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Siebentes Kapitel
Reuchlins Kampf mit den Kölnern und Hutten's Theilnahme an demselben.

1511-1517.

Unter den Männern, welche aus der Verdumpfung des sinkenden Mittelalters die Geister an die freiere Luft herausführen halfen, indem sie Unwissenheit und Scholastik durch Eröffnung der Quellen wahrer Bildung mittelst gründlicher Kenntnisse der alten Sprachen bekämpften, unter den Vätern des Humanismus mit Einem Worte, nahm um die Wende des Jahrhunderts Johann Reuchlin Vgl. über ihn L. Geiger, Joh. Reuchlin, sein Leben und seine Werke, Leipzig 1871., oder wie Hermolaus Barbarus ihn gräcifirt hatte, Capnion, eine der ersten Stellen ein. Es war das allgemeine Urtheil, wenn Hutten ihn und Erasmus die beiden Augen Deutschlands nannte. Ihr Verdienst sei es, daß das deutsche Volk aufhöre, ein barbarisches zu sein. In dem oben S. 130 angeführten Briefe an Gerbel. Sie genossen eine beinahe übermenschliche Verehrung. Wer den im Stillen wirkenden Mutianus Rufus genauer kannte, war wohl geneigt, ihn zum Dritten im Bunde der beiden großen Männer zu machen: er selbst lehnte eine solche Zusammenstellung mit seiner stets etwas ironischen Bescheidenheit ab.

Reuchlin, 1455 in Pforzheim geboren, war 12 Jahre älter als Erasmus, und hatte, gleich diesem frühzeitig den Zeitgenossen bemerkbar geworden, vor ihm nicht bloß das Alter seines Ruhms, sondern auch die Stellung eines Bahnbrechers, eines venerabilis inceptor voraus. Er war in Deutschland der erste Gelehrte neuen Stils, und auch sogleich der erste, der sich des Gebiets damaliger Wissenschaft in seinem ganzen Umfange bemächtigte, und hierin hatte er unter denen, die übrigens seine Anfänge hinter sich ließen, doch nur wenige Nachfolger. Selbst Erasmus war nur der Zwiesprachige, während Reuchlin 'das dreisprachige Wunder' war. Zu dem Latein, das er reinigen half, lernte er von gelehrten Griechen, wie sie die Eroberung Konstantinopels in's Abendland geführt hatte, aus der lebendigen Quelle griechisch, ebenso hernach von Juden hebräisch. Wenn er das Studium des Griechischen in Deutschland einbürgern half, so hat er das des Hebräischen überhaupt im neuern Europa begründet. Sein Werk de rudimentis hebraicis vom Jahre 1506, Wörterbuch und Grammatik in Einem, war, obwohl im Wesentlichen aus den Schriften der alten jüdischen Grammatiker und Lexikographen geschöpft, doch das erste auf christlichem Boden entstandene Lehrgebäude der hebräischen Sprache, und er hatte volles Recht, am Schlusse des Buchs das horazische Exegi monumentum etc. auszusprechen. Dabei waren alle diese gelehrten Leistungen nur Früchte seiner Mußestunden neben den öffentlichen Aemtern, die er bekleidete. Philolog war er nur aus Liebhaberei, von Profession war er Rechtsgelehrter. Besser freilich umgekehrt: die Jurisprudenz war nur sein Brodstudium, von dem er gelegentlich ohne viele Achtung sprach. Das Studium seiner Neigung war Philologie und Philosophie. Hierin war Erasmus günstiger gestellt. Obwohl mit Fürsten und Großen geistlichen und weltlichen Standes in weit vielfacheren Verhältnissen als Reuchlin, hatte er es sich doch, und zwar zum Theil gerade durch diese Verbindungen, möglich zu machen gewußt, ohne eigentliches Amt ausschließlich seinen Studien und seiner Schriftstellerei zu leben. Kein Wunder, daß er an Fruchtbarkeit den ältern Genossen überbot, in der Folge auch an Einfluß und Ruhm ihn überholte. Letzteres auch darum, weil seine Bemühungen um die beiden classischen Sprachen, wovon er überdieß die lateinische mit einer Eleganz schrieb, von der Reuchlin's kunstlose Ausdrucksweise weit entfernt war, mit den humanistischen Zeitbestrebungen zusammentrafen; während Reuchlin mit seiner Liebhaberei für die barbarische Semitensprache vereinzelt stand.

Ueberhaupt stehen die beiden Männer, die man gewohnt ist, zusammen als die Vertreter desselben Princips zu nennen, doch auf diesem gemeinsamen Boden sich in merkwürdigem Gegensatze gegenüber. Schon äußerlich: der schmächtige, unscheinbare, seine stets wankende Gesundheit ängstlich hütende Erasmus, und die stattliche imponirende Gestalt Reuchlin's, der, so mäßig er für gewöhnlich lebte, es bei Gelegenheit doch wohl ertrug, einmal mit seinem Johann Wacker (Vigilius) in Heidelberg bis tief in die Nacht dessen Weine durchzukosten, auf die Gefahr Hin, im Nebel des Erwachens am andern Morgen die Kleider mit denen des Freundes zu verwechseln. Im Zusammenhang damit war auch in Reuchlin's Handlungsweise Geradheit und Offenheit ebenso ein hervorstechender Zug, wie bei Erasmus Gewandtheit und Schmiegsamkeit. Konnte jener aufbrausen und zürnen, und in solcher Erregung die Grenzen der Gerechtigkeit wie der Schicklichkeit überschreiten, so nehmen sich doch seine Faust- und Keulenschläge neben den in aller Artigkeit beigebrachten Nadel- und wohl auch Dolchstichen in der Polemik des andern verhältnißmäßig unschuldig aus. Was den Muth betrifft, so war auch Reuchlin gerade kein Held; er hatte von Natur ein sorgliches Temperament und ist vor drohender Gefahr mehr als einmal ängstlich zurückgewichen; doch hat er in der Hauptsache immerhin so festen Stand gehalten, daß der gewaltige Kampf sich entspinnen konnte, worin er zuletzt als wahrhaft tragische Figur erscheint. Bei Erasmus läßt sich ein tragischer Conflict dieser Art gar nicht denken; der Vielgewandte hätte demselben von ferne her schon auszuweichen gewußt. Zu diesen im Naturell und Charakter der beiden Männer gelegenen Verschiedenheiten kam aber auch noch eine in ihrer geistigen Anlage. War der jüngere ein nüchterner, ironischer Geist, seine Denkart, wenn man den Ausdruck nicht mißverstehen will, rationalistisch, sein Wirken ein aufklärendes: so war der ältere, bei gleicher Denkkraft und nicht geringerem Wissen, ein mystischer Geist, den ein dunkler Drang nach verborgenen Tiefen zog. Eben damit hing auch seine Vorliebe für das Hebräische, seine Gunst für die Judenbücher zusammen, die ihn in den Streit verwickelte, von dem wir hier zu reden haben.

Reuchlin's Interesse am Hebräischen war zunächst das philologische an einem so eigenthümlichen und damals so wenig gekannten Sprachgebäude. Die Unentbehrlichkeit dieser Kunde zum Verständniß des Alten Testaments, also das theologische Interesse, kam hinzu. Aber das Hebräische war für Reuchlin zugleich die Sprache, in welcher Gott selbst und die Engel geredet hatten, die heilige Sprache wie keine andere. Und in dieser Sprache hat Gott nicht nur dasjenige geredet, was in den Büchern Mosis und sonst in der heiligen Schrift für alle niedergelegt ist, sondern auch noch eine vorborgene Lehre durch Engel an Adam, die Erzväter und Moses gelangen lassen, die in spätem jüdischen Schriften aufbehalten ist. So trat zum philologischen und theologischen Interesse an der hebräischen Sprache das mystische hinzu. Diese mystische Richtung war in Reuchlin noch von einer andern Seite her angebahnt. Er hatte die Systeme der griechischen Philosophie studirt, und sich unter diesen besonders zu dem pythagoreischen, in seiner spätem Umbildung natürlich, hingezogen gefunden. In einer Schrift vom Jahre 1515 spricht er das Vorhaben aus, wie in Italien Marsilius Ficinus die platonische Philosophie begründet, in Frankreich Faber von Staples die aristotelische erneuert habe, so gedenke er, Capnion, unter dem Beistande der Engel Deutschland mit der pythagoreischen Philosophie, die beschaulichen Menschen stets angenehm gewesen, zu beschenken. Auch hierin indeß war ein Italiener vorangegangen, der Graf Johann Picus von Mirandula nämlich, der, unerachtet ihre persönliche Berührung nur eine flüchtige war, doch auf die Entwicklung von Reuchlin's Vorstellungen von tiefgehendem Einflüsse gewesen ist. Picus war ein mystischer Eklektiker, der in neuplatonischer Weise nicht blos Platonismus und Pythagoreismus, sondern mit beiden noch die jüdische Geheimlehre, die sogenannte Cabbalah, zu combiniren, und diese Mischung überdieß zu Gunsten des Christenthums zu verwerthen suchte. Hierin trat Reuchlin ganz in die Fußstapfen des Picus. In seiner Schrift 'vom wunderthätigen Worte' aus dem Jahre 1494 finden sich die Sätze: Gott ist die Liebe, der Mensch die Hoffnung, das Band zwischen beiden der Glaube. Durch unbeschreibliche Vereinigung aber können sich beide so verbinden, daß der menschliche Gott und der göttliche Mensch fortan nur als Ein Wesen zu betrachten sind. Diese Vereinigung kommt zu Stande durch das wunderthätige Wort, d. h. den geheimnißvollen Jehova- und Jesusnamen. Von diesen einfach mystischen Anfängen arbeitet sich nun aber Reuchlin's Vorstellungsweise in die verwickeltste Phantastik hinein. In pythagoreischer Art spielen die Zahlverhältnisse, in rabbinischer die Buchstaben eine große Rolle. In jedem Worte, jedem Buchstaben, ja in den Buchstabenzeichen des Alten Testaments sah Reuchlin Geheimnisse. Den Laurenz Behaim, Domherrn zu Bamberg, hatte er zu Rom gelehrt, aus Einem Verse des zweiten Buchs Mosis die 72 unaussprechlichen Namen Gottes herauszufinden. In den drei Buchstaben des hebräischen Wortes, mit welchem 1 Mos. 1,1 das göttliche Schaffen bezeichnet ist, fand er die Dreieinigkeit; nach eben derselben Deutungsart in Sprüchw. 30, 31 eine Weissagung (die sich freilich nicht erfüllte), daß nach Maximilian Friedrich von Sachsen Kaiser werden würde. Dergleichen Bestrebungen wies Erasmus im 'Lob der Narrheit' ihren Platz an. Welchen Werth dagegen für Reuchlin die spätern jüdischen Schriften haben mußten, in denen solche Weisheit zu finden war, erhellt von selbst.

