Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Attila

Mit Konstantin dem Grossen hatten Hellas, Rom und Palästina zu existieren aufgehört; die Kultur war nach dem Morgenland übergesiedelt, denn Konstantinopel ward die Hauptstadt von Europa, und vom Orient aus wurden Rom, Spanien, Gallien, Germanien durch Satrapen unter verschiedenen Namen regiert. Es sah aus, als habe Europa ausgeblüht, als habe sich Rom ins Grab gelegt, aber es sah nur so aus. Die Geschichte ging nicht geradeaus wie ein Strich, sondern machte Umwege, und deshalb schien die Entwicklung in Unordnung geraten, irre gegangen zu sein. Das war sie aber nicht.

Das Christentum, das jetzt den Westen durchdringen wollte, war ja aus dem Osten, und darum bildete das alte Byzanz eine Übergangsstation. In Rom, das seinem Schicksal überlassen worden, da die Satrapen in Mailand und Ravenna sassen, begann eine neue Weltmacht aufzuspriessen, eine geistige, die in der Stille eine neue Kaiserkrone schmiedete, um sie dem Würdigsten zu übergeben, wenn die Zeit erfüllt war.

Und der Erbe war von Tacitus angekündigt worden, ein neues Volk aus dem Norden, gesund, ehrlich, gutmütig. Das waren die Germanen, die tausend Jahre die Kaiserkrone besitzen sollten, von 800 bis 1815. Schon am Anfang des fünften Jahrhunderts hatten ja die Westgoten Rom eingenommen, sich aber wieder zurückgezogen. Andere Germanen hatten Gallien überschwemmt, Spanien, Britannien; kein Stamm aber hatte festen Fuss in Italien gefasst. Da tritt ein ganz neues Volk auf den Schauplatz, dessen Herkunft unbekannt war; und die Verheissung von Kanaan, die eben den Germanen gegeben war, schien zurückgenommen zu sein, denn die Hunnen sassen schliesslich in Ungarn und erhoben Steuern von allen Nationen der Welt. Um ein Holzschloss mit einigen Baracken am Theissfluss versammelten sich Griechen, Römer, Byzantiner und allerhand Germanen; vor einem Thron, auf dem ein Wilder sass, der einem Fleischklumpen glich.

Im Jahr 453 wollte dieser König nach manchen Schicksalen eine von seinen vielen Hochzeiten halten; und er hatte die grossen Herren von ganz Europa berufen; berufen, denn ein Fürst ladet nicht ein.

Zu Pferde kamen sie, aus Norden, Süden, Osten und Westen.

 

Von Westen, am Donauufer entlang, gleich unterhalb deren Biegung beim jetzigen Gran, kamen zwei Männer an der Spitze einer Karawane geritten. Mehrere Tage waren sie den lieblichen Ufern des grünen Flusses mit seinen Binsen und Erlen und seinen Schwärmen von Enten und Reihern gefolgt. Jetzt wollten sie die kühlen Schatten der Waldregion verlassen und sich nach Osten der Salzsteppe zu wenden, die sich bis an den gelben Theiss erstreckte.

Der eine Leiter der Truppe war Römer und hiess Orestes, war bekannt und berühmt; der andere war Rugier, von der Ostseeküste und trug den Namen Edeko, war Fürst und war gezwungen worden, Attila zu folgen.

Wenig hatten die grossen Herren bisher gesprochen, denn sie misstrauten einander; als sie aber auf die weite Steppe hinauskamen, die sich klar und hell wie eine Meeresfläche öffnete, schienen sie selbst sich aufzuklären und alles Misstrauen fallen zu lassen:

– Warum reist du zur Hochzeit? fragte Orestes.

– Weil ich nicht auszubleiben wage! antwortete Edeko.

– Ganz wie ich.

– Und die Braut! Die Burgunderin wagte nicht nein zu sagen.

– Die? Doch, die hätte es schon gewagt.

– Sie sollte also diesen Wilden lieben?

– Das habe ich nicht gesagt.

– Vielleicht hasst sie ihn denn? Eine neue Judith für diesen Holofernes?

– Wer weiss? Die Burgunder lieben den Hunnen nicht, seit er auf seinem letzten Raubzug Worms zerstörte.

