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Zwölftes Kapitel.
Stimmen über Huttens Tod und Ausgänge seiner alten Freunde.

Ob dem sterbenden Hutten des Erasmus bittere Gegenschrift noch zu Gesichte gekommen, ist ungewiß. Einige behaupteten es; Erasmus glaubte es nicht, weil der Druck derselben erst am 3. September vollendet worden war Erasmus in der Vorrede zur neuen Ausgabe der Spongia, in Hutten's Schriften II, S. 263. Die entgegengesetzte Voraussetzung anderer ebendas. S. 347 und 352., wo Hutten schon im Grabe lag. Immerhin könnten ihm jedoch durch Freundesvermittlung die einzelnen Bogen schon vor der eigentlichen Ausgabe der Schrift zugekommen sein. Im Publikum dagegen kam die Kunde von Hutten's Tode der Verbreitung der Spongia um so viel zuvor, daß die gehässige Nachrede entstehen konnte, Erasmus habe sie gegen den Todten geschrieben. Vermochte er gleich dieß genügend zu widerlegen, so wurde seine Schrift doch gelesen, als der Gegner schon todt war, den sie bekämpfte, und Erasmus fühlte selbst, wie viel ihr dieß von der Gunst des Lesers entziehen mußte.

Als nun nach wenigen Wochen schon eine neue Auflage nöthig geworden war, konnte Erasmus diese Gunst durch ein versöhnendes Vorwort zu gewinnen suchen. Er konnte, nachdem er der Pflicht der Selbstvertheidigung genug gethan und dabei den Gegner, der ihm in Waffen gegenüberstand, nicht geschont hatte, nun, da dieser gefallen war, sich und die Leser an seine Vorzüge erinnern und von dem ehemaligen Freunde, den spätere Verwicklungen zu seinem Gegner gemacht hatten, einen großmüthigen Abschied nehmen. Statt dessen rühmte er sich in dem Vorworte zu der neuen Ausgabe (das er nicht mehr, wie das der ersten, an Zwingli, der schwerlich mit der Spongia zufrieden war, sondern an den Leser richtete), in dieser Schrift noch sehr säuberlich mit Hutten gefahren zu sein, und frischt nun das grelle Bild, das er dort wiederholt von demselben entworfen, zum Ueberflusse noch einmal auf. Für die Jugend, äußert er, ergebe sich aus Hutten's warnendem Beispiele die Lehre, über der Bildung des Geistes die des Charakters nicht zu versäumen, die Leidenschaften durch Vernunft zu zügeln. »Denn manche«, fährt er fort, »schmeicheln Anfangs ihren Fehlern, sehen Buhlen und Prassen ihrer Jugend nach, halten Spiel und Verschwendung für adelich. Mittlerweile nimmt das Vermögen ab, die Schulden zu, der Ruf leidet, die Gunst der Fürsten geht verloren, von deren Mildthätigkeit man lebte. Bald lockt Dürftigkeit zum Rauben, und zuerst geschieht dieß unter dem Vorwande des Kriegs; dann aber, wenn für den Aufwand, als das lecke Faß der Danaiden, nichts mehr hinreicht, erlaubt man sich schlechte Streiche, und macht, wo es eine Beute zu erschnappen gilt, zwischen Freund und Feind keinen Unterschied mehr; bis endlich die Leidenschaft, wie ein Roß das den Reiter abgeworfen, jählings ins Verderben rennt.« Auch später noch berief er sich gegen die Vorwürfe, die ihm der Spongia wegen gemacht wurden, darauf, daß er ja in derselben von Hutten's anstößigem Lebenswandel kein Wort gesagt habe In dem Brief an Luther, 8. Mai 1524, in Hutten's Schriften H, S. 409.; was nur insofern richtig ist, als er der offenen Nennung seines Namens an solchen Stellen die nicht mißzuverstehende Anspielung vorgezogen hatte.

Billiger und richtiger hatte schon vor einem Jahre, aus Veranlassung einer verfrühten Todeskunde, Veit Werler in seiner Abgeschiedenheit zwischen den Bergen von Wiesensteig über Hutten geurtheilt, der ihm von einem frühen Zusammentreffen in Leipzig her unvergeßlich geblieben war. Nachdem er den vorzeitigen Hingang eines so großen Talents, eines in Prosa und Versen so glücklichen Schriftstellers beklagt und des Ursprungs ihrer Bekanntschaft sich mit Liebe erinnert hat, fährt er fort: »Man machte ihm zum Vorwurfe, daß er oft allzubitter geschrieben, daß er Schmähungen auf Schmähungen gehäuft, daß er viele mit mehr als tragischem Hasse verfolgt habe. Es sei so. Aber er war gereizt, war jung, und that es nur in der Hitze des Schreibens, machte auch niemand verhaßter dadurch als sich selbst. Wenn das ein Fehler ist, so hat er diesen mit vielen gemein. Wir können nicht alle unserem Herrn und Meister Christo ähnlich sein, der nicht lästerte, wenn er gelästert ward, sondern für bittere Schmach uns seine heilsame Lehre zurückgab. Wie dem sei: ich wünsche Hutten's Schatten eine leichte und nicht lastende Erde, und duftende Crocusblumen auf sein Grab.« Vom 8. Oct. 1522. Hutten's Schriften II, S. 150.

Wie nun vollends der alte Herzensfreund Eoban die Nachricht von Hutten's Tode erhielt, kannte sein Schmerz keine Grenzen. »O mein Draco«, schrieb er an diesen Theologen, der einst auch dem erfurter Kreise angehört hatte. »Ach mein Draco! – Was ist es? – Ein Unglück ohne gleichen. – Welche üble Zeitung meldest du, Hesse, warum beunruhigst du deinen Draco! – Nein, Erasmus ist nicht gestorben. – Gott sei Dank! – Aber Er ist hin. – Wer? – Er, der Unsrige. – Welcher Unsrige? Jonas? – Nein, das sei ferne: und doch der Unsere … unser Hutten ist nicht mehr. Beurtheile nun, ob meine Seufzer von Herzen kommen … Unser Hutten ist an Gift gestorben … Wer war, fast möchte ich sagen der feindselige Gott, der um diesen reichen Geist uns beneidete? Ja, wiederholt und oft drängt es mich auszurufen: Wehe, ihr grausamen Götter! du grausames Geschick! Doch ich sehe, ich muß meine Zuflucht zur Dichtung nehmen; denn ein einfacher Brief kann meinen Schmerz nicht fassen. Aber ach, du theurer Hutten, so hast du uns verlassen? Oder bist du nur hingegangen? Wohin aber? und wirst du wiederkommen? Ach! du warst durchaus liebenswerth. Keiner war so wie du den Schlechten gram und den Guten hold. Nur mit Mühe halte ich mich zurück, daß ich nicht ganz zerfließe. Laß mich bei dir, mein theurer und verehrter Draco, das feierliche Zeugniß niederlegen, daß ich Hutten innig geliebt habe.« Die poetische Klage, auf welche Eoban in dem Briefe an Draco verwies, gab er wirklich bald darauf in einer Elegie, in welcher Hutten sich mit dem Tode unterredet und dessen Triumph über ihn durch die Hinweisung auf seinen unsterblichen Ruhm und durch Herzählung seiner Verdienste zu dämpfen sucht. Den Brief in Hutten's Schriften II, S. 354; das Gedicht ebendas. S. 355-357.

Als im folgenden Jahre Melanchthon, in Begleitung von Joachim Camerarius und einigen andern, die Reise in seine Heimath machte, sprachen sie in Fulda bei Crotus Rubianus und Adam Kraft ein, und erfuhren von ihnen erst das Nähere über Hutten's Scheiden. Von allen wurde sein Andenken gefeiert, und Melanchthon, dem an dem lebenden Hutten seine Heftigkeit und Neigung zu Neuerungen immer unheimlich gewesen, der sich wohl auch an seinem soldatischen Wandel gestoßen und zuletzt über seinen Angriff auf Erasmus sich sehr hart ausgesprochen hatte, er nahm jetzt den Todten gegen die Schmähungen eines gewissen Othmar Nachtigall oder Luscinius durch ein Epigramm in Schutz. Bei der Erzählung hievon macht Camerarius, nachdem er von Hutten's Adel und Gelehrsamkeit, Freiheitsliebe und Ungestüm, aber auch von seinem schwachen und unscheinbaren Körper und seinen spärlichen Mitteln gesprochen, die Bemerkung: oft seien ihm bei Hutten die Verse eingefallen, welche besagen, wenn dem Vorsatz und Eifer des Demosthenes Macht und Vermögen entsprochen hätten, so wäre der Macedonier niemals Herr von Griechenland geworden. Denn wenn es Hutten bei seinen Planen und Unternehmungen nicht an dem Rückhalte wirklicher, insbesondere kriegerischer Macht gefehlt hätte, so würde eine allgemeine Umwälzung erfolgt und der ganze öffentliche Zustand ein anderer geworden sein. Die Erzählung des Camerarius s. in Hutten's Schriften II, S. 361-363. Das Epigramm von Melanchthon ebendas. S. 363.

