer bis zum atlantischen Ozean erstreckte.

 

Die Nacht, die auf diesen Tag folgte, brachte der Kaiser in Nachdenken zu; und als er am Morgen nach einem Bad sich seinen Freunden zeigte, war er beinahe nicht wieder zu erkennen. Er hatte buchstäblich die Maske abgeworfen und zeigte ein neues Angesicht mit neuen Ausdrücken, beinahe neuen Zügen. Trotz seinem rechtschaffenen Charakter war Julian gezwungen worden, wie Konstantin in einer beständigen Heuchelei zu leben, indem er diese christliche Lehre, an die er nicht glaubte, begünstigen und ausüben musste. Ja, er war sogar genötigt worden, die Dreieinigkeit und Christi Gottheit des nicaeischen Konzils zu bekennen, Gottesdienste zu besuchen, Fasten zu beobachten. Jetzt wie er die Macht in seine Hände bekam, war das Erste, seine Freiheit zu benutzen und der zu sein, der er war.

Seine erste Handlung war, die Schafe von den Böcken zu scheiden, das heisst alle Galiläer auszusondern und sie eigene Legionen bilden zu lassen, unter dem Vorwand, die Christen könnten ihre religiösen Gebräuche dann besser ausüben. Gleichzeitig aber umgab er seine Person nur mit Heiden vom alten Stamm: Hebräern, Syrern, Persern und Skythen, mit aller Art Volk ausser den Christen.

Zugleich legte er den schimmernden Purpur und das glänzende Diadem des Imperators an, schnitt und vergoldete den Bart und zeigte sich draussen nur zu Pferd und mit grossem Gefolge.

Als das getan war, ging er daran, die Huldigung vom Volk entgegenzunehmen, und zu dem Zweck beschloss er das Theater anzuwenden. Dort wollte er Aeschylos' Trilogie Prometheus aufführen, die damals noch vollständig vorhanden war. Schauspieler brachte er selber mit und das Theater stand bereit. Das Gerücht hiervon hatte sich bald in der Stadt verbreitet, und wurde mit Jubel von den Heiden aufgenommen, während die Christen verstimmt wurden. Das niedrige Volk hatte allerdings Gladiatorenspiel und Tierhetzen erwartet, aber eine »Komödie« war ja immer willkommen.

Der Tag war da, und die Stadt festlich geschmückt. Das Spiel sollte vom Morgen bis zum Abend dauern, ohne Pausen für Mahlzeiten; und da der Frühling sich kalt und unbeständig gezeigt hatte, wurde man ersucht, das Kleidungsstück Cucullus mitzubringen, einen römischen kurzen weiten Mantel mit Kapuze, der um so nötiger war, als das Theater unter freiem Himmel stand.

Caesar, nunmehr Augustus, fand sich zur bestimmten Zeit im Theater ein, von seinen Philosophen begleitet, die in einiger Entfernung Platz nehmen mussten, denn der Caesar sass in der Staatsloge, in die er Präfekt, Aedil und Quaestor befohlen hatte.

Er war etwas verwundert, diese Vorsteher der Stadt dort nicht zu finden, und da der Aedil Chef des Schauspiels war, wagte man nicht anzufangen, bevor er kam.

Das Volk hatte sich erhoben, als Caesar eintrat, und viele Tribunen hatten Lebehoch gerufen; darauf aber entstand ein unangenehmes Schweigen, während dessen der Kaiser mit kaltherziger Neugier betrachtet wurde.

Als dieser schliesslich des Wartens müde wurde, rief er seinen Sekretär, den Hebräer Eleazar, und befahl ihm, auf die Praefektur zu gehen, um die Ursache des Ausbleibens zu erfahren, zugleich aber gab er das Zeichen zum Beginn des Schauspiels.

Die Schauspieler traten ein, und am Altar nahmen sie die uralte Opferung vor, welche die Tragödie einleitete. Da nun die blutigen Opfer aus allen Religionen fortgefallen waren, sogar aus der der Juden, nach der Zerstörung des Tempels unter Titus im Jahre 70 nach Christus, so zog sich die ungewöhnliche Handlung grosse Neugier zu. Die Legionäre waren ja gewohnt, Blut zu sehen, aber die Bürger der Stadt und ihre Frauen wandten sich fort, als der Bock dem Dionysos geschlachtet wurde.