– Unbegreiflich ist jedenfalls, dass er sich von der Niederlage auf den katalaunischen Feldern wieder erholt hat.

– Unbegreiflich ist alles, was diesen Menschen angeht, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen kann.

– Du hast recht! Er soll dem Bruder seines Vaters, Rua, von dem wir nichts wissen, nachgefolgt sein; er hat seinen Bruder Bleda ermordet. Zwanzig Jahre haben wir ihn wie eine eiserne Rute über uns gehabt, und als er jüngst vor Rom stand, kehrte er um.

– Aber er hat seinen Soldaten versprechen müssen, dass er ihnen einmal Rom geben wird.

– Warum schonte er Rom?

– Das weiss man nicht! Man weiss nichts von diesem Mann, und er selbst scheint über seine Person In Unkenntnis zu sein. Er kommt von Osten, sagt er, das ist alles. Das Volk sagt, die Hunnen seien von Hexen und Dämonen in Wüsten geboren. Fragt man Attila, was er will und wer er ist, antwortet er: Gottes Geissel. Er gründet kein Reich, baut keine Stadt, aber herrscht über alle Reiche und zerstört alle Städte.

– Um zur Braut zurückzukehren: Ildico heisst sie, also ist sie Christin?

– Ja, was kümmert das Attila? Er hat ja keine Religion.

– Eine muss er wohl haben, da er sich Gottes Geissel nennt und behauptet, er habe das Schwert des Kriegsgottes gefunden.

– Aber er ist gleichgültig gegen die Formen. Sein erster Minister Onegesius ist Grieche und Christ ...

– Sehen wir uns den sonderbaren Mann an, der, statt in Byzanz oder in Rom zu sitzen, sich in einer Salzsteppe niedergelassen hat.

– Das soll von der Ähnlichkeit dieses Landes mit seinen Ebenen fern im Osten kommen. Der gleiche Boden, dieselben Kräuter und Vögel; er fühlt sich hier zu Hause.

Sie verstummten, da die Sonne stieg und die Hitze zunahm. Niedrige Tamarisken, Wermut- und Sodapflanzen gaben keinen Schatten. Steppenhühner und -lerchen waren die einzigen Wesen, welche die Wüste belebten. Die Herden von Rindvieh, Ziegen und Schweinen waren verschwunden, denn Attilas halbe Million Soldaten hatte sie aufgegessen, und seine Pferde hatten jeden einzigen geniessbaren Grashalm abgeweidet.

Zur Mittagszeit blieb die Karawane ganz plötzlich stehen, denn am östlichen Horizont war eine Stadt mit Türmen und Zinnen zu sehen, jenseits eines blauen Sees.

– Sind wir da? fragte Edeko.

– Unmöglich, es sind ja noch zwanzig Meilen oder drei Tagesreisen.

Aber die Stadt war dort zu sehen und die Karawane beschleunigte ihren Gang.

Nach einer halben Stunde war die Stadt nicht näher gekommen, sondern schien sich im Gegenteil zu entfernen, sich zu verkleinern und unter den Gesichtskreis zu versinken.

Nach einer neuen halben Stunde war die Stadt verschwunden und der blaue See auch.

– Zaubern können sie, sagte der Römer, das aber übersteigt alles.

– Es ist eine Fata morgana oder eine Luftspiegelung, erklärte der Wegweiser.

Die Karawane machte gegen Anbruch des Abends Halt, um über Nacht zu ruhen.

 

Auf dem Landstreifen zwischen Bodrog und Theiss hatte Attila sein Standlager, denn eine Stadt konnte man es nicht nennen. Der Palast war aus Holz, das in grellen Farben lackiert war, und glich einem kolossalen Zelt, dessen Stil wahrscheinlich aus Sina, dem Seidenland, geholt war.

Das Frauenhaus, das dicht daneben aufgeführt war, hatte eine etwas abweichende Form, die mit den Goten von Norden gekommen sein mochte, oder auch von Byzanz, denn das Haus war mit Rundbogen aus Holz verziert.

Die Einrichtung schien von allen Völkern und allen Ländern zusammen gestohlen zu sein; viel Gold und Silber, seidene und samtne Behänge; römische Möbel und griechische Gefässe, gallische Waffen und gotische Gewebe. Es glich der Wohnung eines Räubers, und das war es auch.