Auf der gedachten Reise kamen Melanchthon und seine Begleiter auch nach Gotha, wo Mutianus Rufus noch immer seinen Wohnsitz hatte. Aber in dem stillen Hause hinter der Hauptkirche war vieles anders geworden. Jahre und Erlebnisse hatten den Bewohner desselben ernster, düsterer gemacht. Er hatte den Virgil mit den Psalmen vertauscht. Nicht, daß er zu den Classikern nicht immer wieder zurückgekehrt wäre: aber der Satz konnte jetzt seiner Feder entfließen, daß ein Priester eigentlich keine heidnischen Dichter lesen sollte. Seinen kirchlichen Verrichtungen, die er früher gerne durch Stellvertreter hatte versehen lassen, unterzog er sich nun fleißig selbst. Er empfand das Bedürfniß tieferer religiöser Belehrung und beklagte nur, nirgends einen Eingeweihten zu finden, den er zu seinem Führer wählen könnte. Da er aber dabei, wie wir aus seiner Stellung im Reuchlinischen Streite wissen, die bestehende Kirche geschont, die Blößen der Priesterschaft nicht aufgedeckt, den Unterschied exoterischer und esoterischer Lehrart aufrecht erhalten wissen wollte, so konnte ihm Luther's Verfahren, das alle diese Rücksichten und Schranken niederwarf, nicht gefallen; noch weniger Hutten's geradezu auf Krieg und Aufstand gerichtetes Bestreben. Schon im Jahre 1519 hatte sich dieser über Mutian's Schweigsamkeit gegen ihn zu beklagen gehabt. S. oben S. 302. Was seitdem vorgefallen war, hatte nicht dazu beitragen können, dessen Stimmung gegen die Reformation und deren Verfechter zu verbessern. Sie fing an, die Grundlagen seiner Existenz zu erschüttern, seine »glückselige Stille« zu bedrohen. Kaum war im Frühling 1521 Luther auf seiner Reise nach Worms durch Erfurt gezogen, als daselbst der sogenannte Pfaffensturm ausbrach, der ganz besonders gegen die Häuser der Kanoniker gerichtet war. Aehnliche Scenen wiederholten sich drei Jahre später in Gotha, und dabei scheint auch Mutian zu Schaden gekommen zu sein. Dieser hatte sich im Beitreiben seiner Einkünfte immer sehr milde gezeigt; »er gebe die Hälfte, so ist es gut«, war Pflichtigen gegenüber oft sein Spruch gewesen. Nun aber wollten die Bauern, durch die Reformationsideen aufgeregt, dem Stift überhaupt keine Abgaben mehr entrichten. Des Kurfürsten Befehle zu Mutian's Gunsten fruchteten wenig, seine Geldsendungen halfen nicht auf die Dauer. Als daher im Jahre 1524 der vorauseilende Camerar dem Mutian jenen Besuch Melanchthon's ankündigte, fehlten diesem bereits die Mittel, die werthe Reisegesellschaft in gewohnter Weise in sein Haus und an seinen Tisch zu nehmen, und er mußte sich begnügen, sie in der Herberge zu begrüßen. Das that dem alten Manne schmerzlich wehe, der in seiner bescheidenen literarischen Gastfreundlichkeit so glücklich gewesen war.

Doch noch Schlimmeres sollte das nächste Jahr ihm bringen. Der Bauernkrieg drang auch nach Thüringen, und wenn gleich Gotha selbst verschont blieb, so wüthete doch ringsumher Aufruhr, Plünderung und Brand. Mutian's Einnahmsquellen versiegten vollends, seine ganze Existenz war aus den Wurzeln gehoben. Unter diesen Umständen schrieb er am Donnerstag nach Quasimodogeniti einen Brief an den Kurfürsten Friedrich, der ihn innerlich gebrochen zeigt. »Mein großmächtiger Fürst und Herr! Betrübt ist meine Seele bis zum Tode. So gewaltsam, so schrecklich, so grausam verheert das rohe Landvolk, ohne Sitte, Gesetz und Religion, die heiligen Tempel unseres Gottes. Wir sind die Schafe deiner Weide. In deiner löblichen Herrschaft bitten wir für die Ehre und Würde deines Namens den Allmächtigen Tag und Nacht. Ein jammervolles Schauspiel gewähren die umherirrenden Nonnen und Priester, die, nicht freiwillig, sondern aus Furcht von den Tempelschändern gesteinigt zu werden, ihre heiligen Wohnsitze verlassen. Ich Elender, Unglückseliger, schon alternd und mit grauem Haupte, sehe mich genöthigt, zu betteln. Unter den großmüthigsten und löblichsten Fürsten muß ich, bei dem äußersten Mangel an allem Nothwendigen, vor Bekümmerniß sterben.« In seiner Arglosigkeit habe er sich auf nichts dergleichen versehen; obwohl er jetzt aus den Reden und Briefen glaubwürdiger Leute erkenne, daß die Reichsstädte es seien, welche, unter dem Scheine des Evangeliums und mit Hülfe der Juden, die Bauern aufreizen, in der Absicht, nicht allein die bischöflichen, sondern auch die fürstlichen Stühle umzustürzen, um, nach Ausrottung aller erlauchten Familien, eine Republik nach dem Vorbilde der Venezianer oder der alten Griechen zu errichten. Von dem rasenden Volke sei alles zu fürchten. Vielleicht werden die Stifter, auch das zu Gotha, nicht wiederhergestellt werden. Dann aber, fährt er fort, »möge doch mir, als dem Einfältigsten und Geringsten, gestattet sein, in diesem Ruhesitze ( Tranquillitate), den ich gekauft, den ich mit Büchern ausgeschmückt, den ich mir zur sichern Zuflucht meines Alters ausersehen habe, bis an mein Ende zu bleiben. Auch wenn der Tempel geschlossen, die heiligen Bräuche abgeschafft, die Altäre umgestürzt sind, werde ich dich, mein huldreicher Schutzherr, verehren im Tempel meines Herzens, im heiligen Evangelium, im ewigen Angedenken. Alter und Leibesschwachheit gestatten mir nicht, zu wandern. In deinem Gotha, gütigster Vater, wo ich harmlos zweiundzwanzig Jahre lang gelebt, niemanden gekränkt, gedient habe wem ich konnte, möchte ich altern … Aber des Lebens Nothdurft wird mir gebrechen. Die geistlichen Einkünfte sind aufgehoben. Wovon soll ich Armer leben? Durchlauchtiger Fürst! ich werde mit Wenigem zufrieden sein. Doch ehrbaren und gelehrten Gästen möge mein Haus offen stehen. Laß mich Brod haben und etwas Weniges an Geld für Zukost. Ich bin, ich gestehe es, in nicht unbedeutende Schulden gerathen. Denn ganze vier Jahre ist mir von Gerstungen kein Zins gekommen, keine Frucht geliefert worden: mein Brod muß ich vom Bäcker, meinen Wein von der Stadt kaufen, und freilich ein sorgfältiger Hauswirth bin ich nicht, wie ja solche Achtlosigkeit den Gelehrten eigen ist. Demüthig falle ich dir zu Füßen und umfasse die Knie deiner Gnade: meine Rettung liegt in deiner Hand. Von meiner dankbaren Gesinnung gedenke ich ein Pfand zurückzulassen. Zeugniß ablegen will ich vor der Nachwelt, daß ich durch die Wohlthaten des erlauchten Kurfürsten, des frommen Friedrich, und seines menschenfreundlichen Bruders unterstützt worden bin … Deine fromme Weisheit wird, so hoffe ich, mir ein jährliches Gehalt verordnen, daß ich unter dem Schatten deiner Flügel den Rest meiner Tage ohne Furcht und Sorgen hinbringen kann … Mögen andere lehren mit dem Geiste ihres Mundes: ich will durch Milde, Geduld, Liebe und gutes Beispiel, durch heiligen Wandel nach evangelischer Ordnung und christlicher Lebensregel, so lange ich lebe, die Gläubigen zu unterweisen nicht aufhören.« Den Brief gibt Tentzel, Supplem.histor. Gothanae zweite Abth.,S. 75 f.

Als der tiefgebeugte Mutian dieses Hülfsgesuch an Friedrich den Weisen richtete, lag dieser bereits auf seinem letzten Krankenlager zu Lochau, wo er am 5. Mai, gleichfalls satt einer Welt, aus der er Liebe, Wahrheit und Treue geschwunden meinte, verschied. Sein Bruder und Nachfolger Johann aber war noch geraume Zeit mit der Dämpfung des Bauernaufruhrs und Herstellung der Ordnung vollauf beschäftigt. So kam es, daß der gute Mutian auch ferner bittern Mangel litt. Doch seine Erlösung war nicht mehr weit. Gegen Ostern erkrankte er. Als es schlimmer mit ihm wurde, sagte er den Tag und nahezu die Stunde seines Todes voraus, dem er gefaßt und ohne Bangen, unter Gebet und frommen Betrachtungen entgegensah. Mit den Worten: Herr, dein Wille geschehe! entschlief er, am 30. Merz 1526. Sein Hingang wurde von allen, die ihm näher gestanden hatten, tief betrauert; von keinem inniger als von Crotus Rubianus, der damals schon fern an den Ufern des baltischen Meeres lebte. »Mutian's Tod«, schrieb er von hier aus an Camerarius, »ist mir nach dem meiner Eltern der bitterste gewesen. Keines Menschen Freundschaft war mir jemals theurer, mit keinem stimmte meine Gemüthsart mehr überein. Darum beklage ich nicht sein Loos, sondern das meinige, eines solchen Freundes beraubt zu sein. Er hat das sterbliche Leben mit der Unsterblichkeit vertauscht, und ist ohne Zweifel aufgenommen in die ewige Seligkeit, in deren Hoffnung er sein Leben so fromm und tugendhaft eingerichtet hatte.«