Den Grund, aus dem Julian diesen Brauch von neuem einführen wollte, suchte man in seinem lobenswerten Streben, alle Religionen zusammenzuschmelzen und in den Zeremonien aller einen tieferen Sinn zu sehen. Das Opfer war ja eine Gabe, eine Aufopferung und eine geäusserte Dankbarkeit; aber der Mystiker Maximus hatte den Kaiser auch überzeugt, dass im Blut selbst, der Quelle des Lebens, verborgene Kräfte liegen, die geistige Mächte von niedrigerem Rang anziehen. Das Menschenkind vergoss das Blut seiner Mutter bei der Geburt, und die heilige Handlung der Beschneidung sollte an die blutige und schmerzhafte Operation der Geburt erinnern. Auf den Gräbern der Häuptlinge wurden Sklaven geschlachtet und noch unter Julius Caesar hatten die Römer bei einer ausserordentlichen Gelegenheit dreihundert Gefangene geopfert. Von diesen und ähnlichen Philosophemen eingenommen, wurde Julian auf einen Weg gelockt, der ihn ins Verderben führen sollte.

Nach der Opferung, über welche die Soldaten gelacht und die Frauen geweint hatten, begann das Schauspiel in der eigenen Sprache des Dichters. Griechisch wurde ja von allen Gebildeten gesprochen, von Palästina bis nach Gallien; aber die Ungebildeten konnten es nicht, und darum sassen die Bürger unaufmerksam da.

Als der Chor zum zweitenmal eintrat, kam Eleazar mit dem Bescheid zurück.

– Dies ist geschehen, sagte er, sich seines Auftrags entledigend. Der Bischof von Sens, der Primas der gallischen Kirche, ist in die Stadt gekommen und hält jetzt eine Messe in der Kirche. Die hohen Beamten sind anwesend, und sie entschuldigen sich beim Kaiser; sie glaubten, er wisse, dass die Christen nie Theater besuchen, und sie berufen sich auf die Religionsfreiheit.

Der Caesar wurde weiss im Gesicht.

– Gut! Das sollen sie mir bezahlen! Jetzt, Eleazar, Jude, sollst du dich neben mich setzen und mit mir plaudern. Die Schauspieler sind erbärmlich und ich kann ihre griechische Aussprache nicht leiden.

Eleazar machte Einwendungen, aber der Wille des Kaisers duldete die nicht.

Der Vormittag schleppte sich hin, und als der erste Teil der Trilogie zu Ende war, schien ein Teil des Publikums davon schleichen zu wollen, aber die Ausgänge waren geschlossen, denn man wollte nicht vor leeren Wänden spielen und dem Kaiser auch nicht Geringschätzung zeigen.

Doch die Unlust des Publikums wurde immer grösser, denn man war müde und hungrig. Dass der Jude in die Loge des Kaisers aufgenommen wurde, war auch unangenehm aufgefallen. Nicht weil er Jude war, denn der Judenhass entstand viel später, nach den Kreuzzügen. In den ersten Jahrhunderten wurden die Juden mit den Christen verwechselt, weil man glaubte, die neue Lehre stamme aus dem Judenland und sei eine Fortsetzung der mosaischen. Darum sah man also Eleazar nicht scheel an, sondern mehr seines unansehnlichen Aussehens und seiner geringen Stellung wegen. Es war eine Herausforderung, am meisten aber gegen die Christen, denn der Jude war doch nun einmal ein Fremdling und ein Heide.

Als nun in der zweiten Abteilung Prometheus an den Felsen festgenagelt wurde, musste der Schauspieler an den Gekreuzigten als Vorbild gedacht haben, und er nahm wirklich dessen Stellung ein, streckte die Arme aus und liess den Kopf auf die Brust sinken.