Was, hievon abgesehen, Reuchlin's philologisches Bemühen um die Grundsprache des Alten Testaments betrifft, so war es auf der einen Seite zwar ganz fromm, als Gegenwirkung nicht allein gegen die Scholastik, sondern ebenso auch gegen die profane Richtung gemeint, welche der Humanismus, besonders in Italien, genommen hatte. Auf der andern Seite jedoch war vielfacher Zusammenstoß mit der hergebrachten Auslegung nicht zu vermeiden. Reuchlin ehrte die Vorgänger, aber ließ sich durch keine Autorität binden. Den heiligen Hieronymus, schreibt er, verehre ich wie einen Engel, und den Nikolaus von Lyra achte ich als Lehrer, aber die Wahrheit bete ich an wie einen Gott. Wie bei solchen Grundsätzen Reuchlin über die alte, auf sehr mangelhafter Sprachkenntniß beruhende lateinische Bibelübersetzung, die sogenannte Vulgata, urtheilen mußte, läßt sich denken. An vielen Stellen seines Werkes über die hebräische Sprache wird sie von ihm getadelt, die wahre Uebersetzung ihr geradezu entgegengestellt. Nun aber war die Vulgata in der abendländischen Kirche längst an die Stelle des Originals getreten, dessen Verständniß mit der Kunde der Grundsprachen während der Mittlern Zeit verloren gegangen war. In der Uebersetzung der Vulgata allein kannten die Geistlichen die Bibel; auf Irrthümer dieser Uebersetzung waren kirchliche Lehrsätze und Gebräuche gegründet worden. Mit der Vulgata schien daher Reuchlin die Kirche selbst anzutasten, und da er seine Verbesserungen überdieß aus den Belehrungen und Schriften der Juden schöpfte, so lag es nahe, sein Christenthum zu verdächtigen, selbst ohne den Anlaß, von dem wir sofort zu berichten haben werden.

Bereits hatte Reuchlin das fünfzigste Lebensjahr überschritten, und fing an sich nach Ruhe zu sehnen. Er hatte viel erlebt, in jüngern Jahren in Frankreich sich aufgehalten und Italien wiederholt bereist; war in hohen Staatsgeschäften gebraucht, vom Kaiser Friedrich III. geadelt, von einem der trefflichsten deutschen Fürsten, dem würtembergischen Grafen und nachmals Herzog Eberhard im Bart, mit freundschaftlichem Vertrauen beehrt worden; vor seinem unwürdigen Nachfolger hatte er fliehen müssen, war nach dessen Absetzung zwar nach Stuttgart in sein Heimwesen zurückgekehrt, doch konnte der Freund des weisen Eberhard an dem Pochen und Prassen des jungen Herzogs Ulrich keine Freude haben. So zog er sich, da das Richteramt des schwäbischen Bundes, das er seit 1502 verwaltete, ihn nur zeitenweise in Anspruch nahm, allmählich zurück, lebte mit seiner kränkelnden zweiten Frau am liebsten auf einem Landgütchen unweit Stuttgart, wo er seinen Liebhabereien, z. B. weiße Pfauen zu ziehen, und seinen Studien nachging.

Es war im September 1509, als, wie es scheint in Stuttgart, ein getaufter Jude aus Köln mit einem seltsamen Ansinnen bei Reuchlin eintrat. Die Kronik des folgenden Streites findet man bei Böcking, Hutteni operum Supplem., Tom. II, S. 117-156; das Verzeichniß der in dem Streite gewechselten Schriften ebendas., S. 55-115. Der Mensch hatte, nachdem ihm, seine ehemaligen Glaubensgenossen durch Ermahnung zu bekehren, nicht gelungen war, einen andern Weg eingeschlagen. In einer Reihe von Schriften, von denen ihm wenigstens die lateinischen die kölner Theologen und Magister zurechtmachen halfen, forderte er Obrigkeiten und Volk zu gewaltsamer Bekehrung oder Vertreibung der Juden und zur Verbrennung ihrer Bücher auf. Da auch dieß ohne Wirkung blieb, ritt er im Sommer 1509 zum Kaiser Maximilian, der eben gegen Venedig zu Felde lag, und wirkte im Heerlager vor Padua von ihm und seinen bestechlichen Schreibern ein Mandat an sämmtliche Juden des Reichs aus, sie sollen alle ihre Bücher, die gegen den christlichen Glauben gerichtet seien, oder auch ihrem eigenen Gesetze zuwiderlaufen, 'unserem und des Reichs getreuen Johannsen Pfefferkorn (so hieß der Mann) als einem wohlgegründeten und erfahrenen ihres Glaubens' vorzeigen, dem die Vollmacht ertheilt wird, mit Zuziehung des Pfarrers und zweier Obrigkeitspersonen jedes Orts diese Bücher von ihnen zu nehmen und zu unterdrücken. Dieses Mandat wies Pfefferkorn jetzt Reuchlin vor mit dem Ersuchen, er möge mit ihm an den Rhein reiten und die Sache ins Werk richten helfen. Allein weder der Mensch noch sein Ansinnen konnte Reuchlin gefallen. Er entschuldigte sich mit Geschäften, auch habe das Mandat etliche Mängel in der Form, welche der rechtskundige Mann dem Juden erst mit dem Finger zeigte, dann, als dieser sie schriftlich zu haben wünschte, riß er 'ein Zedelin ab einem Bappier' und schrieb sie ihm auf.

So schied der verdächtige Mensch; aber Reuchlin sollte noch nicht so bald Ruhe vor ihm haben. Um Bartholomäi des folgenden Jahrs kam ihm durch den Kurfürsten Uriel von Mainz ein kaiserlicher Befehl zu, sein Gutachten darüber abzugeben 'ob solche Bücher, so die Juden über die Bücher der 10 Gebote Mosis, die Propheten und Psalter des Alten Testaments gebrauchen, abzuthun, göttlich und löblich, und unserm heiligen Glauben nützlich sei'. Man wollte also die Sache, die Pfefferkorn auf jenes erste Mandat hin in Frankfurt und der Umgegend gleich allzu hitzig in Angriff genommen hatte, zwar erst noch reiflicher überlegen; aber andererseits stellte man die Frage nicht mehr blos auf die Vertilgung wirklicher Lästerbücher, sondern aller jüdischen Bücher außer den biblischen: so weit hatten es inzwischen die Umtriebe Pfefferkorn's und der mit ihm verbündeten kölner Dominicaner gebracht. Neben Reuchlin war noch der Dominicanerprior und Ketzermeister Jakob Hochstraten zu Köln und Victor von Carben, vormals Rabbiner, jetzt Christ und Geistlicher, dann die Universitäten zu Köln, Mainz, Erfurt und Heidelberg zur Abgabe von Gutachten in der Sache aufgefordert.

Reuchlin's Gutachten oder »Rathschlag, ob man den Juden alle ihre Bücher nehmen, abthun und verbrennen soll«, gegeben Stuttgart am 6. Nov. 1510, ist eine schöne Probe der Klarheit seines Verstandes, der Biederkeit seines Charakters und der Milde seiner Gesinnung; obwohl nicht zu verkennen ist, daß ihm die Erhaltung der Judenbücher nicht blos um ihres literarischen Werthes oder des Rechts ihrer Besitzer, sondern auch um der darin vermutheten Geheimnisse willen räthlich und wünschenswerth erschien; daß also, wie dieß in menschlichen Dingen so gerne geschieht, an dem guten Werke, welches er that, neben der Wahrheit auch der Wahn seinen Antheil hatte.

Es lasse sich, meint Reuchlin, über die vorgelegte Frage viel hin und wieder disputiren; um aber auf ein sicheres Ergebniß zu kommen, müsse man unter den jüdischen Büchern verschiedene Klassen unterscheiden. Da finde man denn 1) die heilige Schrift des Alten Testaments, 24 Bücher, die außerhalb der Frage stehen. 2) Den Thalmud, d. h. eine Sammlung von Auslegungen des mosaischen Gesetzes aus verschiedenen Zeiten. Daß dieser des Feuers würdig, könne keiner sagen, der seine Sprachen nicht verstehe (womit Reuchlin nicht allein die kölner Theologen, sondern auch Pfefferkorn meinte, dem er die nöthigen Kenntnisse nicht zutraute): er selbst habe ein Exemplar desselben, unerachtet er es gerne doppelt bezahlt hätte, bis jetzt nicht erhalten können, sein Inhalt sei ihm daher nur aus den Widerlegungsschriften bekannt. Darnach zu urtheilen, möge wohl Manches wider das Christenthum darin stehen: allein daß die Juden Christum nicht für Gott anerkennen, das sei einmal ihr Glaube, und nicht uns zur Schmach zu rechnen; daneben aber sei auch manches Gute im Thalmud enthalten, das aus dem Bösen herauszusuchen eine heilsame Uebung unseres Glaubens sei. 3) finde man bei den Juden »die hohe Heimlichkeit der Reden und Wörter Gottes, die sie heißen Cabbalah«. Das war nun Reuchlin's Schooskind, rücksichtlich dessen er ganz mit der Thesis des Grafen Johann Picus von Mirandula übereinstimmte, es sei »keine Kunst, die uns mehr gewiß mache von der Gottheit Christi, denn Magia und Cabbalah«. Eine 4te Klasse bilden die erklärenden Glossen und grammatischen Commentare über einzelne biblische Bücher, von Kimchi u. A.; für ein richtiges Verständniß des Alten Testaments so unentbehrlich wie Servius und Donat zum Verständniß des Virgil. 5) Die Predigt- und Ceremonienbücher gehören zu dem Cultus, der den Juden durch kaiserliche und päpstliche Rechte zugestanden sei. 6) Ihre Bücher von allerlei Künsten und Wissenschaften wären nur insoweit zu vertilgen, als sie verbotene Künste, wie Hexerei und Schatzgräberei, lehrten. Endlich 7) unter ihren Poetereien, Fabeln und Exempelbüchlein mögen sich etliche, obwohl wenige, finden, welche Spott und Schmähungen wider Christus, seine Mutter, die Apostel u. s. w. enthalten. Dem Verfasser des Gutachtens sind nur zwei dergleichen, Nizahon und Tholdoth Jeschu, bekannt, die aber von der Mehrheit der Juden selbst für apokryph und erlogen gehalten werden. »Bei welchem Juden nun wissentlich gefunden wird ein solch Buch, das mit ausgedruckten Worten schlechts und stracks zu Schmach, Schand und Unehre unserm Herrn Gott Jesu, seiner werthen Mutter, den Heiligen oder der christlichen Ordnung gemacht wäre, das möcht man durch kaiserlichen Befehl verbrennen und denselben Juden darum strafen; doch nicht anders, denn nach genügsamer Verhörung und rechtmäßig ergangener Urtheil.« Die Vertilgung ihrer sämmtlichen Bücher ohne Unterschied würden die Juden als ein Zeichen ansehen, daß die Christen ihrer eigenen Sache nicht trauen; während für diese zu fürchten wäre, daß sie, wenn ihnen der Stoff zum Streite mit auswärtigen Gegnern fehlte, desto mehr unter sich selbst zerfallen würden. Demnach geht Reuchlin's Gutachten schließlich dahin, »daß man der Juden Bücher nicht soll verbrennen, sondern sie durch vernünftige Disputationen sanftmüthig und gütlich zu unserm Glauben mit der Hilf Gottes überreden«. Und um aus der Sache überdieß einen Gewinn für die Wissenschaft zu ziehen, macht er den Vorschlag, der Kaiser möge befehlen, daß jede deutsche Universität auf zehn Jahre zwei Lehrstühle der hebräischen Sprache errichte, wozu vorerst die Juden die Bücher herzuleihen hätten.