An der Zeit irre geworden, mit der Reformation zerfallen, war Mutian, wie wir sahen, in seinen letzten Jahren nicht minder als Erasmus; nur daß seine zurückgezogene Art ihm den unmittelbaren Zusammenstoß ersparte. Bei Erasmus dagegen folgte auf das Vorpostengefecht mit Hutten unmittelbar die Hauptschlacht gegen Luther. Gereizt durch diesen Besonders durch den Brief vom April 1524, in Hutten's Schriften II, S. 407 f. wie schon längst durch seine fürstlichen Gönner gedrängt, etwas gegen ihn zu thun, gab er im Jahre 1524 seine Schrift über den freien Willen heraus, welcher Luther, ganz in seiner Weise, wie sie Erasmus früher gezeichnet hatte, sein Buch vom unfreien Willen entgegensetzte. Von jetzt an war der Krieg der Reformationspartei gegen Erasmus erklärt. Und beinahe war es ihm jetzt lieber, von dieser Seite gescholten als gelobt zu werden, weil ihn letzteres auf der andern verdächtig machte. Denn es traf nun ganz so ein, wie Hutten ihm vorhergesagt hatte, daß ihm die päpstlich Gesinnten doch nie recht trauten. Hatte ihn schon früher der Cardinal Adrian bei Leo X. als denjenigen denuncirt, an den man sich als an den eigentlichen Urheber der Reformationsunruhen halten sollte, so warf ihm nun Albert Pius, Fürst von Carpi, in einer eigenen Schrift vor, daß seine Bücher die Arsenale seien, aus denen Luther und dessen Anhänger ihre Waffen gegen die Kirche genommen hätten. Und indem er sich gegen Angriffe von dieser Seite vertheidigte, stürmte dann auf einmal wieder jener Heinrich Eppendorf, Hutten's zweideutiger Schildträger in dessen letzten Tagen, in das Zimmer des kränklichen alten Mannes und wußte ihm durch Vorhaltung der Abschrift eines Briefes an den Herzog Georg von Sachsen, in welchem er sich von Erasmus zu nahe getreten glaubte, einen demüthigenden Vertrag abzuängstigen Die Belege s. in Hutten's Schriften II, S. 429 ff.. An Eppendorf nahm Erasmus unter anderm auch dadurch Rache, daß er sein Conterfei, zwar ohne Namen, doch den Zeitgenossen wohl erkennbar, seinen Dialogen einverleibte. Das Gespräch: Der Ritter ohne Roß, oder der erlogene Adel, bezieht sich nachweisbar auf Eppendorf.

Aber auch auf Hutten soll Erasmus in ähnlicher, ja noch viel hämischerer Weise in einigen seiner Dialoge angespielt haben. Als solche werden das Gespräch eines Freiers mit einem Mädchen, und die unhochzeitliche Hochzeit genannt. Allein in dem ersteren wird nur gelegentlich, zur Warnung einer Spröden, angeführt, wie eine, die einen schönen Liebhaber hartherzig abgewiesen hatte, zur wohlverdienten Strafe sich in einen häßlichen, buckligen, verschuldeten, schäbigen Menschen, dem der Henker ein Ohr abgeschnitten hatte, verlieben mußte. Hier ist, wie es in dem Gespräche selbst heißt, ein Ideal von ekelhafter Häßlichkeit, ein Thersites, fingirt, und keine Anspielung auf Hutten zu suchen. Der andre von den genannten Dialogen stellt sich die Aufgabe, die Abscheulichkeit der Lustseuche auszumalen, um dadurch jedermann, insbesondere Eltern und Mädchen, zur Vorsicht und die Regierungen zu vorbauenden Maßregeln gegen ihre Verbreitung zu veranlassen. Zu diesem Zwecke wird ein ungleiches Braut- und angehendes Ehepaar geschildert: ein junges, blühendes, unschuldiges Mädchen, und ein von jener Krankheit ganz zerfressener Bräutigam, der diesen Fehler nicht einmal durch Reichthum, sondern einzig durch seinen leeren Rittertitel bedeckt: und hier finden sich allerdings Züge, welche an die Art, wie Erasmus sonst von Hutten spricht, erinnern und den Gedanken einer Anspielung auf ihn fast unabweisbar nahe legen.

Durch das Fortschreiten der Reformation wurde dem Erasmus endlich auch der ihm lieb gewordene Aufenthalt in Basel verkümmert. Statt der Verehrung, die ihm früher an diesem Orte von allen Seiten entgegengekommen war, sah er sich jetzt, da die Bewohnerschaft in ihrer Mehrzahl sich der Reformation zuwandte, durch zudringliche Schreiben behelligt, bald auch durch Schmähschriften und Spottbilder verhöhnt. Wie nun gar Volkshaufen sich zusammenrotteten, Geschütz aus dem Markt aufführten und einige Nächte daselbst um ein großes Feuer unter Waffen standen, glaubte Erasmus seines Lebens und Gutes nicht mehr sicher zu sein. Der Rathsbeschluß, die Messe abzuschaffen und die Bilder aus den Kirchen zu entfernen, beugte zwar einem Ausbruche vor; doch nun trat bei Erasmus die leidige Rücksicht auf seine hohen Gönner ein, die ihn, wenn er auch jetzt noch in Basel blieb, für einverstanden mit den Neuerungen halten mußten. So beschloß er den Umzug nach dem unter österreichischer Herrschaft altgläubig gebliebenen Freiburg, den er, unter ängstlichen Vorkehrungen, im Frühling 1529 glücklich ausführte. Hier war er, während seine übrigen Arbeiten ihren Gang fortgingen, besonders auch um die Beilegung des kirchlichen Streites bemüht. Im Jahre 1533 widmete er dieser Angelegenheit eine eigene Schrift, die er dem theologischen Diplomaten Julius von Pflugk zueignete. Wir wollen seine billigen Vorschläge (zur Mäßigung von beiden Seiten, Absehen vom Unwesentlichen u. dgl.) nicht darum schelten, weil sie ohne Wirkung blieben und bleiben mußten; das aber müssen wir tadeln, daß er in dieser Schrift sich selbst das Recht benahm, so billig zu sein. Denn wenn es wahr ist, was er hier einräumt, daß derjenige schlimmer sei, welcher von der Lehre und Gemeinschaft der Kirche sich lossage, als derjenige, welcher lasterhaft lebe, aber an der Kirchenlehre festhalte, so ist aller Glaubenszwang gerechtfertigt, ja geboten. Wenn Erasmus früher seine Unterwerfung unter die Kirche durch das Bedürfniß zu begründen gesucht hatte, dem endlosen Hin und Her der Vernunftgründe durch den Machtspruch einer unfehlbaren Auctorität Halt zu gebieten, so konnte darin, bei seiner Geistesart, immerhin einige Wahrheit liegen. Aber die dogmatische Zusammenstimmung mit der Kirche dem sittlichen Verhalten gegenüber als das Wichtigere und Wesentliche betrachten, konnte er nur bei entschiedenem Abfall von dem humanistischen Standpunkte, welcher in diesem Stücke mit dem des spätem Rationalismus ganz derselbe war.

In Freiburg wollte es dem Erasmus weder leiblich noch gemüthlich so wohl werden, als es ihm, wenigstens in der frühem Zeit, zu Basel gewesen war. So entschloß er sich endlich im Jahre 1535, der dringenden Einladung der Königin Maria, Statthalterin der Niederlande, dahin zu folgen. Aber in Basel, wo er auf der Durchreise erst noch den Druck einer Schrift überwachen wollte, überfiel ihn die Gicht. Andere Leiden traten hinzu, die ihn, während er seine gelehrten Arbeiten noch immer fortsetzte, unaufhaltsam dem Tode entgegenführten. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1536 starb er, hellen und gefaßten Geistes, im Alter von 70 Jahren. Er hatte viel gearbeitet, Großes gewirkt, für seine Schwächen empfindlich gebüßt, und nahm einen zwar nicht unversehrten, doch immer noch überreichen Kranz des Verdienstes und Ruhmes mit ins Grab.

In eine ähnliche Stellung wie Erasmus sehen wir auch seinen und Hutten's Freund, Wilibald Pirckheimer zu Nürnberg, während der letzten Jahre seines Lebens hineingerathen. Die Zeiten seiner frischen Kraft, in denen er die Schutzschrift für Reuchlin und den gehobelten Eck geschrieben hatte, waren, als Hutten starb, bereits dahin. Den satirischen Dialog auf Eck hatte Pirckheimer nach der leipziger Disputation verfaßt und im Jahre 1520 herausgegeben. Eccius dedolatus autore Joanne Francisco Cottalambergio P. L. In Hutten's Schriften IV, S. 515-543. In dem gebildeten, mit griechischen Citaten gespickten Latein der Humanisten geschrieben, außer wo er einmal mimisch in das Küchenlatein der Dunkelmännerbriefe fällt, ist derselbe übrigens ganz in der derben und phantastischen Art deutscher Schwänke jener Zeit gedacht. Der erkrankte Eck (er hatte sich durch sein Schreien bei der Disputation zu sehr erhitzt und zeigt nun einen fieberhaften Durst – nach Wein) läßt mit Hexenpost einen Chirurgen, der aber eher einem Henker gleicht, aus Leipzig holen. Da dieser eine gefährliche Cur in Aussicht stellt, wird der Patient ermahnt, vorher seine Beichte abzulegen, wobei er merkwürdige Bekenntnisse macht, insbesondere Ehr- und Habsucht als die einzigen Triebfedern seines Auftretens gegen Luther eingesteht. Nun geht der Chirurg mit seinen Gehülfen an das Werk: Eck wird erst mit Prügeln abgehobelt, dann nach einander geschoren, purgirt und operirt. Beim Scheeren kommen unter den Haaren ganze Ungezieferschwärme von Syllogismen und Sophismen zum Vorschein; auf dem Wege des Erbrechens gehen allerhand Eckische Schriften und ein rother Doctorhut, auf dem nach unten der päpstliche Ablaß und das für die Vertheidigung des Wuchers von den Fuggern empfangene Geld ab; beim Oeffnen der Brust aber werden, in Gestalt von Karbunkeln und Krebsgeschwüren, Prahlerei, Verläumdungssucht und ähnliche Laster gefunden und theils ausgebrannt, theils ausgeschnitten. Nachdem Patient alles, besonders ungern noch eine gewisse letzte Operation, durchgemacht hat, bittet er, nur den ruchlosen wittenberger Poeten und dem schmähsüchtigen Hutten nichts davon zu sagen; die würden eine Komödie daraus machen. Diese Satire, welche Pirckheimer auf Zureden seiner Freunde, zwar unter erdichtetem Namen, doch bald als Verfasser errathen, herausgab, sollte ihn theuer zu stehen kommen. Eck, der bald darauf mit der Bannbulle gegen Luther aus Rom zurückkam, setzte laut einer päpstlichen Vollmacht, die er hiezu hatte, unter den Hauptanhängern Luther's auch Wilibald Pirckheimer in die Bulle. Um seinen Mitbürgern nicht böses Spiel zu machen, mußte sich dieser zu Unterhandlungen, und zuletzt zu einer Art von Widerruf bequemen, der ihm nicht einmal ganz aus der Sache heraushalf.