Auch das Volk begann aufmerksam zu werden und da es die Sprache nicht verstand, auch nie die Mythologie kennen gelernt hatte, glaubte es, man spiele das Leiden Christi. Da dessen Darstellung noch nie auf die Bühne gekommen war, fiel sie unangenehm auf, so dass man halblaute Gespräche begann.

Der Kaiser war zornig und bewegte nicht einen Muskel, und wenn der ruhige Mann böse wurde, verlor er den Verstand. Er sass da in seinem Schweigen und entwarf Pläne gegen diese Barbaren, welche die Weisheit der Vorfahren vergessen hatten. Die Mittagszeit war da und die Ungeduld wurde immer deutlicher.

Da begann der Himmel sich mit Wolken zu bedecken und einige Schneeflocken fielen langsam wie weisse Federn. Die Mäntel hatten, zogen sie über den Kopf. Die Schauspieler sahen nach der Loge des Kaisers, der aber rührte sich nicht, obwohl er kein Dach über dem Kopf hatte. Er war Krieger und durfte vor etwas so Geringem wie rauhe Witterung keine Furcht zeigen.

Jetzt begann Prometheus der lo zu weissagen von dem, der geboren werden, Zeus stürzen und Prometheus befreien solle. Die Gebildeten Christen wie Heiden, sahen sich fragend an, als Io sprach: Was sagst du? Ich gebäre dir den Retter?

Als da Prometheus antwortete:

Der dritte Spross nach zehn Familien ist's! brach ein Gemurmel im Theater aus.

Zehn Familien, das war in runder Zahl 700 Jahre, oder gerade bis Christi Geburt, da die Zeitrechnung der Christen mit 763 begann, dem Ende der mythischen Ära, in deren Epoche das Stück spielen sollte.

Julian merkte, dass er Holz zum Feuer getragen, den Christen entgegengekommen war, ohne es zu wollen. Aeschylos hatte Christi Ankunft genau aufs Jahr vorhergesagt, und dass er Zeus stürzen werde – mehr war für die rechtgläubigen Athanasianer nicht nötig, um die Arianer, die Christi Gottheit leugneten, zu zermalmen.

Der Schnee fiel immer dichter, und es wurde schliesslich ein Schneetreiben. Der Caesar war weiss, als habe er ein Leichenhemd an, bewegte sich aber nicht, denn er war ausser sich vor Raserei, gegen sich selbst; gegen die Dämonen, die ihn verlockt hatten, dieses Stück zu wählen; gegen den Himmel, der ihn verhöhnte.

Das ganze Publikum war verschneit und disputierte über die Gottheit Christi; das niedrige Volk lachte und keifte.

Die einzigen, die gegen die Laune der Witterung geschützt waren, waren die Schauspieler unter dem Zeltdach. Aber der feuchte Schnee war schwer; die Leinwand bog sich und riss.

Da erhob sich das ganze Publikum und lachte laut; die Schauspieler krochen aus dem Schnee hervor; die Türen öffneten sich und alle flohen, ausser dem Caesar und seinen Philosophen.

Julian hatte sofort, nachdem er zum Kaiser ausgerufen war, einen Gesandten an den Kaiser nach Byzanz geschickt, und wartete nun auf die Antwort.

Es war gegen die Wintersonnenwende und den Jahreswechsel. Die Christen hatten damals eben angefangen, Christi Geburt zu feiern und dabei römische Sitten von den Saturnalien aufgenommen, dem Fest zu Ehren Saturns. Julian, gereizt durch den Handschuh, den die Nazarener hinwarfen, begann sich zu Widerstand und Anfall zu rüsten; und jetzt wollte er seine Macht gebrauchen, dem Heidentum zurückzugeben, was ihm zukam, und den Christen zeigen, wo sie ihre Kenntnisse von den höchsten Dingen geholt hatten. Und zugleich wollte er das Heidentum christlich machen, damit diese bei seiner Wiederkunft alle für sich gewinnen konnte.

Der alte Jupitertempel auf der Insel im Fluss, der seit langer Zeit geschlossen gewesen, war eines Nachts geöffnet und man sah Licht darin. Man hörte den Lärm von Hämmern und Sägen, Hacken und Mauerkellen.