Die übrigen Gutachten lauteten freilich anders. Alle, bis auf das heidelbergische, das auf Berufung einer Commission antrug, wollten den Juden vorerst alle ihre Bücher zum Zwecke der Untersuchung weggenommen wissen, mit alleiniger Ausnahme des Alten Testaments; ja die Mainzer nahmen auch dieses nicht aus, bis sich erwiesen haben würde, daß die Exemplare nicht christenfeindlich gefälscht seien. Reuchlin schickte seinen Rathschlag versiegelt durch einen geschworenen Boten an den Kurfürsten von Mainz, welcher, laut des kaiserlichen Mandats, sämmtliche Gutachten mit seinem Beiberichte »bei Johannsen Pfefferkorn« als kaiserlichem Sollicitator in der Sache, an den Kaiser gehen lassen sollte. Die drei Männer, denen dieser sie vorlegte, entschieden sich im Sinne der Mehrheit der Gutachten; doch der Kaiser, einmal bedenklich gemacht, setzte die Sache auf eine Berathung mit den Ständen des Reiches aus, und da ein Reichstag sich verzog, blieb sie liegen. Daß mittlerweile die Juden die ihnen von Pfefferkorn abgenommenen Bücher bis auf Weiteres zurückerhielten, war diesem unerträglich und steigerte seine Wuth auf Reuchlin, dessen Gutachten er für die ganze Störung seines so wohl eingeleiteten Anschlags verantwortlich machte. Dieses Gutachten zu lesen, hatte er ohne Zweifel ein amtliches Recht gehabt; um so weniger aber dazu, von dem amtlich zu seiner Kenntniß Gelangten in einer Druckschrift öffentlichen Gebrauch zu machen. Gleichwohl that er dieß in seinem »Handspiegel«, worin er auf jenes Actenstück hin Reuchlin geradezu beschuldigte, er habe sich von den Juden bestechen lassen, ein Gutachten zu ihren Gunsten auszustellen. Zugleich sprach er sich über dessen Kenntniß der hebräischen Sprache äußerst geringschätzig aus. Reuchlin rühme sich, ein hebräisches Wörterbuch geschrieben zu haben; aber darin sei wenig oder nichts von ihm selbst, alles von den Juden zusammengebettelt. Diese Schmähschrift hat Pfefferkorn, nach Reuchlin's Versicherung, aus der frankfurter Ostermesse 1511 »selbst umgetragen, verkauft und durch sein Weib im offenen Grempelkram Jedermann feilgeboten, auch einestheils verschickt und verschenkt«. Kurz darauf kam der Kaiser durch Schwaben; in Reutlingen übergab ihm Reuchlin klagend das Pfefferkorn'sche Libell; der Kaiser bezeigte sein Mißfallen, aber weil er Eile hatte, entließ er den Doctor mit dem Bescheid, das gütliche Verhör dem Bischof von Augsburg übertragen zu wollen. Dieß scheint jedoch vergessen worden zu sein: dadurch sah Reuchlin sich veranlaßt, zur nächsten Herbstmesse sich zu verantworten, und, wie er sich ausdrückt, »als ein Verwundeter sich selber zu arzeneien und zu heilen«.

So entstand Reuchlin's »Augenspiegel« (d. h. Brille, die auch auf dem Titel zu sehen war), die Schrift, um welche der ganze fernere Streit sich drehen sollte. Hier erzählt er zuerst den Hergang der Sache von Anfang an; rückt dann sein Gutachten wörtlich ein; hängt diesem eine scholastische Controverse in lateinischer Sprache an, in welcher gegen die Ansichten des Gutachtens eine Reihe von Beschuldigungen vorgebracht, aber auch jede derselben widerlegt wird; endlich sucht er nachzuweisen, daß »der getaufft Jud« nicht weniger als 34 Lügen gegen ihn vorgebracht habe. Vor allem weist er den Vorwurf der Bestechung mit allem Unwillen eines Ehrenmannes zurück. Er betheuert, daß er »all sein Lebtage, von seinen kindlichen Zeiten bis auf diese Stunde, von den Juden oder von ihretwegen weder Heller noch Pfennig, weder Kreuz noch Münz, nie empfangen, genommen, noch verschafft habe, auch insbesondere diesen Rathschlag betreffend ihm nichts dergleichen versprochen noch erboten worden sei; und wer von ihm, zu Verletzung seiner Ehre, anders rede oder schreibe, derselbe lüge als ein leichtfertiger ehrloser Bösewicht«. Ebenso empört sich gegen die Anschuldigung Pfefferkorn's, Reuchlin habe seine hebräische Grammatik nicht selbst gemacht, das volle Selbstgefühl des gründlichen und verdienstvollen Gelehrten. Andere vor ihm haben wohl einzelne Regeln gegeben, aber Keiner die ganze hebräische Sprache in ein Buch regulirt: »und sollt der Neid (ruft er gegen seinen Widersacher aus) sein Herz zerbrechen, dennoch bin ich der Erst«. Der ganze Lärm sei nichts weiter als eine Speculation des getauften Juden, »daß er mit mir«, sagt Reuchlin, »als ein Buchgrempler viel Gelds möcht gewinnen, so er mich in gedruckten Büchlein hinterwärts verkaufte; denn er hat jetzt mehr Gulden aus mir gelöst, als Judas Pfennig aus unserm Herrn Gott«. Das war die Erwiederung der Pfefferkorn'schen Verdächtigung gegen Reuchlin, und wenn allerdings die letztere einem Manne von der anerkannten Charakterwürde Reuchlin's gegenüber eine maßlose Unverschämtheit war, so ist doch auch gegen Pfefferkorn die Reuchlin'sche Beschuldigung nicht erwiesen. Auch reicht zur Erklärung seines Benehmens der Fanatismus des Convertiten, die Hitze einer leidenschaftlichen Natur, verbunden mit der Betriebsamkeit des Juden, vollkommen aus. Indessen gewinnt er kaum etwas dabei; er erscheint als ein bösartiger und rachgieriger, anmaßender und zudringlicher, mit seinem endlosen, stets wieder von vorn anfangenden Gebelfer wahrhaft unausstehlicher Mensch.

Zur Herbstmesse war Pfefferkorn wieder in Frankfurt und wußte (Reuchlin erinnerte sich nicht mehr genau, ob auch die hübsche Frau Bellula mulier nennt sie Reuchlin. Ein ergiebiges Thema für die Epistolae obscurorum virorum, wie wir bald finden werden. des Juden dabei verwendet worden) den händelsüchtigen Pfarrer Peter Meyer zu bereden, daß er ihn, wenn auch nur außen vor der Kirche, gegen die Juden und ihre Gönner, namentlich Reuchlin, predigen ließ. Den Augenspiegel sah der Pfarrer durch, erließ ein Verbot dagegen und schickte denselben als ein gefährliches, henkermäßiges Buch an die theologische Facultät nach Köln. Diese, größtentheils dem Dominicanerorden angehörig, und den Ketzermeister selbst unter ihre Mitglieder zählend, übergab dasselbe ihrem Doctor und Professor Arnold (Luyde) von Tungern zur Prüfung seiner Rechtgläubigkeit.

Als hievon Reuchlin durch einen ihm befreundeten Ordensbruder Nachricht erhielt, fand er doch rathsam, das aufziehende Ungewitter wo möglich noch zu beschwören. Einer der kölner Theologen, der Professor Konrad Kollin (vermuthlich Kölle), Predigerordens, aus Ulm, war von früher her sein Bekannter: an ihn und gleichzeitig an Arnold von Tungern selbst wendete er sich nun in überaus artigen, ja unterwürfigen Briefen. Sein Gutachten, führt er hier, unter vielen unverdienten Complimenten für die Kölner, aus, habe er auf höhern Befehl aus schuldigem Gehorsam gestellt, dabei an abweichende Ansichten Anderer nicht gedacht, insbesondere der kölner Facultät nicht vorgreifen wollen. Da eine gesetzliche Vorschrift in Betreff der Judenbücher nicht vorgelegen, so habe er darüber frei, als ein Redner, disputiren können, und er habe sich für die mildere Ansicht ausgesprochen. Theologisches habe er als Laie nur so eingemischt, wie etwa ein Landgeistlicher einmal auch den Arzt mache. Nachdrücklich versichert er seine durchgängige Einstimmung mit dem Kirchenglauben und seine Bereitwilligkeit, falls er gegen denselben in etwas verstoßen hätte (dessen er sich jedoch nicht entsinne), dieß zurückzunehmen. »Habe Geduld mit mir«, schreibt er an Tungern, in Anspielung auf bekannte Schriftstellen, »ich will dir Alles bezahlen. Befiehl, so stecke ich mein Schwert ein; es krähe mir der Hahn, so will ich weinen; donnere erst, bevor du blitzest.« Etwas spitziger ließ er sich gleichzeitig gegen den alten Bekannten Kollin aus, indem er unverhohlen von Pfefferkorn's Speculation auf das Judengeld und dem Undanke der Dominicaner gegen ihn sprach, der aus ererbter Anhänglichkeit dem Orden, in dessen Diensten einst sein Vater gestanden, eine Reihe von Jahren unentgeltlich als Anwalt gedient habe.

