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Das Lamm

Herodes Antipas, der Tetrarch, war nach Jerusalem gekommen, weil Unruhe im Volk laut geworden war.

Jetzt war er beim Statthalter Pilatus eingekehrt und wollte über Ostern dort bleiben, um die Angelegenheiten der Stadt zu ordnen. Da er am Abend vorher im Zirkus ein Gladiatorenspiel gesehen und dann Orgien gefeiert hatte, schlief er am Morgen lange; so lange, dass sein Wirt, der auf seinen Gast wartete, aufs Dach des Hauses gegangen war.

Dort lag die heilige Stadt, mit dem Berg Moria und dem Tempel, Zion und Davids Haus.

Im Nordwesten und Westen erstreckte sich das Sarontal bis zum Mittelländischen Meer, das in der klaren Luft wie ein blauer Strich erschien, in der Entfernung von fünf Meilen. Im Osten erhob sich der Ölberg mit seinen Gärten und Weinbergen, Oliven, Feigen und Terebinten; unten rann der Bach Kidron, dessen Ufer jetzt in Frühlingstracht dalagen, mit blühenden Lorbeeren, Tamarisken und Weiden.

Der Statthalter war nicht ruhig, und er blieb oft am Geländer stehen, um auf den Vorhof des Tempels hinunter zu sehen, wo sich die Menschen ungewöhnlich lebhaft bewegten, Knäuel bildeten, die sich auflösten, um sich gleich darauf in noch grössere zu sammeln.

Schliesslich erschien der Tetrarch, verschlafen und mit blutigen Blicken. Er grüsste kurz und setzte sich sofort, als gebe er Audienz.

Es fiel ihm aber schwer, ein Wort hervorzubringen; das Kinn hing herab, und er wusste nicht, wie er anfangen sollte, denn er hatte während der nächtlichen Orgien sein Geschäft vergessen.

Pilatus kam ihm zu Hilfe:

– Sprich, Herodes; dein Herz ist voll und dein Geist ist unruhig.

– Was sagst du, mein Bruder?

Wir sprachen gestern von dem seltsamen Mann, der das Volk aufwiegelt.

– Ganz recht! Ich liess diesen Johannes hinrichten; geht er um?

– Nein, es ist jetzt ein anderer!

– Sind es zwei?

– Ja, dieser ist ein andrer.

– Aber sie haben dieselbe Geschichte: eine Verkündigung, die ihrer Geburt vorausging, und die Fabel von einer übernatürlichen Geburt, ganz wie der Perseus der Mythologie und der Philosoph Platon der Geschichte. Ist es eine Personenverwechslung?

– Nein, keineswegs.

– Wie heisst er? Josua, Jesse ...

– Er heisst Jesus, und soll seine Kindheit in den egyptischen Städten Heliopolis und Leontopolis zugebracht haben ...

– Das ist ein Magier oder Zauberer; kann er nicht kommen und mich zerstreuen?

– Er ist schwer zu finden, denn bald ist er hier zu sehen, bald dort. Aber wir wollen den Oberpriester ausfragen; ich habe ihn rufen lassen, und er steht unten.

– Was ist das für ein Lärm im Tempelhof?

– Das Bild des Kaisers soll im Allerheiligsten aufgestellt werden.

– Ganz recht! Unser gnädiger Kaiser Tiberius lebt wie ein Irrer auf Capri, kriegt Schläge von einem Neffen Caligula, wenn man den Neffen nennen kann, da die Söhne mit ihren Müttern verheiratet sind. – Und jetzt soll er Gott werden! Haha!

– Antiochus Epiphanes liess Zeus im Allerheiligsten der Juden aufstellen. Das war doch ein Gott! Aber dieses Vieh Tiberius aufstellen, das bedeutet Aufruhr.

– Was kann man dazu tun? Ruf den Priester her.

Pilatus ging und holte den Oberpriester Kaiphas.