Aus dieser Zeit, dem Jahre 1522, ist der letzte vorhandene Brief von Pirckheimer an Hutten, die Antwort auf ein (verlornes) Schreiben des letztern, das Bucer, wahrscheinlich im Gefolge des Pfalzgrafen Friedrich nach Nürnberg gekommen, ihm überbracht hatte. Pirckheimer's Brief ist nicht ohne Zeichen von Aengstlichkeit, oder doch von Verstimmung. Es seien, schreibt er, mehr übrigens um seiner Anhänglichkeit an Reuchlin als an Luther willen, auch wegen des gehobelten Eck, für dessen Verfasser man ihn halte, Verfolgungen über ihn ergangen, die auch einen standhaften Mann hätten erschüttern können. Doch habe ihm Gott bisher geholfen und werde wohl auch ferner helfen. Obgleich in einer freien Stadt geboren, sei er doch nicht sein eigener Herr, sondern habe dem Rathe gehorchen müssen, der den Handel bisher mit mehr Klugheit als Muth, obwohl nicht ohne Kosten, geführt habe. Literarisches habe er mittlerweile nichts zu Stande gebracht, als, während er am Podagra gelitten, das Lob desselben geschrieben, das er dem Freunde, wenn es dieser wünsche, zuschicken wolle. Den Brief s. in Hutten's Schriften II, S. 112 f.

Dieser Anfechtungen ungeachtet war Pirckheimer in jenen Jahren noch ein warmer Anhänger der Reformation. Noch an Adrian VI., der zu Anfang des Jahres 1522 den päpstlichen Stuhl bestieg, gedachte er ein Schreiben zu richten, das aber wahrscheinlich durch den unerwarteten Tod dieses Papstes abgebrochen wurde, worin er als den Anlaß der kirchlichen Unruhen den Uebermuth und Wissenschaftshaß der Dominicaner, ihren Angriff auf Reuchlin, dann ihre gotteslästerliche Erhebung des Ablasses angibt und von Luther ebenso rühmlich, wie von dessen ersten Gegnern, Eck, Cajetan u. s. f., verächtlich spricht. Je mehr aber, besonders seit d. J. 1524, die Reformation in seiner nächsten Umgebung vorwärts drang, desto mehr zog sich Pirckheimer von derselben zurück. Die Gewaltsamkeiten, die Unordnungen, die Lösung alter Sitte und Entfesselung der Leidenschaften, die zunächst von ihr unzertrennlich waren und im Bauernkriege zu einer erschreckenden Höhe stiegen, machten ihn als Staatsmann bedenklich. Die Persönlichkeiten, die in Nürnberg an die Spitze der kirchlichen Veränderungen traten, wie der brutale Osiander, stießen ihn ab. Auch Luther's Heftigkeit und oft unnöthige Grobheit gefiel ihm nicht. Daneben machten Familienverhältnisse ihren Einfluß geltend. Mehrere Schwestern und Töchter Pirckheimer's hatten sich dem geistlichen Leben gewidmet. Die ältere seiner Schwestern, Charitas, dem Bruder an Geist und Charakter ebenbürtig und von diesem humanistisch herangebildet, stand dem Clarenkloster zu Nürnberg als Aebtissin vor. Gegen die Klöster aber richtete sich der Unwille des durch die Reformation aufgeregten Volks am ersten und heftigsten. Daß es ein Irrthum früherer Zeiten gewesen, den auch er getheilt habe, Töchter und Schwestern im Kloster am besten versorgt zu glauben, sah Wilibald jetzt ein. Aber die Art, wie man mit den armen Nonnen verfuhr, die fortwährenden Neckereien und Kränkungen, welche das Leben seiner würdigen Schwester fortan zu einer wahren Leidensgeschichte machten Vgl. die Denkwürdigkeiten der Charitas Pirckheimer in der Quellensammlung für fränk. Gesch. herausg. von dem histor. Verein zu Bamberg, Bd. 4. Bamberg, 1853., erbitterten ihn nicht blos gegen die Personen, sondern auch gegen die Denkart und Richtung, von der sie ausgingen. Bald traten noch die Spaltungen innerhalb der Reformpartei hinzu, das bedenkliche Weitergehn der schweizerischen Reformatoren, durch welches man in's Bodenlose zu gerathen schien. So anstößig war dieß Pirckheimern, daß er mit einem ehemaligen Freunde, dem Joh. Oekolampadius, sich in einen bittern Schriftenwechsel über die Abendmahlslehre verwickelte, in welcher er sich, zum Verdrusse des Erasmus, im Wesentlichen auf den Lutherischen Standpunkt stellte. Bezeichnend ist, was er in der Vorrede zu der ersten dieser Schriften äußert, wo er die Ueberlegenheit seines Gegners als Gelehrten anerkennt, dem er sich aber hinwiederum in Lebens- und Geschäftserfahrung überlegen weiß. Stünde die letztere manchen so wie die erstere zur Seite, meinte er, so lebte das Christenvolk friedlicher, und unzählige Unruhen wären vermieden worden.

Zunehmende Kränklichkeit und Vereinsamung in den letzten Jahren (1528 starb sein getreuer Albrecht Dürer) vermehrten Pirckheimer's Verstimmung, die um so tiefer wurde, als er sich von der Reformation abwandte, ohne doch zu dem alten Kirchenwesen ein neues Vertrauen gewinnen zu können. Er sei anfänglich gut Lutherisch gewesen, wie der selige Albrecht auch, bekennt er kurz vor seinem Tode in einem merkwürdigen Briefe Schreiben Herrn Wilibald Pirckheimer's an Joh. Tscherte, K. Karl's V. Bau- und Brückenmeister in Wien. In Ch. G. v. Murr's Journal zur Kunstgesch. u. zur allg. Lit., X. Thl., Nürnberg 1781, S. 36-47. weil sie gehofft haben, die römisch Büberei, deßgleichen der Mönch und Pfaffen Schalkheit, sollte gebessert werden. Allein statt dessen habe sich die Sache also verschlimmert, daß in Vergleichung mit den evangelischen Buben die vorigen fromm erscheinen. Während diese mit Gleißnerei und List betrogen haben, wollen die jetzigen offen und ungescheut ein schändlich Leben führen, und dabei die Leute bei sehenden Augen blind reden, indem sie nicht nach ihren Werken, sondern nach ihrem Glauben beurtheilt zu werden verlangen. Der gemeine Mann sei durch dieses Evangelium also unterrichtet, daß er nicht anders gedenke, denn wie eine gemeine Theilung geschehen möge; und wo die große Strafe nicht wäre, würde sich bald eine gemeine Beute (Plünderung) erheben, wie an vielen Orten auch schon geschehen sei. Das schreibe er jedoch nicht darum, fährt Pirckheimer fort, daß er des Papstes und seiner Pfaffen und Mönche Wesen loben könnte oder möchte; vielmehr wisse er, daß es in viel Weg sträflich sei und einer Besserung bedürfe: nur sei leider vor Augen, daß auch das neue Wesen in keinem Weg zu loben; wie ja Luther selbst und viel frommer, gelehrter Leute, die dem wahren Evangelium anhangen, mit Schmerzen sehen und bekennen, daß dieses Wesen keinen Bestand haben möge. Die Papisten seien doch zum mindesten unter ihnen selbst eins: dagegen seien die, so sich evangelisch nennen, mit dem höchsten unter einander uneins und in Secten zertheilt; die müssen ihren Lauf haben wie die schwärmenden Bauern, bis sie zuletzt gar verwüthen.

So trüber Stimmungen Meister zu werden, in der verworrenen Gährung der Gegenwart die schaffenden Kräfte der Zukunft, die Keime schönerer Entwicklungen zu erkennen, dazu war der sechszigjährige podagrische Pirckheimer zu alt und krank: er starb im Jahre des augsburgischen Bekenntnisses, und seine letzten Seufzer waren Wünsche für das Wohl des Vaterlandes und den Frieden der Kirche.