Reuchlin mochte es für Klugheitssache halten, in dieser Weise seine Würde einen Augenblick bei Seite zu setzen: aber Pfaffen gegenüber ist eine, wenn auch nur scheinbare, Nachgiebigkeit niemals klug. Sie meinen dann den Gegner in Furcht gesetzt zu haben, und verdoppeln ihre Unverschämtheit. Dieß zeigte sich sogleich in dem Antwortschreiben der kölner theologischen Facultät, deren Dekan gerade damals der Ketzermeister Jakob Hochstraten selber war. Das Ergebniß der Prüfung seiner Schrift sei allerdings kein für Reuchlin günstiges. Er suche das durch den Kaiser löblich begonnene Verfahren gegen die jüdischen Bücher zu vereiteln; wodurch er sich nicht nur der Begünstigung des jüdischen Unglaubens verdächtig mache, sondern auch den Juden zu neuem Spotte gegen die Christen Anlaß gebe. Ueberdieß habe er unstichhaltige Beweise gebraucht, Stellen und Sätze aus der heiligen Schrift und beiden Rechten ungehörig angeführt und verdreht, auch einige anstößige, übelklingende und für fromme Ohren ärgerliche Behauptungen eingestreut, und dadurch seine Rechtgläubigkeit zweifelhaft gemacht. Aus Mitleid mit dem kranken Gliede schicken sie ihm, ehe sie zum Aeußersten schreiten, ein Verzeichniß der von ihm falsch angewendeten Schrift- und Rechtssätze mit dem Begehren, daß er sich über dieselben genügender als in den seinem Rathschlag angehängten lateinischen Sätzen aussprechen, oder nach dem Beispiele des demüthigen und weisen Augustinus einen Widerruf leisten möge. Dieses Schreiben der Facultät begleitete Kollin mit einem Privatbriefe, der freundschaftlich sein sollte, in der That jedoch nur darauf berechnet war, Reuchlin einzuschüchtern und den Collegen ins Garn zu jagen; dabei ist er ganz in dem barbarischen Latein und mit dem theologischen Bauernstolze abgefaßt, worüber sich nachher die Epistolae obscurorum virorum lustig machten.

Noch einmal hielt Reuchlin, wenigstens der Facultät gegenüber, an sich. Er lobte in seiner Antwort ihre Frömmigkeit und Menschenliebe und dankte für die Schonung, ihn vor der Verurtheilung erst verhören zu wollen, wie Gott den Adam. Er erkenne die Beschränktheit seiner Geisteskraft, und maße sich als zweimal verheiratheter Laie über feinere theologische Fragen kein Urtheil an, sondern überlasse das der hohen Facultät, und wolle sich gern, wo er geirrt habe, belehren lassen. Die lateinischen Erläuterungen, die er seinem Gutachten im Augenspiegel angehängt, habe die Facultät nicht genügend gefunden. Da er nun nicht wissen könne, was sie genügend heiße, so möge sie, zur Abschneidung von Weitläufigkeiten, die Erklärung, die sie von ihm verlange, schriftlich verfaßt, durch eigenen Boten auf seine Kosten ihm zusenden, und bis zum Einlaufe seiner Antwort sich weiterer Schritte gegen ihn enthalten. Auch dießmal entschädigte sich Reuchlin für den Zwang, den er sich der Facultät gegenüber angethan, in dem Begleitschreiben an den vorgeblichen Freund, der in der That einer der dümmsten und gemeinsten in der kölner Rotte gewesen zu sein scheint. Erst züchtigt er ihn wegen seiner unlateinischen Schreibart. Die Sache betreffend, wisse er von einem löblich begonnenen Geschäfte gegen die Judenbücher, das er gestört hätte, so wenig, als er sich einer Begünstigung des jüdischen Unglaubens bewußt sei; vielmehr habe er nur nach Ueberzeugung, wie von ihm verlangt gewesen, ein Gutachten abgegeben. Aergerniß, wenn je davon die Rede sein könne, habe nicht er gegeben, sondern die Verräther, welche ein versiegeltes, für den Kaiser bestimmtes Gutachten unrechtmäßiger Weise, sogar im Drucke, bekannt gemacht haben. Darauf stehe nach bürgerlichem Rechte der Galgen: an den mögen Gott und Menschen jenen Gesellen helfen.

Jetzt endlich rückten die Kölner mit ihrem eigentlichen Begehren hervor. Reuchlin möge, schrieben sie an ihn, Anstalt treffen, daß zur nächsten Ostermesse keine Exemplare seiner Schrift mehr feil gethan werden; ferner durch eine öffentliche Erklärung die bereits ausgegebenen zurücknehmen und alle Besitzer von solchen bitten, von ihm nicht anders denken zu wollen, als daß er in Allem mit der katholischen Kirche übereinstimme, und die Juden mit ihren gottlosen Büchern, besonders dem Thalmud, verwerfe. Im Weigerungsfalle würden sie genöthigt sein, ihn vorzuladen. Dieß zu fordern, sei von ihrer Seite Liebe, es zu leisten, von der seinigen nicht blos Pflicht, sondern auch Klugheit. Denn leicht könne er sich denken, daß sonst nach seinem Tode es nicht an solchen fehlen würde, die, wenn er sich nicht mehr verantworten könne, den todten Löwen am Barte zupfen, und von ihm als einem zur tiefsten Hölle Verdammten sowohl reden als schreiben würden. Noch einmal legte der unverschämte Kollin ein freundschaftlich einschüchterndes Schreiben bei: doch nun war Reuchlin's Geduld erschöpft, und er trat jetzt endlich den Finsterlingen so gegenüber, wie er es gleich Anfangs hätte thun sollen.

Er hätte von ihrer menschlichen und christlichen Milde gehofft, daß sie ihm, nachdem er durch seine Erklärung den gelehrtesten Männern genuggethan, Gelegenheit geben würden, auch ihnen genugzuthun, indem sie ihm genau anzeigten, in welcher Art und Form er die verlangte Erklärung abzufassen hätte; denn, wenn auch der Geist Daniel's zwiefach in ihm wäre, so würde er sich doch außer Standes sehen, einem Jeden seine Träume auszulegen. Weil sie nun aber diese seine Bitte nicht gewährt haben, so wolle er, um doch ihrem Collegium willfährig zu sein, die Erläuterung, die er im Augenspiegel seinem Gutachten lateinisch angehängt habe, zur nächsten Messe in erweiterter Gestalt und deutscher Sprache herausgeben. Den Verkauf der Exemplare seines Augenspiegels könne er nicht hindern, da sie Eigenthum des Buchdruckers seien. Zu dieser Abfertigung erhielt der Freund Kollin den Commentar. Wenn er sich wirklich, wie er schreibe, so sehr für Reuchlin verwendet habe, so habe er damit ebenso sehr seiner Facultät als ihm einen Gefallen gethan. Denn er, Reuchlin, sei in dieser Sache so trefflich berathen, und habe so mächtige Beschützer hinter sich, daß ein Gewaltstreich gegen ihn für seine Gegner übler als für ihn selbst ausschlagen würde. Leicht sei es, Zank zu erregen, aber schwer, ihn beizulegen; das habe nicht blos er, sondern auch sie zu bedenken. »Denn welche Bewegung«, schreibt er, »müßte es verursachen unter den Kriegsleuten von Adel und Unadel, auch jenen, welche die Brust ohne Harnisch, aber voller Narben haben, wenn ein Redner mit der Kraft eines Demosthenes ihnen Anfang, Mittel und Ende dieses Handels entwickeln und zeigen würde, wem es dabei um Christus, und wem um den Beutel zu thun gewesen … Und glaube nur, zu jener Schaar der Starken würden sich auch die Poeten und Historiker gesellen, deren in dieser Zeit eine große Anzahl lebt, die mich als ihren ehemaligen Lehrer, wie billig, ehren; sie würden ein so großes Unrecht, von meinen Feinden an mir verübt, ewigem Andenken übergeben, und mein unschuldiges Leiden schildern, zu eurer hohen Schule unvergänglicher Schmach.« Dieser Briefwechsel findet sich in der Sammlung: Clarorum virorum Epistolæ ad Reuchlinum, wovon bald mehr.

Hiemit waren die Unterhandlungen abgebrochen; Reuchlin ließ versprochenermaßen seine »Clare Verstentnus«, d. h. seine deutsche Erläuterungsschrift erscheinen, die Kölner aber gaben jetzt das Ergebniß der Tungern'schen Prüfung des Augenspiegels ( Articuli sive propositiones etc.) heraus. Voran stand ein Gedicht von Ortuinus Gratius, d. h. Ortwin de Graes, der, aus der münsterschen Diöcese gebürtig, zu Deventer unter Alexander Hegius, der sonst bessere Schüler zu ziehen pflegte, gebildet, jetzt an der kölner Hochschule bonas literas docirte, und den nun die Theologen voranschoben, um Reuchlin gegenüber zu zeigen, daß auch sie einen Poeten auf ihrer Seite haben. Die Schrift ist dem Kaiser zugeeignet und von dem schon genannten Arnold von Tungern mit aller Aufgeblasenheit eines theologischen Scholastikers, aller Verketzerungssucht eines Pfaffen, und mit der Beschränktheit eines Menschen abgefaßt, der im Stande war, gegen Reuchlin's auf ganz anderm Boden ruhende Beweisführung mit der Autorität eines Albertus und Thomas ins Feld zu rücken. Zugleich wußten aber die Kölner einen kaiserlichen Befehl an alle Reichsangehörigen, insbesondere auch an den frankfurter Rath, auszuwirken, daß der Augenspiegel, wo man ihn finde, confiscirt werden sollte; während Pfefferkorn gegen denselben ein Libell erscheinen ließ, das sich schon durch seinen Titel: »Brandspiegel« hinlänglich kennzeichnet.