Das dauerte einige Zeit, während man in der Stadt darüber schwatzte.

Eines Nachts im Mittwinter sass Julian mit Maximus, Priscus und Eleazar im Opisthodomus oder dem Priesterzimmer hinter dem Altar im Tempel Jupiters. Der ganze Tempel war erleuchtet, und man merkte gleich die Absicht der vorgenommenen Ausbesserungen. An der linken Pfeilerreihe war ein Ambon oder eine Kanzel, und unter der ein Beichtstuhl; ferner ein siebenarmiger Leuchter, ein Taufbecken, ein Tisch mit Schaubroten und ein Räucheraltar.

Das war Julians Versuch, die neue Lehre an die alten anzuknüpfen, Heidentum, Christentum und Judentum zu vereinigen. Heliogabalus hatte zwar auf seine rohe Art denselben Versuch gemacht, als er syrische Sonnenverehrung in Rom einführte, zugleich aber alle Götter der Welt, sogar die egyptischen beibehielt. Aber die Christen wollten nicht mitgehen, die Juden auch nicht.

Julian liebte die Juden nicht, aber sein Hass auf das Christentum war so gross, dass er lieber der halsstarrigen Nation in Palästina aufhalf, um sie gegen Christus zu erheben. Zu dem Ende hatte er Befehl gegeben, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen; und diese Angelegenheit war es, die er jetzt zuerst mit seinen Philosophen, Eleazar mitgerechnet, besprechen wollte.

– Was meint ihr also, beendete Julian seinen langen Vortrag über den Aufbau Hierosolymas. Maximus soll zuerst sprechen.

– Caesar Augustus, antwortete Maximus, der Mystiker, Jerusalem ist von der Erde ausgerodet wie die Propheten vorausgesagt haben, und sein Tempel kann nicht wieder aufgebaut werden.

– Kann nicht? Er soll!

– Er kann nicht! Allerdings hat Konstantins Mutter eine Kirche über Christi Grab gebaut, aber der Tempel kann sich nicht mehr erheben. Ist nicht seit Salomo die Geschichte dieser Stadt eine Geschichte der Zerstörungen Jerusalems. Sisak, Philister, Araber, Syrer, Joas, Egypter und Chaldäer haben sie zuerst zerstört. Dann kamen Alexander, Ptolemäus und schliesslich Antiochus Epiphanes, der die Mauern niederriss und eine Jupiterstatue im Tempel aufstellte. Jetzt aber merk auf: 63 Jahre vor Christus wurde Jerusalem von Pompejus erobert. Was geschah im selben Jahr nach Christus im römischen Reich? Denk nach! – Pompeji, die Stadt bei Neapel, vom selben Namen wie der Eroberer, wurde 63 durch ein Erdbeben zerstört. Das war die Antwort, und der Herr Zebaoth bekriegte Jupiter-Zeus.

– Hör mal, unterbrach ihn Julian, deine pythagoräischen Zahlenspekulationen billige ich nicht. Wenn beide Ereignisse 63 vor Christus gewesen wären, dann wäre ich beinahe überzeugt.

– Dann warte, Caesar, und du sollst es werden. Nach der Eroberung des Pompejus und der Plünderung des Cassius baute Herodes der Grosse Stadt und Tempel wieder auf. Aber bald darauf, das heisst im Jahre 70 nach Christus, wurde Jerusalem vollständig von Titus zerstört. Nur neun Jahre später begann der Berg Somma Feuer zu speien, wie er es nie vorher getan hatte, und dabei wurden Pompeji (und Herkulanum) ganz zerstört. Pompeji und Herkulanum waren Sodom und Gomorrha, und Vespasian, der vor Titus in Jerusalem gehaust hatte, besass einen Vergötterungstempel in Pompeji: der verschwand von der Erde. Glaubst du vielleicht, dass die Christen den Vesuv angesteckt haben, wie Nero glaubte, sie hätten Rom angezündet, 64 nach Christus?

Julian wurde nachdenklich.

– Es waren neun Jahre dazwischen – aber sonderbar sieht es aus.

– Ja, erwiderte Maximus, aber genau im selben Jahr 70, als Titus den Tempel von Jerusalem zerstörte, brannte das Kapitol!