Keiner von Hutten's alten Freunden blieb der Richtung, die sie einst gemeinschaftlich verfolgt hatten, dabei aber zugleich seinem eigenen, von dem seines ritterlichen Freundes verschiedenen Wesen, getreuer als der wackere Eoban Hesse. Bei aller Freiheits- und Vaterlandsliebe war er doch keine politische Natur wie Hutten, den Trieb, auf die öffentlichen Dinge einzuwirken, empfand er nicht; vielmehr war er Poet und Lehrer durch und durch und fand sich im Studium, Vortrag und der Nachbildung der alten Dichter auf der einen, in harmloser Geselligkeit beim Wein auf der andern Seite, vollkommen befriedigt. Aber die Sache der Reformation war und blieb ihm Herzenssache. Von den Gedichten, zu denen ihn Luther's Aufenthalt in Erfurt auf der Reise nach Worms begeisterte, ist oben die Rede gewesen. Später dichtete er in der Form der ovidischen Heroiden eine Epistel der gefangenen Kirche an Luther, welche dieser erfreut zum Druck beförderte. Mitunter wandelte auch ihn das humanistische Bedenken an, als könnte der fromme Eifer, den die Reformation angefacht hatte, der wissenschaftlichen Bildung Eintrag thun. Besonders daß die religiösen Gegenstände anfingen, in deutschen, jedem verständlichen Schriften verhandelt zu werden, gab dem Latinisten die Besorgniß, es werde nun die Gelehrsamkeit als etwas Ueberflüssiges erscheinen. Diese Besorgniß wurde gemehrt durch das Gebühren mancher evangelischen Prediger, die, nicht selten ausgetretene Mönche, ihre Unwissenheit und Abneigung gegen die Wissenschaft mit auf die Kanzel brachten. Gegen solches Treiben ließ Eoban im Jahre 1524 drei satirische Dialoge erscheinen, nachdem er das Jahr vorher Briefe von Luther, Melanchthon und andern Führern der Bewegung, worin die Nothwendigkeit des Studiums von Poetik und Rhetorik betont war, zur eigenen Beruhigung und zur Nachachtung für andere hatte drucken lassen. Darum irrte Mutian, wenn er um dieselbe Zeit meinte, Eoban durch sein Zureden vom Lutherthum zurückgebracht zu haben Mutian an Erasmus, 1. Merz 1524, in Hutten's Schriften II, S. 401., nur mild und versöhnlich blieb dieser immer gesinnt.

Eoban's äußere Lage war durch die Reformation nicht verbessert worden. Die Verwirrung in Erfurt stieg in Folge derselben, und die Hochschule, an welcher er lehrte, kam immer mehr in Zerfall. Der Bauernkrieg vollends brachte deren Einkünfte ins Stocken, und hätte Eoban nicht an seinem Georg Sturz einen großmüthigen Mäcenas gehabt, so hätte er mit seiner anwachsenden Familie von Wasser und Brod leben müssen. Es war hohe Zeit, daß ihm im folgenden Jahre Melanchthon eine Stelle an dem neuerrichteten Gymnasium in Nürnberg verschaffte. Die Macht, der Reichthum, die Bildung dieser freien Stadt machten auf den Dichter großen Eindruck, welchem er in einer poetischen Beschreibung Nürnbergs einen Ausdruck gab, der ihm von dem Rathe eine Verehrung von 70 Fl. eintrug. Hier arbeitete er auch seine Uebersetzung des Theokrit in lateinischen Hexametern aus und begann eine ähnliche der Ilias. Joachim Camerarius und Michael Roting waren seine Collegen; der Rathsherr Hieronymus Baumgartner, der Rathsschreiber Lazarus Spengler seine Gönner; mit Wenceslaus Linck, Thomas Venatorius u. A. ging er freundschaftlich um; sein liebster Geselle jedoch auf Spaziergängen und beim Weine war sein Nachbar, Wilhelm Breitengraser der Musikus, von dem er sich auch gern deutsche Lieder vorsingen ließ. Wilibald Pirckheimer, mit dem Eoban schon vorher in Berührung gestanden, hatte ihn gleich nach seiner Ankunft zu einer von seinen glänzenden Gelehrtenmahlzeiten geladen und war ihm da freundlich entgegengekommen. Bald aber brachte die verschiedene Stellung, beider Männer zur Reformation eine Spannung in ihr Verhältniß. Der rasche und offenherzige Poet hatte sich am dritten Orte über Pirckheimer's diplomatische Zurückhaltung scharf geäußert, was dem letztern hinterbracht worden war. Beide sprachen sich über die Sache mit würdiger Aufrichtigkeit brieflich gegeneinander aus, und als Pirckheimer bald darauf starb, versäumte Eoban nicht, ihm einen ehrenden Nachruf zu widmen.

Wäre es nur in dem reichen Nürnberg für einen armen Poeten nicht so theuer gewesen, und wäre nur der arme Poet ein besserer Wirth und vorsichtiger in Geschäften gewesen. Zwar vermittelten seine Gönner, daß ihm die Stadtcasse immer wieder aus seinen Verlegenheiten half. Doch fühlte er sich in der Handelsstadt auch sonst nicht in seinem Elemente. Er gehe nicht gerne mit diesen Kaufleuten um, schreibt er an seinen G. Sturz, die nur von Pfeffer und Safran träumen, nur von Gold, und nichts von Wissenschaften wissen. So ließ er sich durch alte Anhänglichkeit und neue Anerbietungen im J. 1533 wieder nach Erfurt locken: ein Schritt, den er bald zu bereuen Ursache fand. Denn der erfurter Hochschule war nicht mehr aufzuhelfen, und die Nürnberger Großmuth und Freigebigkeit fand er nicht wieder in der herunterkommenden, von Parteien zerrissenen Stadt.

Schon als um das J. 1526 Philipp von Hessen die Universität Marburg errichtete, gingen Eoban's des Hessen Wünsche auf eine Anstellung an der heimischen Lehranstalt. Seitdem behielt er den Landgrafen im Auge und besang 1534 seinen würtembergischen Sieg. Endlich im J. 1536 kam der Ruf zu Stande, der dem Eoban für den Rest seiner Tage eine leidlichere Existenz verschaffte. Zwar die alten Uebelstände begleiteten den ehrlichen Poeten auch nach Marburg. Seine Schulden, sogar bei Juden, mußten auf seine Bitte von Universitätswegen abgewickelt werden. Er scheine eine sonderbare Vorstellung von seinen Finanzen zu haben, schrieb er dem Rector, daß er ihn auf die ordentlichen Verfalltermine seiner Besoldung beschränken wolle: wo er bisher gewesen, habe er immer auch zwischen der Zeit auf Abschlag holen dürfen. Mit vielem Selbstgefühl (denn er stand auf der Höhe seines Dichterruhms, und seine Schriften fanden nicht allein in Deutschland, sondern auch in Italien, Frankreich, England und Spanien Absatz, nur trugen sie ihm wenig ein) drohte er mehr als einmal, wenn man nicht besser für ihn sorge, wieder wegzugehen; doch ließ er sich immer wieder beschwichtigen und wurde nach und nach durch Geld- und Fruchtzulagen immer besser gestellt. Besondre Freude machte ihm eine Pfründe zu St. Goar die er erhielt, weil sie zwei Fuder guten Weins ertrug. Auch ein Haus hatte er sich auswählen dürfen, das der Landgraf für ihn kaufen wollte. Denn dieser wußte Eoban nicht blos als Gelehrten zu schätzen, sondern mochte ihn auch persönlich wohl leiden. Einmal zwar verwarnte er ihn wegen seines Trinkens: wogegen sich Eoban auf seine Arbeiten, die in Marburg vollendete Uebersetzung der Ilias vor allem, als geschworene Zeugen für seinen Lebenswandel, berief. Auch war es nicht so böse gemeint: der Landgraf zog den Poeten nicht nur wenn er selbst zu Marburg war, oder Eoban nach Kassel kam, gerne zur Tafel, sondern dieser mußte ihn auch zum Convent in Schmalkalden, nach Frankfurt und bei ähnlichen Anlässen begleiten. Bisweilen spielten sie zusammen Schach: da war der sorglose Poet der Strategie des Landgrafen nicht gewachsen; dieser machte ihn matt, der Poet wurde wild, und daran hatte jener sein Ergetzen.

Oefter schon war Eoban leidend gewesen: er selbst leitete es von seinem herzhaften Trinken her, von dem er darum doch nicht lassen mochte. Zu Anfang des J. 1540 reiste er nach Kassel und holte sich da, er wußte nicht, sollte er es der Witterung, oder dem Hofweine zuschreiben, einen Katarrh, der nicht mehr weichen wollte. Podagra gesellte sich hinzu, die Sache gestaltete sich zu allmähliger Abzehrung. Eoban bereitete sich zum Tode; er schrieb an Melanchthon, für ihn zu beten. Lange hatte man kein Wort mehr von ihm vernommen: da sprach er auf einmal, er wolle hinauf zu seinem Herrn. Man meinte, er phantasiere von einem Gang auf das Schloß zum Landgrafen; er hatte aber einen andern Gang und einen andern Herrn gemeint und entschlief bald darauf am 4. October 1540 im 52. Lebensjahre. Man würde irren, wenn man darum, weil Eoban in der deutschen Literaturgeschichte keine Stelle hat, seine Bedeutung und seinen Einfluß gering anschlagen wollte. Er wirkte als Lehrer und Schriftsteller für die Aufrechthaltung humanistischer Bildung in einer Zeit, als diese bereits wieder im Sinken war; er machte den Homer und Theokrit den Gebildeten in ihrer Sprache (der lateinischen) mit Erhaltung der Kunstform zugänglich; für die Reformation aber war es von hohem Werthe, daß der anerkannt erste lateinische Dichter der Zeit ihr begeisterter Verkündiger ward und blieb.