Jetzt sah sich aber auch Reuchlin von jeder Rücksicht entbunden und überließ sich ganz dem Zuge seiner cholerischen, zwar durch Weltbildung und Alter gemäßigten, nun aber lange und empfindlich gereizten Natur. Er schrieb eine »Vertheidigung gegen seine kölnischen Verläumder« die er gleichfalls dem Kaiser zueignete. Voran steht als Summarium des Buchs die Erklärung: »Welcher schreibt oder sagt, daß ich obgenannter Doctor in meinem Rathschlag die Judenbücher betreffend, aus Befehl kaiserlicher Majestät gemacht, habe gehandelt anders dann ein christenlicher frommer erbar Bidermann, derselb lügt als ein unglaubhaftiger leichtfertiger ehrloser Böswicht; des erbeut ich mich zu Ehren und Recht fürzukommen.« Hätte man in seinem Gutachten etwas Anstößiges gefunden, so wäre der rechte Weg gewesen, ihn vor der gesammten Kirche oder bei seinem Bischof zu verklagen. Der Ketzermeister habe keine Befugniß, über Streitfragen innerhalb der Kirche, auch nicht über bloßen Verdacht der Ketzerei zu richten, sondern nur gegen entschiedene und bestimmt verurtheilte Ketzerei vorzugehen. Doch auch gegen vermeintliche Ketzer habe man mit Schonung und Milde zu verfahren, um ihnen wieder auf den rechten Weg zu helfen. Darum freilich sei es den Kölnern nicht zu thun, sie wollen ihn nur verderben. Sie seien aber auch keine wirklichen Theologen, sondern Theologisten, die sich, statt mit Erforschung der Wahrheit, mit leeren Wortstreitigkeiten abgeben. Ein Judengönner sei er in keinem andern Sinne, als wie Päpste und Kaiser es gewesen. Er wolle nur, daß sie kein Unrecht thun, aber auch kein Unrecht leiden. In Tungern's Schrift insbesondere findet Reuchlin mehr Schmähungen als Gründe, und die letztern meistens aus seinen eigenen Schriften entlehnt. In dem lateinischen Anhang des Augenspiegels, und hierauf im »claren Verständniß«, hatte Reuchlin mögliche Einwürfe gegen sein Gutachten aufgestellt und beseitigt: diese hatte der Verfasser der kölnischen Schrift sich angeeignet, aber die Auflösungen weggelassen, und statt deren ein breites theologisches Gewäsche hinzugefügt. Da brauchte also Reuchlin sich lediglich auf seine frühern Schriften zu berufen. Ein Hauptvorwurf seiner Gegner war, daß er Stellen der heiligen Schrift in einem ihnen fremden Sinne angewendet habe. Reuchlin stellte in Abrede, daß er dieß gethan, aber auch wenn er es gethan hätte, daß es unerlaubt wäre. Die Kirche selbst wende manche Schriftstellen, das Neue Testament manche Stellen des Alten anders an, als sie ursprünglich gemeint gewesen. So werde das Hohe Lied auf Christus und die Kirche oder die menschliche Seele gedeutet; so gebe Paulus dem Altar in Athen eine andere Inschrift, als derselbe wirklich gehabt habe; so führe Matthäus eine Stelle des Jeremias an, die gar nicht so in diesem stehe. Verfehle hiebei die spätere Anwendung den wörtlichen Schriftsinn, so erreiche sie dafür den tiefer liegenden allegorischen, welcher die eigentliche Absicht des Heiligen Geistes beim Eingeben jener Schriftstellen gewesen.

Doch nicht blos an Gründen, sondern auch an Schimpfreden wollte Reuchlin seinen Gegnern nichts schuldig bleiben. Nennt er den Pfefferkorn ein giftiges Thier, ein Scheusal und Ungeheuer, so heißt er dessen theologische Gönner bissige Hunde, Pferde und Maulesel, Schweine und Füchse, reißende Wölfe, syrische Löwen, Cerberusse und höllische Furien. Ihrem Führer, Arnold von Tungern, stehen zur Seite ein halber Jude und ein halber Heide, welcher der Schrift schlechte Verse vorgesetzt habe: und hier ergeht sich Reuchlin theils in einer Reihe von Wortwitzen im Ungeschmacke der Zeit, theils hat er die Schwachheit, dem Ortuin, weil er die Maria Jovis alma parens genannt hatte, als über eine neue, im Himmel, auf Erden und in der Hölle unerhörte Ketzerei ganz kirchenväterlich den Text zu lesen; worauf er mit der Anklage gegen Arnold als Verläumder und Fälscher schließt.

Auf Reuchlin's Freunde und Gesinnungsgenossen machte diese Streitschrift einen verschiedenen Eindruck. In der Verwerfung seiner Gegner waren alle einverstanden; aber Erasmus und Pirckheimer urtheilten, Reuchlin hätte ein Scheusal, wie Pfefferkorn, nicht durch seine Schriften verewigen sollen. Jedenfalls, meinten sie, hätte er es mit weniger Leidenschaftlichkeit thun sollen. Dem behutsamen Mutian war besonders das bedenklich, daß Reuchlin der Kirche falsche Schriftauslegungen Schuld gab. Daß er damit Recht habe, läugnete der Kanonikus zu Gotha nicht, aber Reuchlin hätte diese esoterische Einsicht für sich behalten sollen. Der Kirche dürfe ein Glied derselben nicht widersprechen, selbst wenn es einsehe, daß sie geirrt habe. Vieles sei von den weisesten Männern erdichtet worden, und fromme Täuschung zum gemeinen Besten unentbehrlich. Anders verstehe der einfältige Leser, anders der Gelehrte die Schrift. »In keinem Wege jedoch dürfen wir Geheimnisse ausplaudern, oder die Meinung der Menge erschüttern, ohne die weder der Kaiser das Reich, noch der Papst die Kirche, noch wir das Unsere in die Länge behaupten könnten, sondern Alles in das alte Chaos zurücksinken würde. Darum laß uns den väterlichen Glauben, gelehrtester Capnion, und begünstige die Juden nicht so, daß du den Christen Schaden thust.« Deßwegen urtheilte aber Mutian doch, es müßte einer ganz roh und ohne Vernunft sein, um dem Reuchlin nicht wohlzuwollen, dessen Anfechtung er mit der des Sokrates in eine Reihe stellt.

Seine Vertheidigung fand Reuchlin Gelegenheit im Juni 1513 zu Geislingen dem Kaiser zu überreichen und ein Mandat bei ihm auszuwirken, das beiden Theilen Schweigen auferlegte; aber schon einen Monat später hatten seine Feinde denselben Kaiser dahin gebracht, daß er einen Befehl an die rheinischen Erzbischöfe, wie auch an den Ketzermeister erließ, die Reuchlin'sche Schutzschrift, wo sie sich fände, wegzunehmen und zu unterdrücken. Und nun wandten sich die Kölner, wie früher wegen der Judenbücher geschehen war, wegen Reuchlin's Augenspiegel und Vertheidigung um Gutachten an die namhaftesten Universitäten, zu denen sie dießmal, statt des nicht willfährig befundenen Heidelberg, noch Löwen und Paris fügten. Von allen wurde, mit mehr oder weniger Schonung gegen den Verfasser, der Augenspiegel verdammt; am meisten Aufsehen machte zuletzt noch die Sentenz der pariser Theologen, die nach 44 Sitzungen am 2. August 1514 sich fast einstimmig dahin aussprachen, daß das Reuchlin'sche Buch wegzunehmen und zu verbrennen, der Verfasser aber zum Widerruf anzuhalten sei.

Nachdem die theologische Facultät zu Köln schon ein Jahr früher über den Augenspiegel das gleiche Urtheil gefällt hatte, forderte der Ketzermeister Hochstraten am 9. September 1513 Reuchlin auf, am 15., also schon am sechsten Tage nach der Vorladung, in Mainz vor seinem Richterstuhle zu erscheinen. Auf den Protest des von Reuchlin geschickten Procurators wurde durch Vermittlung des mainzischen Domkapitels der Termin erstreckt, und so erschien am Tage Dionysii, den 9. October, Reuchlin zu Mainz, in Begleitung eines Doctors theol. und juris und eines adelichen Obervogts, die Herzog Ulrich zu seinem Beistande verordnet hatte. Das Domkapitel machte billige Vergleichsvorschläge; der Erzbischof verlangte Aufschub; Reuchlin appellirte an den Papst: der Ketzermeister, der die Witterung eines Scheiterhaufens hatte, war nicht mehr zu halten. Feierlich zogen am 13. October die Dominicaner auf den Richtplatz; von Neugier und überdieß von Ablaßverheißungen gelockt, strömte eine unermeßliche Volksmenge zu; Hochstraten nahm seinen Richterstuhl ein; schon war der Scheiterhaufen aufgeschichtet, und eben sollte das Urtheil verlesen werden, welches den Augenspiegel zum Feuer verdammte: da kam ein Bote aus Aschaffenburg mit einem erzbischöflichen Befehle, den er auf dem Platze verlesen ließ, kraft dessen das Inquisitionsgericht aufgehoben, das weitere Verfahren untersagt und Reuchlin's Appellation an den Papst genehmigt wurde. Knirschend vor Wuth reiste Hochstraten ab, hatte aber bald hernach die Befriedigung, daß in seinem Köln, auf den Antrag eines ketzermeisterlichen Collegen, der Augenspiegel als ein nach Ketzerei schmeckendes, judenfreundliches, gegen heilige Kirchenlehrer unehrerbietiges, ärgerliches Buch (am 10. Februar 1514) öffentlich verbrannt wurde.

Mittlerweile hatte nun aber Papst Leo X., an den die Appellation gelangt war, die Sache dem Bischof von Speier, dem jungen Pfalzgrafen Georg, übertragen, der seinerseits seine Domherren, den Dr. Thomas Truchseß und Georg von Schwalbach, zu seinen Subdelegirten ernannte. Unter dem 29. März und 24. April 1514 erfolgte ihr Spruch dahin, daß Reuchlin's Augenspiegel nicht nach Ketzerei schmecke, nicht ärgerlich, nicht unehrerbietig, nicht allzu judenfreundlich sei, daher verkauft und gelesen werden dürfe; daß dagegen Hochstraten mit seiner Verdammung desselben Unrecht gehabt habe, ihm Stillschweigen und Kostenersatz von 111 Fl. rheinischen Goldes auferlegt, und bei Strafe des Bannes geboten sein solle, binnen dreißig Tagen sich mit Reuchlin zu vergleichen.

Allein Hochstraten, der gegen das speierische Gericht gleich Anfangs an den Papst appellirt hatte, kehrte sich an den Ausspruch desselben nicht, und so fand auch Reuchlin sich veranlaßt, die Acten nach Rom zu senden, mit der Bitte an den Papst, die Sache ohne viel Geräusch und Kosten endgültig entscheiden zu wollen. Dieses Gesuch war vom Kaiser, verschiedenen Kurfürsten, Fürsten, Bischöfen, Aebten, auch 53 schwäbischen Städten unterstützt, welche sämmtlich für Reuchlin's erbauliches Lehren und Leben Zeugniß ablegten. Auf den neuen Papst Leo X. aber, als einen Freund der humanen Bildung, glaubte man die beste Hoffnung setzen zu dürfen. Die Kölner indeß, um sich für alle Fälle zu decken, beeilten sich, die zu ihren Gunsten ausgefallenen Universitätsgutachten mit einer Einleitung aus der Feder ihres Ortuin Gratius im Druck ausgehen zu lassen.