Hinter der Umzäunung des Palastes begann das Lager mit seinen verräucherten Zelten. Eine Menge Rosstäuscher und Pferdediebe wimmelte in den Strassen umher, und es waren ebenso viel Pferde wie Menschen da.

Ausserhalb des Lagers weideten Herden von Schweinen, Schafen, Ziegen und Rindern, lebender Proviant für diese unerhörte Horde, die nur verzehren und zerstören, aber nichts hervorbringen konnte.

Jetzt am Morgen des Hochzeitstages bewegten sich in diesem Lager tausende kleine Menschen mit krummen Beinen und breiten Schultern, in Rattenfelle gekleidet und die Waden mit Lumpen umwickelt. Neugierig blickten sie aus den Zelten heraus, wenn Fremdlinge, die zum Fest geladen waren, angeritten kamen.

Auf der ersten Zeltgasse trat der Thronfolger, Attilas Sohn Ellak, den vornehmen Gästen entgegen; mittels eines Dolmetschers hiess er sie willkommen und führte sie in das Haus der Gäste.

– Ist das ein Prinz? Und sind das Menschen? sagte Orestes zu Edeko.

– Das ist ein Rosstäuscher und die anderen sind Ratten, antwortete Edeko.

– Larven oder Lemuren, Vampyre, im Traum aus den Phantasien eines Berauschten geschaffen! Sie haben ja keine Gesichter; die Augen sind Löcher, und der Mund ist eine Schnarre; die Nase ist von einem Totenschädel und die Ohren sind Topfhenkel.

– Wahrhaftig! Und vor diesen Halbnackten, die keinen Harnisch und keinen Schild haben, sind die römischen Legionen geflohen! Es sind Kobolde, die sich »fest« machen können.

– Die Welt erobern sie nicht!

– Wenigstens nicht in diesem Jahr!

Und dann folgen sie dem Prinzen Ellak, der jedes Wort gehört und verstanden hatte, obgleich er so tat, als kenne er die Sprache nicht.

 

Im Haus der Frauen sass die Favoritin Cercas und nähte am Brautschleier.

Ildico, die schöne Burgunderin, stand am Fenster, in Gedanken versunken und geistesabwesend. Sie hatte in Worms den Helden gesehen, vor dem die Welt zitterte, und sie war wirklich verhext worden von dem majestätischen Wesen des kleinen Mannes. Selbst herrschsüchtig und eigenwillig, war sie verlockt worden von der Aussicht, die Macht mit dem Mann zu teilen, vor dem alle und alles sich beugten; darum hatte sie ihm ihre Hand gegeben.

Sie hatte aber keine rechten Begriffe von den Sitten und Gewohnheiten des fremden Volkes gehabt, deshalb hatte sie sich ihre Stellung als Gattin und Königin ganz anders vorgestellt. Und erst heute morgen hatte sie erfahren, dass sie beim Hochzeitsfest überhaupt nicht erscheinen dürfe, den Thron nicht teilen werde, sondern ganz einfach mit den andern Frauen im Frauenhause eingeschlossen bleibe.

Cercas, die Favoritin, hatte mit Schadenfreude ihre Nebenbuhlerin über das alles aufgeklärt, und die stolze Ildico war jetzt im Begriff, einen Entschluss zu fassen. Freunde besass sie nicht im Palast und sich den fremden Fürsten zu nähern, war unmöglich.

Cercas nähte und sang dabei ein wehmütiges Lied aus der Heimat im fernen Osten:

Tiger folgt des Löwen Spur
Siddi Khur,
Siddi Khur,
In der Steppe, meiner Flur,
Urgan, Khalgan, Kosso-gal

Klaun aus Kupfer, Zähn aus Stahl.
Dalai-Nor,
Dalai-Nor;
Bist du kommen in sein Moor,
Kannst du niemals mehr empor!
Dalai-Nor!

Ildico schien ihre Gedanken geordnet zu haben.

– Kannst du mir eine Nadel leihen, sagte sie; ich will nähen.

Sie bekam eine Nadel, die war aber zu klein; sie verlangte eine grössere und sie wählte die allergrösste. Die steckte sie in ihren Busen und nähte nicht.