Einen ganz andern Verlauf nahm das Leben des Mannes, der neben Eoban der liebste und vertrauteste von Hutten's Jugendgenossen gewesen war, dessen er auch noch in den letzten Wochen seines Lebens in einem Briefe an Eoban mit zärtlicher Freundschaft gedacht hatte: des Crotus Rubianus. Wenn ein Hutten, Eoban, Hermann von dem Busche mit demselben frischen Muthe, mit dem sie unter der Fahne des Humanismus vorgedrungen waren, nun auch für die Sache der Reformation weiter gingen; wenn Erasmus die diplomatische Zurückhaltung, die er in dem Lutherischen Handel bewies, ebenso auch schon in dem Reuchlinischen gezeigt hatte; wenn Pirckheimer, bei welchem der Rückschritt merklicher ist, diesen doch mit aller Würde eines unabhängigen Mannes, eines staatsmännischen Charakters that: so fällt dagegen dem Crotus zur Last, nachdem er fast so weit als Hutten vorwärts gegangen war, weiter als Erasmus zurückgetreten zu sein, und diesen Schritt ohne Würde, ja unter Umständen gethan zu haben, welche die Reinheit seiner Beweggründe zweifelhaft machen mußten.

Nachdem Crotus auf dem Boden des Humanismus durch die Briefe der Dunkelmänner den kecksten Streich, obzwar verkappt, ausgeführt hatte, war er nicht etwa auf der Schwelle der Reformation wieder umgekehrt, hatte diese auch nicht zögernd und leisetretend wie Erasmus, sondern rasch und mit starkem Auftritt überschritten. Als Luther's Ablaßstreit entbrannte, war Crotus gerade in Italien. Im Sommer 1519 hatte er Rom besucht, und sich da vollends von der Nothwendigkeit eines Einschreitens, wie es Luther so eben wagte, überzeugt. Von den Briefen voll Anerkennung und Einverständniß, die er noch in demselben Jahre von Bologna, dann nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Frühling 1520 von Bamberg aus an den alten erfurter Studiengenossen schrieb, ist oben am gehörigen Orte die Rede gewesen. Wie Crotus im folgenden Jahre nach Erfurt kam, wurde er da zum Rector der Universität gewählt; was er nicht verfehlte alsbald Luthern in einem Schreiben anzuzeigen, worin er ihn dringend ermahnt, sein unersetzliches Leben vor den Nachstellungen seiner Feinde zu bewahren. Zugleich wünscht er dem Melanchthon zu seiner Verheirathung Glück und bekennt sich, im Gegensätze zu Mutian, dem Lobredner des Cölibats, als Verehrer des ehelichen Lebens. In Hutten's Schriften I, S. 433 f. Und nicht blos in Briefen, von denen übrigens der letztere alsbald zu Wittenberg gedruckt wurde, sondern auch durch einen recht auffallenden öffentlichen Act hatte sich Crotus nicht gescheut seine Verehrung für den Reformator an den Tag zu legen. Als dieser auf seinem Zuge nach Worms zum Reichstage durch Erfurt kam, war ihm, wie oben erzählt worden, Crotus als zeitiger Rector an der Spitze der Universität entgegengezogen und hatte ihn mit einer feierlichen Anrede empfangen. Aber eben diese Feierlichkeit hatte sehr widerwärtige Folgen. Es ist schon erwähnt worden, wie gleich in den nächsten Tagen Studenten und Pöbel in Erfurt einen Sturm auf die Häuser der Geistlichen unternahmen. Die Untersuchung, die er als Rector darüber zu führen hatte, war für Crotus nicht nur ein höchst unangenehmes Geschäft, sondern das Ereigniß gab ihm auch Bedenken gegen die Lutherische Bewegung, mit der es in unleugbarem Zusammenhange stand. Verstimmt zog er sich so bald wie möglich in sein altes Fulda zurück, ohne jedoch mit dem wittenbergischen Kreise außer Verbindung zu treten. Im Jahre 1523 hatte man dort die Absicht, ihn zum Decan des Allerheiligenstifts zu machen, um einen bessern Geist in dasselbe zu bringen; doch der Plan kam nicht zur Ausführung. Und im folgenden Jahre wurde er von Melanchthon und seinen Reisegefährten noch ganz als einer der Ihrigen in Fulda besucht. Um dieselbe Zeit war der Hochmeister des deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, in Deutschland; der warb mit andern Gelehrten auch Crotus nach Königsberg an. Hier stand er dem Fürsten persönlich nahe, war ihm besonders zur Begründung einer Bibliothek behülflich, und auch als derselbe im folgenden Jahre entschieden zur Reformation übertrat und sein Hochmeisterthum in ein weltliches Herzogthum verwandelte, änderte dieß ihr Verhältniß nicht. Aber bedenklich erschien dem vorsichtigen Crotus ein solcher Schritt gewiß; während die Abgeschiedenheit von allem zusagenden Umgang seinem Gemüthe, das nordische Klima seinem Körper immer weniger behagten. Schon im Jahre 1526 ging sein Trachten nach Deutschland zurück; doch erst 1530 führte er das Vorhaben aus. Er kam zuerst nach Breslau, wandte sich dann nach Leipzig zu dem evangelischen Diplomaten Julius von Pflugk, und im folgenden Frühjahre finden wir ihn in Halle als Canonicus und Rath des Erzbischofs Albrecht von Mainz und Magdeburg. In dessen Diensten hatte einst auch Ulrich von Hutten, auch Wolfgang Fabricius Capito gestanden; aber nicht nur der erstere hatte sich genöthigt, sondern bald auch der andere, wollte er der Reformation treu bleiben, sich veranlaßt gesehen, sie zu verlassen, und seitdem hatten sich Zeiten und Stellungen noch gründlicher geändert. In Kurfürst Albrecht's Dienste treten hieß jetzt geradezu gegen die Reformation sich anwerben lassen.

Wie diese Umwandlung bei Crotus allmählig zu Stande kam, ist nicht mehr im Einzelnen nachzuweisen. Aus den Jahren seiner Abwesenheit in Preußen sind uns nur wenige Briefe von ihm aufbehalten Sie finden sich in den Camerarischen Briefsammlungen., aus denen wir nicht mehr erfahren, als was sich schon vor seiner Entfernung bei mehreren Anlässen gezeigt hatte, daß Crotus die Heftigkeit beider streitenden Parteien mißbilligte, zur Mäßigung und Milde rieth. So fand er in dem Schriftenwechsel zwischen Erasmus und Luther über den freien Willen auf beiden Seiten Spuren von Ehrgeiz und wünschte den Streit beigelegt, sprach aber mit besondrer Wärme gegen die zur Mode werdende geringschätzige Behandlung des Erasmus. Auch in den Briefen, die er nach seinem Abgang aus Preußen an seinen ehemaligen Herrn, den Herzog Albrecht schrieb Sie finden sich im Auszuge bei J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen. Königsberg 1841., sprach er sich in ähnlichem Sinne aus. Hoffnung gab ihm von Anfang der augsburger Reichstag; er meinte, wenn von päpstlicher und kaiserlicher Seite das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe freigegeben würden, so sollte sich das Uebrige wohl schicken; freilich müßten dann auch die Lutherischen zugestehen, daß die Kirche das Recht gehabt habe, nach Gelegenheit der Zeiten andere Ordnungen aufzurichten. Nachdem Crotus im folgenden Jahre in die Dienste des Erzbischofs Albrecht getreten war, hatte er sich gegen den Herzog, dem er wieder nach Preußen zu kommen versprochen hatte, zu entschuldigen. Er that es theils durch Darlegung seiner Gesundheitsumstände, theils durch das Eingeständniß seiner veränderten Stellung in der Religionsangelegenheit. »Ich bekenne«, schrieb er, »daß ich dem Lutherischen Vornehmen etliche Jahre sehr anhänglich gewesen. Aber da ich solchen Vorgang vernahm, daß man nichts wollte unzerrissen und unbesudelt lassen, ob es gleich von der Zeit der Apostel und ihrer Disciplin auf uns gebracht ist, und daß immer eine Secte aus der andern erwuchs, dachte ich bei mir, es möchte der Teufel in Gestalt von etwas Gutem ein großes Uebel einführen und doch gleichwohl die Schrift zu einem Schilde gebrauchen. Ich beschloß also, in der Kirche zu bleiben, worin ich getauft, erzogen und gelehrt wäre. Obgleich an derselben etwas Mangel gespürt wird, so möchte das mit der Zeit eher gebessert werden als in der neuen Kirche, die durch kurze Jahre in so viele Secten zerrissen ist.«

Hierin irrte er sich freilich sehr, und sein neuer Herr war so eben gerade gegen den Kelch im Abendmahl, den Crotus freigegeben wissen wollte, in seiner magdeburger Diöcese gewaltsam eingeschritten. Darauf hatte Luther in zwei geharnischten Vorreden, mit denen er im Jahre 1531 zwei Predigten des aus Dresden vertriebenen evangelischen Predigers Alexius Croßner begleitete, in sehr scharfen Ausdrücken hingewiesen, und davon nahm nun ein ehemaliger Freund des Crotus, dessen Name uns nicht angegeben ist, Veranlassung, denselben in einem Privatbriefe zu schrauben. Auf wen er meine, fragte er ihn, daß die Ausfälle jener Vorreden gegen Tyrannen und Wütheriche zielen? Wenn auf den Erzbischof Albrecht, von dessen Verfahren gegen diejenigen, welche das Abendmahl unter beiderlei Gestalten genießen, man sich in der That gräuliche Dinge erzähle, so wäre ja das Lob desselben, das man von gewisser Seite her so laut anstimme, eine arge Täuschung. Darüber werde Crotus dem Freunde die beste Auskunft geben können, da er an dem Orte (Halle) wohne, wo jene Dinge vorgefallen sein sollen. Auch über die Beichte, ob in derselben die Aufzählung aller einzelnen Sünden nothwendig sei, oder ein summarisches Bekenntniß genüge (damals eine brennende Streitfrage zwischen Papisten und Lutheranern), möge er seine Ansicht nicht vorenthalten.