Der Papst hatte die Sache dem gelehrten Cardinal Grimani, Patriarchen von Aquileja, übertragen, und dieser citirte nun den Hochstraten persönlich (wovon bei Reuchlin Umgang genommen wurde) nach Rom. Der Ketzermeister kam, gleichfalls wohl empfohlen, wohl beritten, und was die Hauptsache war, wohl mit Goldstücken versehen: dadurch hoffte er mit Reuchlin, der, jetzt ohne Amt, von seinen spärlichen Renten lebte, sicher fertig zu werden. Es war bereits eine Nachgiebigkeit gegen die Dominicaner, daß der Papst nun eine Commission von 18 Prälaten zur Entscheidung der Sache ernannte; doch auch in dieser schien sich die Stimmung zu Reuchlin's Gunsten zu neigen, und Leo selbst sagte zu dem gelehrten Florentiner Poggius: Sei unbesorgt, wir werden dem Manne nichts geschehen lassen.

Dieser schwankende Gang der Sache brachte allen Uebermuth und alle Leidenschaft der Predigermönche in Bewegung. Sie schimpften auf den Cardinal Grimani, sprachen von dem Papste wie von einem Schulknaben, und drohten, auf den Fall einer ihnen ungünstigen Sentenz, mit der Berufung auf ein Concil, ja mit offenem Abfall von dem römischen Stuhle. Auch Pfefferkorn fuhr fort zu zetern und zu hetzen; dem »Brandspiegel« ließ er eine »Sturmglock« folgen, und wie die Verbrennung seines Namensbruders in Halle unliebsame Verwechslungen herbeiführte, nannte er sich auf seinem nächsten Buchtitel »I. Pfefferkorn den man nyt verbrannt hat«.

Reuchlin seinerseits zeigte, bei wechselnder Stimmung, doch im Ganzen festen Muth. Er selbst verglich sich mit einem edlen Pferde, das, wenn auch schon alt, doch noch muthig bleibt. Er hatte einen tüchtigen Sachwalter und thätige Gönner in Rom; was ihn aber am meisten erheben mußte, war die Wahrnehmung, wie alle hell und gut Denkenden in Deutschland und Italien sich um ihn schaarten, seine Sache als ihre eigene betrachteten, ihn ihrer Verehrung versicherten und ihm ihre Dienste anboten. Um zu beurkunden, welche ausgezeichnete geistige Kräfte und einflußreiche Männer ihm zur Seite stehen, veranstaltete er im Jahre 1514 eine Sammlung von »Briefen berühmter Männer« an ihn, welche im Jahre 1519 in neuer Auflage mit einem andern Theile vermehrt wurde, wo dann auf dem zweiten Blatte das »Heer der Reuchlinisten« verzeichnet stand. Die erste Ausgabe hatte den Titel: Clarorum virorum – die zweite vermehrte Illustrium virorumEpistolæ hebraicæ græcæ et latinæ ad Jo. Reuchlinum etc. In dem Reuchlinistenverzeichniß stand Erasmus als »der gelehrteste Mann des Jahrhunderts« voran, dann folgten die beiden Adelichen Nuenar und Hutten, hierauf ein englischer Bischof u. s. f., weiterhin die Peutinger und Pirckheimer, Mutian mit seinen jüngern Freunden Crotus, Eoban und Eberbach, Hermann von dem Busche, Vadian und Glarean, Melanchthon mit Oekolampad und Capito, zusammen 43 Namen, worunter jedoch ein schon vorher mit dem eigentlichen Namen dagewesener Pseudonymus. »Reuchlinisten und Arnoldisten« wurde das Feldgeschrei zweier feindlichen Lager: es mit den erstern zu halten, letztere zu verachten, galt für die Schuldigkeit jedes Ehrenmannes; Reuchlinist, war Anrede und Unterschrift in Briefen; daß einer ein guter Reuchlinist sei, war die beste Empfehlung in der damaligen gelehrten Republik. Merkwürdig ist das Gemeingefühl und die Betriebsamkeit in diesem Lager. Der stillwirkende Mutian warb mündlich wie schriftlich für Reuchlin; die Peutinger, Welser u. A. verwendeten sich am kaiserlichen und römischen Hofe für ihn; Erasmus empfahl ihn und seine Sache dem Papst und den Cardinälen. Bei Gelegenheit dieses Handels, kann man sagen, lernte sich die Fortschrittspartei zuerst als geschlossene Macht fühlen.

Unterdessen zog sich die gerichtliche Verhandlung vor der Commission zu Rom, unter immer neuen Winkelzügen der Mönchspartei, Jahre lang hin. Endlich am 2. Juli 1516 fand die öffentliche Schlußsitzung statt, in welcher das Urtheil gefällt werden sollte. Der Vorsitzende, der ehrwürdige Erzbischof von Nazareth, gab seine Stimme für den Augenspiegel und wider dessen Ankläger ab, und ihm folgten sämmtliche verderben und ebenso wenig die deutschen Beisitzer, bis auf den Magister sacri Palatii, den Dominicaner Sylvester Prierias, der hier an Reuchlin die Rolle begann, die er bald gegen Luther weiter spielte. So war der Spruch zu Reuchlin's Gunsten gefallen, und es fehlte nur noch dessen Verkündigung. Aber Leo X. fürchtete den mächtigen Predigerorden doch. Er wollte es nicht mit ihm verderben und ebenso wenig die deutschen Fürsten ermuthigen, die, während sie sich für Reuchlin verwendeten, zugleich immer nachdrücklicher auf eine Reformation des päpstlichen Hofes drangen. So erfolgte ein Mandatum de supersedendo, d. h. der Handel zwischen Reuchlin und den Kölnern wurde nicht entschieden, sondern niedergeschlagen.

Doch auch dieses schon war ein Sieg der Fortschrittspartei. Reuchlin ging aus dem sechsjährigen Kampfe zwar mit schweren Vermögensverlusten durch die Proceßkosten, die er schon 1515 auf mehr als 400 Goldgulden anschlug, aber mit der Glorie eines geretteten Märtyrers hervor. Hochstraten, nachdem er sich noch ein ganzes Jahr lang, eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen, in Rom aufgehalten, zog zuletzt unverrichteter Sache und als Gegenstand des Hasses und der Verachtung aller Wohldenkenden nach Hause. Schriften erschienen zur Verherrlichung des erstern, zur Verspottung seiner Widersacher. Der durch Gelehrsamkeit, Reichthum und hohe bürgerliche Stellung gleich ausgezeichnete Wilibald Pirckheimer, nürnbergischer Senator und kaiserlicher Rath, schickte seiner lateinischen Uebersetzung von Lucian's Fischer, die im Jahre 1517 erschien, einen Brief zur Vertheidigung Reuchlin's voraus, in welchem er sich des ehrwürdigen Mannes mit ebenso viel Wärme als Würde annahm. »Nichts war mehr übrig, bester und verehrter Capnion«, so redet er ihn am Schlusse an, »was zu dem Vollmaße deiner Tugenden hinzutreten konnte. Die höchsten Ehrenämter hattest du verwaltet. Ein Leben hattest du geführt, wie es die Besten sich nur wünschen mögen. Auf dich hatte die Natur alle ihre Gaben gehäuft: durch reiche Gelehrsamkeit hattest du dich ausgezeichnet; die lateinische Sprache hattest du gefördert, die griechische beinahe zuerst in Deutschland eingeführt, die hebräische mit seltenem Fleiße zu allgemeiner Bewunderung gelernt; viele und nicht gemeine Denkmale deines Geistes hattest du aufgestellt; mit so zahlreichen und über menschliches Verständniß schwierigen Leistungen hattest du deinen Lauf vollendet: und nur das Eine war noch übrig, daß durch eine ausgezeichnete Widerwärtigkeit die Größe deiner Seele geprüft und wie das Gold im Feuer bewährt würde. Siehe, da hat sich dir eine treffliche Gelegenheit geboten, um von deiner Tapferkeit, Standhaftigkeit und Rechtschaffenheit die schönste Probe abzulegen.«

Besondere Theilnahme erregte der Reuchlin'sche Handel gleich von Anfang in dem engem Kreise, dem Ulrich von Hutten angehörte. Keinem ging das Schicksal des hochverdienten Mannes näher, als Hutten's ältestem Freunde Crotus Rubianus. Keiner versicherte denselben treuherziger seiner Verehrung und Liebe, als Eoban Hesse, der ihm ja seine Ernennung zum Dichterkönig verdankte. Die Briefe dieser Männer an Reuchlin finden sich in Illustr. viror. epist. ad Reuchlinum. Niemand sprach sich schärfer gegen Reuchlin's Widersacher aus, als Hutten's Gönner, Eitelwolf vom Stein. Wie hätte da Ulrich unerregt bleiben können? Das war nicht mehr die zufällige Brutalität zweier halbgebildeten Geldmänner hinten an der Ostsee gegen einen armen Poeten; nicht die Ermordung eines unbedeutenden Vetters und Standesgenossen durch einen leidenschaftlichen Fürsten: hier war ein planmäßiger, durch gewaltige Kräfte unterstützter Versuch der Rückschrittspartei, in einem der Vorkämpfer der Bildung und Geistesfreiheit alles dasjenige zu unterdrücken, was auch für Hutten das Theuerste war.

Als Hutten in Mainz zum erstenmale die Bekanntschaft des Erasmus machte (es war vor seiner zweiten Reise nach Italien im Jahre 1514), zeigte er diesem ein Gedicht, Reuchlin's Triumph betitelt. Erasmus fand die Arbeit hübsch, doch redete er Hutten zu, sie vorerst noch nicht drucken zu lassen, um nicht durch den vorzeitigen Triumph theils zum Spott Anlaß zu geben, theils der noch schwebenden Sache Reuchlin's zu schaden. Daß das Gedicht, welches ihm hier Hutten zeigte, diesen selbst zum Verfasser gehabt habe, sagt Erasmus einmal ausdrücklich. Ein andermal aber schreibt er darüber an Hutten so, daß man an mehrere Verfasser denken möchte. In dem Briefe vom 23. April 1519, Hutten's Schriften I, S. 261. Die andern Aeußerungen finden sich in seiner Spongia, Hutten's Schriften II, S. 274. 318. 376 ff. Im Jahre 1517 scheint die Herausgabe im Werke gewesen zu sein; wirklich erschien es aber erst zu Ende des folgenden Jahres unter dem erdichteten Namen eines Eleutherius Byzenus. Triumphus Doc. Reuchlini … Encomion triumphanti illi … ab Eleutherio Byzeno decantatum. Hutten's Schriften III, S. 413-447. Das Vor- und Nachwort ebendas., I, S. 236-238.

Um dieselbe Zeit ungefähr, als Hutten dem Erasmus den Triumphus Capnionis vorzeigte, kam auch dem Mutian ein Gedicht, unter dem gleichen Titel und in derselben Richtung geschrieben, zu. Es trug aber statt Eleutherius Byzenus den Namen eines Accius Neobius. Und als wahren Verfasser nennt Mutian nicht Hutten, sondern Hermann von dem Busche; von Hutten sei nur ein Epigramm aus dem Stegreife dabei gewesen. Die Mutianischen Briefstellen s. in Hutten's Schriften I, S. 31 f.