Herodes schloss die Augen und faltete die Hände über der Brust. Alles, was den Dienst betraf, betrachtete er als eine Störung seiner Vergnügungen, und er liebte im allgemeinen kurze Prozesse.

Als Pilatus mit Kaiphas zurückkehrte, erwachte der Tetrarch aus seinem Schlummer und wusste nicht, wo er sich befand oder wovon die Rede war.

Pilatus trat vor, rief den Vorgesetzten ins Bewusstsein zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit auf das, was vorging.

– Man lärmt im Tempel! war seine erste Beobachtung, denn das störte seinen Schlaf. – Ach so, der Priester ist da. Was ist das für ein Lärm dort unten?

– Das ist der Galiläer, der zu Gewalttätigkeiten übergegangen ist und die Wechsler zum Tempel hinausgetrieben hat.

Herodes wurde neugierig.

– Wir wollen ihn sehen!

– Er ist bereits fort.

– Sag uns, Oberpriester, was ist mit diesem Mann, ist es der Messias?

– Wie soll ich das glauben? Der Sohn eines armen Zimmermanns, der krank im Kopf ist.

– Ist er ein Prophet?

– Er wiegelt das Volk auf, er bricht das Gesetz, ist ein Schlemmer und Weintrinker, und er lästert Gott! Ja er sagt, er sei Gott, der Sohn des Allerhöchsten.

– Habt ihr Zeugen?

– Ja, aber die widersprechen einander.

– Dann schafft bessere Zeugen, übereinstimmende Zeugen. – Doch jetzt, Priester, müssen wir von etwas anderem sprechen. Du weisst, dass dem Kaiser durch Senatsbeschluss die Apotheose bewilligt ist, und dass sein Standbild im Tempel aufgestellt werden soll. Was meinst du dazu?

– Wir leben von der Gnade unseres Kaisers, geschieht aber der Greuel, so gehen wir alle in den Tod, wie unsere Makkabäer es getan haben.

– Dann geht in den Tod!

Kaiphas dachte einen Augenblick nach, ehe er antwortete:

– Ich will den hohen Rat zusammenrufen und ihm den Willen des Kaisers mitteilen.

– Tu das! Und vorm Osterfest musst du mir den Galiläer vorführen, denn ich will ihn sehen.

– Ich werde!

– Dann geh in Frieden!

Kaiphas entfernte sich.

– Es ist ein hartes Volk, dies Israel, sagte Pilatus, um etwas zu sagen.

– Ich bin auch aus Israel, antwortete Herodes etwas schroff, denn ich bin Edomit, aus Esaus Geschlecht, und meine Mutter war Samaritanerin aus dem verachteten Volk.

Pilatus merkte, dass er verkehrt gegangen, und schlug deshalb mit seinem Amtsstab dreimal auf den Boden. Eine grosse Luke öffnete sich, und ein Tisch kam herauf, bedeckt mit allen Leckerbissen, die sich ein Römer wünschen konnte.

Herodes' Antlitz klärte sich auf.

 

Auf dem Vorhof der Priester standen Kaiphas und Hannas und sprachen miteinander.

– Da wir den Greuel nicht abwenden können, sagte Kaiphas, und das Kaiserstandbild sich im Allerheiligsten erheben wird; da das Volk im Aufruhr umkommen wird, ist es für uns besser, dass wir dem Herrn unser Opfer bringen und dass einer fürs Volk stirbt.

– Du hast recht, ein ausserordentliches Sühnopfer ist uns von nöten, und da Ostern naht, opfern wir den Galiläer.

– Gut! Aber das Opfer soll rein sein, ist der Galiläer rein?

– Rein wie ein Lamm.

– Möge er also Israels Sünden auf sich nehmen, auf dass wir durch sein Blut erlöset werden. Wer führt ihn in unsere Hände.

– Einer von seinen Jüngern, der draussen steht!

– Führ ihn herein!

Johannes, später der Evangelist genannt, wurde hereingeführt, und Kaiphas begann das Verhör.