Mit einer Ladung so häklicher Fragen bei seiner Rückkehr in die Heimath empfangen zu werden, war dem Crotus höchst unangenehm, und er sprach dieß in einer Antwort aus, die er, da sie zugleich eine Vertheidigung seines neuen Herrn, des Erzbischofs Albrecht, war, noch in demselben Jahre dem Druck übergab. Apologia, qua respondetur temeritati calumniatorum, non verentium, confictis criminibus in populare odium protrahere Rev. in Christo Patrem et Dom. Albertum … Archiep. Mog. et Magd. etc. a Jo. Croto Rubeano privatim ad quendam amicum conscripta. Lipsiæ Michael Blum excudebat mense Septembri ao. 1531. Die Gründe kennen wir schon, welche Crotus gegen die Reformation aufzubieten hatte. Es ist in erster Linie die Furcht vor dem Einbrechen subjectiver revolutionärer Willkür in die objectiven Satzungen und Ordnungen der Kirche. Was die Kirche festgestellt hat, kann nur wieder durch die Kirche abgeändert werden; sonst geht jeder feste Boden verloren. Aber der Verfasser der Dunkelmännerbriefe wußte so gut wie wir, daß von dem, was man auf päpstlicher Seite Kirche nannte, d. h. von der Hierarchie, eine gründliche Reformation niemals zu erwarten war. Ein andrer Gesichtspunkt ist, daß dasjenige, worüber mit so großer Hitze gestritten wurde, zum Theil bloße Formen seien, über denen das Wesentliche, das Moralische, verabsäumt werde. Allein auch hier konnte dem Crotus nicht verborgen sein, daß in ihrem Zusammenhänge mit den beiderseitigen Grundsätzen diese Formen eine sehr wesentliche Bedeutung hatten, und daß im Jahre nach der Uebergabe der Augsburgischen Confession die Fortschrittspartei mit dem Kelch im Abendmahl sich selbst aufgegeben haben würde. In Vergleichung mit dem Verfahren mancher protestantischen Fürsten gegen ihre katholischen Unterthanen findet Crotus das seines Erzbischofs gegen die Neuerer noch schonend: in der That hatte hierin kein Theil dem andern viel vorzuwerfen, und doch findet ein wesentlicher Unterschied statt. Die resormirenden Fürsten handelten, bei allen Mißgriffen in der Form ihres Verfahrens, doch im Einklänge mit dem neuen Entwicklungstriebe, der sich damals in allen Theilen des deutschen Volkes regte, und den sie, als ächte Söhne ihres Volkes, mitempfanden: während die andern jenem Triebe, den sie in sich nicht fühlten, nach außen hin sich widersetzten, und dadurch die deutsche Nation nicht blos in den Theilen, die das Unglück hatten, ihrem Regimente unterworfen zu sein, sondern die Nation im Ganzen unwiederbringlich beschädigten.

Als diese Schrift seines ehemaligen Verehrers Luthern zu Handen kam, schickte er sie an Justus Menius, der damals Prediger und Superintendent in Eisenach war, mit den Worten: »Siehe da den Epicureer Crotus, der uns giftig angreift und dem Halleschen Bischof schmeichelt. Wir schicken dir das Buch, und du mach dich fertig, ihn uns wohlgekämmt wiederzugeben und mit den Farben seines Epicureismus zu malen; denn das ist deines Amtes.« In Hutten's Schriften II, S. 456 f. So schrieb Luther an Menius am 18. October 1531; und wenn nun im folgenden Frühjahr jene schon früher' erwähnte Antwort auf des Crotus Apologie von einem ungenannten Freund erschien, und wenn in dieser Antwort Crotus wirklich als Epicureer in Luther's Sinne, d. h. als ein Mensch behandelt wird, der über die religiösen Satzungen, die er der Menge gegenüber in Schutz nahm, sich im Innern lustig mache, so legt dieß allerdings die Vermuthung nahe, daß der Ungenannte eben Menius sei. Der ehemalige Freund läßt den Abgefallenen in den Spiegel seiner ihm genau bekannten Vergangenheit blicken, indem er ohne Weiteres annimmt, daß derselbe noch immer die gleichen Ueberzeugungen wie damals hege, die er jetzt nur um äußerer Vortheile willen verläugne. Aber er solle sich in Acht nehmen, daß er von seinem klugen Erzbischof nicht durchschaut werde. Auch demjenigen, was er jetzt mit widerwilligen Musen gegen die Protestanten schreibe, sei der Mangel an Überzeugung, das böse Gewissen wohl anzusehen. So matt, so lendenlahm sei alles, so stumpf und bleiern die Gedanken, so unsicher, verworren und lückenhaft die Ausführung, so unrein die Sprüche, so nüchtern und hustend die Beredtsamkeit, daß man deutlich merke, er habe dabei seiner Natur und eigentlichen Meinung Gewalt angethan, habe nicht sowohl an die Sache, als an die Halleschen Salzpfannen gedacht, die er sich dadurch erschreiben möchte. Besonders einschneidend ist die Stelle des Sendschreibens, wo der Ungenannte den Schatten Ulrich Hutten's gegen den Neubekehrten heraufbeschwört. Er führt diesen vor, wie er bei dem Hochamte das Rauchfaß schwingt; wie er, beide Arme vorgestreckt, die Augenbrauen ernsthaft zusammengezogen, die Inful des Weihbischofs hält und ihm wohl gar die Schuhe küßt; wie er mit den Chorsängern die Knie beugt: wenn da Hutten wiederauflebte und es sähe, ob er nicht, feurig und heftig wie er war, und ein geschworener Feind aller Gleißnerei, den frechen Heuchler mitten im Tempel zu Schanden machen würde? Auch Luther hielt sich von der Verächtlichkeit der Beweggründe des Crotus überzeugt; dieser hieß ihm fortan Dr. Kröte, des Cardinals zu Mainz Tellerlecker.

Gegen diese kränkenden Angriffe von Seiten der Protestanten hat sich Crotus nicht mehr öffentlich verantwortet. Trotz mancher Aufforderungen von der andern Seite trat er aus seinem Stillschweigen nicht mehr heraus. Er versank denn auch in solche Dunkelheit, daß selbst sein Todesjahr nicht feststeht. Wir wissen nur, daß es nicht vor 1539 fallen kann, da in Schriften aus diesem Jahre seiner noch als eines Lebenden gedacht wird, und daß er 1551 nicht mehr gelebt hat, da Joachim Camerarius in seiner in jenem Jahre geschriebenen Erzählung von Eobanus Hessus von ihm als einem Verstorbenen spricht. Vermuthlich war er schon zehn Jahre früher nicht mehr am Leben, wo Justus Jonas als erster lutherischer Superintendent nach Halle kam; sonst würden wir doch wohl von diesem (Crotus müßte denn, was doch kaum wahrscheinlich, in der Zwischenzeit Halle wieder verlassen haben) etwas über seine Begegnung mit dem abtrünnig gewordenen alten Freunde wissen. Camerarius übrigens, Melanchthon's Freund und ein aufrichtiger Protestant, spricht in jenem Büchlein von Crotus keineswegs so hart wie Luther und unser Ungenannter. Er sagt nur, nach seiner Rückkehr aus Preußen habe derselbe die Gemüther vieler sich entfremdet, aus einer Ursache, die er, Camerarius, nicht wisse, oder vielmehr nicht schreiben möge, damit es nicht scheine, als wolle er den Mann, der ihm im Leben werth gewesen, nach seinem Tode heruntersetzen.

Von dem Helden verlangen wir, daß er im Kampfe tapfer sei; ist er dabei auch billig in seinem Urtheile, so ist es schön, aber in allen Fällen es von ihm erwarten dürfen wir nicht. Darum kann Luther's und seiner Kampfgenossen Urtheil über den von ihrer Gemeinschaft Zurückgetretenen für uns nicht geradezu maßgebend sein. Vorsicht ist uns dabei auch schon durch die stattliche Reihe angerathen, in der Crotus mit seinem Zurückweichen steht. Wenn auch auffallender und anstößiger, that er im Grunde doch nur dasselbe, was die Reuchlin und Erasmus, die Mutian und Pirckheimer thaten. Und in den Aeußerungen aller dieser Männer finden wir auch dieselben Gründe ihrer Verstimmung gegen die Reformation. Es ist einerseits das Revolutionäre, das sie schreckte, andrerseits der befürchtete Bildungsrückschritt, der sie abstieß. Jede Lossagung von einem alten Culturzustande, wenn er auch zuletzt als drückendes Joch empfunden worden, ist zunächst ein Auszug in die Wüste, wobei man die Fleischtöpfe Aegyptens hinter sich läßt. Aber diese Töpfe sind keineswegs blos materieller, sondern ebenso auch geistiger Art. Der Anonymus sagt dem Crotus aus den Kopf zu, es sei ihm um die Halleschen Salzpfannen, Luther, es sei ihm um die Cardinalstafel zu thun gewesen. Um was es dem Crotus für sich persönlich zu thun war, ist höchstens die gelehrte Muße gewesen; eine behagliche allerdings, aber gewiß keine üppige. Er hatte sich sein Lebenlang kümmerlich beholfen, und wenn er einmal klagte, war es hauptsächlich darüber, daß ihm die Mittel fehlten, sich nach Herzenslust Bücher anzuschaffen. »Es ist meine größte Begier«, schrieb er noch 1530 nach seiner Rückkehr aus Preußen an den dortigen Herzog, »daß ich möchte zufrieden sein bei meinen lieben Büchern; die stehen.in Leipzig und werden gar schimmelig. Ich weiß nicht, wann ich wieder mit ihnen in Einigkeit kommen werde.« Er kam dazu, wie er bald daraus die Anstellung als Canonicus in Halle erhielt. Aber wenn er meinte, damit die »glückselige Stille« der alten gotha-erfurtischen Zeit wiedergefunden zu haben, so täuschte er sich. Sie war mit der harmlosen Unschuld jener goldenen Erstlingstage für immer verschwunden.