Hermann von dem Busche, etwa zwanzig Jahre älter als Hutten, war durch Lebensart und Schicksale in mancher Hinsicht ein Vorbild von diesem. Einem edlen westphälischen Geschlechte angehörig, Schüler des Alexander Hegius in Deventer, dann in Italien weiter gebildet, mit Rudolf Agricola, Rudolf Lange, dem Grafen Hermann von Nuenar und allen Vorfechtern der neuen Richtung, wie später auch mit Hutten, innig befreundet, war er, beständig auf Reisen in Deutschland, Frankreich und England, ein wahrer Missionär des Humanismus. War er von einer Universität durch den Neid der Professoren vom alten Schlage vertrieben, was ihm in Köln, Leipzig, Rostock, zum Theil wiederholt, begegnete, so wanderte er an eine andere, las über griechische und römische Schriftsteller und führte bessere Schulbücher ein. Seine Empfehlung des Donat, als einer auch für berühmte Universitäten noch höchst nöthigen Lectüre, fand der Professoren-Hochmuth beleidigend. Für seinen rostocker Widersacher Tilemann Heuerling sind die 53 Epigramme seines Oestrus ein ähnliches Denkmal, wie Hutten's Querelen für den greifswalder Bürgermeister und Professor. Seltsam, daß bei dem Ausbruche des Reuchlin'schen Streites Busch sich hatte bestimmen lassen, die Schrift Arnold's von Tungern mit einem Epigramme gegen Juden und Judengönner zu zieren. Er hat es später genug bereut. Mutian schreibt im Jahre 1514, Busch habe eine Palinodie gesungen, und stehe mit Reuchlin gut. Letzteres erhellt auch aus einem Briefe in der Reuchlin'schen Sammlung, aus der Zeit als Hochstraten in Rom war, wo Busch als der wärmste Anhänger Reuchlin's spricht. Ob jene Palinodie eben der Triumphus Capnionis des Accius Neobius war? und ob dieß derselbe Triumphus war, der jetzt den Namen Eleutherius Byzenus trägt, oder ein anderer? Ersterer soll von einem Hutten'schen Epigramm begleitet gewesen sein: letzterer hat ein prosaisches Vor- und Nachwort, ganz in Hutten'schem Geist und Stile. Diese selbst konnte Mutian nicht füglich ein Epigramm nennen: aber während der Jahre, die zwischen der Abfassung und dem Druck vergingen, konnte, neben andern Umarbeitungen, auch das Epigramm mit zwei Stücken in Prosa vertauscht worden sein. Eoban Hesse hatte den (handschriftlichen) Triumph des Accius Neobius seiner Zeit von Mutian als eine Arbeit Busch's mitgetheilt erhalten: und doch, wie er nun durch den erfurter Augustiner Johann Lange unsern gedruckten erhielt, war er nur einen Augenblick zweifelhaft; sobald er sich tiefer hineingelesen hatte, glaubte er Hutten's Schreibart sicher zu erkennen, und schwur darauf, daß das Gedicht von diesem sei. Entweder war es also ein anderes, als das er früher gesehen hatte, oder er hielt Mutian's Angabe, daß es von Hermann Busch sei, aus innern Gründen für irrig. Ebenso sandte Melanchthon den Triumphus an Spalatin als ein seiner Meinung nach Hutten'sches Gedicht. So ist er auch in die Sammlung Hutten'scher Dichtungen vom Jahre 1538, die man von Eoban veranstaltet glaubt, aufgenommen, und Joachim Camerarius, der Hutten und Busch persönlich kannte, schreibt ihn dem erstern zu. Das Reuchlinistenverzeichniß vor den Briefen berühmter Männer an Reuchlin respectirt das Incognito des Verfassers, und führt den Eleutherius Byzenus als besondere Person neben Busch und Hutten auf.

Daß nun das prosaische Vor- und Nachwort des Gedichts wirklich von Hutten sei, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Rhetorik ist, wenn wir ähnliche Arbeiten Hutten's, z. B. die Reden gegen Herzog Ulrich, vergleichen, ganz dieselbe. Auch die gleichen Schlagworte finden sich, die Hutten sonst geläufig sind: daß Deutschland endlich Augen bekommen habe, daß die Theologisten sich hängen sollen, und besonders, daß der Würfel geworfen, der Kerker durchbrochen sei. Die Freude über das Erwachen der Geister, über das rege Leben in allen Zweigen der Wissenschaft, ist hier ebenso Huttenisch empfunden und ausgedrückt, als die Drohung mit mehr denn zwanzig zum Verderben der Theologisten Verschworenen, unter denen er nicht der vorzüglichste, aber der ungeduldigste sei, dem Ritter vollkommen ähnlich sieht. Das entscheidende Zeugniß für den Hutten'schen Ursprung dieser Beilagen aber liegt in der durchgehenden, stellenweise wörtlichen, Parallele, welche zwischen dem Vorworte zum Triumphus Capnionis und einem Schreiben Hutten's an den Grafen Hermann von Nuenar in derselben Angelegenheit stattfindet. Vgl. die beiderseitigen Stellen in Hutten's Schriften I, S. 236 §. 2 und 3 mit S. 165 §. 2 und 3; S. 237 §. 5 und 6 mit S. 166 §. 11 und 167 §. 13. Dazu die Stellen vom Strick in dem Nachwort zum Triumphus, Schriften I, S. 237 und 238, und in dem Sendschreiben an Pirckheimer, ebendas., S. 217. Wenn einer früher geäußerten Vermuthung zufolge die Reisebeschreibung des M. Wilhelm Lamp in den Epist. obscuror. viror., II, 12 die Route von Hutten's zweiter italienischer Reise gibt, so hätten wir noch ein weiteres Erkennungszeichen. Denn sowohl der Vorredner als der Briefsteller wollen in Italien – letzterer gibt Bologna an – mit Hochstraten zusammengetroffen sein.

In dem hexametrischen Gedichte selbst ist vor allem der oft wiederkehrende Refrain:

Jauchze, wofern du dich selber erkennst, o jauchze, mein Deutschland!

dem Hutten'schen Gedankenkreise verwandt. Daß es Deutschland an nichts fehle als an Selbstkenntniß, am Bewußtsein seiner Kraft und des Mißbrauchs, der von einer ausländischen Hierarchie mit ihm getrieben werde, das spricht Hutten an vielen Stellen fast mit den gleichen Worten aus. Man vergleiche mit dem oben angeführten Refrain des Gedichts die Briefstellen an Jul. Pflugk, Hutten's Schriften I, S. 185 §. 4; an Erenbergk, ebendas., S. 259 §. 10. Auch Reuchlin's Verdienste um die deutsche Bildung werden hier mit denselben Ausdrücken, wie sonst von Hutten, bezeichnet Vgl. mit v. 965 f. des Gedichts Hutten's Brief an Gerbel, Schriften I, S. 106 §. 6.; der Jubel des Triumphzugs zum Theil mit denselben Bildern wie in dem Lobgedicht auf den Erzbischof Albrecht vorgestellt; die armen Sünder treten in derselben Ordnung und zum Theil mit denselben Prädicaten wie in Hutten's Fürbitte bei dem Cardinal Adrian auf; die beiden Pfarrer, Peter Meyer in Frankfurt und Bartholomäus Zehender in Mainz, die besondern Gegenstände von Hutten's Widerwillen, sind theilweise mit den gleichen Ausdrücken wie in einem Hutten'schen Briefe geschildert Vgl. mit v. 772-841 Hutten's Brief an den Grafen Hermann von Nuenar, Schriften I, S. 165. 166.; die Abschweifung auf Venedig und den Triumph, den es geben würde, wenn dem Kaiser dessen Demüthigung gelänge, kann an den Verfasser der Aufmahnung gegen Venedig und der Epigramme an Maximilian erinnern. Die etwas henkermäßige Phantasie, die sich in der Beschreibung der von Pfefferkorn verdienten Qualen kundgibt v. 704-735., berechtigt uns leider nicht, die Arbeit Hutten abzusprechen; während das über Busch ausgesprochene Lob v. 578 f. doch gar zu plump wäre, wenn dieser selbst es sich gespendet haben sollte. Von den Fehlern gegen die Prosodie im Triumphus hat schon Eoban die größere Anzahl den Setzern zur Last gelegt An Joh. Lange, Hutten's Schriften I, S. 240.; was auch so noch auf Rechnung des Verfassers bleibt, ist wenig mehr als was wir Hutten wie überhaupt diesen Renaissance-Poeten auch sonst nachzusehen haben. Demnach wird das Gedicht, wie es vorliegt, für Hutten's Arbeit zu halten sein; ob er die von Busch mit der seinigen verschmolzen oder ganz bei Seite gelassen, oder ob eine solche vielleicht gar nicht existirt habe, möchte schwer zu entscheiden sein.

Gemäß dem Titel (dieß ist in kurzem Umriß der Inhalt des Gedichts) wird dem als Sieger über die Sophisten, d. h. die theologischen Scholastiker, heimkehrenden Reuchlin in seiner Vaterstadt ein feierlicher Einzug, nach Art eines antiken Triumphs, bereitet. Sein Ruhm gehört Deutschland, in besonderm Sinne jedoch Pforzheim und Schwaben an, welche daher zur Verherrlichung seines Triumphs vor andern berufen sind. Der Anlaß dieser Festlichkeit ist kein Sieg mit leiblichen, sondern mit geistigen Waffen: und nun wird der Thatbestand des Streites zwischen Reuchlin und den Kölnern, die Trefflichkeit und das Verdienst des erstern, die Tollheit und Verworfenheit der letztern, auseinandergesetzt. Insbesondere macht sich der Unwille über die Predigermönche, der in jenen Jahren aufs höchste gestiegen schien, doch bald aus Veranlassung der Tetzel und Prierias noch höher steigen sollte, ausführlich Luft, und es werden aus ihrem Sündenregister, als besonders schwere Fälle, hier wie in einer Reihe Hutten'scher und anderer Schriften jener Zeit, die Vergiftung des Kaisers Heinrich VII. durch eine Hostie, die betrüglichen Erscheinungen und Wunder im Dominicanerkloster zu Bern und einiges Aehnliche angeführt. Sofort eröffnet sich durch die mit Laub und Blumen bestreuten Straßen und zwischen festlich behängten Häusern der Zug. Voran werden die Waffen und die Götzen der Ueberwundenen getragen: jenes sophistische Schlüsse und Beweise, erkaufte Titel, blutige Griffel, Scheiterhaufen im Abbild u. dergl.; dieses die vier Ungethüme: Aberglaube, Barbarei, Unwissenheit und Neid, von denen eine abschreckende Beschreibung im allegorischen Geschmacke gegeben wird. Hierauf folgen in Ketten die besiegten Feinde: voran Hochstraten, der Feuermann, ein anderer Cacus und Typhoeus, der Feuer frißt, Feuer speit, und dessen anderes Wort: ins Feuer! ist; dann der trunkene, neidische Ortuin, der ehrsüchtige, scheinheilige Arnold von Tungern, der Judas Pfefferkorn, gegen welchen der Dichter den Henker herbeiruft, ihn zu verstümmeln und an den Füßen zu schleifen; endlich die Reuchlinsfeinde zu Mainz und Frankfurt. Auf die Gefangenen folgen Opferstiere, dann Musik und Sänger, die ein Loblied auf Capnion anstimmen; endlich auf einem mit allerlei edlem Gesträuch und Blumen gezierten Wagen die ehrwürdige Gestalt des Triumphators selbst, die grauen Schläfen mit Lorbeer und Epheu umwunden, den Augenspiegel in der rechten und einen Oelzweig in der linken Hand; zum Beschluß, gleichfalls bekränzt, die Schaar der Rechtsgelehrten und Poeten, die er alle vom Untergang, der auch ihnen von den Dunkelmännern zugedacht war, befreit hat. Der ganze Triumphzug ist in der ältesten Ausgabe durch einen Holzschnitt anschaulich gemacht.