Jetzt erschien in der Tür ein Wesen, so verabscheuenswert hässlich und von so boshaftem Aussehen, dass Ildico glaubte, es sei ein Dämon. Er war kohlschwarz wie ein Libyer aus dem heissen Afrika, und sein Kopf sass lose auf dem Magen selbst, denn die Brust fehlte. Es war ein Zwerg und ein Buckliger, hiess Hamilcar und war Hofnarr bei Attila. Der Narr war damals kein Witzbold, sondern ein naiver Dummkopf, der alles glaubte, was man sagte, und darum ein Gegenstand des Hänseln wurde.

Er steckte nur einen Brief in Cercas' Hand und war verschwunden.

Als Cercas den Brief gelesen hatte, wechselte sie die Farbe und wurde eine andere. Von Wut ergriffen, konnte sie zuerst nicht sprechen, sondern sie sang:

Tiger folgt des Löwen Spur ...

– Ildico, du hast eine Freundin bekommen! brachte sie schliesslich hervor. Du hast eine Freundin hier im Zimmer, hier am Fenster, hier an deiner Brust!

Und sie warf sich dem burgundischen Mädchen an die Brust, weinte und lachte abwechselnd.

– Gib mir deine Nadel, deine grosse schöne Nadel; ich werde sie einfädeln; nein, ich werde sie an meinem Stahl wetzen; nein, ich will sie in mein Nadelkissen stecken; nein, ich will sie in mein Riechfläschchen tauchen, in mein ganz besonderes kleines Riechfläschchen, und dann wollen wir zusammen dem Tiger das Maul zunähen, dass er nie mehr beisst! Siddi Khur! Siddi Khur!

– Lass mich deinen Brief lesen, unterbrach Ildico sie.

– Du kannst nicht! Ich werde dir den Inhalt sagen! – Er, unser Herrscher freit wieder – um die Tochter des Kaisers Valens, Honoria, und diesmal gelobt er, uns alle zu verbrennen – das nennt er uns ein ehrliches Begräbnis geben.

Ildico reichte ihr ihre Hand zur Antwort.

– In dieser Nacht also! Und durch einen einzigen Nadelstich wird die Welt ohne Herrscher sein!

 

Edeko und Orestes hatten in der Herberge gesessen und nach der Reise ausgeruht. Zur Mittagszeit, als sie ausgehen wollten, fanden sie die Tür geschlossen.

– Sind wir Gefangene? Sind wir in einen Hinterhalt gefallen? fragte der Römer.

– Und kein Essen haben wir bekommen, antwortete Edeko.

Da waren zwei Stimmen von draussen zu hören.

– Wir erwürgen sie; das ist wohl am einfachsten!

– Ich denke, wir stecken das Haus in Brand! Der Lange ist stark ...

– Und sie haben geglaubt, wir verstehen ihre Sprache nicht.

Die beiden Eingeschlossenen, die kein reines Gewissen hatten, wurden bestürzt, und glaubten, ihr Ende sei nahe.

Da öffnete sich eine Luke in der Wand, und der Narr Hamilcar zeigte seinen schrecklichen Kopf.

– Ob du der Teufel bist oder nicht, antworte uns auf einige Fragen, rief der Römer.

– Sprecht, ihr Herren! antwortete der Neger.

– Sind wir Gefangene, oder warum bekommen wir euern König nicht zu sehen?

Prinz Ellaks Kopf erschien an der selben Luke.

– Den König bekommt man erst heute abend beim Gastmahl zu sehen, sagte der Prinz mit einem boshaften Grinsen.

– Sollen wir bis dahin hungern!

– Wir nennen es fasten, und das tun wir immer, wenn wir ein Gastmahl vor uns haben, um dann desto mehr essen zu können.

– Können wir dann wenigstens hinaus?

– Nein! antwortete der Prinz mit seiner Rosstäuscherphysiognomie. Man muss sich in die Sitten des Landes finden.

Und damit wurde die Luke geschlossen.

– Glaubst du, dass wir mit dem Leben davonkommen? fragte Edeko.