Daß ehedem das Lutherthum, wie später das revolutionäre Franzthum, »ruhige Bildung zurückgedrängt« habe, war noch Goethe's Vorwurf, so entschieden er sich übrigens bei jeder Gelegenheit als Protestanten bekannte. Denn zu seiner Zeit wuchs ja aus dem Protestantismus, der einst den ruhigen Bildungsproceß des Humanismus unterbrochen hatte, so eben eine neue schönere Bildung hervor. Dahin hatten jene alten Humanisten noch weit; von dem künftigen Morgenrothe trennte sie noch eine dritthalbhundertjährige Nacht: und so sind sie mit Schonung zu beurtheilen, wenn sie sich nach der Abendröthe des schwindenden Tages umwandten, so merklich sie auch diese Stund' um Stunde verbleichen sahen; wenn sie lieber die alten Ketten auch ferner tragen wollten, als durch reformatorischen Sturm und Drang die sich verbreitende Bildung trüben und sich selbst in den stillen Geistesgenüssen stören zu lassen, die ihnen bisher jene Ketten erträglich gemacht hatten. Aber zu tadeln sind sie doch, und das bessere Theil hatten sie nicht erwählt. Die Jonas, Menius, Bugenhagen, Brenz und wie die Männer der Lutherischen Garde weiter hießen, sind den Mutian und Crotus, den Reuchlin und Erasmus gegenüber gewiß nicht die reichern und feinem Geister gewesen; aber das Gefühl für das Eine was Noth that, den tapfern Willen, als unwahr Erkanntes nicht länger gelten, Unerträgliches nicht länger bestehen zu lassen, die Witterung des noch tief im Schoose der Zukunft verborgenen neuen Lebens hatten sie vor ihnen doch voraus.

Daß es mit dem Humanismus nicht gethan, daß er noch nicht dasjenige war, was die den Banden des Mittelalters sich entwindenden Völker bedurften, zeigte sich schon darin, daß er fremdsprachig war. In diesem Stücke stand er der mittelalterlichen Kirche ganz gleich: wie der Priester seine Messe lateinisch las, so schrieb der Humanist seine Gedichte, seine Briefe und Abhandlungen – wenn auch etwas besser – lateinisch. Der Hierarchie dort trat hier eine Geistesaristokratie gegenüber; die Masse des Volks hatte ebenso wenig an dieser Bildung wie an jener Religion selbstthätigen Antheil. Was insbesondere die deutsche Sprache betrifft, so war sie zum Gefäße der humanistischen Bildung noch gar nicht zubereitet, sie war noch viel zu roh und ungelenk dafür. Ganz ebenso aber verhielt es sich mit dem deutschen Volk im großen Ganzen: beide konnten nur mit- und durcheinander zu Trägern der neuen Bildung gemacht werden. Beides zusammen nahm die Reformation in die Hand: sie lehrte unser Volk, über seine innersten Anliegen selbst denken und deutsch reden. Die deutsche Predigt, die deutsche Bibel wirkten mehr als alle lateinischen Stilübungen der Humanisten. Die lutherischen Prediger waren keine Erasmuse; aber sie lösten eine Aufgabe, die kein Erasmus lösen konnte. Die classische Literatur des deutschen Volks im 18. und 19. Jahrhundert ist der aus der deutschen Reformation wiedergeborene Humanismus. Aber diese Frucht konnte erst reifen, als die Zeit erfüllt, das deutsche Volk durch den Protestantismus in allen seinen Schichten durchgeknetet war. Die Theile desselben, die von dieser Durchknetung unberührt blieben, werden immer etwas von einem sitzengebliebenen Teige behalten, der auch unserm neuen deutschen Reiche noch langehin schwer im Magen liegen wird.

Wenn die Männer, denen zuletzt unsere Betrachtung gewidmet war, von den Entwicklungsfäden ihrer Zeit je zwei in Händen hielten, den humanistischen und am Anfang noch den reformatorischen, bald aber (mit Einer Ausnahme), weil der letztere den erstern zu verwirren drohte, jenen fahren ließen, um diesen desto fester zu halten: so war es der unterscheidende Vorzug unseres Helden, daß er außer diesen beiden, so lang es ging, auch noch den politischen Faden in der Hand hielt. Derselbe war ihm mit der Vereitelung seiner auf Kaiser Karl gesetzten Hoffnungen entglitten, zuletzt mit dem Sturze seines Sickingen ganz abgerissen; vor der Collision und Wahl zwischen den beiden andern Fäden bewahrte ihn theils sein frühes Ende, theils seine stärkere Natur, vermöge deren er sich nicht wie ein Mutian oder Erasmus durch das erste Waffengeräusch der reformatorischen Bestrebungen schon verstimmen ließ. Bei längerem Leben jedoch wäre auch ihm die schmerzliche Wahl nicht erspart geblieben. Wenn er nur noch Luther's Streit mit Erasmus über den freien Willen erlebt hätte, worin der erstere, um die göttliche Gnade zu erheben, der menschlichen Natur jede selbstständige Kraft zum Guten absprach; wenn er vollends Zeuge gewesen wäre, wie bei dem marburger Religionsgespräch in der Verhandlung über das Abendmahl der deutsche Reformator sich hinter ein Wort verschanzte, um den schweizerischen den Brudernamen zu versagen: da würde sich Hutten mit tiefem Schmerze von dem Manne abgewendet haben, den er einst seinen heiligen Freund, den unüberwindlichen Evangelisten genannt hatte. Auf die Seite der schweizerischen Reformation fand er sich zuletzt schon durch seinen äußern Lebensgang gestellt; als jedoch nach des Hellen freisinnigen Zwingli Falle der geistvolle aber finstere Calvin den Scheiterhaufen Servet's schürte und die Prädestinationslehre ausbildete, da wäre auch in diesem Lager seines Bleibens nicht länger gewesen. Zur römischen Kirche zwar, wie sein Freund Crotus, würde Hutten niemals zurückgekehrt sein; dazu war das Gefühl in ihm zu lebhaft, wie unverträglich der in ihr heimische Geistesdruck mit jedem wirklichen Fortschritt, ihr auswärtiger Schwerpunkt mit jedem nationalen Gedeihen sei: nur um so undenkbarer wird aber für diese spätere Periode seine Stellung, und um so mehr muß man ihn glücklich preisen, daß ihn der Tod noch zu rechter Zeit den grausamsten Conflicten entnommen hat. Möglich, daß er, wenn er noch zwei Jahre länger gelebt hätte, den abgerissenen politischen Faden wieder aufgegriffen und von seiner eidgenössischen Freistatt aus sich in die Strudel des nahe an der schweizerischen Grenze ausgebrochenen Bauernkriegs gestürzt hätte. Doch auch hier war kein Heil zu finden; auch hier können wir ihn nur entweder fallend, wo nicht gar von seinen Feinden gefangen, im besten Falle von Neuem vertrieben uns vorstellen.

Hutten ist mit seinen Unternehmungen gescheitert; aber nicht weil diese in sich unrecht oder verkehrt waren, sondern nur, weil er zugleich und sofort durchführen wollte, was nur eins nach dem andern und in langen Fristen durchzuführen war. Luther und der gesammte deutsche Protestantismus beschränkte sich auf das religiöse Gebiet, sah vom Politischen ab und nahm auch von den Errungenschaften des Humanismus nur so viel auf, als für seine Zwecke unentbehrlich war; der Protestantismus hat, in seinem Kampfe mit der katholischen Reaction, die Einheit und Macht des deutschen Reiches vollends gebrochen, und Sitte und Bildung des deutschen Volkes in enge Bande geschnürt, in rauhe Gewänder gekleidet. Dafür aber hat er innerhalb seines Gebietes seinen Zweck erreicht, die Befreiung der gereinigten Kirche von Rom, die Erziehung des deutschen Volkes, soweit es sich ihm nicht verschloß, zu selbstständigem religiösem Leben durchgesetzt. Und als die Zeit erfüllt war, wurde jene starre Rinde gesprengt, aus der confessionell-protestantischen ging mit unserer classischen deutschen Literatur die freie humane Bildung hervor. Und abermals wie die Zeit erfüllt war, ist aus dieser humanen Durchbildung des deutschen Volkes die politische Einheit und Macht, das neue deutsche Reich hervorgegangen. Jetzt sehen wir: Hutten hat doch Recht gehabt, daß er eins nicht ohne das andere haben wollte; in der That gehören auch sämmtliche Stücke – es sind aber eigentlich nur zwei: die im Protestantismus wurzelnde humane Bildung und die politische Einheit und Macht der so gebildeten Nation – beide gehören auch wirklich zusammen, und Hutten's Irrthum ist nur der aller prophetischen Naturen gewesen, zugleich und in Einem als glänzendes Ideal zu schauen und zu begehren, was die Menschheit nur Schritt um Schritt und Stück für Stück in jahrhundertelangem Ringen erreichen kann.

 


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