Wie auch immer Hutten an diesem Triumphgesange betheiligt sein mag: aus seiner Seele ist er jedenfalls geschrieben. Mit regster Theilnahme, im Wechsel zwischen Hoffnung und Furcht, war er während seines zweiten Aufenthaltes in Italien dem schwankenden Gange des Reuchlin'schen Processes gefolgt. Aus Rom selbst haben wir unmittelbar keine Nachricht von ihm, wenn wir nicht, wovon bald mehr, so manche Notizen im zweiten Theile der Dunkelmännerbriefe dafür nehmen wollen. Wie genau er sich aber daselbst um alles jenen Handel Betreffende erkundigt hatte, sehen wir daraus, daß er, kaum in Bologna angekommen, dem Vadian von Allem Nachricht gab, was während der letzten Monate zu Rom in der Sache Reuchlin's verhandelt worden. Die Aussichten waren damals günstig: auch an Nikolaus Gerbel schrieb Hutten aus Bologna unter dem letzten Juli 1516, die Rettung sei nahe, Hochstraten habe mit den ungeheuern Summen, die er verschwendet, nichts ausgerichtet. Am 9. August schrieb er an Richard Crocus nach Leipzig, daß die Commission über Reuchlin's Sache verhandle, und man täglich den Spruch erwarte, der als eine Entscheidung nicht blos über Reuchlin, sondern über die ganze humanistische Richtung anzusehen sei. Einen Monat später gaben ihm seine Freunde aus Rom immer noch gute Hoffnung; aber er fürchtet aufs neue den Einfluß des Sophistengoldes, da er die Geldgier und Bestechlichkeit der römischen Höflinge kennt. Er wünschte die Sache einmal entschieden, um nicht länger zwischen Furcht und Hoffnung schwanken zu müssen. Diese Briefe s. in Hutten's Schriften I, S. 104. 106. 124-126.

Hatte Erasmus für Reuchlin bei dem Papst und dem Cardinal Grimani ein gutes Wort eingelegt, so wandte sich Hutten, wie es scheint um diese Zeit, wenn nicht schon während seines Aufenthalts in Rom, an den Cardinal Adrian, der später Leo's Nachfolger auf dem päpstlichen Stuhle geworden ist. Der rechtschaffene, aber beschränkte und scholastisch gebildete Mann war nichts weniger als ein Gönner der Humanisten, einige Jahre später finden wir in einer dem Reuchlinistenkreise angehörigen Satire ihn geradezu als Feind aller wissenschaftlichen Männer bezeichnet; doch hoffte ihn Hutten als Deutschen (Niederländer) für den angefochtenen deutschen Gelehrten gewinnen zu können. Das elegische Gedicht, das er an ihn richtete Schriften I, S. 138-141. Als Deutschen konnte er nur diesen von Utrecht gebürtigen, nicht den andern Cardinal Hadrian aus Corneto, der allerdings Reuchlin günstiger war, vorstellen., kann man, was die Zeichnung von Reuchlin's Verdiensten und der Verworfenheit seiner Verfolger betrifft, als einen Auszug aus dem Triumphus Capnionis betrachten. Wirken konnte es begreiflich nichts; dafür war es zu sehr an die falsche Adresse gerichtet.

Gar zu gerne würde Hutten in dieser Zeit öfters an Reuchlin geschrieben, ihm die Nachrichten über den Gang seines Processes selbst mitgetheilt, ihn seiner unwandelbaren Verehrung und Theilnahme wiederholt versichert haben. Aber Rücksichten auf Reuchlin selbst verboten es. Es war damals in Würtemberg eine Zeit des politischen Argwohns, der Hochverrathsprocesse, und bereits war auch Reuchlin bei dem Herzog verdächtigt worden. Er hatte auf dem Rathhause zu Stuttgart an Besprechungen theilgenommen, welche den Zweck hatten, das Land gegen die verderblichen Folgen von Ulrich's ungestümem Thun, wenn es sein müßte durch dessen zeitweilige Entfernung vom Regimente, sicher zu stellen. Wäre nun überdieß ein Briefwechsel zwischen ihm und des Herzogs Erzfeinde Hutten entdeckt worden, so hätte das für Reuchlin die übelsten Folgen haben können. So schmerzlich es für Hutten war, so fügte er sich dieser Rücksicht doch, und beiderseitige Freunde übernahmen es, seine Grüße und Nachrichten an den verehrten Meister gelangen zu lassen. Brief an Pirckheimer, I, S. 135. Pirckheimer an Hutten, ebendas., S. 137. Einmal jedoch, da ihm Reuchlin selbst, und in gebeugter Stimmung, geschrieben hatte, glaubte er ihm auch selbst antworten zu sollen. Die boshafte Einflüsterung der Kölner, wenn er vor Entscheidung der Sache stürbe, wie leicht ihn dann seine Feinde noch unter dem Boden als Ketzer verdammen könnten, hatte doch Eindruck auf den alten Mann gemacht.

»Bei deinem Leben«, schrieb ihm nun Hutten am 13. Januar 1517 aus Bologna, »bei deinem Leben, und wenn uns beiden etwas noch theurer ist, beschwöre ich dich: gib keinen trüben Ahnungen Raum. Was will das sagen: Wenn ich bald sterben sollte? Laß dir deine eigene Tugend darauf antworten … Wer so gelebt hat, stirbt nicht. Und was du deinen Jahren noch hinzufügen wirst, ist reiner Gewinn. Des Ruhmes hast du genug. Noch bei Leben hast du solche Zeugnisse über dich vernommen, wie sie Wenigen nach ihrem Tode zu Theil werden, und bist selbst unter deiner Nachwelt gewesen. Was mich betrifft, so glaube ich meinen Eifer für dich schon dadurch hinlänglich belohnt, daß ich mich öffentlich zu den Reuchlinisten gezählt sehe. Darum fasse Muth, tapferster Capnion. Viel von deiner Last ist auf unsere Schultern übergegangen. Längst wird ein Brand vorbereitet, der zu rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen soll. Dich selbst heiße ich ruhig sein. Ich geselle mir solche Genossen zu, deren Alter und Verhältnisse der Art des Kampfes angemessen sind. Bald wirst du das klägliche Trauerspiel der Widersacher von einem lachenden Hause ausgezischt sehen. Damit gehe ich um, während du ganz Anderes von mir vermuthest. Denn wenn du richtig von mir dächtest, könntest du mir nicht schreiben: Verlasse die Sache der Wahrheit nicht! Ich sie oder dich, ihren Führer, verlassen? Kleingläubiger Capnion, wie wenig kennst du Hutten! Nein, wenn du sie heute verließest, würde ich (so viel in meinen Kräften stünde) den Krieg erneuern, und glaube nicht, daß ich für mein Unternehmen untüchtige Gehülfen habe. Mit solchen Genossen umgeben schreite ich einher, von denen jeder Einzelne, du darfst es glauben, jenem Gesindel gewachsen ist. Capnion's Preis (im Triumphus?) wird von Mund zu Munde fliegen. Daraus wie aus Anderem wird dir hohes Lob erwachsen, während du ruhig außer der Gefahr dich hältst. Das wollt' ich dir nicht unangezeigt lassen. Lebe wohl und erhalte dich für uns frisch.« Schriften I, S. 129 f.

An Pirckheimer aber, dem der Gang des Reuchlin'schen Processes bedenklich zu werden anfing, schrieb Hutten: 'Tapferer Wilibald, warum fürchtest du so für die Sache unsers Capnion, den seine Unschuld gegen menschliche Angriffe sicher stellt? So viel tausend schlechte Menschen verfolgen ihn: einige Gute (denn gut nenne ich die Solches thun), einige Gute, sage ich, beschützen ihn. Wird es mehr gelten bei der Nachwelt, daß viele Schlechte ihn verfolgen, oder daß einige Gute ihn vertheidigt haben? Aber N. N. (der Papst) wird ihn verdammen, durch das Gold der Ordensbrüder umgestimmt. Dagegen haben ein Erasmus, ein Faber (von Etaples), Wilibald, Mutian und die besten Männer alle es ihrer würdig gehalten, der Wahrheit Zeugniß zu geben. Und wenn du mich folterst, ich muß sagen was wahr ist: daß mir mehr an deinem Beifalle liegt, als an dem jenes Mannes, der leichter als Spreu, beweglicher als eine Flaumfeder ist. Auch wird mir nie, du magst sagen was du willst, ein Pfeil, den Erasmus auf einen Schurken abschnellt, weniger gelten als zehn Bannflüche jenes Florentiners, die aus vielen und triftigen Gründen von Allen, in denen noch einige Mannskraft ist, nicht mehr hoch angeschlagen werden. Darum mögen jene Alles durchsetzen: wir schirmen die Partei, deren Unschuld aller Welt ebenso bekannt ist als jedem Sinnbegabten des heiligsten Leo Unheiligkeit; denn wer darüber noch im Unklaren ist, der muß eine schlechte Fassungskraft besitzen.«

Aber der welterfahrene Pirckheimer schrieb zurück, unter dem Schilde der Unschuld sei schon mancher zu Grunde gegangen. Die beiden Briefe vom Sommer 1517 in Hutten's Schriften I, S. 133-135 und S. 136 f.


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