– Wer weiss! Attila ist aus Falschheit geschaffen. Du weisst nicht, dass er einmal zwei Briefe schrieb, den einen an den König der Westgoten, Diterich, und darin bat er ihn um ein Bündnis gegen die Römer als den gemeinsamen Feind; am selben Tag schrieb er einen ähnlichen Brief an die Römer, in dem er um ein Bündnis gegen die Westgoten bat. Der Betrug wurde entdeckt und Attila hatte sich zwischen zwei Stühle gesetzt.

– Er scheint unsterblich zu sein, sonst wäre er doch wohl einmal im Kampf getroffen worden, da er immer an der Spitze geht.

Bis zum Abend blieben die Reisekameraden eingesperrt, dann wurde die Tür schliesslich geöffnet, und ein Zeremonienmeister führte sie in die Halle, wo das grosse Gastmahl stattfinden sollte.

 

In dem grossen Saal waren unzählige Bänke und Tische, mit den kostbarsten Geweben überzogen und mit Trinkgefässen aus Silber und Gold gedeckt. Die Gäste waren versammelt, die beiden Reisenden aber sahen keine bekannten Gesichter, und sie spähten vergebens nach dem Bräutigam und der Braut.

Als ihnen ihre Plätze angewiesen waren, begann ein leises Gemurmel unter den Gästen. Man sprach halblaut und fragte sich, wo der Grosskönig sich zeigen werde.

Orestes und Edeko untersuchten mit den Augen Wände und Decke, ohne sehen zu können, wo das Wunder geschehen werde, denn diese kindlichen und hinterlistigen Männer pflegten die Gäste mit Überraschungen und scherzhaften Possen zu ergötzen.

Plötzlich stand die ganze Versammlung auf. Der Behang der Wand im Hintergrund war fortgezogen worden, und auf einer Estrade sass ein kleiner unbedeutender Mann, allein mit einem Tisch vor sich und einem Ruhesofa neben sich. Auf dem Tisch stand ein hölzerner Becher.

Er sass ganz unbeweglich, nicht einmal die Augenlider bewegten sich.

Etwas tiefer als er stand sein Minister, der Grieche Onegesius, der seine Blicke unablässig auf den Herrscher geheftet hielt, der durch die Augen, zu ihm sprechen zu können schien.

Der Minister gab ein Zeichen, und die Gäste setzten sich.

Attila blieb sitzen wie er sass, die Beine gekreuzt und die rechte Hand auf dem Tisch. Er grüsste nicht, beantwortete die Grüsse nicht.

– Er sieht uns nicht! Er zeigt sich nur! flüsterte Orestes.

– Er sieht wohl!

Onegesius erhielt einen Befehl aus dem Auge des Herrschers; hob seinen Stab; ein Dichter trat vor, mit einem Instrument, das einer Harfe und zugleich einer Trommel glich. Nachdem er die Saiten und das Trommelfell geschlagen, begann er zu rezitieren.

Es war ein Lied von allen Taten Attilas, stark aufgetragen, und es wäre endlos gewesen, wenn die Versammlung nicht in den Refrain eingefallen wäre und dabei mit ihren kurzen Schwertern auf den Tisch geschlagen hätte. Der Dichter schilderte die Niederlage auf den katalaunischen Feldern als eine ehrenvolle, aber unentschiedene Schlacht.

Als die Fremdlinge eine Zeitlang den unbedeutenden Helden in seinem einfachen braunen Lederanzug betrachtet hatten, wurden sie von der gleichen unwiderstehlichen Achtung ergriffen wie alle, die ihn gesehen.

Es lag mehr als Eitelkeit in dieser selbstbewussten Ruhe; diese sichtbare Verachtung von allem und allen. Er wandte den Gästen fortwährend das Profil zu, und niemand ausser dem Minister konnte seine Blicke auffangen.

Als das Loblied zu Ende war, erhob Attila seinen Becher, und ohne einem zuzutrinken, nippte er daran.

Das war jedoch das Signal zum Beginn des Trinkgelages; und der Wein floss in goldene und silberne Becher, die bei jedem Zug geleert werden mussten, denn es ergötzte den Herrn, selber nüchtern, seine Umgebung berauscht zu sehen.

Nachdem man eine Weile getrunken hatte, trat der Neger Hamilkar vor und gaukelte.