– Dann sind es die Götter, die kriegen, und wir sind nur Soldaten! brach Julian aus.

Priscus der Sophist, der Wortkämpfe liebte, beschloss zu feuern, als es erlöschen zu wollen schien:

– Aber Christus hat gesagt, dass Stein nicht solle auf Stein bleiben und dass der Tempel nie wieder aufgebaut werde.

– Hat Christus das gesagt? Gut, dann soll er zeigen, ob er ein Gott war, denn jetzt will ich den Tempel Salomos aufbauen!

Und sich zu Eleazar wendend:

– Glaubst du an Wahrzeichen?

– So gewiss wie der Herr lebt, so gewiss wie Abrahams Gott uns aus der egyptischen Knechtschaft geführt und uns Kanaan gegeben hat, so gewiss wird er die Verheissung erfüllen und uns Land, Stadt und Tempel wiederschenken!

– Geschehe dir, wie du glaubst! Der Tempel soll aufgebaut werden, wenn auch nicht in drei Tagen, wie der Galiläer meinte.

 

Die Wintersonnenwende war da und die Saturnalien begannen in Lutetia. Die Heiden hatten das Fest immer gefeiert als eine Erinnerung an das goldene Alter der Sage, das unter der Regierung des guten Saturn gewesen sein sollte. Damals war Friede auf Erden, der Löwe spielte mit dem Lamm, die Felder trugen Ernte ohne Bestellung, Waffen wurden nicht geschmiedet, denn die Menschen waren gut und gerecht. Dieses schöne Fest, das von den Römern abgeschafft worden, war von den Christen wieder aufgenommen, die mit Christi Ankunft ein neues goldenes Zeitalter oder das tausendjährige Reich erwarteten. Jetzt aber wollte Julian den Heiden ihr Vorrecht zurückgeben, und zugleich den Nazarenern zeigen, wo sie ihre religiösen Gebräuche hergenommen hatten.

Die Heiden begannen auf alte Art den Feiertag zu verkünden. Die Läden waren geschlossen und die Stadt festlich gekleidet, als man am Morgen eine Prozession aus der Basilika auf den Markt herauskommen sah. An der Spitze ging König Saturn mit dem Füllhorn, Korngarben und Tauben; ihm folgten die Tugenden Fortuna, Reichtum, Friede, Gerechtigkeit. Darauf kam ein Schauspieler, als Caesar verkleidet, und an der Hand führte der einen Gefangenen, der zu Ehren des Tages von seinen Ketten befreit worden war. Ihnen folgten Herren, die ihre Sklaven unterm Arm fassten; dann Frauen und Kinder, die aus Garben Korn für die Sperlinge der Strasse ausschütteten.

Die Prozession zog durch die Strassen und fiel zuerst angenehm auf.

Dann zog man in den Tempel, wo ein Jupiter oder Zeus in der Apsis sass. Man hatte ihn so listig modelliert, dass er Gott Vater dem Schöpfer gleichen konnte, oder Moses, wie man dessen Bild jetzt anfing darzustellen. Neben diesem und etwas unter ihm stand Orpheus als der gute Hirte mit einem Lamm auf seinen Schultern, und im Relief auf dem Sockel war sein Gang zum Hades zu sehen, von dem er mit Dike, der Gerechtigkeit, zurückkehrte, deren Namen aus Eurydike travestiert war. Das ging auf die Christen direkt.

Vor dem Götterbild stand der jüdische Schaubrottisch mit dem Brot und dem Wein; eine Erinnerung, von wo die Christen die Eucharistie oder das Messopfer her hatten. Wie zufällig wurde ein neugeborenes heidnisches Kind gebracht und in dem Becken getauft. Bei der Frage eines, dem die Rolle einstudiert war, ob die Heiden getauft wurden, antwortete ein andrer, der ebenfalls seine Rolle hatte, dass die Vorfahren ihre neugeborenen Kinder immer gewaschen hätten.

Das Ganze war eine Komödie, von Julian in Szene gesetzt.