– Welches Zeugnis legst du ab von deinem Lehrer? Hat er sich gegen das Gesetz Mose vergangen?

– Er hat das Gesetz erfüllt.

– Aber welches neue Gebot hat er in unser heiliges Gesetz eingeführt?

– Liebet euch unter einander!

– Hat er gesagt, er sei der Juden König?

– Der Meister hat gesagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

– Hat er die Kinder gegen die Eltern erhoben?

– Der Meister hat gesagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

– Hat er gesagt, dass man ein Recht hat, seine bürgerlichen Pflichten zu vernachlässigen?

– Der Meister hat gesagt: Strebet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit.

– Hat er zum Arbeiter gesagt, er solle seine Arbeit verlassen?

– Der Meister hat gesagt: Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid.

– Hat er gesagt, dass er die Welt einnehmen wird?

– Der Meister hat gesagt: In der Welt habet ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Kaiphas wurde müde.

– Nach allem, was ich nun gehört und vernommen: dieser Mann hat nicht auf eine einzige Frage geantwortet.

– Der Meister antwortet im Geist und in der Wahrheit; ihr aber fragt nach dem Fleisch und nach dem Buchstaben. Wir sind nicht Kinder eines Geistes.

– Ich verstehe nicht!

– Den Armen die frohe Botschaft zu verkünden, hat er mich gesandt, die gebrochenen Herzen zu heilen, den Gefangenen Freiheit zu predigen, den Blinden das Augenlicht wieder zu geben und den Geschlagenen Erlösung zu bringen.

– Was du in Unverstand gesprochen hast, junger Mann, kann weder dir noch deinem Lehrer Lob einbringen.

– Wehe euch, wenn die Menschen euch loben, und wer vorm Bösen weicht, der muss jedem Mann preisgegeben sein!

Kaiphas wandte sich zu Hannas:

– Das ist der doch nicht, der uns den Galiläer ausliefern wird?

– Sie haben einen andern gesandt! – Hör mal, heissest du Ischarioth?

– Nein, ich heisse Johannes.

– Dann geh in Frieden, aber schick uns dafür Ischarioth. Warte mal! Sag uns in zwei Worten die Lehre deines Meisters vom Sinn des Lebens?

– Der Tod ist der Gewinn der Frommen, antwortete Johannes, ohne sich zu bedenken.

– Ist das Leben nicht selbst ...

– Durch den Tod werdet ihr ins Leben eingehen!

– Wir haben genug gehört! Geh!

Kaiphas aber wiederholte für sich, als wolle er seine eigenen Worte besser verstehen:

– Der Tod ist der Gewinn der Frommen.

Da war Lärm vom Markt und Rathaus zu hören. Hannas und Kaiphas stiegen auf die mit Zinnen versehene Mauer, um die Ursache zu erfahren.

Dort standen bereits Leviten und spähten.

– – Ist er ergriffen?

– Er ist schon als Aufwiegler überführt, denn er gebot seinen Jüngern, »ihr Kleid zu verkaufen und ein Schwert zu kaufen«.

– Hat man sie denn bewaffnet gefunden?

– Man hat zwei Schwerter gefunden.

– Dann ist er schon verurteilt.

Jetzt hörten sie einen Ruf vom Rathausplatz sich erheben; erst schwer zu unterscheiden, dann immer deutlicher. Und die Volksmasse rief: Kreuzige! Kreuzige!

– Ist das nicht zu hart, als Strafe betrachtet? sagte Kaiphas.

– Nein, antwortete der Levit; einer seiner Jünger, genannt Simon oder Petrus, zog sein Schwert und hieb auf den Diener Malchus ein und verwundete ihn.

Brauchen wir noch mehr Zeugen?

– Aber der Lehrer sagte: Steck dein Schwert In die Scheide, denn die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert vergehen!

– Daraus wird man nicht klug! sagte Hannas und stieg hinab.

Das Volk aber rief: Kreuzige! Kreuzige!


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