Da erhob sich der Grosskönig, kehrte erst der Versammlung den Rücken, und legte sich dann auf das Sofa. Aber in jeder seiner Bewegungen lag Majestät; und als er so sinnend dalag, die Knie hinaufgezogen und die Hände unterm Nacken, die Augen gegen die Decke gerichtet, war er noch imponierend.

– Aber die Braut und die Hochzeit? fragte Orestes einen von den hunnischen Gästen.

– Bei uns spricht man nicht von seinen Frauen; sollte man sie da zeigen? antwortete der Hunne.

Das Trinken wurde fortgesetzt, aber Speisen kamen nicht auf den Tisch. Mitunter sang die ganze Versammlung und schlug auf den Tisch.

Mitten im Rausch und Lärm war der Saal plötzlich voll Rauch und das Gebäude stand in Flammen. Alle stürzten in die Höhe, schrien und suchten die Flucht, der Minister aber schlug mit seinem Stab auf den Tisch, und die Versammlung brach in ein Lachen aus.

Es war ein Hochzeitsscherz und man hatte nur einige Fuder Stroh draussen angesteckt.

Als die Ruhe wieder eingetreten war, war Attila nicht mehr zu sehen, denn er hatte den Saal durch eine Paneltür verlassen.

Und jetzt begann das Gastmahl, das bis zum Morgen dauerte.

 

Als die Sonne aufging, sass Orestes mit einem avarischen Fürsten noch beim Becher. Das Aussehen des Saals war unbeschreiblich, und die meisten Gäste tanzten draussen um Feuer.

– Das ist auch eine Hochzeit! sagte Orestes. Die vergessen wir nicht so bald; aber gern hätte ich mit dem merkwürdigen Mann gesprochen; kann man das nicht?

– Nein, antwortete der Avare, er spricht nicht ohne Not. Wozu soll das dienen, sagt er, dazustehen und einander zu belügen? – Es ist ein kluger Mann, und nicht ohne Züge von Wohlwollen und Menschlichkeit. Er duldet kein unnötiges Blutvergiessen, rächt sich nicht an einem Geschlagenen, verzeiht gern.

– Hat er Religion? Ist er bange vorm Tod?

– Er glaubt an sein Schwert und seinen Beruf, und der Tod ist ihm nur das Tor zur wirklichen Heimat. Darum lebt er nur als Gast hier unten, oder wie auf einer Reise.

– Also ganz wie die Christen!

– Eigentümlich ist es, dass er in Rom Respekt vorm Papst Leo bekam. – Was ist nun los?

Draussen erschallte ein Geheul, das erst aus dem Palast zu kommen schien, sich dann aber durchs Lager verbreitete. Eine halbe Million Menschen heulten, und es klang wie Weinen.

Die trinkenden Gäste eilten hinaus und sahen alle Hunnen tanzen, sich mit Messern das Gesicht ritzen und hörten sie unbegreifliche Worte ausstossen.

Edeko kam hinzu und riss Orestes mit sich durch die Haufen:

– Attila ist tot! Gelobt sei Jesus Christ!

– Tot? Das ist Ildico!

– Nein, sie sass an der Leiche, verschleiert, weinend.

– Das ist sie!

– Ja, aber diese Wilden sind zu hochmütig, um zu glauben, Attila könne von einem Menschen getötet werden!

– Welches Glück für uns!

– Schnell nach Rom mit der Neuigkeit! Das Glück dessen, der zuerst kommt, ist gemacht!

 

Orestes und Edeko reisten am selben Morgen; und sie vergassen niemals diese Hochzeit, die sie zum erstenmal zusammengeführt.

Später erneuerten sie die Bekanntschaft, aber unter andern und grössern Verhältnissen. Denn Edekos Sohn war Odovaker, der den Sohn des Orestes stürzte, und der war kein andrer als der letzte Kaiser Romulus Augustus.

Er hiess sonderbarerweise Romulus wie Roms erster König, und Augustus wie der erste Kaiser. Und er beschloss sein Leben als Verabschiedeter, mit einer Pension von sechstausend Goldmünzen, in einer Villa in Campanien, die vorher Lucullus besessen hatte.


 << zurück weiter >>