Jetzt bestieg Maximus die Kanzel und gab in einer neuplatonischen philosophischen Abhandlung Erklärungen von allen Bildern, Symbolen und Sitten. Er bewies auch, dass die Heiden nie mehr als einen Gott verehrt, dessen viele Eigenschaften nur in verschiedenen Personifizierungen Ausdruck gefunden. Dann verteidigte er scheinbar Christi Gottheit, wunderbare Geburt und Wunder. Wir seien ja alle von göttlicher Herkunft, da Gott uns geschaffen habe und wir seine Kinder seien. Christi Geburt ohne Vater sei nichts Merkwürdiges, da der Philosoph Platon auch von einer Jungfrau ohne Vater geboren sei. Er unterbrach seine Predigt mit diesem Ausruf:

– Wunder! Warum sollten wir nicht an Wunder glauben, da wir an einen allmächtigen Gott glauben. Dass er allmächtig ist, bedeutet ja, dass er die Naturgesetze aufheben kann, die er gestiftet hat. Wer nicht an Wunder glaubt, ist also ein Esel!

Die Predigt wurde von Heiden und Christen angehört. Die letzten glaubten noch nie etwas gehört zu haben, das die schwer begreiflichen Lehren so klar bewies; und die Heiden kriegten es zu hören, dass sie mit den Christen einig seien.

– Was steht also zwischen uns? rief Maximus aus, von dieser Eintracht und diesem Einverständnis, die im Tempel herrschten, hingerissen. Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht uns alle ein Gott geschaffen! Warum hadert ihr denn, der eine gegen den andern? Haben wir hier nicht heute die Erinnerung an die besseren Zeiten gefeiert, die gewesen sind und die sicher wieder kommen werden, wie das Licht mit der zurückkommenden Sonne wiederkehrt; Zeiten der Versöhnung und des Friedens auf Erden, wenn niemand Herr sein wird und niemand Knecht. Hier ist kein Jude, kein Grieche, kein Barbar, sondern wir sind alle Brüder und Schwestern in einem Glauben! Darum liebet euch unter einander, versöhnet euch mit euerm Gott und mit einander, gebet euch den Friedenskuss, freut euch, vervollkommnet euch, seid eines Herzens, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein.

Die Versammlung war entzückt, und mit tränenden Augen fielen sie sich in die Arme, drückten sich die Hände und küssten sich die Wangen.

Da wurden auf einmal eine Reihe Lichter um den Altar angesteckt; das gehörte zum Zeremoniell der Saturnalien und bedeutete die Wiederkehr der Sonne; ein Brauch, der von den Christen übernommen wurde, als sie Christi Geburt oder die Weihnacht feierten.

Darauf wurden Bettler vorgeführt, und Herren wuschen ihnen die Füsse. Dann wurden zwölf Sklaven an einen gedeckten Tisch gesetzt, während ihre Hausherren sie bedienten.

Julian, der, im Opisthodom verborgen, die ganze Zeremonie mit angesehen hatte, jubelte in seinem Innern, denn mit dieser uralten heidnischen Zeremonie hatte er die Christen zu Boden geschlagen. Darin war auch Menschenliebe und Barmherzigkeit, und beide hatte es zu allen Zeiten gegeben! Das wollte er ausdrücken, ohne es mit Worten zu sagen.

Schliesslich wurden die Kinder vorgeführt und erhielten als Geschenke Puppen, teils aus Wachs, teils aus Ton.

Die Illusion war vollständig, und die Christen waren wie verzaubert.

– Die Heiden sind ja Christen, riefen sie aus! Warum denn Zank und Streit, wenn wir einig sind!

Die Gefühle wogten, und der Erfolg war vollständig. Das war der Sieg des ersten Tages.

Als die Christen am folgenden Tag ihr Weihnachtsfest begehen wollten, konnte das nur als eine Kopie von dem Fest der Heiden erscheinen.

 

Sieben Tage dauerten die Saturnalien, und Julian, vom Erfolg berauscht, beschloss jetzt, mit dem ganzen alten Kult in all seiner schrecklichen Majestät zu kommen.

Seine Philosophen warnten ihn, aber er hörte sie nicht mehr; er musste seine Hekatombe haben: hundert geschmückte Stiere sollten auf dem Platz vorm Jupitertempel geschlachtet werden, als ein Opfer für die alten Götter.

– Er ist wahnsinnig! klagte Eleazar.

– Wen die Götter vernichten wollen, den schlagen sie mit Blindheit!

– Jetzt reisst er nieder, was er aufgebaut hat. Es ist schwer zu erklären, wie der hochgebildete, talentvolle und schönheitliebende Julian auf den unsinnigen Gedanken kommen konnte, die blutigen Opfer wieder einzuführen. Das war ja Schlachten oder Hinrichtung, und weder der Schlächter noch der Büttel genossen irgendwelche Achtung in der Gesellschaft. Man muss wohl glauben, dass sein Christushass seinen Verstand gelähmt hat, als er, in der Tracht des Opferpriesters, den ersten Stier vorführte, mit den vergoldeten Hörnern und der weissen Binde.

Nachdem er Weihrauch auf dem Altar angezündet hatte, goss er die Schale mit Wein über das Haupt des Stieres aus, stiess ihm das Messer in die Kehle und drehte es um.

Ein Entsetzen ging durch die Menge, die aber doch wie festgenagelt auf dem Platz blieb.

Als aber das Blut umherspritzte, und der Kaiser den zitternden Tierkörper öffnete, um in dessen Eingeweiden Forschungen anzustellen, da erhob sich ein Geschrei, das zum Geheul wurde, und alle flohen.

– Apostata! war jetzt zum erstenmal zu hören. Das war die Niederlage, und als die Tiere von ihren Wächtern losgelassen wurden, flüchteten sie durch die Strassen der Stadt davon.

Der Kaiser in seiner mit Blut bespritzten weissen Tracht musste allein nach seinem Palast gehen, während sowohl Christen wie Heiden ihm ihren Abscheu zeigten.

– Seht den Schlächter! riefen sie.

– Apostata! Abtrünniger!

– Wahnsinniger!

Als Julian heimkam, war er wie versteinert, aber ohne erst die Kleider zu wechseln, setzte er sich an seinen Tisch und schrieb ein Edikt gegen die Christen. Darin verbot er ihnen, zu studieren und Staatsämter zu bekleiden.

Das war der erste Schritt.

Am Abend desselben Tages empfing Julian einen Brief: der war vom Kaiser Konstantes in Byzanz, der seine Ausrufung zum Kaiser nicht anerkannte, sondern drohte ihm mit Heeresmacht in Gallien zu begegnen.

Das war ganz unerwartet, und Julian brach von Lutetia auf, um mit den Waffen in der Hand seinem Vetter entgegen zu ziehen.

Wie er jetzt gen Osten zog, kam es ihm vor, als gehe er in den Tod.

Das Glück aber warf zuerst mit dem Würfel einen Glückswurf. Konstantes starb auf dem Weg und Julian war allein Kaiser.

Das nahm er für ein Zeichen, dass die Götter ihm gewogen seien, und im Gefühl, dass er von den Oberen unterstützt werde, zog er in den Krieg.

Aber es war nur ein letztes Spiel von seinen Göttern. Es wird erzählt, er habe vor seinem Zug gegen die Perser sein Schicksal erforschen wollen und zu dem Ende einen Frauenkörper aufgeschnitten, um die Weissagung in den Eingeweiden zu lesen. Das braucht nicht wahr sein, wie die verschiedenen Erzählungen von seinem gleich darauf eingetroffenen Tod. Eins aber ist sicher, der Galiläer siegte über Zeus, der sich nie mehr erhob.

Sicher ist auch, von christlichen, jüdischen und heidnischen Schriftstellern bestätigt, dass der Tempel von Jerusalem nie wieder aufgebaut wurde, denn als der Grund gelegt werden sollte, brach Feuer aus dem Boden, und zwar in Zusammenhang mit einem Erdbeben.

Dasselbe Erdbeben zerstörte auch Delphi, »den Mittelpunkt der Erde« und das Zentrum für das religiöse und politische Leben von Hellas.


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